Von diesen Spitzenmanagerinnen kann die Politik in der Quotendebatte lernen. Sie erzählen, wie Frauen in die Chefetagen gelangen können
Bürobesuch: Ingrid Brodnig & Julia Ortner
Endstation zwölfter Stock. Der Blick aus ihrem Bürofenster am Donaukanal ist beeindruckend, die Stadt liegt ihr zu Füßen. Tatjana Oppitz hat es bis hier herauf geschafft, in die Chefetage des gläsernen Bürogebäudes. Seit wenigen Wochen ist sie die erste IBM-Generaldirektorin Österreichs, nach elf Männern an der Spitze. Oppitz, 48, eine lebhafte Frau, redet viel, schnell und laut. Der konservative Businessstil, Haare streng zusammengebunden, Blazer, Seidentuch, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ein neuer Typ Führungskraft ist. “Ich habe erfahren, dass Frauen in Meetings gerne mundtot gemacht werden. Wenn sie leise oder zögerlich sprechen, unterbricht man sie, drängt sie ab“, sagt Oppitz. “Ich habe mir immer gedacht, wenn mir so etwas passiert, rede ich weiter.“
Die Männer im Haus haben jedenfalls keinen Kulturschock wegen der Frau an der Spitze, sagt ihr Sprecher Georg Haberl, seit 1973 Angestellter des IT-Konzerns. Man sei allgemein von ihrer Bestellung angetan, “nicht weil sie eine Frau ist, sondern wegen ihrer Vision für die Firma“. Oppitz profitiert klar von der Firmenpolitik des internationalen Konzerns. “Diversity“, Vielfältigkeit, ist bei dem Unternehmen nicht nur ein Modewort, sondern gehört zum Regelwerk. Frausein ist hier kein Nachteil.
Beim Rest der Wirtschaftswelt sieht es für ambitionierte Frauen anders aus. Pünktlich zum Frauentag am 8. März diskutiert die Politik wieder einmal über weibliche Karrieren, Quoten in Aufsichtsräten und Gehältertransparenz. Nach einer Untersuchung der Arbeiterkammer Wien liegt der Frauenanteil in österreichischen Aufsichtsräten bei knapp neun Prozent, in den Vorständen bei fünf Prozent. Doch diesmal ist die Quotendebatte mehr als Folklore. Denn der gesellschaftliche und politische Druck wächst. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat kürzlich eine Frauenquote für die Aufsichtsräte großer Firmen gefordert. Sollten die Konzerne bis Jahresende nicht selbst aktiv werden, will die Kommission rechtliche Vorgaben machen. Hierzulande möchte SPÖ-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek als ersten Schritt Firmen zu einer freiwilligen Quote ermutigen – ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ist zumindest gesprächsbereit.
Die Quote gibt es bereits. Ihr großes Vorbild ist Norwegen. Dort müssen in den Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen mindestens 40 Prozent Frauen sitzen – sonst gibt es Sanktionen bis hin zum Ausschluss von der Börse. Interessanterweise stammt dieses Gesetz nicht von einer linken Frauenministerin, sondern vom damaligen konservativen Wirtschaftsminister Ansgar Gabrielsen. “Für mich ging es bei dem Gesetz nicht um Gleichberechtigung“, sagt er, “sondern um die Tatsache, dass Diversity ein Wert an sich ist.“ Es geht also nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Betriebswirtschaft: Gemischte Teams sind laut Studien erfolgreicher.
Frauen bräuchten einen Marketingplan für sich selbst.Ja, Frauen in der Firma sind für ein weltoffenes Image wichtig, sagt IBM-Chefin Oppitz. Frauenförderung ist eben auch Pragmatismus. Es gibt Diversity-Programme, um Frauen, Homosexuelle, ethnische Minderheiten oder Arbeitnehmer mit Behinderung anzuwerben und zu fördern. Männer und Frauen werden für das gleiche Jobprofil gleich bezahlt, vor jedem Aufstieg im Unternehmen steht ein Assessment-Center, das je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt sein muss. Diese Maßnahmen haben Oppitz‘ Karriere gefördert, die 1989 in den IT-Konzern eintrat. Die Handelswissenschaftlerin war immer flexibel, sie hat keine Kinder, aber Mann und Terrier daheim. Vor dem Aufstieg habe sie sich nie gescheut – im Gegensatz zu vielen anderen: “Ich erlebe Frauen, die sehr gut in ihrem Job sind, denen aber der Mut zur Veränderung fehlt. Sie sind zu demütig. Männer sagen hingegen: Das schaff ich!“ Frauen bräuchten einen “Marketingplan“ für sich selbst. “Die meisten Männer fordern ständig, die kommen immer wieder und verlangen mehr Gehalt. Oder sie sagen: Ihren Job hätte ich gerne eines Tages“, sagt Oppitz.
Männer zeigen auf, Frauen tauchen ab. Überproportional viele Männer bewerben sich für prestigereiche Posten, die weiblichen Kolleginnen halten sich zurück. Wenn die ehemalige taz-Chefredakteurin Bascha Mika jetzt in ihrem umstrittenen Buch “die Feigheit der Frauen“ geißelt und meint, Frauen seien selber schuld, hat sie nicht ganz Unrecht. Allerdings gibt es eine simple Lösung für das Problem: die Quote. Sie motiviert Frauen nachweislich, sich in den Wettbewerb zu trauen.
Viele erfolgreiche Frauen wie Claudia Oszwald haben aber ein Problem mit der Quote. Sie fürchten, dass man dann ihre Leistung nicht mehr sieht. Die Chefin von H&M Österreich ist eine, die es selbst geschafft hat – ohne Quote und ohne Studium arbeitete sich die vierfache Mutter bis in die Geschäftsführung bei Hennes und Mauritz. Niemand würde der Managerin ansehen, dass sie 50 ist. Ihr Kleidungsstil ist unkonventionell für die Führungsebene: Stiefel, Jeans, Shirt, darüber der blaue Blazer. Wahrscheinlich ist das der Look, den sich der Modekonzern für seine Managerinnen vorstellt. Oszwald sitzt in ihrem Büro über der Mariahilfer Straße und spricht stolz über die skandinavische Firmenkultur. “Hier duzt man sich“, sagt sie, selbst der Konzernchef sei ein umgänglicher Typ und im Unternehmen gebe es viele Aufstiegsmöglichkeiten.
In vielen anderen Firmen ist so ein Aufstieg undenkbar, da wird eine Verkäuferin nicht zum CEODas ist nicht nur Marketingsprech. Oszwald ist das beste Beispiel dafür. Sie fing 1987 als Verkäuferin bei H&M in der Schweiz an. Sie hatte ihr Medizinstudium hingeschmissen, geheiratet, Kinder bekommen und ging nebenbei jobben. “Anfangs wollte ich nur irgendetwas arbeiten. Dann kam der Ehrgeiz dazu“, sagt sie. Von der Kaufhauskassa in Zürich bis zum Chefsessel in Wien legte sie eine steile Karriere hin: Abteilungsleiterin, Filialleiterin in der Schweiz, erste Filialleiterin in Österreich, Österreich-Chefin. In vielen anderen Firmen ist so ein Aufstieg undenkbar, da wird eine Verkäuferin nicht zum CEO. Das hängt natürlich mit der egalitären schwedischen Gesellschaft zusammen. “Es ist dort selbstverständlich, dass Frauen nach einem Jahr Pause ihr Kind in die Krippe bringen. Jedes Kind hat einen Platz“, sagt Oszwald, “wir hinken in Österreich hinterher.“
Es wäre aber zu einfach, das Karriereproblem nur auf die Kinder zu reduzieren. Auch kinderlose Frauen machen nicht automatisch Karriere. 61.390 Euro verdient eine kinderlose Frau in den ersten zehn Berufsjahren weniger als ein kinderloser Mann. Das berechneten Forscher der Wirtschaftsuni. Sie verglichen den Karriereverlauf von männlichen und weiblichen WU-Absolventen und gründeten “Zwillingspaare“, jeweils ein Mann und eine Frau mit quasi identem Lebenslauf. Das Ergebnis: Nach zehn Jahren im Job verdienten Männer nicht nur wesentlich mehr, sie hatten durchschnittlich auch 15,2 Angestellte unter sich, Frauen nur 3,7. “Eine Frau muss ein Mann sein, um Karriere zu machen“, nannten die Forscher ihre Studie.
Eine der wenigen Österreicherinnen, die es in eine echte Männerbastion geschafft haben, ist Doris Tomanek. Die 54-Jährige ist bei der Bank Austria im Vorstand. Auf den ersten Blick ähnelt ihr Lebenslauf jenem vieler Frauen. Das Studium an der WU hat sie fleißig absolviert; der Job als Personalchefin ist ein klassischer Frauenposten. Aber Tomanek ist anders, sie macht keinen Hehl daraus, dass sie Karriere machen wollte. Sie sagt ohne Umschweife: “Ich war von Anfang an ehrgeizig genug, ich habe immer nach weiterer Verantwortung gesucht. Ich wollte eine Rolle im Unternehmen spielen.“ Solche Sätze hört man selten von Frauen, auch nicht von erfolgreichen. Sie können stundenlang über ihr tolles Team, ihre lieben Mentoren, ihre verständnisvollen Gatten sprechen. Kaum eine Managerin wird gleich zugeben, ihre Karriere geplant zu haben.
Tomanek beweist, dass das nicht sein muss: Auch sie ist verheiratet, Mutter eines Sohns, hat aber nicht darauf gewartet, dass jemand ihre Leistung entdeckt. “Zweimal in meiner Karriere bin ich an Grenzen gestoßen und habe gemerkt, es geht nicht weiter. Dann habe ich mich nach einem anderen Job umgesehen.“ Ihr Unternehmen wendet eine sanftere Form der Quote an: Die UniCredit-Group, zu der die Bank Austria gehört, fordert von den Headhuntern eine Quote bei den Bewerbungen. Die Hälfte der Kandidaten für Spitzenjobs muss weiblich sein. Andere Konzerne gehen auch diesen Weg – darunter etwa Microsoft. “Es ist wichtig, den Markt abzugrasen und nicht nur die üblichen Verdächtigen zu finden“, erklärt Jenny Dinich, Microsofts Human-Resources-Chefin, “viele Personalberater fischen im selben Teich herum“. Frauen werden oft erst gar nicht in Erwägung gezogen.
Headhunter gab es zu Maria Schaumayers Zeiten noch nicht. Die heute 79-jährige Welthandelsexpertin war eine der Ersten, die es in Politik und Wirtschaft nach oben geschafft haben: als Wiener ÖVP-Stadträtin, Vorstandsmitglied in der OMV oder Präsidentin der Nationalbank. “Die Karriere habe ich Fähigkeiten, der Bereitschaft, Chancen zu nützen, und glücklichen Umständen zu verdanken“, sagt die resolute Dame, Markenzeichen Tweedkostüm und Riesen-Krokotasche. Mit “glücklichen Umständen“ meint sie ihre Förderer. Wie jenen Wirtschaftsbundobmann, einen biederen Bäckermeister, der ihr zum Stadtratsposten verhalf; “weil er gesagt hat, die versteht was vom Geschäft“.
Selbstbewusste Männer hätten kein Problem mit Aufsteigerinnen, aber “andere Fälle habe ich auch beobachtet“. Deshalb fördert Schaumayer mit ihrer privat finanzierten Stiftung Alpha ambitionierte Frauen. “Früher gab es hinter den Alibifrauen auch eine brutale Hackordnung. Heute ist das viel entspannter, es gilt das Räuberleiterprinzip: Ich habe eine Position, also hol ich dich rein“, sagt Schaumayer. Wenn sich das System aber so langsam bewege, werde die Politik wohl mit Quoten dafür sorgen müssen, dass Frauen in die Führungsetagen kommen, meint sie. “Dabei ist es aber wichtig, dass sie solidarisch bleiben und andere nachholen.“
Wenn Frauen mehr Macht bekommen, müssen Männer einen Teil abgeben. Das ist ein beinharter Verdrängungskampf.Ohne Netzwerk kein Aufstieg. Reine Frauenclubs seien ihren Mitgliedern allerdings keine große Hilfe, sagt der Soziologe Harald Katzmair. “Netzwerke kann man nicht unabhängig von Macht denken, und die ist in der Hand der Männer. Die Männerhorde ist eine Beutegemeinschaft, die sich gegenseitig nützlich sein kann.“ Wenn Frauen nur untereinander ihre Verbindungen pflegen würden, könnten sie sich mangels Ressourcen nicht wirklich helfen. “Macht ist wie ein Pokerspiel. Doch Frauen fehlt das Spielgeld für den Einsatz“, sagt der Forscher. Eine Quote könnte das eingespielte System stören. Was zur eigentlichen Sorge mancher Männer führt: Es geht nicht um die Angst, plötzlich per Verordnung unfähige Frauen vorgesetzt zu bekommen. “Wenn Frauen mehr Macht bekommen, müssen Männer einen Teil abgeben. Das ist ein beinharter Verdrängungskampf.“
Kampfgeist ist eine Eigenschaft, die man Monika Lindner ansieht. Die 66-Jährige, graues Kostüm, praktische Kurzhaarfrisur, das obligate Seidentuch als Accessoire, gehört zu jenen Frauen, die Männer gerne “streng“ nennen. Ihr Blick ist forsch, ihr Ton bestimmend – wenn da nicht eine gewisse Selbstironie wäre, man könnte sie fürchten. “Was glauben Sie, warum so viele Frauen in der PR und im Marketing sitzen? Weil sie kein Problem mit dem Dienen haben“, sagt Lindner: “Aber sagen Sie einmal einem Mann, er soll dienen – harhar!“ Heute sitzt die Geschäftsführerin des Werbeunternehmens Epamedia in ihrem überschaubaren Büro im zweiten Bezirk – bis 2006 residierte sie als erste Generaldirektorin des ORF am Küniglberg. Linder hat Karriere im politiknahen Bereich gemacht. Sie ist in den Netzwerken der mächtigen Männer daheim, mit Kontakten zur Raffeisen, zum bürgerlichen Lager. Die Geisteswissenschaftlerin arbeitete als Journalistin im Rundfunk, ehe sie dort in die Stabstelle wechselte. Ambitionierte Frauen sollten sich dort “im Umfeld der Macht“ bewegen, dort lerne man die wesentlichen Leute kennen, meint Lindner.
Das Grundrezept ihrer Karriere: Wenn sie gefragt wurde, ob sie eine höhere Position übernehmen wolle, hat sie sofort Ja gesagt. Obwohl ihr manchmal innerlich mulmig zumute gewesen sei, wie damals vor der Bestellung zur Rundfunkchefin. Dieses Zupacken, dieses Vertrauen in sich selbst, vermisst sie an Frauen. “Ich habe oft erlebt, dass sich einer talentierten Frau ein Karrieresprung anbot und sie mit dieser zögerlichen Gegenfrage antwortete: “Trauen Sie mir das zu?“ Lindner selbst hat sich nicht gescheut, in entscheidenden Phasen ihrer Karriere zu einem Coach zu gehen. “Dort hat die Expertin erklärt, dass Männer den Großteil ihrer Zeit in Netzwerkpflege investieren und nur einen kleinen Teil in die Sacharbeit. Die Frauen hingegen stecken alles in die Sacharbeit und bleiben an ihrem Sessel kleben.“ Es sei die schlechteste Idee, sich in seiner Position unentbehrlich zu machen: “So mauert man sich ein und kommt nicht weiter.“
Mut machen statt entmutigen. Vielleicht wäre das ein gutes Motto für die Politik, wenn sie von den wenigen Frauen ganz oben lernen will. Ohne Förderung schaffen es nur wenige. “Seit 15 Jahren gab es zum ersten Mal wieder einen Frauenbericht. Es hat sich eigentlich nichts getan“, sagt Gundi Wentner, Partnerin bei der Beratungsfirma Deloitte, “ich wüsste nicht, warum die Situation in den nächsten 15 Jahren besser werden sollte.“ Sie hat es satt, auf das Wohlwollen der Männer oder die Kampfbereitschaft der Frauen zu warten, und plädiert für ein Machtwort des Staats: “In der Praxis gibt es quasi eine 100-Prozent-Männerquote. Warum sollte es keine Frauenquote geben?“
Eine Quote könnte immerhin dafür sorgen, dass sich Männer- und Frauen-Karrieren schneller angleichen. Doch das traditionelle männliche Bild von Macht und Einfluss wird heute schon von Frauen wie Tatjana Oppitz konterkariert. Bei der IBM-Chefin gibt es keine jungen Kollegen, die sie hofieren, um ihr einmal nachfolgen zu können. “Ich brauche keine Kronprinzessin, bei uns läuft ja alles über Ausschreibungen.“ Den Höhepunkt ihrer Karriere habe sie heute, mit 48, erreicht. “Diesen Job mache ich wahrscheinlich nicht bis zur Pension. Irgendwann wird eine Jüngere, ein Jüngerer kommen. Dann mache ich eben etwas anderes“, sagt Oppitz. Derartiges hört man wohl nur von wenigen Männern aus der Führungsetage.
Dieser Artikel wurde gemeinsam mit Julia Ortner verfasst und ist im Falter (Ausgabe 7/11) erschienen. Fotos: Katharina Gossow