Michelle Obama hätte bei uns keine Chance

Wie werden unsere Unis besser? Wer soll dafür zahlen? Ein Streitgespräch zwischen Rektor Georg Winckler, ÖH-Chefin Sigrid Maurer und dem deutschen Uni-Reformer Sascha Spoun



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Lauter hätte der Aufschrei der Studenten kaum sein können, trotzdem hat der Protest nichts geändert. Der groß angekündigte Hochschuldialog verdient diesen Namen nicht einmal eine Vision für die Bildungspolitik fehlt. Zum Ende des Semesters lud der Falter zur Debatte, wie sich die Unis verändern müssten.



Darüber diskutierten Rektor Georg Winckler von der Uni Wien, ÖH-Chefin Sigrid Maurer und Sascha Spoun, Präsident der Leuphana Universität in Lüneburg einer kleinen, ambitionierten Hochschule in Norddeutschland, die sich deutlich von den Massenuniversitäten abhebt: mit einem stärkeren Fokus auf Allgemeinbildung, besseren Betreuungsverhältnissen, aber auch strengen Auswahlverfahren.





Falter: Viele Akademiker finden keinen angemessenen Arbeitsplatz. Müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein Studium eine Jobgarantie ist?



Sascha Spoun: Ein Uni-Studium ist doch nicht nur Berufsvorbereitung oder gar Jobgarantie. Es ist eine Lebensphase, in der man sich persönlich entwickelt und auf das Leben vorbereitet.



Aber einen fixen Job sollte man sich nicht erwarten?



Spoun: Selbstverständlich sollte man erwarten, dass man eine berufliche Tätigkeit ausüben kann. Aber wir werden zunehmend wegkommen von lebenslangen Arbeitsverhältnissen, bei denen man nach dem Diplom in eine Organisation eintritt und diese als Pensionist wieder verlässt.



Wie muss sich die Uni dafür verändern?



Spoun: Sie muss sich dieser Unsicherheit stärker stellen und den Studierenden ein breites Fundamt bieten, sozusagen eine Basis für lebenslanges Lernen.



Georg Winckler: Da zeigen auch eine Reihe von Untersuchungen, dass Allgemeinbildung Studierende besser auf das Berufsleben vorbereitet als eine zu spezialisierte, professionalisierte Ausbildung. Die sogenannte General Education befähigt Menschen eher, dem technischen Wandel positiv gegenüberzustehen.



Die Uni-Reform ging in eine andere Richtung. Das Bachelorstudium wird dafür kritisiert, dass es zu sehr Berufsausbildung ist.



Winckler: Ja. Die Debatte um die sogenannte Employability des Bachelors führte dazu, dass in einer Reihe von Ländern die Studienpläne zu fachspezifisch angelegt wurden. Besser wäre gewesen, wir hätten mehr auf Grundlagen gesetzt.



Herr Spoun, die Leuphana Universität ist das Gegenmodell. Sie haben einen generellen Bachelor für Ihre Studenten eingeführt.



Spoun: Wir haben uns 2006 überlegt, welche Funktion der Bachelor übernehmen soll. Uns geht es um grundsätzliche methodische Zugänge und um Denkkategorien, um Bildung durch Wissenschaft. Der Bachelor soll die Voraussetzung schaffen, dass Akademikerinnen und Akademiker systematisch an Themen herangehen können. Natürlich sorgen wir zusätzlich für eine solide fachliche Qualifikation.



Sigrid Maurer: Das entspricht in Wirklichkeit wieder dem Employability-Gedanken. Die Fächer, die studiert werden, zielen wieder auf Berufsfähigkeit ab.



Ist Berufsvorbereitung denn so schlimm?



Maurer: Bestimmte Ausbildungszüge sind sehr wohl auch Aufgabe der Universität. Entscheidend ist aber, wie mit dieser Praxis umgegangen wird, ob diese kritisch reflektiert wird. Eine Anmerkung zum Humanismusideal: Dieses bürgerliche Bildungsideal ist nur für bestimmte Leute zugänglich. In Österreich und Deutschland haben wir das Problem, dass das Schulsystem die Leute schon lange vor der Matura ausspuckt.



Winckler: Meine Kritik am hiesigen System ist auch, dass Randgruppen nicht genügend Chancen auf Allgemeinbildung bekommen. Nehmen Sie Michelle Obama, die Frau des US-Präsidenten. Sie kommt aus einer unteren Einkommensschicht, ist Afroamerikanerin und weiblich trotzdem hat sie es geschafft, an der Elite-Universität Princeton den Bachelor zu machen.



In der Uni-Debatte schauen wir immer nach Amerika. Was machen die Amis besser?



Spoun: Zum einen hat das amerikanische Hochschulsystem davon profitiert, dass während des Nationalsozialismus viele Wissenschaftler aus Europa emigrieren mussten. Die humanistische Universitätsidee konnte sich entfalten, aus meiner Sicht bis heute eine wesentliche Grundlage für Spitzenleistung in Forschung und Lehre. Zweitens öffneten sich die amerikanischen Hochschulen viel früher gegenüber allen Schichten. Unser System ist eben nicht so inklusiv wie das amerikanische. Wir müssten mehr Bildungschancen schaffen.



Maurer: Das ist eine Glorifizierung der amerikanischen Universitäten. Es gibt halt ein paar Universitäten, die hervorstechen. Verschwiegen wird aber, dass 90 Prozent der Unis diesem Ideal nicht entsprechen. Dort ist die Qualität teilweise nicht mit dem Niveau unserer Hochschulen vergleichbar.



Winckler: Insgesamt sind die Amerikaner aber viel innovationsfreudiger als wir. Sie geben einen größeren Anteil ihres Bruttoinlandprodukts für die Hochschulbildung aus. Bei uns sind es 1,3, dort 2,7 Prozent. Die Amerikaner investieren also mehr als doppelt so viel.



Die amerikanischen Unis werden aber auch viel mehr von privater Hand finanziert.



Winckler: Der Anteil der öffentlichen Mittel ist dort trotzdem höher als in Österreich.



Spoun: Wesentlich ist, welche Anstrengungen eine Gesellschaft für Bildung unternimmt. Ob die Mittel direkt von Privaten kommen oder indirekt über Steuern, spielt am Ende keine Rolle.



Maurer: Oh doch.



Spoun: Nein. Im Kern geht es darum, dass wir insgesamt stärker auf Innovation setzen müssen. Auch private Stifter könnten eine größere Rolle spielen.



Winckler: Wir müssen aber auch auf die Unterschiede zwischen den Ländern achten. Durch ein Studium können Sie in den Vereinigten Staaten oder England Ihr Lebenseinkommen verdoppeln. Dafür, dass Sie das Doppelte verdienen, sind Sie auch bereit, Studienbeiträge zu bezahlen. In Skandinavien hingegen wird man das nicht verlangen können. Durch ein Lehramtsstudium steigt dort Ihr Einkommen vielleicht um zehn oder 20 Prozent. Wenn das auch noch stark besteuert wird, sind Sie nicht bereit, Studienbeiträge zu zahlen. Aus guten Gründen gibt es deswegen in Skandinavien keine Studienbeiträge, in Amerika und England aber sehr wohl. Das ist ein Reflex auf die Einkommens- und Steuersituation.



Ihr Kollege Hans Sünkel, Rektor der TU Graz, fordert Studiengebühren. Sie auch?



Winckler: Wenn ich mir das Einkommen von österreichischen Ärzten oder Rechtsanwälten anschaue, halte ich einen Mittelweg zwischen Amerika und Skandinavien für angebracht.



Also niedrige Studiengebühren?



Winckler: Niedrige Studienbeiträge sind angesichts unserer Einkommenssituation gerechtfertigt.



Der Frau Maurer stellen sich schon die Nackenhaare auf.



Maurer: Sie sprechen dauernd von gesellschaftlicher Verantwortung und davon, dass die Gesellschaft zu wenig in Bildung investiert. Die Studiengebühren sind ein gutes Beispiel dafür. Die Gesellschaft profitiert, wenn viele Leute studieren.



Winckler: Aber der Einzelne profitiert auch.



Maurer: Die Umverteilung muss aber den umgekehrten Weg gehen. Nicht ich zahle jetzt als Studentin, wo ich echt keine Kohle habe, Studiengebühren, in der Hoffnung, dass ich später irgendwann einmal reich werde. Umgekehrt: Leute, die jetzt über Geld verfügen, sollen Steuern zahlen und einen Anteil ihres Geldes wieder in Bildung investieren.



Winckler: Ich sage selbst auch: Je progressiver das Steuersystem ist und je geringer die Einkommensunterschiede für Akademiker sind, umso eher sollte man auf Studienbeiträge verzichten. Doch wie sieht die Realität in Österreich aus? Bei einer Reihe von Studienrichtungen ist die private Ertragsrate sehr hoch. Gerade die Kinder des Mittelstands und der Beamten haben eine sehr hohe Beteiligungsrate am Uni-System und profitieren davon. Deswegen habe ich auf Frau Obama verwiesen. In Amerika haben Sie ein entsprechendes Stipendiensystem, um Bildungschancen zu gewähren. Ich wünsche mir nur eine ideologiefreie Debatte darüber, bei der es nicht immer heißt: Studiengebühren darf es keine geben.



Während der Uni-Proteste meinte Rektor Badelt sogar, dass eine Bildungsmilliarde fehle. Ist das korrekt?



Winckler: Um ein reichhaltigeres Studienangebot zu erzeugen, brauchen wir sicherlich eine Milliarde. Wir benötigen eine breitere Hochschullandschaft in Österreich, mehr Ausdifferenzierung, die Fachhochschulen sind ein Ansatz. Dafür muss es mehr Geld geben auch um an der Spitze in Europa wahrgenommen zu werden.



Wohin soll das Geld fließen?



Winckler: Einerseits in die Studienplatzfinanzierung. Andererseits in die Programme des Wissenschaftsfonds FWF. Wir brauchen mehr Breite und mehr Spitze.



Stattdessen sinkt das Uni-Budget. Was bedeutet das für die Uni Wien?



Winckler: Das kann ich noch nicht sagen. Wir hatten erst ein belangloses Gespräch mit dem Ministerium, bei dem uns folgender Sinnspruch mitgegeben wurde: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.



Heißt das, wir erleben gerade die guten Zeiten?



Winckler: Was das konkret heißt, muss die Politik im Herbst klarer kommunizieren.



Das Audimax war wochenlang besetzt. Hat man nichts aus dem Uni-Protest gelernt?



Winckler: Es ist offenbar nicht gelungen, den Protest mit Inhalten zu versehen, die auch breit in der Gesellschaft ankommen. Es gab wohl zwei Fehlerquellen: Die Adressanten waren mit ihrer Botschaft nicht präzise genug, und Österreich ist eben nicht wissenschafts- und innovationsfreundlich.



Wie haben Sie das in Deutschland wahrgenommen, Herr Spoun? Der Protest erreichte auch Ihre Universität, an der ein Hörsaal besetzt wurde.



Spoun: Im Kern sorgen sich die Studierenden um die Zukunft. Sie sagen: Wenn uns eine intensive Bildung vorenthalten wird, haben wir keine Chance auf Erfolg.



Existenzängste führten also zum Protest?



Maurer: Das sehe ich anders. Der Hintergrund ist der steigende Leistungsdruck auf junge Menschen. Aber die Jungen haben es satt. Irgendwann in ihrem Leben möchten sie auch etwas machen können, wofür sie sich interessieren ohne Blick auf mögliche berufliche Chancen. Sie werden aber in diese Existenzangst hineingetrieben. Ich habe das Gefühl, dass man heutzutage schon in der Volksschule Bewerbungsgespräche trainiert.



Winckler: Noch bevor sie schreiben und rechnen können?



Maurer: Dieser Eindruck entsteht. Du musst schauen, dass du möglichst viele Skills hast, dass du dich immer perfekt präsentieren kannst. Ständig wird diese Angst genährt, man könnte eine Chance versäumen. Die Proteste sind nicht Ausdruck einer Existenzangst, sondern Widerstand gegen diesen massiven Druck.



Bilden Sie junge Menschen aus, damit Sie sich perfekt der Leistungsgesellschaft unterwerfen können, Herr Spoun?



Spoun: Nein. Ich kann die Kommilitonin sehr gut verstehen. Es ist nicht motivierend, von der Volksschule bis zur Uni nur Vorgegebenes aufzugreifen. Dieser vermeintliche Druck aus der Gesellschaft, dass man hier noch einen Kurs und dort noch eine Wettbewerbsvorbereitung machen muss, führt zu einer Unselbstständigkeit, die einer freien und innovativen Gesellschaft widerspricht.



Maurer: Dabei lässt doch gerade Ihre Universität bevorzugt Leute zum Studium zu, die soziales Engagement zeigen, auch wenn sie einen schlechten Notendurchschnitt hatten. Das zeigt, wie der Leistungsdruck immer mehr Facetten unseres Lebens erfasst. Nicht nur mehr Noten spielen eine Rolle, sondern auch das soziale Engagement oder dass man nebenbei ein Musikinstrument gelernt hat.



Spoun: Wir möchten engagierte und motivierte Studierende gewinnen. Die Maturanote allein ist kein geeigneter Indikator.



Winckler: Das würde ich unterstreichen. Man kann von jungen Menschen sicherlich verlangen, dass sie ihr Leben aktiv gestalten wollen. Ein Instrument zu beherrschen zeugt von Interesse, etwas auszuprobieren.



Maurer: Aber Herr Winckler, ob ich ein Instrument spielen kann, hängt massiv von der sozialen Herkunft ab. Man muss auch die Menschen einbeziehen, die ohne akademischen Habitus aufgewachsen sind, die von ihren Eltern keine Geige bekommen haben oder sich die Zeit für soziales Engagement nicht leisten konnten.



An der Leuphana Universität gibt es ein Aufnahmeverfahren, die Studierendenzahlen wurden gesenkt. Läuft es in Österreich auch darauf hinaus?



Winckler: Noch einmal: Wir brauchen ein breites, reichhaltiges Studienangebot. Aber gleichzeitig kann es nicht sein, dass wir in manchen Studienrichtungen total überlaufen sind.



Soll künftig festgeschrieben werden, in welchem Fach es wie viele Studienplätze gibt?



Winckler: Ja. Auch im skandinavischen oder angloamerikanischen System gibt es insgesamt ausreichend Studienplätze und eine Differenzierung im Hochschulsektor. Gleichzeitig darf dort auch nicht jeder Medizin studieren. Das ist ein sehr teures Studium, und es kann nicht beliebig viele Studierende geben.



Maurer: Sie widersprechen sich doch selbst. Auf der einen Seite sollen die Studierenden motiviert und mit Begeisterung studieren, auf der anderen Seite dürfen sie nicht das machen, was sie wollen.



Bei dieser Debatte ist die Leuphana Universität ein spannendes Beispiel: Sie haben die Zahl der Studienplätze drastisch gesenkt, von 10.000 auf 7000 Studierende.



Winckler: Das ist wohl jene Kapazität, um ein gutes Betreuungsverhältnis zu haben.



Spoun: Genau. Wir haben uns angesehen, welche Voraussetzungen wir für ein gutes Studium brauchen. Das Betreuungsverhältnis ist wesentlich für die Zufriedenheit und den Erfolg der jungen Menschen, die sich einer Universität anvertrauen.



Herr Winckler, würden Sie die Studienplätze an der Uni Wien auch gerne um ein Viertel senken?



Winckler: Sagen wir so: Wir müssen schauen, welche Kapazität diese Universität hat. In einigen naturwissenschaftlichen Fächern könnten wir auch mehr Studierende aufnehmen. Aber in den Sozialwissenschaften sind wir wirklich an der Grenze. Die Leuphana hat insgesamt 7500 Studienplätze, so viele sind bei uns alleine in der Publizistik. Da bräuchte ich eine eigene Universität nur für die Publizisten.







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Hochschuldialog



Das letzte Überbleibsel des Unistreiks war der Hochschuldialog, Rektoren, Audimaxisten und ÖH hatten die Diskussion vorzeitig verlassen. Nun präsentierte Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) den Endbericht. Bei den wirklichen Streitpunkten gab es keine Einigung



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Diskussionsteilnehmer



Sascha Spoun wurde 2006 Präsident der Universität Lüneburg und damals zum jüngsten Chef einer staatlichen deutschen Uni. Der 41-Jährige reformierte die Leuphana Universität, das Bachelorstudium bietet eine breite, grundlagenorientierte Ausbildung. Gleichzeitig wurde die Studentenzahl gesenkt



Sigrid Maurer ist Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Die 25-jährige Tirolerin studiert Politikwissenschaft und gehört den Grünen und Alternativen StudentInnen an



Georg Winckler ist seit 1999 Rektor der Uni Wien. Der 66-jährige Wirtschaftswissenschaftler leitete von 2005 bis 2009 auch die europäische Universitätenkonferenz



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Veranstaltung

Sascha Spoun war im Rahmen der Friday Lectures zu Gast in Wien. Die Vorlesungsreihe des Center for Teaching and Learning der Uni Wien beschäftigt sich mit der Bologna-Reform und geht im Herbst weiter. Infos: http://ctl.univie.ac.at/







Dieses Streitgespräch ist im Falter 27/10 erschienen. Foto: Heribert Corn

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