Facebook hat das Vertrauen seiner Kunden missbraucht, der Staat darf dem Monopolisten nicht weiter zusehen
Facebook und die Privatsphäre: ein Krampf. Nein, diese Fotos sind nicht für alle bestimmt. Nein, der eigene Name darf nicht für Werbezwecke benutzt werden. Nein, die Hobbys gehen die Menschen da draußen genauso wenig an.
Viele User sind wütend. Ständig ändert das Webportal seine Privatsphäre-Bestimmungen, dauernd will es Information an einem vorbeischummeln und für alle sichtbar veröffentlichen. Um das zu verhindern, müssen die Benutzer einen Dschungel an Menüs und Untermenüs durchforsten, Dutzende Kästchen an- oder ausklicken. Trotzdem fehlt ihnen der Überblick, welche Daten Facebook weitergibt. Der Onlinedienst fordert die totale Transparenz, selbst lebt er aber pure Intransparenz.
Die Wut ist berechtigt. Diesmal schreien nicht die üblichen Verdächtigen, Datenschützer und Webskeptiker, die es eh schon immer besser wussten. Diesmal melden sich die Rädelsführer des Internet zu Wort. Das Technikmagazin Wired warnt: „Facebook gerät außer Kontrolle.“ Die US-Sozialwissenschaftlerin Danah Boyd sagt: „Menschen werden überlistet, hinters Licht geführt, genötigt und verwirrt, damit sie Dinge machen, deren Konsequenzen sie nicht verstehen.“
Wer nie auf Facebook war, wird diese Emotion womöglich nicht nachvollziehen können. Viele Benutzer sind enttäuscht. Sie traten der Seite bei, weil sie ihnen eine bessere Kontrolle über ihre eigenen Daten versprach. Einst hatte Facebook einen guten Ruf unter den Social Networks. Hier konnte man mit Freunden Nachrichten und Fotos austauschen, ohne sich vor fremden Blicken zu fürchten. Heute ist es umgekehrt: Facebook hat 400 Millionen Mitglieder und nutzt seine Vorherrschaft aus. Seit Dezember ist jedes Profil automatisch öffentlich. Auf dem Freundschaftsportal fand ein Paradigmenwechsel statt. Aus dem Prinzip „alles ist verborgen“ wurde „alles ist offen“. Die Privatsphäre-Bestimmungen des Unternehmens sind mittlerweile länger als die amerikanische Verfassung.
Natürlich geht es ums Geld, natürlich sammeln die Manager von Facebook fleißig Daten, um diese in Bares umzuwandeln. Für Mark Zuckerberg, den 26-jährigen Firmengründer, ist Transparenz aber nicht nur ein Geschäfts-, es ist sogar sein gewünschtes Gesellschaftsmodell. Er sieht die Privatsphäre als „überholtes“ Konzept, als „alte Konvention“, die nicht mehr dem Zeitgeist entspräche. „Mark glaubt wirklich an Transparenz und die Vision einer offenen Gesellschaft, deswegen will er die Menschen auch in diese Richtung drängen“, sagt etwa Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer des Webdienstes. Natürlich ist es Zuckerbergs Recht, einen lockeren Umgang mit dem Schutz der eigenen Privatsphäre zu pflegen. Problematisch wird es aber dann, wenn er diesen Transparenzterror auf alle 400 Millionen Facebook-Mitglieder ausdehnt.
Facebook ist heute ungeschlagen die Nummer eins unter den Social Networks. Die Betreiber der Seite wissen ganz genau, dass die User wenige Alternativen haben. Wir Internetjunkies sind in die Facebook-Falle getappt und befreien uns trotzdem nicht daraus. Warum? Weil die Plattform einen Mehrwert bietet. Wer heute Facebook verlässt, verliert zwar nicht die besten Freunde – aber einen Teil seines sozialen Umfelds, darunter ehemalige Studienkollegen oder Freunde aus dem Ausland. Natürlich könnte man anderen sozialen Netzwerken beitreten, doch dort trifft man nicht den ganzen virtuellen Bekanntenkreis an. Deswegen bleiben viele zähneknirschend und hoffen, dass Facebook irgendwann ihre Unzufriedenheit erkennt.
Der Markt regelt sich doch nicht von allein. Facebook ist ein gutes Beispiel dafür. Viele hofften, dass User durch Proteste und Massenaustritte Druck ausüben und eine neue Dialogkultur zwischen Unternehmen und Konsument entstehen könnte. Bisher geschah das nicht, vielmehr fand ein Katz-und-Maus-Spiel statt. Alle paar Monate fallen Facebook neue Transparenztricks ein. Wenn daraufhin der Widerstand groß genug wird, gibt Facebook unter Umständen nach. Und alle jubeln.
Man darf Facebook nicht dankbar sein, bloß weil es sensible Daten mit Respekt behandelt und sagt, was damit passiert. Das sollte das Recht der Konsumenten sein. Weil Facebook de facto ein Monopolist ist, müssen Wettbewerbsbehörden umso strenger darauf pochen. Sogar in den USA wird der Ruf nach Regulation lauter. Auch die EU könnte geschlossener auftreten. Facebook hat seinen Firmensitz zwar in Kalifornien, muss sich aber an europäische Datenschutzstandards halten.
Gibt es Auswege abseits der staatlichen Kontrolle? In der Internetcommunity sammelten vier amerikanische Studenten binnen kurzer Zeit 170.000 Dollar an Spendengeldern. Sie wollen bis September die „Diaspora“ entwickeln – eine Alternative zu Facebook, bei der die Information der Mitglieder nicht zentral gespeichert wird. Stattdessen soll jeder User seine Daten selbst verwalten.
Klingt sympathisch. Noch sind das aber nur gutgemeinte Worte. Und davon gab es in den letzten Jahren mehr als genug: Ein Start-up-Unternehmen nach dem anderen beteuerte, wie vertrauenswürdig es sei – und wurde dann zur Datenkrake. Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut, merkt man hier. Deswegen ist es an der Zeit, nicht mehr auf gute Absichten zu vertrauen, sondern strikte Vorgaben zu machen. Wer tatsächlich Gutes im Sinn hat, wird sich daran nicht stoßen.
Interessante Links:
– Danah Boyd: Facebook and radical transparency
– Electronic Frontier Foundation: Wie Facebook mit der Zeit seine Privacy-Bestimmungen veränderte
– Tolle Grafik der New York Times: Wie schwierig es ist, sein Profil abzuschotten
– Warum bleiben Menschen trotz allem auf Facebook? Medienwissenschaftlerin und Bloggerin Nancy Baym hat das sehr gut in der Ich-Perspektive erklärt
– Facebook-Parodie Openbook: Facebook helps you connect and share with the people in your life. Whether you want to or not.
Dieser Kommentar ist im Falter 20/10 erschienen. Foto: Flickr-User William Brawley
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