Kann Wien zur Metropole für Start-ups werden? Das Pioneers-Festival zeigt das innovative Potenzial der Stadt Vielleicht sind sie in einem Jahr gescheitert, vielleicht sind sie aber auch in Silicon Valley und verhandeln mit Google. Das wissen die drei Jungunternehmer Andreas Röttl, Bianca Busetti, und Christian Papauschek nicht. Noch sitzen sie im Sektor5, einem Wiener Gemeinschaftsbüro, und programmieren eine App, basteln an der Website und haben mehrere Computer in Griffweite. Der Wirtschaftstyp, die Designerin und der Programmierer wagten etwas, was sich nicht viele Mittzwanziger trauen: Sie gründeten ihre eigene Firma namens Miavia.
Das junge Team will Reisen revolutionieren. Man soll nicht mehr einen Reiseführer kaufen, sondern genau zugeschnittene Pakete für den Wunschurlaub – von der “romantischen Rundreise in Sri Lanka“ bis hin zum “Trans-Siberian Railway Adventure“. Auf Miavia können Internetuser und Reiseblogger ihre Routen mit Fotos dokumentieren, Tipps für den perfekten Urlaub geben und diese “Travel Boxes“ an andere User verkaufen. “Wir machen jeden User zum Herausgeber seines eigenen Lonely Planet“, sagt Röttl, 28, der CEO. Bianca Busetti, 23, ist nicht nur seine Geschäftspartnerin, sondern auch seine Freundin – die beiden lernten sich in einem Onlinekurs der Stanford-Universität kennen. Bei einer Sri-Lanka-Reise merkte das Paar, dass es noch an Software und Websites fehlt, die personalisierte Reisetipps geben und Tools liefern, um die eigene Reise simpel zu dokumentieren. Eine “Demokratisierung des Reiseführermarktes“ nennt Röttl das.
Wenn er Pech hat, dann floppt sein Produkt oder eine andere Firma schafft mit derselben Idee am internationalen Markt den Durchbruch. So etwas weiß man bei Start-ups nie: Es ist ein Hochrisikogeschäft, bei dem einige wenige Firmengründer sogar zu Millionären werden und viele nicht. “Das größte Problem in Österreich ist die Angst vor dem Scheitern“, sagt Röttl, “aber wenn wir scheitern, haben wir zumindest fürs Leben gelernt.“
Das ist der Start-up-Gedanke: Besser man scheitert, als man hat’s nicht probiert. Auch in Wien wächst eine Start-up-Mentalität, bei der junge Entwickler einfach loslegen, Apps programmieren oder Roboter entwickeln. Mittlerweile ist eine überschaubare, innovative Szene entstanden, in der sich Firmengründer wie Röttl vernetzen und in bunten Büros gemeinsam arbeiten – sogenannten “Coworking Spaces“. Jetzt geht es um die Frage, ob Wien noch mehr daraus macht und eine richtige Start-up-Stadt wird. Kann man mit innovativen Metropolen wie Berlin oder London mithalten? Eine Antwort liefert vielleicht das Pioneers-Festival, das kommende Woche stattfindet. Es ist die bisher wichtigste Initiative, um Wien als innovative Stadt auf der internationalen Landkarte sichtbar zu machen. Zwei Tage lang treffen sich in der Hofburg einige der renommiertesten Gründer und Geldgeber der Internetbranche (siehe Info rechts). Auf der Bühne werden nicht nur amerikanische Entwickler stehen, sondern auch Florian Gschwandtner aus dem Mostviertel. Er ist das österreichische Gesicht im Silicon Valley, einer der Gründer von Runtastic, jener Handy-App, die einen beim Laufen überwacht. Die Firma hat mittlerweile mehr als 20 Millionen registrierte Benutzer, und Gschwandtner ist alle paar Wochen im kalifornischen Silicon Valley. Er meint, Österreich müsse sich nicht verstecken: “Unsere Techniker stehen denen dort in nichts nach.“
Gute Technik gibt es hierzulande, die liefert zum Beispiel die Firma Indoors, die quasi das Google Maps für Innenräume macht. In Wien-Margareten wird Technik entwickelt, die nun auch in Brasilien zum Einsatz kommt: Die Jungunternehmer messen Räumlichkeiten, zum Beispiel Flughäfen oder riesige Shoppingmalls, aus und können einem via App sagen, wo man sich gerade befindet und wo das gewünschte Geschäft oder der Terminal liegt. Diese Indoor-Lokalisierung ist ein Zukunftsmarkt, für den sich auch große Firmen interessieren.
Am Pioneers-Festival können die österreichischen Start-ups ihre Leistungen präsentieren. Dass nun internationale Medien und Geldgeber nach Wien kommen, dafür sind zwei junge, ambitionierte Unternehmer verantwortlich. Andreas Tschas und Jürgen Furian haben die Firma Pioneers gegründet, die beiden sind zwei zentrale Figuren, die die österreichischen Start-ups zusammenführen. “Vor vier Jahren hat es nicht einmal eine Start-up-Szene gegeben“, sagt Tschas. Damals begannen die zwei WU-Absolventen, Vernetzungswochenenden in Wien und ganz Europa zu organisieren. Techniker und Marketingleute, also Gründer in spe, sollten zusammenkommen und ihre Ideen präsentieren. Das Konzept ging auf: Nachdem man ein Wochenende lang Ideen ausgetauscht, Menschen aus ganz anderen Branchen kennengelernt hatte, gründeten viele tatsächlich Firmen.
Tschas und Furian haben bereits 20 Mitarbeiter, beim Pioneers-Festival erwarten sie 2500 Gäste, mehr fasst die Hofburg gar nicht. In ihrem Büro am Getreidemarkt schaut es derzeit chaotisch aus. Etliche junge Menschen sitzen hinter Laptops, im Besprechungsraum steht ein Wuzler, und Werbematerial von vergangenen Events liegt herum. An einer Wand wurde eine riesige Glühbirne aufgeklebt. Bewusst pflegen die beiden gebürtigen Kärntner das Image der Ideengeber. Ihr Geschäftsmodell ist nicht nur, Veranstaltungen zu organisieren, sondern auch, Konzerne aus dem Technologie-, Banken-und Versicherungsbereich mit jungen Start-ups zu vernetzen – eine Art Frischzellenkur für riesige Firmenorganismen.
Freilich ist nicht alles rosig. Etwa braucht es viel Überzeugungsarbeit, wichtige Vortragende in die Stadt holen. “Wien ist in der Szene außerhalb Österreichs überhaupt nicht präsent“, sagt Furian. Aber zumindest werde es jedes Jahr eine Spur leichter. Zunehmend haben österreichische Firmen eine Niederlassung in Kalifornien, heuer findet das Festival zum zweiten Mal statt, da hat man schon Kontakte geknüpft.
Was macht den Erfolg des Silicon Valley aus – also jener Region zwischen San Francisco und San José, wo immer wieder innovative Internetfirmen entstehen und Google, Apple und Facebook ihren Firmensitz haben? Die Antwort lautet: Netzwerke. Die Stanford University arbeitet eng mit den Internetfirmen zusammen, in zehn Minuten Fahrtzeit ist man von Facebook bei Google. Dieser Austausch ist für Start-ups extrem wichtig, junge Firmengründer lernen von anderen Unternehmen oder Investoren wie das Geschäft funktioniert, welche Fehler man vermeiden sollte.
Austausch fehlt in Wien noch, vor allem auf universitärer Ebene. Hardcore-Techniker und Marketingfuzzis, die leben in derselben Stadt, aber anscheinend in unterschiedlichen Welten. Ein gutes Beispiel dafür ist die neugegründete Firma Blue Danube Robotics der beiden Elektrotechniker Walter Wohlkinger und Michael Zillich. In ihren Büros liegen Leiterplatten und Schraubenzieher herum, ein Plüschroboter lässt einen vermuten, was hier gebaut werden soll: elektronische Helfer. Die Wiener Techniker werden beim Pioneers-Festival einen Roboterkopf präsentieren. Dieser Roboter kann seine Umgebung, Gegenstände und Menschen erkennen. Er soll schwerbehinderten Menschen helfen, die rund um die Uhr Versorgung brauchen. Wenn dem Pflegebedürftigen die Fernbedienung runterfällt oder er gerne ein Glas Orangensaft hätte, kann das Gerät das Erforderliche tun, der Behinderte muss nicht extra einen Assistenten um Hilfe bitten.
Bisher kosten komplexe Roboter hunderttausende Euro. Die beiden Firmengründer haben ein Konzept entwickelt, nach dem der Roboter für 12.000 Euro erhältlich sein soll. Das technische Know-how haben sie, weil sie seit langem an der TU Wien forschen. Jetzt fehlt ihrem Team aber noch ein Finanzexperte. Die Techniker kennen niemanden aus dem Wirtschaftsbereich. “Das hat mir auf der TU immer gefehlt: dass es keine Netzwerke zur Wirtschaftsuniversität gibt“, sagt Wohlkinger. “Falls Sie erwähnen könnten, dass wir jemanden suchen, wäre das ganz toll“, meint sein Kollege Zillich. Von 3-D-Druckern, Infrarotkameras und Roboterarmen haben die zwei eine Ahnung, aber nicht von Steuern oder Vertrieb.
Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie in Wien die richtigen Experten noch zusammenfinden müssen. Auch tun sich manche Jungunternehmer schwer, Risikokapital und sogenannte “Business-Angels“ aufzutreiben. Letzteres sind oft Millionäre, die nicht nur Geld, sondern auch Know-how in neugegründete Firmen investieren. Ein solcher Business-Angel braucht auch Geduld. “Viele Start-ups finden erst nach drei, vier Jahren ihr Geschäftsmodell. Auch Google brauchte so lange. Aber in Wien würde das kaum einer durchhalten“, meint Klaus Matzka, der ebenfalls Geschäftspartner der Firma Pioneers ist und die Szene gut kennt.
Risikobereitschaft ist keine genuin österreichische Eigenschaft. International lässt sich Wien eher mit Barcelona als Berlin oder gar London vergleichen. Was könnte man da tun? Gleich neben dem Rathaus findet man die richtige Ansprechperson: Gabriele Tatzberger. Eine Mittdreißigerin, die an der TU studierte, leitet die Abteilung Mingo der Wirtschaftsagentur der Stadt Wien. Die Büros sind hell, die Türen offen. Die Anlaufstelle für Start-ups soll möglichst wenig an eine Behörde erinnern. Mingo steht für “Move in and grow“. “Seit einem Jahr setzen wir den Fokus auch auf wachstumsorientierte, innovative Unternehmen. Die haben spezielle Bedürfnisse“, sagt Tatzberger. Dafür wurde das Förderprogramm “Twin Entrepreneurs“ gestartet, es soll slowakische und österreichische Unternehmer zusammenbringen und bei der Expansion helfen. Wien versucht auch, als Tor zum Osten aufzutreten und vielleicht manch eine Firma oder hochausgebildete Mitarbeiter aus Osteuropa anzulocken – ein großes Potenzial der Stadt.
Wien, eine Touristenmetropole mit viel Geschichte und Kunst, ein Ort mit hoher Lebensqualität für Manager und vielen internationalen Organisationen. Aber Wien als Start-up-Stadt? Da steht man noch ziemlich am Anfang: Niemand weiß zum Beispiel, wie viele Start-ups es hier wirklich gibt. 600 Gründer berät Mingo pro Jahr, etwa ein Drittel davon sind vermutlich klassische Start-ups, schätzt Tatzberger. “Aber stimmt, wir hätten auch gerne noch viel konkretere Zahlen.“ Ein Start-up, das heute existiert, gibt es vielleicht morgen gar nicht mehr, oder vielleicht sitzt es im Silicon Valley. Mit diesem wechselhaften Unternehmenstyp müssen sich die Österreicher wohl erst noch anfreunden.
Dieser Artikel ist im Falter 43/13 erschienen. Sämtliche Fotos hat Heribert Corn gemacht.