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Die List mit den Listen

Von süßen Katzen bis zum kiffenden Barack Obama: Buzzfeed ist ein radikaler Gegenentwurf zum herkömmlichen Journalismus – und fordert bald auch deutschsprachige Medien heraus

Wer es lieber ernst mag, sollte jetzt aufhören zu lesen. Denn in dieser Geschichte geht es ziemlich bunt zu: herzige Katzen, fettige Buritos und die TV-Serie “Game of Thrones” kommen vor. Also lauter Sachen, die das Leben schöner machen. Genau darum geht es nämlich bei dem Onlinemedium Buzzfeed. Es liefert eine skurrile Mischung aus unterhaltsamen Listen, witzigen Quizzen und dem einen oder anderen Stück politischen Journalismus. Zum Beispiel berichtet derzeit der Buzzfeed-Redakteur Mike Giglio aus der Ukraine, erklärt in Reportagen und Fotostories das politische Gefecht um die Krim.

Berühmt geworden ist Buzzfeed freilich mit den Katzen und den Listen, die auf Facebook eifrig geteilt werden. Sie tragen Überschriften wie: “17 Signs You Might Really Be Obsessed with Your Cat.” Zu Deutsch: 17 Zeichen, dass du wohl wirklich in deine Katze vernarrt bist. Oder: “33 Animals Who Are Extremely Disappointed in You.” 33 Tiere, die von dir extrem enttäuscht sind. Wer auf den Link klickt, sieht Hasen, Schildkröten und natürlich Katzen, die einen verstört anschauen.

Buzzfeed ist mehr als nur ein Sammelsurium von lustigen Tierfotos. In nur sieben Jahren wuchs das Onlinemedium zu einer Macht im Internet heran, ist seit wenigen Monaten profitabel und verzeichnete vergangenen November erstmals mehr als 130 Millionen Besucher, sogenannte Unique Visitors.

Nun wollen die Amerikaner auch den deutschsprachigen Raum erobern. Nach der französischen, spanischen, portugiesischen, australischen und britischen Ausgabe folgt bald eine aus Berlin: Anfang März wurde der Posten des Chefredakteurs ausgeschrieben. Verlangt werden zwei bis drei Jahre Erfahrung bei einer großen Webseite oder anderen Publikation, Photoshop-Kenntnisse und der Beleg, dass man tatsächlich Beiträge verfassen kann, die von vielen Menschen im Netz geteilt werden.

Artikel sollen möglichst “shareable” sein, es geht nicht darum, was Journalisten als berichtenswert einschätzen, sondern was die User auf Facebook teilen
Das ist auch die Idee hinter Buzzfeed: Die Seite findet oder erstellt sogenannten “viralen Content”, also Texte oder Videos, die sich epidemisch über das Netz ausbreiten und von tausenden Usern freiwillig geteilt werden. Die Webseite folgt einer neuen Medienlogik, wonach soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Pinterest zur Startseite der Leser werden. Artikel sollen also möglichst “shareable” sein, es geht nicht darum, was Journalisten traditionell als berichtenswert einschätzen, sondern was die User auf Facebook teilen. Das sind oft skurrile Rankings und Quizze wie: “Welches Sandwich bist du?” Oder: “17 Zeichen, dass du dich in einer Beziehung mit einem Burrito befindest.

“Buzzfeed ist nicht nur ein Generationenphänomen, sondern vor allem ein Lifestylephänomen”, erklärt Ross Hawkes, Journalismusdozent der City University Birmingham. Die Texte sind auf Smartphones zugeschnitten. Wenn man fünf Minuten auf den Bus wartet oder abends nocheinmal aufs Handy blickt, ist so eine Liste die perfekte Ablenkung. Man sieht auf den ersten Blick, was einem geliefert wird, kann schnell die Punkte überfliegen, ohne sich vertiefen zu müssen. Im Englischen gibt es sogar ein eigenes Wort für Artikel, die rein aus Listen bestehen: Listicles.

Wir leben, so kritisiert manch einer, in einer “Ära der Listicles” und der schnell verdauten Informationshäppchen. Hätte es diesen Listenwahn schon vor 100 Jahren gegeben, wären die Nachrichten ganz anders ausgefallen, mit Überschriften wie: “10 Details, die du über die Ermordung von Franz Ferdinand noch nicht wusstest.” Oder: “7 Vertreter des Austrofaschismus, die gar nicht so unsympathisch sind.”

Die Listicles mögen trivial klingen, aber auch die Persönlichkeitstests in Illustrierten sind – streng genommen – ziemlich seicht. Die Listicles und Quizze dienen eben nicht nur der Information, sie bilden auf kecke Weise Populärkultur ab, etwa wenn es um die Frage geht, welcher “Game of Thrones”-Charakter als Nächster stirbt. Auch haben viele Menschen das Bedürfnis, sich in diesen Listicles wiederzuerkennen. Deswegen lesen sie über die “15 Typen von Menschen, die man im Schwimmbad trifft” oder “30 Überraschungen, die man ab 30 erfährt“. Hier geht es nicht nur um Information, sondern auch darum, über sich selbst und die Menschheit zu lachen.

Um ernstgenommen zu werden, investiert Seitengründer Jonah Peretti mittlerweile in gut recherchierte Artikel, hat etwa ein eigenes Investigativteam angeheuert und schickt Mitarbeiter in die Ukraine. Sicher: Viele der politischen Reportagen sind boulevardesk, zum Beispiel, wenn man erfährt, wie häufig US-Präsident Barack Obama als Jugendlicher kiffte. Bei Buzzfeed ist eben das Wichtigste, dass ein Artikel “clickable” und “shareable” ist. Die Seite ist extrem datengetrieben – bei jedem Text wird etwa analysiert, wie oft er von den Usern angeklickt, geteilt und gelikt wurde.

“Wir sind ein Medienunternehmen für soziale Nachrichten und Unterhaltung”, so definiert Scott Lamb, Buzzfeeds Vice President International, seine Firma. Dieses Modell spiegle den ganz normalen Medienkonsum wider, bei dem ernste Nachrichten und Unterhaltung aufeinanderfolgen. Zum Falter sagt er: “Wenn Sie auf Facebook gehen, sehen Sie zum Beispiel einen Spiegel-Artikel und gleich daneben das Hundefoto ihres Kumpels.”

Aus journalistischer Sicht existiert aber schon ein Problem. Die Grenze zwischen Artikeln und Werbung fehlt. Die Liste “11 Gründe, warum Katzen die perfekten Kameraden sind” wurde zum Beispiel von Tierfutterhersteller Purina verfasst. Der Text ist aber nicht dezidiert mit dem Hinweis “bezahlte Anzeige” gekennzeichnet, bei der Autorenzeile steht lediglich: “Purina, Buzzfeed Partner.” Daneben sind der Twitter- und der Facebook-Account des Tierfutterproduzenten verlinkt.

“Native Advertising” nennt man das in der Fachsprache, also natürliche Werbung. Ein Euphemismus für bezahlte Inserate, die wie herkömmliche Texte ausschauen und auch von der Tonalität so klingen. In Zeiten der Zeitungskrise bietet auch manch ein Traditionsblatt mittlerweile “native advertising” an, sogar die New York Times – wobei die Anzeigen dort noch deutlich stärker als solche gekennzeichnet sind.

Das Besondere an Buzzfeed ist, dass Gründer Peretti kein Problem mit dieser Vermischung hat. Er meint, ein guter Text könne sowohl von einem Redakteur als auch einem Werbekunden verfasst worden sein. An diesem schwammigen Journalismusverständnis verdient er gut – angeblich kostet eine derartige Kooperation mit Buzzfeed im Schnitt 100.000 Dollar.

Wie die deutsche Ausgabe aussehen wird, dazu hält man sich noch bedeckt, gibt weder einen Starttermin, noch die Größe des Teams bekannt. Fix ist nur, dass eigene Texte verfasst, aber auch amerikanische Artikel ins Deutsche übersetzt werden.

Was in der amerikanischen Umgangssprache keck und locker klingt, liest sich im Deutschen angestrengt oder besserwisserisch
Im deutschsprachigen Raum steht Buzzfeed vor einigen Hürden: Erstens ist das deutsche Urheberrecht wesentlich strenger als jenes in den USA, womöglich können einige witzige Fotos in der deutschen Ausgabe nicht verwendet werden. Zweitens gibt es Sprachbarrieren, das sieht man an manchen Buzzfeed-Nachmachern, die es in Deutschland bereits gibt. Die Seite Upcoming.de liefert zum Beispiel lustige Listen und virale Videos im Buzzfeed-Stil, sprachlich holpert dort aber einiges. Was in der amerikanischen Umgangssprache keck und locker klingt, liest sich im Deutschen angestrengt oder besserwisserisch.

Das ist eine wesentliche Erkenntnis: Die Listen und Quizze von Buzzfeed mögen auf den ersten Blick kindisch anmuten. Tatsächlich fließt aber viel Arbeit in diese Artikel, damit sie so locker und ironisch wirken und die Bilder perfekt dazu passen. Von Tieren, die einen grantig anschauen, bis zur Typologie, welche Menschen man im Schwimmbad antrifft: Solche Texte sind nicht einfach nur skurril – in Wahrheit ist eine gute Liste fast schon Kunst.

 

Foto oben: Techcrunch via Flickr, darauf ist Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti zu sehen. Illustration: Oliver Hofmann. Dieser Artikel erschien in Falter 12/14

Categories: Medien
Ingrid Brodnig:
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