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Doris Bures: “Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung nicht”

Was bedeutet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Österreich? Ministerin Doris Bures sieht keine Notwendigkeit, am Überwachungsinstrument namens Vorratsdatenspeicherung festzuhalten.

Derzeit herrscht eine skurrile Situation: Der Europäische Gerichtshof hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt, denn sie greife zu stark in die Grundrechte ein. Doch in den einzelnen Mitgliedsstaaten ist ihre rechtliche Umsetzung -zumindest fürs erste -noch gültig. Hierzulande wird der Verfassungsgerichtshof bis zum Herbst entscheiden, ob die österreichische Variante der Vorratsdatenspeicherung ebenfalls grundrechtswidrig ist.

Warum ist die Vorratsdatenspeicherung so umstritten? Weil dieses Überwachungstool jeden Bürger betrifft. Von uns allen werden ein halbes Jahr lang die Verbindungsdaten gespeichert. Der Inhalt einer Nachricht wird zwar nicht aufgezeichnet, wohl aber, wer mit wem wann wo und wie lange telefonierte, wer wem wann eine SMS oder ein E-Mail schickte und wie lange man im Internet war.

Deswegen zierte sich Österreich lange, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Die zuständige Technologieministerin Doris Bures (SPÖ) kritisierte die Richtlinie mehrfach und setzte sie erst zum letztmöglichen Zeitpunkt um. Wie geht es nun weiter? Fällt die Vorratsdatenspeicherung auch bei uns oder bleibt sie in einer abgeschwächten Form bestehen?

Falter: Frau Ministerin, ist die Vorratsdatenspeicherung bald auch in Österreich Geschichte?

Doris Bures: Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich der Vorratsdatenspeicherung kritisch gegenüberstehe. Wir mussten diese EU-Richtlinie damals umsetzen, sonst hätten Österreich hohe Strafzahlungen gedroht. Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie aufgehoben, und der österreichische Verfassungsgerichtshof muss jetzt prüfen, ob auch die österreichische Umsetzung dieser Richtlinie verfassungswidrig ist. Warten wir ab, was der Verfassungsgerichtshof sagt. Die Entscheidung fällt vermutlich im Herbst.

Was ist denn Ihre Einschätzung, wird der VfGH die österreichische Umsetzung aufheben?

Bures: Der Verfassungsgerichtshof hätte sicher keine große Freude damit, wenn ihm die Ministerin per Zuruf erklärt, wie er entscheiden soll. Einige Juristen zweifeln aber daran, dass die Vorratsdatenspeicherung in Österreich hält. Dieser Meinung sind übrigens auch jene Experten, mit denen ich damals diese Umsetzung gemeinsam ausgearbeitet habe.

Sie haben die rechtliche Grundlage der Vorratsdatenspeicherung gemeinsam mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte erarbeiten lassen. Ist das nicht skurril, dass Sie nun Ihre eigenen Gesetze wieder abschaffen wollen?

Bures: Nein, mir blieb ja damals keine andere Wahl, als die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Die schwarz-orange Regierung hatte im Jahr 2006 dieser EU-Richtlinie zugestimmt, konkret die damalige Justizministerin Karin Gastinger. Stimmt ein Land im Rat der Europäischen Union einer Regelung zu, kann es danach nicht selbst den Europäischen Gerichtshof anrufen. So ist mir kein anderer Rechtsweg übriggeblieben, als die Richtlinie umzusetzen – wobei wir versuchten, die Grundrechte der Bürger so gut wie möglich zu schützen. Dabei habe ich auf die Expertise der Menschenrechtsexperten des Ludwig-Boltzmann-Instituts vertraut.

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) erklärte bereits, dass die heimische Umsetzung sehr “maßvoll” sei. Er scheint weiterhin an diesem Ermittlungsinstrument interessiert. Könnte Österreich eine Art “Vorratsdatenspeicherung light” behalten?

Bures: Stimmt, wir haben in Österreich zwar nur die Minimalvariante der Vorratsdatenspeicherung umgesetzt. Zum Beispiel lassen wir die Verbindungsdaten aller Bürger nur sechs Monate statt bis zu 24 Monate gespeichert. Aber selbst bei dieser Minimalvariante gibt es rechtliche Bedenken, etwa, in welchen Fällen die Polizei auf diese Daten zugreifen darf. Hier könnte der Verfassungsgerichtshof Änderungen anordnen oder die Umsetzung aufheben. Ich sehe jedenfalls keine Notwendigkeit mehr, die Daten aller Bürger zu speichern.

Wie meinen Sie das?

Bures: Schauen Sie sich die Chronologie an: Österreich setzte die EU-Richtlinie nur um, weil wir das mussten. Nun hat der EuGH die Richtlinie aufgehoben, die rechtliche Notwendigkeit fällt somit weg. Daher bin ich der Meinung: Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung nicht.

Nehmen wir an, der Verfassungsgerichtshof schafft die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich ab: Beginnt dann sofort die nächste Debatte, welche Überwachungstools die Polizei braucht?

Bures: Davon können Sie ausgehen. Dann wird erneut die Frage aufgeworfen, welche Befugnisse wir der Polizei einräumen müssen.

Offensichtlich haben die Ermittler großes Interesse an Verbindungsdaten. Sie wollen sehen, mit wem eine verdächtige Person in den letzten Monaten kommuniziert hat. Sollte es diese Möglichkeit weiterhin geben?

Bures: Das ist nicht meine Zuständigkeit. Ich halte jedenfalls nichts davon, die Daten unbescholtener und unschuldiger Bürgerinnen und Bürger auf Vorrat zu sammeln – also von Bürgern, die in keiner Weise in irgendein strafrechtliches Verfahren verwickelt sind. Ich glaube, es gibt Instrumente zur Verbrechensbekämpfung, ohne gleich die Verbindungsdaten aller Bürger für sechs Monate speichern zu müssen. Aber diese rechtliche Frage soll nun der Verfassungsgerichtshof entscheiden.

Wenn der Verfassungsgerichtshof doch nicht die Vorratsdatenspeicherung abschafft, würden Sie sich dann politisch dafür einsetzen, dass das Parlament die Paragrafen aufhebt?

Bures: Ich bin nicht Parlamentarierin, sondern Regierungsmitglied in einer Koalition. Für die Instrumente zur Terrorismusbekämpfung sind das Justiz-und das Innenministerium zuständig. Mit ihnen sollte dann hoffentlich eine gemeinsame Vorgangsweise gefunden werden. Aber grundsätzlich bin ich der Ansicht: Jetzt, wo die rechtliche Notwendigkeit wegfällt, ist die Vorratsdatenspeicherung obsolet.

 

Dieses Interview erschien in Falter 16/14. Foto von Ministerin Bures: Heribert Corn, Illustration: PM Hoffmann

 

Categories: Politik
Ingrid Brodnig:
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