Die Psychologin Cecilia Heiss hilft Folteropfern, die in Wien gelandet sind, doch der Staat hilft kaum mit
Cecilia Heiss hat den schlimmsten Job, den es gibt. Sie sitzt in einem kleinen Raum, vor ihr steht eine Packung Taschentücher und sie hört den ganzen Tag Menschen zu, die von unaussprechlichen Dingen erzählen. Es sind Erlebnisse von Kindersoldaten, die gezwungen wurden, Menschen umzubringen; von Regimekritikern, die eingesperrt und scheinhingerichtet wurden; von Kindern, die bei der Ermordung ihrer Eltern zusehen mussten. Cecilia Heiss erträgt ihren Job, weil er mehr ist als ein Job.
Sie hört Folteropfern und Kriegsüberlebenden zu und entscheidet, wer eine Therapie bekommt. Die Psychologin leitet den Verein Hemayat, der seit 15 Jahren traumatisierten Flüchtlingen hilft. Hemayat ist das persische Wort für Schutz. Heiss führt in ihren kärglichen Büroräumen im Wiener Integrationshaus die Abklärungsgespräche durch und ist oft die erste Person, der die Gefolterten von ihren Erlebnissen erzählen. Trotz der vielen Bestialitäten, die sie da hört, ist sie immer wieder erschüttert. Zum Beispiel von der Erzählung jener Frau, die von mehreren Männern vergewaltigt und dann gezwungen wurde, sich mit nacktem Unterkörper über ein Feuer zu hocken und sich die Geschlechtsteile verbrennen zu lassen. Man ist immer wieder schockiert, was Menschen Menschen antun, sagt Heiss.
Psychologinnen wie Heiss müssen sich solche Erzählungen anhören, damit traumatisierte Asylwerber ihre Erlebnisse verarbeiten können. 25 Therapeuten, 25 Dolmetscher und drei Fachärzte arbeiten für Hemayat und helfen pro Jahr mehr als 600 Menschen aus Ländern wie Tschetschenien, Afghanistan, dem Iran oder dem Irak – darunter auch gefolterten Kindern. Nun kämpft der Verein um Subventionen. Fördergeber wie Uno oder Land Niederösterreich kürzen ihre finanzielle Unterstützung. Wenn keine zusätzlichen Spenden hereinkommen, muss Heiss Therapieplätze streichen – deswegen startet der Verein nun eine große Kampagne mit mehr als 60 prominenten Fürsprechern wie dem Kabarettisten Alfred Dorfer, der Sängerin Clara Luzia oder dem Schauspieler Karl Markovics.
Alles andere als Luxus herrscht bei Hemayat. Im schmalen Gang steht ein abgenutztes Sofa. Platz für einen Warteraum fehlt. In den drei Therapieräumen gab es bis vor kurzem nur Flohmarktmöbel, dann spendete jemand neue Sessel, die mittlerweile auch schon abgewetzt sind. Wir erschnorren uns alles, sagt Heiss. Das Schnorren beginnt sie bei sich selbst: In schlechten Monaten zahlt sich die Geschäftsführerin nur ein Nettogehalt von 1000 Euro aus, in etwas besseren Monaten verdient sie knapp 2000 Euro. Selbstausbeutung gehört für alle Mitarbeiter dazu.
Dabei könnte Heiss jederzeit eine besser bezahlte Arbeit finden. Die 37-Jährige hatte noch vor ein paar Jahren eine Karriere als Neuropsychologin am AKH vor sich. Aber dann verschärfte sich die österreichische Asylpolitik, und Heiss landete im Flüchtlingsbereich. Zuerst war sie ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Ute Bock, dann fuhr sie mit Ärzte ohne Grenzen nach Asien, nach ihrer Rückkehr leitete sie ein Asylheim des Roten Kreuzes, nun managt sie seit zwei Jahren Hemayat. Noch spätabends sitzt die Frau mit den langen dunklen Haaren in ihrem kleinen Büro und sagt: Wenn ich die Flüchtlinge nicht getroffen hätte, wäre mein Leben wahrscheinlich ein bisschen gemütlicher. Aber es ist auch schön, in der Früh aufzuwachen und zu wissen, warum man in die Arbeit fahren will.
Für sie ist ihr Job nämlich nicht der allerschlimmste, sondern genau der richtige. Hier könne sie ihre Kenntnisse als Psychologin und ihr Engagement für Flüchtlinge vereinen. Manchmal sei sogar schon das erste Aufklärungsgespräch eine große Hilfe für die Asylwerber. Traumatisierte hören beispielsweise oft Stimmen oder sehen die Gesichter ihrer Peiniger in der Menschenmasse – auch wenn diese gar nicht da sind. Die Leute kommen zu mir und glauben, sie werden verrückt. Ich erkläre dann, dass das eine normale Reaktion auf ganz furchtbare Erlebnisse ist, sagt Heiss. Nach Extremtraumata wie Folter kommen Erlebnisse oft als Erinnerungsfragmente zurück oder lösen körperliche Symptome aus. Das erklärt, warum manche Asylwerber unkontrolliert zu zittern beginnen oder in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Uniformierten sehen. Je länger man aber mit einer Therapie wartet, desto bedenklicher werden die Symptome. In vielen Fällen geht es hauptsächlich darum, den Flüchtling zu stabilisieren – damit er sich nicht selbst verletzt oder gar umbringt. Die Wartezeiten für Opfer von Folter werden immer länger, sagt Heiss, und die finanziellen Mittel werden immer weniger.
Dabei hätte der Staat die Verantwortung, diesen Menschen zu helfen, meint Heiss. Doch der Umgang mit ihren Klienten habe sich in den letzten Jahren verschärft. So kommt es vor, dass gefolterte Asylwerber noch während ihrer Therapie abgeschoben werden – in sogenannte sichere Drittländer, wo es aber für sie keinen sicheren Therapieplatz gibt. Die aktuelle Kampagne soll das finanzielle Überleben von Hemayat sichern, sie soll aber auch auf den politischen Umgang mit Folteropfern hinweisen. Wir würden uns wünschen, dass traumatisierte Flüchtlinge nicht in Schubhaft gesteckt werden, meint Heiss. Trotz allem ist sie zuversichtlich. Fälle wie Arigona Zogaj oder die abgeschobenen Zwillinge aus dem Freunde-Schützen-Haus würden zeigen, dass in Österreich wieder mehr Mitgefühl für Asylwerber entsteht. Vielleicht klingt es patriotisch, sagt Heiss, aber am meisten schockiert uns immer, wenn diese Menschen auch noch im eigenen Land im Stich gelassen werden.
— Die Kampagne —
Hemayat ruft mit prominenten Fürsprechern wie Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder Rapid-Kapitän Steffen Hofmann zur Spendenaktion auf (Erste Bank, Kontonr. 28 446 099 600, BLZ 20111). Hemayat hat das Spendengütesiegel, Überweisungen sind steuerlich absetzbar. Infos unter hemayat.org
Dieses Porträt ist im Falter 49/10 erschienen. Foto: Katharina Gossow