Den Downloadern geht es in Europa an den Kragen. Aber lassen sie sich den Gratisspaß im Internet verderben?
Mon dieu! Vor diesem Moment graute den französischen Internetpiraten. Sie öffneten kürzlich ihr elektronisches Postfach und sahen das E-Mail des Kulturministeriums: „Erste Verwarnung“ stand im Betreff. Bei diesem Anblick zuckt wohl jeder Pirat zusammen. Er weiß: Jetzt hat ihn der Staat ertappt, jetzt befindet er sich im Visier der Internetkontrolleure.
In Frankreich trat Anfang des Jahres ein strenges Gesetz in Kraft: Wer dreimal beim Download ertappt wird, verliert seinen Internetzugang. Vielleicht wird er sogar für ein ganzes Jahr gesperrt. „Three Strikes Out“ heißt das Modell. Die konservative Regierung von Nicolas Sarkozy kennt kein Pardon beim rechtswidrigen Filesharing, also dem Gratis-Austausch von Musik, Serien und Filmen über das Internet.
Die „digitale Guillotine“ nennen Kritiker diese Regelung. Aber nicht nur in Frankreich, in einigen europäischen Ländern sind die Sheriffs im Vormarsch. England plant ein ähnliches System wie Paris. In Irland sperrt der größte Internetprovider Downloader nach dem Three-Strikes-Modell aus. In Brüssel schlägt ein neuer Bericht eine härtere Gangart gegenüber den Datendieben vor. Diese europäische Diskussion ist auch für Österreich bedeutend, immerhin muss es sich in seinem Urheberrecht an die Richtlinien der EU halten.
Seit gut zehn Jahren erfreut sich das rechtswidrige Filesharing im Internet großer Popularität. 1999 startete die Musiktauschbörse Napster. Aber im Vergleich zu den Datenmengen, die die User heute aus dem Netz saugen, war Napster harmlos. Damals saß man stundenlang vor dem Computer, um sich ein paar Songs zu besorgen. Heute landen Alben, vielleicht sogar das gesamte Lebenswerk eines Künstlers innerhalb weniger Minuten am Rechner. Nicht nur den Musiklabels werden die Files geklaut. Das neue Eminem-Album kursierte zwei Wochen vor dem Erscheinungstermin im Netz, vergangenes Jahr tauchte der Action-Blockbuster „Wolverine“ in Tauschbörsen auf, da waren noch nicht einmal alle Special Effects eingefügt.
„Was 1999 für die Musikindustrie war, ist das Jahr 2010 für Hollywood. Das Downloaden von Filmen wird immer populärer“, meint Eric Garland von der Marktforschungsfirma BigChampagne. Filesharing nimmt nach wie vor zu, vor allem wächst die Nachfrage nach Spielfilmen, Serien und Videospielen – und auch nach elektronischen Büchern. Denn mit neuen Lesegeräten wie Apples iPad und Amazons Kindle wird das Kopieren von Gedrucktem leichter.
„Ganz klar: Wir haben ein Problem“, meint Marielle Gallo. Die konservative französische Abgeordnete ist die Galionsfigur der Brüsseler Urheberrechtsrächer. Sie hat jenen Bericht verfasst, der nun für Diskussion sorgt und im Juli im Europaparlament landet. Gallo sagt, das europäische Urheberrecht sei zahnlos: „Der Bericht ist ein Startschuss für die Debatte, es geht darum, stärker über Urheberrechtsverletzungen nachzudenken.“ Mit einer Diskussion allein hätten Sozialdemokraten, Grüne und Linke im Europaparlament kein Problem. Aber sie fürchten, dass das Dokument die Vorarbeit zu härteren Sanktionen gegen private Filesharer ist. Wenn Gallos derzeitiger Entwurf abgesegnet würde, wäre das eine Weichenstellung. Zwar ist so ein Initiativbericht rechtlich nicht verpflichtend, aber es wäre eine Aufforderung an die Kommission, den Internetpiraten strenger über die Schulter zu schauen.
Doch wie weit darf der Schutz des geistigen Eigentums gehen? So weit wie bei den Briten und Franzosen? Heuer wurde die französische Regierungsbehörde Hadopi gegründet. Beim ersten Urheberrechtsverstoß sendet sie eine Mail, beim zweiten einen Brief, beim dritten kommt die Netzsperre von zwei Monaten bis zu einem Jahr. Überdies droht den Downloadern eine Geldbuße von bis zu 300.000 Euro und eine maximal zweijährige Haftstrafe. Bis zu 10.000 Mails könnte Hadopi pro Monat versenden, sagte die frühere Kulturministerin Christine Albanel. Erfahrungswerte, ob Hadopi tatsächlich das gesamte französische Web patrouillieren kann, gibt es nicht, die Behörde nimmt gerade ihre Arbeit auf.
Auch die Briten wollen Mahnbriefe versenden. Ein Jahr lang will die Regierung User auf Urheberrechtsverletzungen hinweisen und allein dadurch das Downloadvolumen in ganz England um 70 Prozent senken. Wird dieses Ziel nicht erreicht, drohen den Filesharern ab 2012 sogenannte „technische Maßnahmen“. Ihr Internet könnte wie in Frankreich gesperrt oder zumindest so stark gedrosselt werden, dass es keinen Sinn mehr macht, Filme oder Alben herunterzuladen.
Es sind aber nicht nur Politiker oder Studiobosse, die mehr Strenge fordern. In England versuchte auch Lily Allen ein Wörtchen mitzureden. „Musikpiraterie hat gefährliche Auswirkungen auf britische Musik“, schrieb die Popsängerin in ihrem Blog. „Für junge Talente ist Filesharing ein Desaster, für neue Künstler wird es schwerer und schwerer hervorzukommen“, sagte sie und Kollegen wie James Blunt oder Patrick Wolf unterstützten sie. Schließlich sprach sich auch die Featured Artists Coalition dafür aus, Downloader mit langsamen Internetverbindungen zu bestrafen.
Lily Allen wurde damals, im September des Vorjahres, für ihre Meinung beflegelt. In Internetforen nannten sie User eine „kommerzielle, seelenlose Hure“, eine „Pro-Urheberrechts-Idiotin“ und „dumm, dumm, dumm“. Dann stellte sie ihren Blog ein. „Die Beschimpfungen wurden zu viel“, erklärte sie via Twitter.
Die Debatte ist exemplarisch. Auf der einen Seite stehen die Piraten, von denen viele das gesamte Urheberrecht infrage stellen und von einem Netz träumen, in dem geistiges Eigentum frei und gratis herumschwirrt – die Internetbewegung hat mittlerweile sogar ihre eigenen Vertreter in Straßburg sitzen. Im Vorjahr wurde die schwedische Piratenpartei ins Europaparlament gewählt. Auf der anderen Seite stehen die Vertreter der Kreativwirtschaft, die nicht einsehen wollen, dass Kulturgüter in einem digitalisierten Markt per Knopfdruck gratis kopiert werden können, und am liebsten ins Jahr 1998 zurück wollen.
Die Fronten im Urheberrechtsstreit haben sich verhärtet. Manche Internetpiraten wünschen den Hollywoodstudios und Plattenfirmen den Bankrott. Die Lobbys der Kreativwirtschaft jonglieren wiederum mit Zahlen, bei denen man meinen könnte, die Weltwirtschaftskrise wurde in Wirklichkeit von all den Downloadern ausgelöst.
Da gibt es zum Beispiel die TERA-Studie, eine Untersuchung im Auftrag der internationalen Handelskammer BASCAP. Sie warnt vor den massiven Folgen des Filesharings. Bis 2015 würden zwischen 600.000 und 1,2 Millionen europäische Arbeitsplätze durch die Downloads vernichtet (PDF-Datei hier). Diese Studie geisterte durch die Medien, doch die Berechnung ist mit Vorsicht zu genießen, warnen Experten. Basierend auf den Zahlen der Industrie wird zuerst geschätzt, wie viele CDs oder DVDs nicht gekauft werden. Dann geht die TERA-Studie davon aus, dass jeder vernichtete Job in der Kreativwirtschaft einen weiteren Job außerhalb der Industrie mit sich reißt. Das Social Science Research Council, eine amerikanische Forschungseinrichtung, kritisierte diese Berechnungen (Stellungnahme als PDF).
Und dann gibt es auch Ökonomen wie den Harvard-Forscher Felix Oberholzer-Gee. Er hinterfragt, ob das Downloaden von Raubkopien dem Verkauf von CDs überhaupt schadet. „Es ist falsch, dass jede gestohlene Kopie ein nicht gekaufter Tonträger ist“, sagt der gebürtige Schweizer. Er glaubt viel mehr, dass eine Verlagerung und Aufwertung komplementärer Güter stattfindet: Beispielsweise geben die Leute heute weniger für Tonträger, aber deutlich mehr für Konzerte aus.
Die Forscher streiten über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Filesharings, jede Seite legt ihre eigenen Studien vor. Fakt ist jedenfalls, dass für Musikstücke weniger Geld ausgegeben wird. Vor zehn Jahren wurden in Österreich mit CDs, Platten, Minidiscs noch 312,5 Millionen Euro erwirtschaftet, 2009 waren es gerade noch 182 Millionen Euro – inklusive digitaler Einnahmen. Auch in Österreich tun sich erfolgreiche Musiker schwer, von ihrer Musik zu leben. Viele touren landauf, landab, andere schreiben Werbejingles.
Das wollen manche Politiker nicht weiter hinnehmen. Das Problem an den neuen Gesetzen ist aber, dass sie in Bürgerrechte eingreifen. In Frankreich stellt sich die Frage, inwieweit der Zugang zu Information und zum Internet ein Menschenrecht ist. Wenn dreimal illegal gedownloadet wird, egal von wem, wird dem ganzen Haushalt die Leitung gesperrt. Wer der französischen Regierungsbehörde Hadopi einmal ins Visier gerät, wird überwacht. Laut Gesetz ist dann der Internetanbieter verpflichtet, die Urheberrechtsverstöße seiner User zu überwachen – die Provider werden zu privaten Hilfssheriffs, wenn man so will.
„Ich will auch nicht, dass der Postler meine Briefe liest“, klagt daher Eva Lichtenberger, grüne Europaparlamentarierin. Die Grünen und die Sozialdemokraten sind über die Bestrebungen des Gallo-Berichts alles andere als glücklich. „Die Balance ist aber schwierig“, konzediert die EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ). Bürgerrechte vs. Urheberrechtschutz? Darauf wurden bisher nur unbefriedigende Antworten gefunden.
Es gibt aber auch technische Einwände gegen die Netzsperre: Alle Restriktionen haben bisher versagt. Das Internet wurde als dezentrales Netz konzipiert, damit es auch einen Atomkrieg überstehen kann. Jetzt stellt sich heraus, dass sich diese dezentrale Struktur prima dazu eignet, Raubkopien weiterzureichen. Seitdem Napster wegen Urheberrechtsklagen zusperren musste, fanden die Piraten viele neue Möglichkeiten, um lizensiertes Material aus dem Netz zu fischen. Noch bevor das französische Hadopi-Gesetz in Kraft trat, gab es online schon Anleitungen, um die staatliche Kontrolle zu umgehen. Zum Beispiel können User ihren Datenverkehr in einem sogenannten VPN-Tunnel verstecken, einer verschlüsselten Verbindung, die nicht einmal der Internetprovider durchleuchten kann.
Eric Garland beobachtet die Downloader seit 1999. Sein Marktforschungsunternehmen BigChampagne zeichnet die Filesharing-Trends für die Film- und Musikindustrie auf. Er bezweifelt, dass ein härteres Urheberrecht das Problem lösen könne. „In den USA haben wir 30.000 Menschen verklagt. Aber das hat nichts genützt“, sagt er und glaubt nicht an Strafen, sondern an attraktive legale Online-Angebote. „Man kann es mit der Peitsche probieren, aber das Zuckerbrot ist besser.“
Das ist die andere Haltung, die man in der Pirateriedebatte einnehmen kann: Manche glauben aus tiefer Überzeugung, dass es im Internetzeitalter einen neuen Deal zwischen Konsument und Künstler braucht. Andere haben schlichtweg resigniert und sehen keine andere Überlebenschance, als neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zwei der beliebtesten Vorschläge sind Spotify und die staatliche Kulturflatrate.
Spotify ist das Paradies für Musikjunkies – Ziel des Onlinedienstes ist es, seinen Usern irgendwann jedes Lied anzubieten. Die Musik wird nicht mehr auf die Festplatte gespeichert, sondern übers Netz gestreamt. Ohne Zeitverzögerung kann der Kunde Millionen Titel anhören. Entweder er nutzt die Gratisversion und nimmt dafür zwischendurch Werbung in Kauf, oder er zahlt rund zehn Euro im Monat, um auch offline oder per Handy die Musik hören zu können. Wie das funktioniert? Spotify hat Verträge mit allen großen Plattenfirmen und vielen Indielabels abgeschlossen. In Schweden, Norwegen, Finnland, Holland, Großbritannien, Spanien und Frankreich können die Konsumenten davon Gebrauch machen. Binnen 20 Monaten sammelte der Service 7,7 Millionen Kunden.
Das andere Modell nennt sich Kulturflatrate. Jeder Internetuser soll einen monatlichen Betrag zahlen, etwa fünf oder zehn Euro. Dafür würde das Downloaden legalisiert und das eingenommene Geld an die Künstler aufgeteilt werden. Diese Pauschalabgabe fordern die österreichischen Grünen. „Die Einführung eines geringen monatlichen Aufschlags auf die Online-Gebühren ist eine geeignete Anpassung an die digitale Revolution“, heißt es in ihrem Grundsatzpapier zum Urheberrecht.
Beide Modelle haben glühende Anhänger und laute Kritiker. Spotifys Abrechnung sei zu intransparent, bemängeln insbesondere die unabhängigen Künstler und fürchten, übergangen zu werden. Die Kulturflatrate hingegen wird von der Musikindustrie bekämpft – sie nennt das Modell eine Zwangsabgabe und hat Angst, die Einnahmen aus dem herkömmlichen Verkauf von Tonträgern zu verlieren. Wer zahlt dann noch für CDs, wenn man im Internet die staatliche Erlaubnis zum Download bekommt?
Stärkere staatliche Überwachung, Internetsperren, Flatrates, Geldstrafen, Provider als Hilfssheriffs. Noch ist nicht klar, welchen Weg Europa einschlägt. Fest steht nur: Zehn Jahre nach dem Aufstieg und Niedergang von Napster fehlen noch immer die richtigen Antworten auf die Piraterie.
Jetzt müssen sich die französischen Downloader fürchten. Oder doch nicht? Die Abmahnbriefe aus dem Kulturministerium entpuppten sich als Fälschung. Die Regierungsbehörde Hadopi wird erst Ende des Monats Warnungen versenden. Irgendein Spaßvogel hatte vorab die getürkten E-Mails ausgeschickt – vermutlich um für Verwirrung zu sorgen und das Kulturministerium mit den E-Mails aufgebrachter Franzosen zu überschwemmen. Eine typische Piratenaktion eben.
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Böse Downloads
Für diesen Artikel wurden unter anderem BigChampagne-Chef Eric Garland und Harvard-Professor Felix Oberholzer-Gee interviewt, sie waren vergangene Woche bei den Wiener Tagen der Musikwirtschaftsforschung zu Gast, die die Musikuniversität veranstaltete. Dort wurde gefragt: „Wie böse ist das File-Sharing?“
Paris
Das französische Hadopi-Gesetz will Downloader nach der dritten Verwarnung aus dem Internet sperren. Die Regel ist auch als „Three Strikes“-Modell bekannt, der Begriff kommt ursprünglich vom Baseball. Wer den Ball dort dreimal nicht trifft, muss vom Platz
London
Am 12. Juni trat der „Digital Economy Act“ in Kraft, jenes britische Gesetz, das unter anderem Urheberrechtsverletzungen stärker ahndet. Im ersten Jahr wird nur ermahnt und evaluiert, dann könnte es zu technischen Maßnahmen kommen
Straßburg
Im Juli wird voraussichtlich im Plenum des Europäischen Parlaments über den Gallo-Bericht abgestimmt. Er schlägt eine härtere Gangart gegenüber Internetpiraten vor. Sozialdemokraten, Grüne und Linke sprechen sich gegen den derzeitigen Entwurf aus
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