Drakonische Strafen, amerikanische Verhältnisse, keine Verhältnismäßigkeit. Jusprofessorin Pamela Samuelson wünscht sich, dass sich Europa gegen Acta wehrt
Sie ist eine der erfahrensten amerikanischen Urheberrechtsexpertinnen, unterrichtet an der prestigeträchtigen University of California, Berkeley Jus und kennt sich auch im europäischen Rechtssystem aus. Mit großem Interesse blickt Pamela Samuelson dieser Tage nach Straßburg, wo das EU-Parlament über Acta diskutiert und bald auch abstimmt. Die Amerikanerin warnt die Europäer vor diesem Handelsabkommen, das in ihren Augen undemokratisch und unausgewogen ist.
Falter: Frau Samuelson, das EU-Parlament diskutiert gerade über das Handelsabkommen Acta. Soll sich Europa dagegen auflehnen?
Pamela Samuelson: Ja, das wäre äußerst wichtig. Die Vertreter der EU-Kommission, die dieses Abkommen mitverhandelt haben, haben das EU-Parlament nicht ausreichend informiert. In einer demokratischen Gesellschaft ist dieser Informationsaustausch mit der Legislative allerdings vorgesehen. Nun hat das EU-Parlament das Recht, das Handelsabkommen Acta abzulehnen, und die Parlamentarier sollten davon Gebrauch machen. Nicht nur, weil die Entstehungsgeschichte problematisch ist, sondern auch, weil es massive inhaltliche Probleme gibt. Hier könnte Europa ein Vorreiter sein und Acta eine Absage erteilen. Das würde es auch anderen Ländern erleichtern, sich dagegen auszusprechen.
Was ist denn inhaltlich so schlimm an dem Dokument?
Samuelson: Die strafrechtlichen Klauseln sind ein großes Problem. Da wird keine klare Grenze zwischen professionellen Fälschern und Konsumenten gezogen, die gegen das Urheberrecht verstoßen. In vielen Ländern sind Urheberrechtsverletzungen zwar illegal, aber sie sind nicht strafbar. Das heißt, man muss vielleicht Schadensersatz leisten, aber nicht ins Gefängnis. Acta verwischt diese Grenze. Es könnte Staaten dazu drängen, Menschen zu kriminalisieren. Junge Leute könnten eine Haftstrafe bekommen, weil sie 1000 Songs illegal runtergeladen haben.
Wirklich? Oft heißt es doch: Acta ist harmlos, weil es nur Anregungen und keine verbindlichen Vorgaben macht.
Samuelson: Falsch, die Absätze zum Strafrecht sind verbindlich. Acta schreibt nicht vor, wie lange jemand ins Gefängnis gehen muss, nur weil er etwas heruntergeladen hat. Aber es gibt eine sehr lose Definition vor, ab wann man gewerblich das Urheberrecht verletzt hat. Laut Acta könnte es bereits als gewerbliche Straftat angesehen werden, dass jemand Musik zum eigenen Gebrauch heruntergeladen hat. Er hat ja nichts für die Musik gezahlt und sich dadurch indirekt bereichert. Eine derartige Kriminalisierung wäre für das Rechtsverständnis vieler europäischer Staaten äußerst problematisch.
Versucht Acta, amerikanisches Recht in die Welt hinauszutragen?
Samuelson: Ja. In den USA wird der Schadensersatz nicht immer nach dem tatsächlich aufgetretenen Schaden berechnet. Es gibt auch im Voraus festgesetzte Schadensersatzbeträge. Der Urheber kann entscheiden, ob er den tatsächlich entstandenen Schaden oder lieber diese vorher veranschlagte Summe ersetzt bekommen will. Pro entwendetem Werk sind das 750 bis 150.000 Dollar. Da gibt es ziemlich extreme Fälle. In einem Gerichtsverfahren wurde der Richter ziemlich wütend. Der Betreiber einer Poesie-Webseite hatte zwei Gedichte ohne die Genehmigung des Urhebers online gestellt. Die Strafe betrug 300.000 Dollar. Ich kann mir schwer vorstellen, dass tatsächlich ein Schaden von 300.000 Dollar entstanden ist, weil jemand zwei Gedichte auf einer obskuren Poesie-Webseite hochgeladen hat.
Und Acta würde solche Zustände auch in Europa einführen?
Samuelson: Acta sieht ebenfalls solche im Voraus festgesetzten Schadensersatzbeträge vor. Die Idee ist natürlich, illegale Downloader abzuschrecken. Im Vergleich zu bisherigen Strafzahlungen könnten solche festgesetzten Beträge weitaus höher sein. Das erinnert an das amerikanische Modell.
Sie sprechen sich dagegen aus, dass illegale Downloader und eine ganze Generation von jungen Menschen kriminalisiert werden. Das Gegenargument lautet: Wenn es unter Jugendlichen plötzlich cool würde, fremde Autos einzuschlagen, kann man das auch nicht hinnehmen. In diesem Fall müsste man die jungen Menschen auch kriminalisieren.
Samuelson: Ein Auto mutwillig zu beschädigen, Eigentum zu zerstören ist etwas anderes, als Musik herunterzuladen. Aber natürlich gibt es auch bei den Downloadern Unterschiede. Zum Beispiel gibt es sogenannte Warez-Seiten, wo es für die Mitglieder fast schon ein Sport ist, möglichst viel urheberrechtlich geschütztes Material anzusammeln und weiterzuleiten. Da geht es nicht mehr darum, dass man einen Song anhören, einen Film ansehen will, sondern dass man gezielt gegen das Urheberrecht verstößt und Schaden anrichtet. Die können ruhig kriminalisiert werden. Da geht es um die Verhältnismäßigkeit. Ich finde es falsch, jemanden zu kriminalisieren, weil er sich Musik angehört hat. Das ist doch etwas anderes, als ein Auto anzuzünden.
Da würden die Vertreter der Musikindustrie jetzt aber laut aufschreien. Auch wenn niemand ihre Platten anzündet, verzeichnen sie Verluste.
Samuelson: Es geht schon um die Größenordnung. Manchmal scheint mir, als könnte die Musikindustrie nicht zwischen professionellen Raubkopierern unterscheiden, die ein Produkt Millionen Mal kopieren und es verkaufen, und dem Fan, der einen Song illegal herunterlädt. Das Gesetz sollte diese zwei Gruppen nicht in denselben Topf werfen, weil der professionelle Raubkopierer absichtlich einen Schaden verursacht, der illegale Downloader jedoch nicht.
Absichtlich oder nicht, verursachen die User nicht auch einen Schaden?
Samuelson: Ich glaube, dass bei vielen Downloads gar kein Schaden entsteht. Aber eines stimmt sicher: Über sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke laden Menschen Unmengen von Musik und Filmen herunter und zahlen nichts dafür. Das ist nicht fair. Da bin ich total auf der Seite der Urheberrechtsbesitzer, dass illegale Downloads irgendwie in Geld umgewandelt werden sollten. Ich glaube nur, dass wir da nicht mit schärferen Gesetzen hinkommen, sondern mit besseren Angeboten, wie man legal diese Inhalte erwerben kann.
Wie könnte so ein Modell aussehen?
Samuelson: In einigen europäischen Ländern gibt es mittlerweile den Musikdienst Spotify. Er stammt ursprünglich aus Schweden. Konsumenten können via Onlinestreaming extrem viele Songs legal anhören. In Schweden hat dieses Angebot dazu geführt, dass weniger Menschen illegal downloaden.
Für den Konsumenten ist Spotify super, weil man nahezu auf alle Musik der Welt gratis zugreifen kann. Nur ab und zu gibt es Werbeeinschaltungen. Aber Künstler sind da weitaus skeptischer. Ein Song muss extrem oft angeklickt werden, ehe der Urheber auch nur ein paar Euro bekommt.
Samuelson: Spotify wird in Zukunft wohl nicht der einzige Weg sein, wie Musiker entlohnt werden. Bei Spotify suchen die Konsumenten nach einer legalen Alternative, was besser ist als der illegale Weg: Über diesen verdienen die Künstler gar nichts.
Zur Person
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Pamela Samuelson ist ausgewiesene Expertin für digitales Urheberrecht. Sie ist Professorin für Recht und Informationsmanagement an der University of California, Berkeley. Zuvor hat sie unter anderem in Harvard unterrichtet und in Yale studiert. Die Juristin war vor einem Monat auf Einladung des SPÖ-Klubs zu Besuch in Wien und hielt einen Vortrag am zweitägigen Netzcamp der Sozialdemokraten
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ACTA
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Das EU-Parlament beschäftigt sich derzeit mit dem Handelsabkommen Acta. Drei Ausschüsse haben sich kürzlich dagegen ausgesprochen: der Industrieausschuss, der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sowie der Rechtsausschuss. Am 21.6. stimmt auch der Handelsausschuss, in dem einige Acta-Befürworter sitzen, über den völkerrechtlichen Vertrag ab. Im Juli entscheidet dann das Plenum des EU-Parlaments, ob Acta tatsächlich kommt
Dieses Interview erschien in Falter 24/12. Das Bild stammt von einer Demo gegen ACTA. Credit: Flickr-User martinkrolikowski Das Bild von Prof. Samuelson stammt vom SPÖ-Klub