Der erste Blick bietet eine Überraschung. Das Logo der Presse war bisher blau, im Prototypen ihrer neuen Sonntagszeitung sind die Lettern hingegen weiß und weinrot umrandet. „Die Presse“ ist da groß zu lesen. Eine Zeile darunter steht: „am Sonntag“. Das neue Produkt soll im März erscheinen und ein Sonntagsblatt mit Qualitätsjournalismus sein. Dem Falter gelang es, schon vorab einen Blick auf die Zeitung zu werfen. Es war nicht Betriebsspionage. Die Presse hatte die Falter-Mitarbeiterin unwissentlich zum Produkttest geladen.
Keine Frage, die Zeitung hat ein flottes Design. Die Bilder sind groß, das Layout verspielt. Man ist magazinlastiger, weniger nachrichtenorientiert. Viele Elemente erinnern an den Falter: Schon auf der Titelseite findet sich eine Marginalspalte, die Kolumnisten sind mittels Zeichnung und nicht mittels Foto abgebildet, durch das Blatt führt ein Farbleitsystem, das bei der Orientierung zwischen den unterschiedlichen Ressorts hilft. Auch inhaltlich gibt es Parallelen: Der „Narr der Woche“ dolmt Fehltritte auf dem politischen Parkett (siehe Kasten auf Seite 22).
Keine herkömmliche Tageszeitung, sondern ein eigenständiges Produkt mit anderen Ressorts und anderer journalistischer Gewichtung will die Presse am Sonntag sein. Egal ob im Reisereportagenteil „Globo“ oder in der Wirtschaft namens „Eco“, überall menschelt es. Da gibt es ein Porträt von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und ein Doppelinterview mit Erste-Bank-Chef Andreas Treichl und Opernball-Organisatorin Desirée Treichl-Stürgkh. Zumindest in der Theorie: Der Prototyp der neuen Zeitung beinhaltet keine ausformulierten Artikel, sondern nur Blindtexte.
Es ist ein gewagter Plan. Im März soll bereits die erste Ausgabe der Sonntagszeitung in Plastikbeuteln aushängen, auf den Türmatten der Presse-Abonnenten landen. In der Branche wird indes die Wirtschaftskrise spürbar, Anzeigeneinbrüche führen zu dünneren Zeitungen. Chefredakteur Michael Fleischhacker will, dass sein neues Produkt antizyklisch der Krise trotzt und einen Teil der Werbeverluste ausgleicht. Aber bei der Einführung der Sonntagszeitung geht es auch um die Frage, wie die Zukunft der Tageszeitung aussieht. Fleischhacker glaubt, dass sich das journalistische Geschäft immer mehr auf den Sonntag verlagert.
„Der Sonntag ist der weltweit wichtigste Zeitungstag“, sagt er und erzählt davon, wie vor 15 Jahren die Geschäfte samstags um zwölf Uhr zusperrten. Heute sei der Samstag hingegen ein Erledigungstag, irgendwo zwischen Büro und Baumarkt. Da bleibt nur der Tag darauf zum gemütlichen Zeitunglesen. Sonntagsleser sind für Journalisten ein geduldiges Publikum, dem man auch längere Texte zumuten darf. Für Marketingleute sind sie wiederum wunderbare Werbeadressaten. „Das Wochenende ist für Anzeigenkunden ein sehr wichtiger Platz, da mehr Zeit zum Lesen da ist und auch der Austausch mit dem Partner möglich ist“, sagt Max Palla, Präsident des Austrian Chapters der International Advertising Association.
Kein Wunder also, dass die Presse beim Produkttest als Erstes wissen will, ob die Teilnehmer sonntags Zeitung lesen. Alle bejahen. Eine junge Testerin gibt zu, dass sie am Wochenende auch die Krone liest.
In Österreich wird der Sonntag weitgehend dem Boulevard überlassen. Landesweit hängen Krone bunt, Kurier und Österreich an der Straßenecke aus. Wem das nicht genügt, der muss zur Samstagsausgabe anderer Blätter oder zu einem profil-Abo greifen. Dabei zeigt der Blick über die Grenzen, dass auch Qualitatsmedien am Sonntag überleben können. Die Frankurter Allgemeine Zeitung (FAZ) startete 2001 die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) deutschlandweit. Laut Allensbacher Werbeträger-Analyse hat die FAS heute 993.000 Leser, die FAZ hingegen nur 884.000.
„Für eine Qualitätszeitung am Sonntag gibt es ein Leserpotenzial von knapp einer Million“, sagt Fleischhacker. Er beruft sich auf eine Studie von Marktforscher Imas. Der Sonntag hat aber auch seine eigenen journalistischen Spielregeln: Hier geht es nicht um die schnelle Nachricht, sondern ums Genusslesen. Es ist kein Wunder, dass sich im Prototyp der Presse am Sonntag Reisereportagen, Spaziergänge mit Politikern und persönliche Interviews finden. Auch die FAS pflegt einen leichteren Ton und eine luftigere Aufmachung als ihr Mutterblatt.
„Am Sonntag will man nicht über Shopping oder über Stress lesen, sondern sich entspannen“, sagt Conny Bischofberger, die den Sonntag-Kurier leitet und jahrelang für die Krone bunt Promiinterviews machte. Auch sie arbeitet derzeit an einem Hochglanzmagazin, das der Kurier am 29. März herausbringen will. „Das Hauptblatt wird dafür noch aktueller werden“, meint die Journalistin.
Es kommt Bewegung in den Sonntagsmarkt. Für die Presse macht es Sinn, dieses Format auszuprobieren: Sie hat den Styria-Medienkonzern hinter sich, der das Vertriebssystem Redmail besitzt. Das erleichtert die Zustellung. Überdies ist der Sonntag eine der wenigen Nischen, die sich im Zeitungsgeschäft noch finden lassen. Fleischhackers Blatt könnte einen höheren Marktanteil gut brauchen: Laut Media-Analyse hat sich der Abstand zum Standard vergrößert. Während die Presse eine Reichweite von 3,6 Prozent besitzt, sind es bei der lachsfarbenen Konkurrenz 1,4 Prozent oder 100.000 Leser mehr. „Die Presse allein ist nicht überlebensfähig, sie lebt vom Tropf der Styria“, meint Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer des Standard. Das bürgerliche Blatt habe selbst 2007, zu Zeiten der Hochkonjunktur, gerade einmal einen positiven Abschluss geschafft.
Stimmt, sagt Fleischhacker. Er leugnet nicht, dass die Wirtschaftskrise seine Zeitung hart trifft. Für die Tageszeitungsbranche erwartet er heuer einen Rückgang der Anzeigenumsätze von 20 bis 30 Prozent. „Aber was ist sinnvoller? Leute zu entlassen oder offensiv ein neues Produkt zu starten, mit dem man auch Marktanteile gewinnen kann?“
Eine Flucht nach vorne also. Das hört sich nach einem guten Plan an. Aber selbst die Styria kann nicht über Nacht eine Sonntagszeitung starten. Der Vertrieb ist ein Stolperstein. In Bundesländern wie Salzburg ist zum Beispiel unklar, ob eine Hauszustellung möglich ist. Auch räumt der Chefredakteur die Möglichkeit ein, dass sein neues Lieblingsprojekt in letzter Sekunde scheitert. „Wenn wir Ende Februar merken, dass das gesamte Anzeigengeschäft in den Keller rasselt, werden wir die Investition überdenken.“
Zumindest einen Vorteil bringt die Krise für die Styria: Sie ist ein guter Zeitpunkt, um bei der Belegschaft günstige Arbeitskonditionen durchzusetzen. Der Redaktion wurde kommuniziert, dass es zu Einsparungen kommen müsste – oder zur Einführung der Sonntagszeitung. Nun muss die Belegschaft einen Titel pro Woche zusätzlich herstellen, das heißt 48 Seiten für den Sonntag füllen. Mehr Personal gibt es dafür nicht. Ein Triumvirat aus Fleischhacker, Chronikressortleiter Rainer Nowak und Außenpolitikchef Christian Ultsch wird das neue Projekt koordinieren.
Die neuen Betriebsregeln entsprechen trotzdem dem Journalisten-Kollektivvertrag: Wer künftig am Samstag ins Büro geht, bekommt unter der Woche einen Tag frei. Inhaltlich stellt sich hingegen die Frage, ob ein Tageszeitungsteam über genügend Arbeitskräfte verfügt, um zusätzlich eine qualitativ hochwertige Wochenzeitung herauszugeben. Wolfgang Langenbucher, emeritierter Vorstand des Wiener Publizistikinstituts, ist skeptisch. „Dort, wo erfolgreiche Sonntagszeitungen neu gegründet wurden, handelte es sich um ein eigenständiges redaktionelles Produkt. Ich denke etwa an die FAS“, sagt er. Diese Zeitung hat eine eigene Redaktion mit circa 50 Mitarbeitern, zusätzlich schreiben FAZ-Redakteure im Blatt.
Die österreichische Sparvariante verwundert Langenbucher. Die Idee einer Sonntagszeitung gefällt dem Medienwissenschaftler aber grundsätzlich. „Ich sehe zwei Tendenzen: den langsamen Rückgang der Tageszeitung. Und die Neukonzeptionierung als Wochenzeitung.“ In den USA gibt es etwa den Christian Science Monitor, einst eine Tageszeitung. Heute erscheint das Blatt nur noch sonntags und unter der Woche im Internet.
So weit will Fleischhacker nicht gehen. Trotzdem glaubt er, dass das Wochenende zum Rettungsanker im Nachrichtengeschäft werden könnte. „Faktum ist, die größte Überlebenschance der Tageszeitung liegt im Wochenende.“ Wenn der Sonntag nicht die ganze Presselandschaft rettet, so zumindest die Presse.
Durchgeblättert: die Sonntagszeitung der Presse im Schnell-Lesegang
Im März kommt die Sonntagszeitung auf den Markt. Für Presse-Leser sieht die Titelseite der Sonntagszeitung ungewöhnlich aus. Während das Hauptblatt von Montag bis Samstag eine monothematische Seite 1 bringt, erscheint zum Abschluss der Woche der Leitartikel des Chefredakteurs auf der Titelseite. Daneben wird die Coverstory angekündigt, beispielsweise ein Text über Brüder als „liebste Feinde“.
Nach dem Inhaltsverzeichnis folgt die Politik. Wie auch im Rest des Blattes dominieren menschliche Zugänge – vom Porträt des Bundespräsidenten Heinz Fischer bis zum Spaziergang mit der Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou. Um nicht alt auszuschauen, gibt es einen zweiseitigen Nachrichtenüberblick mit der Tadelkolumne „Narr der Woche“.
Die wirkliche Überraschung kommt nach der Politik. Das Sportressort taucht an zweiter Stelle im Blatt auf. Fünf Seiten Sportberichterstattung sind für die Presse ungewöhnlich viel. Im Ressort „Sport & Spiel“ finden sich aber auch Sudokus und eine Schlussseite mit Hightech- und Internetthemen.
Hier zeigt sich bereits, dass das Blatt zum Teil ungewöhnliche Ressorts besitzt. Es setzt sich aus den Bereichen „Politik“, „Sport & Spiel“, „Eco“ (Wirtschaft), „Wissen“, „Lokal“ (Wien und Gastro), „Leben“ (Erziehung und Familie), „Globo“ (Reisereportagen), „Kultur“ und „Debatte“ zusammen.
Der Prototyp der Zeitung ist bunter, magaziniger. In Stein ist das Blatt aber anscheinend noch nicht gemeißelt. Beim Produkttest werden den Teilnehmern abschließend auch alternative Titelseiten vorgestellt. Auf diesen befindet sich das Presse-Logo nicht am oberen Ende, sondern seitlich links. Vielleicht schaut das Magazin, wenn es im März auf den Markt kommt, ja doch ganz anders aus.
Illustration: PM Hoffmann / www.pmhoffmann.de
Dieser Artikel ist im Falter 06/09 erschienen.