Politiker als Burnout-Opfer? Sie reden nur ungern darüber, wie ausgebrannt sie sind. Und doch leidet die Politik an akuter Erschöpfung, weiß Daniel Kapp, einst Pressesprecher des Vizekanzlers
Er braucht eine Auszeit, deswegen zieht sich Rudi Anschober bis Jahresende aus der Politik zurück. Der grüne Landesrat leidet an Burnout. Nur selten geben Politiker zu, dass sie am Rande ihrer Kräfte sind oder im Termin-Wirrwarr kaum noch zum Nachdenken kommen. Stattdessen schalten sie den “Autopiloten” ein und hoffen, das nächste Interview heil zu überstehen. Das berichtet zumindest Daniel Kapp, der jahrelang an vorderster Front im Politgeschäft tätig war: Zuletzt arbeitete er als Pressesprecher von Vizekanzler und ÖVP-Chef Josef Pröll, bis dieser aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Ein Gespräch über eine Politik, der eine wertvolle Ressource fehlt: Zeit.
Herr Kapp, sind Politiker wirklich so burnoutgefährdet?
Absolut. Der Job eines Politikers hat eine unglaubliche Beschleunigung erlebt. Rund um die Uhr muss man auf etliche Themen eine Antwort haben und abrufbar sein. Das ist weder für Politiker noch für deren Mitarbeiter auf Dauer beherrschbar.
Wie arg ist der Alltag eines Spitzenpolitikers?
Lassen Sie mich die letzte Woche von Josef Pröll schildern: Die begann mit einem Krisengipfel der Finanzminister zu Griechenland. Um fünf in der Früh flog Pröll am Montag nach Brüssel, verhandelte dort zwei Tage lang. Dienstagabend ging es zurück nach Linz, dort gab es Verhandlungen mit Landeshauptleuten und dem Sozialminister zur Pflegelösung, die bis drei Uhr nachts dauerten. Am nächsten morgen um neun da eine Pressekonferenz mit der Präsentation der Verhandlungsergebnisse. Danach ab nach Wien zu einem Termin mit dem Bundespräsidenten. Dann schlief Pröll einmal zuhause. Am Donnerstag ging es weiter nach Innsbruck, zu verschiedenen Terminen, abends eine ÖVP-Frauen-Veranstaltung, tags darauf war ein Skinachmittag mit Opinion Leaders im Hochzillertal geplant. Und bei dieser Gelegenheit hat Pröll dann seinen Lungeninfarkt gehabt. Und all das war nur die unmittelbare Arbeit. Parallel dazu stehen permanent Telefonate und Interviewanfragen an. Und bei jedem Termin muss man voll präsent sein. Irgendwann ist das psychisch und physisch zu viel.
War der Stress der Grund für die Lungenembolie von Josef Pröll?
Als Nichtmediziner wäre es vermessen, da Zusammenhänge hinein zu interpretieren. Die Lungenembolie ist eine medizinische Erkrankung und wird mit dem Stress wohl nix zu tun haben. Nur eines ist sicher: Der Job hat ihn sicher dazu gefordert, körperliche Grenzen zu überschreiten.
Herr Anschober meint, er habe bis zu 100 Stunden pro Woche gearbeitet. Ist das realistisch?
Ja, als Landesrat muss man ständig am Land unterwegs sein. Das war bei Pröll ähnlich: Der hatte nicht nur seinen Job als Finanzminister und Vizekanzler, sondern musste auch durch die Ländern touren. Diese Erwartungshaltung gibt es in den Bundesländern. Sonst heißt es, man ist abgehoben. Und gleichzeitig gehört auch die Medienmaschinerie bedient. Wenn ein Thema aufkommt, wird einem Parteichef erwartet, dass er nach einem zehn-Stunden-Tag um 22 Uhr in der „ZiB2“ sitzt und voll präsent ein Interview gibt. Ich meine: Politik und Medien bräuchten eine Entschleunigung.
Glauben Sie, werden in Zukunft noch mehr Politiker zurücktreten, weil es ihnen einfach zu viel wird?
Stellen Sie sich vor, eine Partei würde sagen: Danke, wir sehen uns das gründlich an und geben in zwei Wochen eine Stellungnahme abSicherlich. Oder es werden Leute nachkommen, die den Job nicht ganz so ernst nehmen und sich auf diese Weise vor der Belastung schützen. Ein Beispiel für die Beschleunigung: Verteidigungsminister Norbert Darabos hat über mehrere Monate hinweg einige Modellen berechnen lassen, wie ein neues Bundesheer aussehen könnte. Das hat er dann präsentiert und in derselben Sekunde wussten FPÖ, BZÖ, ÖVP und Grüne auch schon, was sie davon halten. Wie geht das? Indem sich keiner das seriös angesehen hat. Der Druck ist da, sofort zu reagieren. Stellen Sie sich vor, eine Partei würde sagen: „Danke, wir werden die Modelle zwei Wochen gründlich ansehen und dann eine Stellungnahme abgeben.“ Das wäre zwar seriös, würde aber keiner akzeptieren.
Sie fordern Entschleunigung. Wie denn?
Indem nicht jeder Spitzenpolitiker zu jedem Mist gleich etwas sagen muss. Indem man etwas langsamer diskutiert und Raum zum Nachdenken zulässt. Manchmal kommen mir Politik und Medien wie eine riesige Big-Brother-Show vor, in der jede Drehung und Wendung hysterisch analysiert wird.
Ist so eine Entschleunigung realistisch?
Die Frage ist, ob die Medien wirklich von jedem sofort eine Antwort brauchen. Diese Verantwortung liegt bei den Medien und den Politikern. Man kann sich sehr wohl manchmal entziehen. Schüssel hat das mitunter gemacht. Dann wurde ihm vorgeworfen, der Schweigekanzler zu sein.
Vielleicht wollte Schüssel auch nur lästige Debatten vermeiden.
Vielleicht war er der Auffassung, es gibt einen Zeitpunkt, wo man etwas sagen muss, und einen Zeitpunkt, wo man sich noch zurückhalten kann.
Ärgert Sie, dass viele über die faulen Politiker schimpfen?
Ich bin froh über meinen Ausstieg. Ohne eine Diät zu machen, habe ich seither 20 Kilo abgenommenMich ärgern die Fellners dieser Republik, die unangemessene Bilder von Politikern erzeugen. Ich würde nicht zurück in die Politik und bin froh über meinen Ausstieg. Ohne ein Diät zu machen, habe ich seither 20 Kilo abgenommen, weil ich wieder zu normalen Zeiten essen kann, weil ich nicht mehr im selben Ausmaß dem Alkohol ausgesetzt bin. Man ist permanent bei Veranstaltungen, bei der einen gibt es ein Schnapserl, bei der anderen einen Pfiff. Jetzt hab ich wieder Zeit für Freunde, Zeit für Gedanken. All das gab es in der Politik nicht.
Sollten sich die Politiker auch trauen, ihre menschlichen Schwächen zu zeigen?
Sicherlich. Nur glaube ich, würde die Medienmaschinerie darauf sehr unbarmherzig reagieren. Die „ZiB2“ hat kein Verständnis dafür, wenn ein Politiker um 22 Uhr nicht mehr ins Studio kommt, wenn ein Thema gerade aktuell ist.
Aber auch die Journalisten leiden unter dem Aktualitätsdruck und der permanenten Erreichbarkeit.
Drei Uhr früh. Ich wach auf, seh das SMS und denk mir: “Ich muss den Chef informieren”Der Unterschied ist nur: Pressesprecher und Politiker sind rund um die Uhr im Job. Ich bin 24 Stunden sieben Tage die Woche die Anlaufstelle für Journalisten gewesen. Die Redakteure haben zwischendurch mal einen Tag frei und da ist ihnen völlig egal, was passiert, weil gerade ein anderer Dienst hat. Zum Ende hin habe ich dann versucht, selbst Grenzen zu ziehen. Von Freitagabend bis Samstagabend hab ich mein Handy abgeschaltet und nur mein Kollege war erreichbar. Wenn ein Thema wichtig genug ist, erreicht es einen ohnehin. So war das beim Tod von Jörg Haider: Da erhielt ich um drei Uhr nachts das SMS. Ich wach auf, seh das SMS und denk mir: „Ich muss den Chef informieren.“ Um sechs Uhr früh läuft das Frühjournal auf Ö1, um sieben Uhr das Morgenjournal, da muss der ÖVP-Chef ein Statement abgeben. Also habe ich Pröll um drei Uhr früh angerufen und kaum war das Gespräch beendet, ruft Fritz Dittelbacher vom ORF an und fragt: „Wann können wir deinen Chef interviewen?“ Um sechs in der früh haben wir dann das Interview vor dem Parlament gemacht. Übrigens an einem Wochenende, das Pröll ausnahmsweise mal mit der Familie verbringen wollte.
Nur wissen die meisten Leute nicht, wie schnell diese Medienmaschinerie tickt.
In diesem Geschäft kommen wir nicht mehr zum Nachdenken. Du turnst von einem Tag zum anderen, schaltest den Autopiloten einJa, mir geht’s auch nicht um Mitleid. Die Menschen in der Politik wissen schon, worauf sie sich da einlassen. Nur erklärt das Ganze auch die zunehmende Verflachung. In diesem Geschäft kommen wir nicht mehr zum Nachdenken. Als Pröll Landwirtschaftsminister war, hatten wir noch halbwegs Ruhe, um nachzudenken. Doch irgendwann kommst du in so einen Strudel gleichzeitiger Themen und Anforderungen, dass du dich selber nicht mehr spürst. Dann turnst du nur noch von einem Tag zum anderen, schaltest medial den Autopiloten ein, dessen einziger Anspruch ist, bloß keinen Blödsinn zu sagen. Du turnst dich also von Interview zu Interview und versuchst, ja keinen Wurstsemmel-Sager abzuliefern – also keine achtlose Aussage, die dir wochenlang um die Ohren fliegt. Deswegen verwendest du eine unangreifbare, belanglose und inhaltsleere Floskelsprache, einfach um zu überleben. Das merkt man bei Kanzler Faymann und bei vielen anderen Politikern auch. Diese Politikersprache ist nur noch auf eines ausgerichtet: unbeschadet über die Runden kommen.
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Zur Person:
Daniel Kapp war von 2000 bis 2011 Pressesprecher verschiedener Regierungsmitglieder, zuletzt von Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll. Nun ist er strategischer Kommunikationsberater, der Standard widmete ihm zu seinem Abgang sogar ein eigenes Porträt (“Niemals nur ein Kofferträger“), auch der Österreichische Journalist berichtete über Kapps neues Berufsleben. Daniel Kapp ist auch auf Twitter.
Eine kürzere Fassung dieses Interview ist auch im Falter (Ausgabe 39/12) nachzulesen. Diese längere, ausführliche Fassung gibt es nur hier im Blog. Fotos: European People’s Party / Mauri Ratilainen / Compic & Grüne Wels
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