Generation Praktikum? So nannte man das Heer von Akademikern, das angeblich keinen Job findet. Es existiert nicht, sagt die neue Absolventenstudie im Auftrag des Wissenschaftsministeriums. Studenten müssen nach dem Studium nicht Kaffee kochen, sie bewähren sich relativ schnell auf einem lukrativen Arbeitsmarkt.
Diese Woche wählen Studenten und Studentinnen die ÖH, ihre Interessenvertretung. Zeit für die Frage, wie die Lage der Studierenden abseits der Wahlkampfparolen aussieht – und was sich bei näherer Betrachtung doch nur als Mythos entpuppt.
Mythos 1: Sie sind unzufrieden
Die heutigen Studierenden sind arme Schlucker, sie sitzen in überlaufenen Vorlesungen und ringen um Seminarplätze. Zweifelsohne gibt es in den Massenfächern diese Zustände. Doch die meisten Studenten klagen gar nicht so laut. Mehr als die Hälfte beteuert, mit der Vielfalt des Lehrveranstaltungsangebots zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. (Quelle: 1)
Mythos 2: Sie sind Nesthocker
“Immer mehr junge Erwachsene wagen den Schritt in die Autonomie nicht und bleiben im ‚Hotel Mama‘“, schrieb das Profil neulich. Das Problem bei solchen Behauptungen: Speziell auf heimische Studenten trifft es nicht zu. Europaweit sind sie extreme Nestflüchter. Die häufigste Wohnform ist ein eigener Haushalt, gefolgt von der WG. Zufriedener sind übrigens jene, die ausziehen. (Quelle 1, 2)
Mythos 3: Sie haben keine Zukunft
Aus Bummel- wurden Bammelstudenten. Sie fürchten um ihre Zukunft, an der Uni zweifeln besonders viele an den Chancen am Arbeitsmarkt. Aber Kopf hoch! So schlimm ist es nicht, legt die Absolventenstudie nahe. Nur acht Prozent suchen mehr als ein Jahr nach einem Job, im Schnitt dauert es fünf Monate, wobei Ingenieure schneller und Geistes- und Kulturwissenschaftler langsamer unterkommen. In Zukunft könnte das sogar besser werden: Europas Bevölkerung altert. In den nächsten Jahrzehnten könnten etlichen Branchen die Akademiker ausgehen. (Quelle: 1, 3)
Mythos 4: Sie sind alle Revoluzzer
Generell ist die Zustimmung zu den Uniprotesten hoch. Ganz so kämpferisch sind die Studierenden aber nicht: Kurz nach Beginn der Besetzungen gab nur gut jeder Dritte an, selbst aktiv mitzumachen. Eine Grazer Umfrage zeigt: Nur eine knappe Mehrheit steht auf der Uni hinter den Hörsaalbesetzungen. So ist das wohl oft bei politischen Bewegungen: Eine Minderheit steigt auf die Barrikaden, eine Mehrheit schaut zu. (Quelle 5, 6)
Mythos 5: Sie sind durchgehend gestresst
Wenn sie nicht büffeln, gehen sie kellnern oder machen ein Praktikum. Oft werden sie als hyperaktive Streber dargestellt. So hart trifft es allerdings nur eine Minderheit. Die meisten Studenten arbeiten, allerdings nur nebenbei. Im europäischen Vergleich ist die Zufriedenheit mit der Zeitbelastung recht hoch. Im Schnitt wenden sie 30 Stunden für ihr Studium und zwölf Stunden für den Job auf. Sie haben also eine 42-Stunden-Woche. (Quelle: 1, 2)
Mythos 6: Vom Studium profitieren alle gleichermaßen
Ein Studium ist der beste Weg zu mehr Geld. Das stimmt, allerdings trifft es auf Frauen weniger zu. Akademikerinnen verdienen im ersten Job um 22 Prozent weniger als Männer, das sind 717 Euro. Die Ungleichbehandlung beginnt schon an der Uni: Bei Studentenjobs bekommen Frauen im Schnitt 100 Euro weniger. (Quelle: 1, 3)
Mythos 7: Der Student kommt frisch von der Matura
Die Mehrheit der Anfänger ist bereits weiblich. Immer häufiger zeigt sich, dass auch Menschen über 30 oder im zweiten Bildungsweg inskribieren. Eine Herausforderung der Politik: Die Gruppe der Studierenden wird heterogener. Deswegen ist auch vieles nur ein Mythos, wenn man über “die Studenten“ spricht. (Quelle: 1, 4)
Die Quellen
1. Institut für Höhere Studien: Studierenden-Sozialerhebung
2.Hochschul-Informations-System GmbH: Eurostudent III
3.INCHER Kassel: Arbeitssituation von Uni- und FH-Absolventen (PDF hier)
4. Statistik Austria: Bildung in Zahlen
5. Institut für Jugendkulturforschung: Uni-Protestbewegung 2009 (hier zu bestellen, PDF)
6. IG Soziologie (Uni Graz): Forschungsbericht Studierendenproteste 09/10 (PDF hier)
Dieser Bericht ist im Falter 21/11 erschienen. Illustration: Jochen Schievink