Wer online gezielt Menschen fertigmacht, Klassenkameraden mobbt oder Arbeitskollegen verunglimpft, muss künftig harte Strafen befürchten. Die Strafrechtsreform ahndet die übelsten Formen von Hass und Hetze im Internet – viele Wutpostings werden trotzdem ungesühnt bleiben.
Rebecca* war ein schüchternes Mädchen, etwas pummelig und unsicher. Die zwölfjährige Schülerin trug stets ein T-Shirt, wenn sie baden ging, damit keiner ihren Körper sieht. Eines Tages fasste sie Vertrauen: Ein Klassenkollege schrieb ihr freundliche Nachrichten auf WhatsApp. Er bat sie – eine gute Schülerin – um Hilfe bei den Hausaufgaben, er scherzte mit ihr und meinte, dass sie echt in Ordnung sei. Rebecca antwortete, tippte Nachrichten in ihr Handy, flirtete. Zum ersten Mal interessierte sich ein Bub für sie. Schmeichelnd bat sie der Klassenkollege um ein Foto ihrer Brüste. Er sendete ihr ein Bild seines Penis und meinte, jetzt sei sie an der Reihe. Zögerlich ließ sich Rebecca überreden, machte ein Oben-ohne-Foto und drückte auf “Senden“.
Der Bub war von zwei Klassenkolleginnen dazu angestiftet worden. Er leitete den beiden das Bild weiter, und diese sendeten es der ganzen Klasse.
Als Rebecca am nächsten Tag in die Schule ging, lachte man über sie. Im Klassenzimmer und auf WhatsApp machten sie sich stets aufs Neue darüber lustig. Rebeccas Alptraum war eingetreten. “Das Grausame am Onlinemobbing ist, dass Jugendliche das Gefühl bekommen, keiner will sie, die ganze Welt lehnt sie ab“, erzählt die Psychologin Barbara Frauendorff von der Salzburger Kinder- und Jugendanwaltschaft. Sie lernte Rebecca bei einem Workshop an ihrer Schule kennen und konnte ihr schließlich helfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Mädchen zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen.
Grausamkeiten unter Kindern gab es immer. Neu ist, wie leicht es den Mobbern fällt, ihr Opfer überall hin zu verfolgen – dank Digitalisierung. Früher konnte ein Kind zu Hause abschalten, wenn es in der Klasse gefrotzelt wurde. Heute liest es rund um die Uhr auf WhatsApp, welche Gemeinheiten die Schulkameraden verbreiten. Auch Erwachsene erleben diese digitale Hetze, etwa wenn der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin immer wieder Bösartigkeiten loslässt. Opfer fühlen sich oft machtlos: Unentwegt tauchen online Verunglimpfungen auf.
Das soll sich ändern. Mit 1. Jänner 2016 tritt die Strafrechtsreform in Kraft, die der Nationalrat Anfang Juli beschlossen hat. Künftig werden Hass und Häme härter sanktioniert. Eines der Beispiele ist “Cybermobbing“, das nun als eigener Straftatbestand gilt. In Paragraf 107c des Strafgesetzbuches steht: “Wer im Wege einer Telekommunikation“ eine Person “in ihrer Lebensführung unzumutbar“ über “eine längere Zeit“ beeinträchtigt, kann zu maximal einem Jahr Haft oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Begeht das Opfer Suizid, drohen bis zu drei Jahre Haft.
Die permanenten Sticheleien: verboten
Dieser Paragraf ist bahnbrechend. Denn bisher waren Opfer digitaler Hasskampagnen tatsächlich oft wehrlos: Permanenten Sticheleien waren zwar unangenehm, aber meist keine “gefährlichen Drohungen“ nach dem Gesetz. Dass es hier eine klare Rechtslage brauchte, zeigten inländische Fälle, aber auch ein internationaler Vorfall – die Tragödie der Amanda Todd. Die 15-jährige Kanadierin nahm sich selbst das Leben. Mit 13 hatte sie ein Fremder online überredet, ihren Busen herzuzeigen. Er erpresste sie und machte die Bilder publik. Obwohl sie die Schule wechselte, tauchten die Nacktfotos erneut auf. Ihre Klassenkollegen mobbten sie. Schließlich nahm Amanda Todd ein Video über ihre Pein auf: Das Mädchen hält Zettel in die Kamera, auf denen sie ihre traurige Lebensgeschichte beschreibt. Auf einem Blatt steht: “I have nobody. I need someone.“ Drei Tage später war sie tot.
Ihre Geschichte rührte anscheinend auch den österreichischen Gesetzgeber. In den Erläuterungen der Gesetzesnovelle wird dezidiert Amanda Todd erwähnt. “Cybermobbing kann in schweren Fällen zur systematischen Zerstörung der Persönlichkeit des Opfers führen“, heißt es dort.
Auch Erwachsenen nützt diese Reform, und nicht nur dann, wenn der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin einen Rachefeldzug führt. Der Wiener Rechtsanwalt Michael Pilz kennt ein weiteres großes Problemfeld: Immer wieder passiert es Unternehmen, Ärzten oder Ämtern, dass ehemalige Kunden nicht nur über die vermeintlich schlechte Arbeit schimpfen, sondern persönlich werden. Sie stellen mitunter die Wohnadresse von Mitarbeitern ins Netz oder erfinden böse Details über ihr Privatleben. Auch das ist Cybermobbing. “Hier wird tatsächlich eine Rechtslücke geschlossen. Bei einigen Fällen hatten wir das Problem, dass kein Gesetzesparagraf so richtig zutraf“, sagt Pilz. Da Cybermobbing ein sogenanntes “Offizialdelikt“ ist, muss die Staatsanwaltschaft aktiv werden und kann häufig auch die Identität anonymer User ausforschen. Die Internetprovider müssen Auskunft geben, welcher Kunde hinter einer IP-Adresse steckt (die IP-Adresse ist eine Art Nummerntafel im Netz). Zwar ist es technisch möglich, die eigenen Spuren zu verschleiern, doch viele Täter sind zu achtlos oder ahnungslos.
Die Hetze gegen Ausländer: strafbar
Der Cybermobbing-Paragraf ist die eine große Verschärfung rund um die Hetz im Netz, die andere Neuerung betrifft “Hate Speech“ – die hasserfüllte Sprache gegenüber Minderheiten. Schon bisher war es strafbar, zu Gewalt gegenüber Menschen bestimmter Herkunft oder Religionszugehörigkeit aufzurufen oder Hass gegen diese zu schüren, dies gilt als “Verhetzung“. Nun ist auch die Hetze gegen “Ausländer“ strafbar, und es reicht, wenn nur 30 Menschen online das Posting sehen konnten. Bisher waren 150 Menschen notwendig.
In einem einzelnen Punkt wird der Verhetzungsparagraf jedoch eingegrenzt: Strafbar ist nur, wenn das Gericht davon ausgeht, dass der Angeklagte auch wirklich die Menschenwürde dieser Minderheit verletzten wollte – es braucht also Vorsatz. Das achtlose Hinschmettern von Stammtischparolen alleine, wo man zwar in Rage, aber nicht in Absicht handelt, wird nicht bestraft. Immerhin stehen auf Verhetzung bis zu zwei Jahre Haft.
Hier zeigt sich das Dilemma bei Wutpostings: Viele Aussagen sind unfassbar übel, aber nicht strafrechtlich relevant, da sie zu vage oder zu wenig bedrohlich sind.
Dies illustriert ein berühmter Fall aus dem Juni 2014. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) legte sich auf Facebook mit Volksmusiker Andreas Gabalier an. Dieser hatte sich geweigert, die mittlerweile offizielle Version der Bundeshymne zu singen, in der nicht nur die “großen Söhne“, sondern auch die “großen Töchter“ vorkommen. Ihr Team postete ein Foto der Ministerin. Sie lächelt in die Kamera, deutet auf einen Zettel mit der offiziellen Version der Hymne, darüber steht: “Im Sinne des lebenslangen Lernens hier eine kleine Lernhilfe für Andreas Gabalier ;)“.
Dieses Posting löste den schlimmsten Shitstorm aus, den Österreich bisher erlebt hat. Mehr als 18.000 Kommentare erntete das Bild. Unter seinem echten Namen schrieb ein User: “Du Idioten Weib.“ Ein anderer meinte, Heinisch-Hosek gehöre auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Einige Postings wurden angezeigt, die Ermittler befragten User – und stellten keine “gefährliche Drohung“ fest. Rein juristisch hätte die Ministerin viele Bürger anzeigen können, die unter ihrem richtigen Namen den Tatbestand der Beleidigung erfüllt hatten. Tat sie aber nicht.
Das diffuse Geschimpfe: legal
Es gibt Stolpersteine bei der Verfolgung solcher Hasspostings: Die Ministerin kannte die realen Namen vieler Poster. Ist der Übeltäter jedoch anonym, kann der Staatsanwalt bei schweren Delikten wie Cybermobbing oder der gefährlichen Drohung versuchen, die Anonymität aufzuheben. Bei Beleidigungen oder üble Nachrede liegt es am Opfer, die Identität des Users festzustellen – hier handelt es sich um “Privatanklagedelikte“, bei denen der Staatsanwalt im Vorfeld nicht aktiv ist. Für Privatpersonen ist es oft sehr schwierig bis unmöglich, die Identität eines anonymen Posters festzustellen.
Die zweite große Hürde: Viele Äußerungen sind zu vage, um juristische Konsequenzen nach sich zu ziehen. Schreibt ein User auf Facebook, “die Politiker gehören alle mit einer Eisenstange verprügelt“, dann ist dies eine unbehagliche Aussage, sie erfüllt aber keinen Tatbestand. Für eine gefährliche Drohung ist sie zu unkonkret, da eine solche gegen eine bestimmte Person gerichtet sein muss.
Diffuse Wut ist strafrechtlich nicht verboten – was ärgerlich, aber aus juristischer Sicht logisch ist. “Bedenken Sie nur: Wenn Sie außerhalb des Internet eine wütende Äußerung machen, wird dies meist auch nicht verfolgt werden. Mit der Reform versuchen wir, zumindest in jenen Fällen hart vorzugehen, wo wirklich eine Kampagne im Netz gegen jemanden stattfindet“, sagt Christian Pilnacek, der zuständige Sektionschef im Justizministerium. Er hofft, dass die Gesetzesänderung Strahlkraft hat.
Ähnlich sieht dies Barbara Frauendorff von der Kinder- und Jugendanwaltschaft, die gemobbte Teenager wie Rebecca betreut. Sie ist optimistisch: “Sicher wussten viele Jugendliche auch schon jetzt, dass es nicht in Ordnung ist, andere online fertigzumachen. Aber es macht einen Unterschied, ob etwas nur verpönt oder unter Strafe gestellt ist. Viele werden zurückschrecken, wenn sie wissen, dass sie schlimmstenfalls vor einem Richter landen.“
* Name geändert
Dieser Artikel erschien in “profil” (Ausgabe 30/15). Das Bild ist ein Screenshot von Amanda Todds Video.