Wieso Lügengeschichten so gut funktionieren

Jetzt online: Das Transkript & Video meines Vortrags von der Berliner Konferenz re:publica. Ich durfte über Falschmeldungen im Netz sprechen und warum sie so wirkungsvoll sind.

Etwas ist neu in der digitalen Debatte. Seit mehreren Monaten erleben wir ein Ausmaß an Falschmeldungen und Lügengeschichten, die es im deutschsprachigen Raum so bisher nicht gegeben hat. Das Faszinierende an diesen Fehlinformationen ist, wie ungeheuer erfolgreich sie sind und wie gut sie es schaffen, das politische Klima zu vergiften.

Ich möchte von einem Telefonat erzählen, das mich sehr zum Nachdenken gebracht hat. Es war ein Telefonat mit einer sogenannten “besorgten Bürgerin”. Ich habe zum Thema Lügenpresse recherchiert und Menschen kontaktiert, die sich besonders kritisch gegenüber Medien äußerten. Am Apparat hatte ich dann eine zweifache Mutter, eine Österreicherin, die anonym bleiben wollte, der die Angst regelrecht in der Stimme lag. Sie erzählte mir: “Ich steh in der Früh mit Zweifeln auf und leg mich abends mit Zweifeln nieder.

Ihre Zweifel werden auch auf Facebook genährt. Denn neben klassischen Medien konsumiert sie auch islamkritische bis islamfeindliche Seiten. Sie folgt zum Pegida, den selbsternannten “Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes”, dem umstritten Info-Direkt-Magazin oder eine Seite, die sich “der Infokrieger” nennt. Dort erhält die Frau dauernd erschreckende Geschichten, bekommt sie online auch eingeblendet, die sie sonst nicht liest.

Zum Beispiel erfuhr sie dort, dass es allerlei schlimme Meldungen über Skandinavien gibt, wonach beispielsweise blonde Frauen in Schweden sich die Haare schwarz färben würden aus Angst, sonst von Muslimen vergewaltigt zu werden. Rechte Blogs schreiben generell gerne über Schweden, dass es die “Hölle auf Erden” sei. Wirklich! “Hölle auf Erden” ist ein echtes Zitat.

Solche Horrorgeschichten sind natürlich Unsinn. Schweden ist eines der sichersten Länder der Welt, ich zum Beispiel kenne auch nach wie vor blonde Schwedinnen. Aber solche Behauptungen wirken. Und zwar nicht nur bei der besorgten Bürgerin, die ich am Apparat hatte. Sie wirken aufgrund der Wiederholung. Menschen bekommen diese Nachrichten dann immer wieder eingeblendet und sie fragen sich: Wenn ich das so oft lese, ist da nicht etwas dran? Ganz nach dem Motto: Wo Rauch ist, ist da nicht auch Feuer?

Das Internet ist nicht die Ursache dafür, dass es Falschmeldungen gibt. Es ist auch nicht die Ursache dafür, dass wir eine Polarisierung in der Gesellschaft beobachten können. Wohl aber ist es bei vielen Entwicklungen wie ein Katalysator, es treibt diese noch weiter an. Und wir können sehen, dass im Internet menschliche und technische Mechanismen dazu führen, dass Lügengeschichten besonders gut verbreitet werden. Ich will in diesem Vortrag zum einen diese Mechanismen beschreiben und zum anderen dann auch Lösungsvorschläge liefern, was wir tun können, wenn uns das nicht behagt.

buergerkrieg-meldung-fakeZuerst ein Beispiel: Vergangenen Herbst kursierte im Herbst die Meldung, dass Bürgerkrieg in Schweden ausgebrochen sei. Mir fiel diese Meldung zum Beispiel auf der Seite Asylterror.com auf. Am 23. November 2015 lautete dort die Überschrift: “Schweden: Offener Bürgerkrieg wegen der Flut an islamischen Migranten ausgebrochen.” Im Text stand dann: „Es ist tatsächlich passiert, wovor alle Bürger die Politik gewarnt hatten. In Schweden ist quasi eine Art Bürgerkrieg wegen der Flut von islamischen Migranten ausgebrochen.“ Diese Seite behauptete wirklich, es gäbe Bürgerkrieg in Schweden.

Wer näher hinsah, merkte, dass diese Seite überhaupt nicht recherchiert hatte. Sie hatte die Meldung von einem anderen Blog kopiert. Dort findet man wortgleich die selbe Meldung. Es handelt sich um die Seite brd-schwindel.org. Dort findet man Wort für Wort das gleiche noch einmal.

Die haben das aber auch nicht selbst recherchiert. Die Seite listet wieder eine neue Quelle auf: Wenn man dann weiterklickt, findet man das schweizmagazin.ch, eine Schweizer Seite. Die hat diese Meldung auch wortgleich gebracht.

Auch die haben das nicht selbst recherchiert. Sondern sie haben es von einer englischsprachigen Seite übernommen und übersetzt, konkret von “Powdered Wig Society”, ein amerikanisches, rechtes Blog. Hier war vom “Civil War” in Sweden die Rede. Aber selbst dies ist anscheinend nicht die ursprüngliche Quelle, auch die haben das nicht recherchiert.

Klickt man noch einmal weiter, kommt man zu “Jews News”, eine israelische Seite, die islamfeindliche Inhalte und Meldungen verbreitet, die oft nicht wirklich stimmen. Die haben die Meldung vom “Civil War” in “Sweden” in die Welt gesetzt. Wo haben die ihre Informationen her? Quellen werden dort keine genannt. Wenn man dann Ausschnitte aus dem Text googelt, findet man einen Artikel von RT.com – Russia Today.

Bei der Stelle lachen immer alle, aber ich möchte jetzt fair sein und sagen: Der Artikel von Russia Today ist gar nicht schlimm. Darin kommt beispielsweise nie das Wort “Bürgerkrieg” vor. In ihrem Text ging es um die drastische Zunahme von Brandanschläge auf schwedische Asyleinrichtungen. Das muss man sich einmal durch den Kopf gehen lassen: RT.com (eine vom russischen Staat finanzierte Seite) macht einen Beitrag, der nicht wahnsinnig tendenziös war. Sie schrieben über rechte Gewalt – und das islamfeindliche Blog Jews News macht dann eine Meldung daraus, dass Bürgerkrieg ausgebrochen sei. In meinen Augen werden da Flüchtlinge gleich zwei Mal unfair behandelt: Zuerst werden ihre Flüchtlingsheime angezündet und dann heißt es, sie hätten einen Bürgerkrieg ausgelöst, den es gar nicht gibt.

Hier wird versucht, rechte Gewalt als Aufstand von Bürgern darzustellen. Das ist schon ziemlich perfide. Und wir können an diesem Beispiel wunderbar erkennen, wie Desinformation um den Globus reist. Wenn dann ein Bürger in Deutschland die Worte “Schweden” und “Bürgerkrieg” in Google eintippt, dann findet er hunderte Ergebnis und denkt sich: “Wow, in Schweden muss die Situation echt furchtbar sein.” Wir sehen hier, wie Desinformation im Internet funktioniert, wie es zur Panikmache kommt: Mit dem Copy-Paste-Prinzip.

Die Frage ist aber: Warum ist das denn so effizient? Warum wirkt die Wiederholung von Lügengeschichten ungeheuer stark?
Die Frage ist aber: Warum ist das denn so effizient? Warum wirkt die Wiederholung von Lügengeschichten ungeheuer stark? Darauf können wir sehr interessante Antworten in der Kognitionswissenschaft finden. Der Psychologe Donald Hebb hat schon in den 1940er-Jahren festgestellt, wie Menschen lernen. Konkret mit der Wiederholung. In unserem Hirn werden Neuronen aktiv, wenn wir Ideen verarbeiten. Wenn wir mehrere Eindrücke gleichzeitig wahrnehmen, wenn in einem Satz mehrere Worte enthalten sind, dann feuern mehrere Neuronen gleichzeitig ab. Zwischen diesen Neuronen entstehen sogenannte synaptische Verbindungen. Je öfters diese Worte in einem Zusammenhang gebracht werden, desto stärker sind die synaptischen Verbindungen. Das nennt man die Hebb’sche Lernregel. Im Englischen gibt es dazu den schönen Merksatz: “Neurons that fire together wire together”. Neuronen, die gemeinsam losfeuern, die verbinden sich auch.

Jeder kennt das aus der Schulzeit: Wenn man sich merken will, dass die Französische Revolution im Jahr 1789 begann, sagt man diesen Satz möglichst oft auf – und irgendwann weiß man es dann. So lernen wir. Und je öfter ich höre, dass Bürgerkrieg in Schweden sei, je öfter ich die Information “Bürgerkrieg” und “Schweden” in Verbindung gesetzt bekomme, desto geläufiger ist diese Information auch in meinem Denken, desto mehr sickert sie bei mir ein. Das ist dann aber problematisch, wenn Menschen nur sehr einseitige Informationen erhalten. Wenn sie zum Beispiel hören, in Schweden ist Bürgerkrieg, aber niemanden aus Schweden kennen und auch keine Artikel lesen, in denen diese Gerüchte aufgeklärt werden. Dann gerät diese Information nämlich in den Hintergrund.

Dazu gibt es ein spannendes Buch von der deutschen Linguistin Elisabeth Wehling namens “Politisches Framing“. Sie schreibt darin: „Je häufiger Ideen sprachlich in einen Zusammenhang gestellt werden, umso mehr werden diese Zusammenhänge Teil unseres ganz alltäglichen, unbewussten Denkens, unseres Common Sense.” Eine Information, die wir kaum noch oder gar nicht mehr hören, die kann als gedankliche Alternative gar nicht mehr bestehen.

Das war schon immer so, das hat nichts mit dem Internet zu tun. Nur können wir im Netz eine Abschottung beobachten, bei der manche Bürger mit manchen Ideen und Fakten nicht mehr in Kontakt geraten. Eigentlich ist das traurig. Denn es ist an sich ja eine der wunderbarsten Facetten des Internets, dass ich mich total in meine Leidenschaft hineinsteigern kann. Ein Beispiel: Ich mag den Account “Emergency Kittens“, eines meiner liebsten Profile auf Twitter. Wenn man sich nicht so gut fühlt oder die Arbeit nervt, kann man dort jederzeit wunderbare Katzen finden. Das Ganze zeigt: Für jeden Geschmack, für jedes Interesse gibt es irgendwo im Netz eine dazugehörige Seite, oftmals einen Social-Media-Account. Dort findet man oftmals auch Gleichdenkende. Genau das macht das Internet zu so einem schönen Erlebnis.

Nicht mehr so schön ist die Sache allerdings dann, wenn es zur digitalen Abschottung kommt, Wissenschaftler nennen das die “Echokammer”. Das sind digitale Räume, in denen Menschen Information beziehen, die genau ihrem Weltbild entspricht, und sich mit anderen Personen austauschen, die das genau gleich sehen. In diesen Echokammern hallt auch die eigene Meinung wie ein Echo zurück.

Gerade in den sozialen Medien, in denen jeder User seinen eigenen Feed sich zusammengestellt, ist diese Angst vor der Echokammer aktueller denn je. Es ist sogar so, dass wir diese Kammern schon messen können.

Im Internet wäre der Andersdenkende zwar nur einen Mausklick entfernt, aber dieser Mausklick passiert oft nicht
Italienische Forscher vom Labor für Computational Social Science in Lucca haben in einer groß angelegten Untersuchung aufgezeigt, dass es diese Echokammern gibt. Sie haben dabei Facebook analysiert. Konkret 32 Facebook-Fanpages, die Verschwörungstheorien verbreiten, und 35 Seiten, die Wissenschaftsneuigkeiten teilen. Sie analysierten, welche Beiträge diese Seiten in den vergangenen fünf Jahren verbreitet haben, welche User dort etwas kommentiert oder interagiert haben und ob diese unterschiedliche Nutzer auch in einen Austausch traten. Es zeigte sich, das passiert kaum. Die Anhänger von Verschwörungstheorien bleiben großteils unter sich. Sie haben wenig Kontakt mit den Anhängern von Wissenschafts-News. Ein Detail am Rande: Kommen diese Gruppen dann doch zusammen, das kann man messen, dann verstehen sie sich überhaupt nicht gut. Im Internet wäre der Andersdenkende zwar nur einen Mausklick entfernt, aber dieser Mausklick passiert oft nicht. Das macht das Netz so ungeheuer attraktiv für Menschen, die mit Halbwahrheiten und mit Falschmeldungen hantieren wollen. Wir können im Netz auch Echokammern der Wut und der Angst beobachten, in denen dazu auch dazugehörige Meldungen und Falschmeldungen zirkulieren.

Ich habe ein Buch über den “Hass im Netz” geschrieben und darin auch zwei Typen von problematischen Nutzern vorgestellt, die für sehr viel Frust im Netz verantwortlich sind. Das eine sind die klassischen Trolle: Diese User wollen provozieren. Sie verfassen naiv scheinende oder total verletzende Wortmeldungen mit der Absicht, dass Menschen gar nicht anders können, als sich daraufhin gekränkt oder wütend zu fühlen. Diese Nutzer fühlen sich dann emotional erhaben. Trolle sind oftmals auch von Sadismus getrieben, fand eine kanadische Studie heraus namens “Trolls just want to have fun”.

Wenn wir jedoch von den Falschmeldungen im Netz reden, ist die zweite Gruppe die relevantere: Ich nenne diese Menschen “Glaubenskrieger”. Das sind Nutzer, die total von einer Sache eingenommen, die einen fast schon religiösen Eifer besitzen rund um ein politisches Thema oder eine Verschwörungstheorie. Oftmals glauben sie, eine Bedrohung erkannt zu haben, die der Rest der Menschheit noch nicht so ganz verstanden hat. Das kann beispielsweise die Sorge sein, dass “der große Austausch” stattfindet, bei dem die Bevölkerung durch Muslime ersetzt würde. Eine andere These ist, dass die Kondensstreifen am Himmel von Flugzeugen in Wahrheit ein Komplott der Chemieindustrie und der Politik sei, um uns alle zu vergiften – die sogenannte “Chemtrails-Theorie”.

Diese vermeintlichen Bedrohungen rechtfertigen es in den Augen der Nutzer auch, so vehement und aggressiv aufzutreten. Ich nenne sie Glaubenskrieger, weil sie ein regelrecht martialisches Debattierverhalten zeigen, bei dem sie andere oft auch wegpöbeln. Viele kennen das sicher aus Diskussionen. Wenn man diesen Usern dann widerspricht, heißt es, man sei ahnungslos, naiv oder gar selbst ein Lügner.

Im Rahmen der Recherche für mein Buch habe ich mich dann aber auch gefragt: Na ja, ist nicht jeder von uns ab und zu ein Glaubenskrieger? Ist nicht jeder von uns manchmal ein bisschen unfair oder macht es sich argumentativ zu einfach?

Im Grunde sind wir Menschen nicht so neutral, wie sich das jeder von uns einredet. Psychologen haben festgestellt, dass wir Menschen eine “selektive Zuwendung” aufweisen. Wir suchen eher Information, die unserem Weltbild entspricht. Auf Englisch nennt sich das “selective exposure”. Information, die dann zu unserem Weltbild passt, schenken wir auch mehr Aufmerksamkeit, die werten wir höher ein, das ist der “Confirmation Bias“. Im Gegensatz dazu: Eine Information, die uns nicht in den Kram passt, die wird von uns nicht ganz so ernst genommen, der sogenannte “Disconfirmation Bias”. All diese Vorgänge werden auch als “motivated reasoning” bezeichnet, als motiviertes Denken.

Diese Vorgänge passieren unbewusst und sie passieren jedem von uns. Interessanterweise können wir uns aber antrainieren, nicht ganz so unsachlich und unfair mit widersprüchlicher Information umzugehen. Das Wichtigste ist die Fähigkeit zu behalten, noch mit Andersdenkenden sachlich diskutieren zu können.

Dazu gibt es zwei interessante Studien, die der Kommunikationwissenschaftler Dietram Scheufele von der University of Wisconsin mit Kollegen durchgeführt hat. Die erste breit angelegte Untersuchung zeigt, wie wichtig heterogene Netzwerke sind. Bürgere beispielsweise, die auf ihrem Arbeitsplatz oft mit Andersdenkenden in Kontakt kommen, kennen sich inhaltlich oft besser aus, sie konsumieren mehr Medien und sie bringen sich auch politisch häufiger ein. Die Studie trägt den schönen Titel: “Democracy based on Difference”. Demokratie basierend auf Unterschieden.

Durch die Diskussion mit Andersdenkenden finden wir auch die blinden Flecken in unserer eigenen Logik
Das zweite Experiment von Dietram Scheufele macht dies noch anschaulicher: Studienteilnehmer mussten sich auf eine Diskussion zum Thema Nanotechnologie vorbereiten. Das eine Drittel der Probanden bekam die Information, sie würden mit Gleichdenkenden sprechen. Dem zweite Drittel wurde gesagt, sie würden mit Andersdenkenden sprechen. Und dem Rest wurde gar keine nähere Information gegeben. Die Forscher haben die Menschen dann an einen Computer gesetzt und beobachtet, was sie zur Vorbereitung lesen. Besonders spannend waren jene Studienteilnehmer, die sich mental darauf einstellten, mit Andersdenkenden zu diskutieren. Diese User lasen vor allem Kommentare von Menschen, die eine andere Meinung haben. Sie stellten sich geistig auf Gegenargumente ein und wollten sich inhaltlich gefasst machen. Je mehr wir rechnen, sachlich mit Andersdenkenden diskutieren zu müssen, desto mehr denken wir auch die Argumentation des anderen durch und desto mehr stoßen wir letztlich auf unsere eigenen blinden Flecken. Das ist das Wichtige daran.

Vermutlich kennen das viele: Man diskutiert mit einem Arbeitskollegen, der die meisten Dinge ganz anders als man selbst sieht. Und dieser Arbeitskollege bringt ein Argument in die Diskussion ein, das man noch nie gehört hat und man es dementsprechend auch nicht kontern kann. Abends liest man dann zum Beispiel auf der Wikipedia nach und denkt sich: “Oh, da hätte ich das erwidern können.” Oder auch: “Stimmt, hmmm.” Aber wenn dieser Kontakt nicht mehr stattfindet, wenn ich mich selbst nicht mehr herausfordern lassen muss, dann besteht die Gefahr, dass ich es mir argumentativ immer leichter mache. Wir hinterfragen unseren eigenen Standpunkt, nicht weil das einfach ist, sondern weil wir im Kontakt mit Andersdenkenden dazu gezwungen werden. Im Face-to-Face-Umgang kann man den Andersdenkenden nicht immer sofort als “Lügner”, “verblendet” oder “naiv” bezeichnen.

Das Problem: In den digitalen Echokammern findet dieser Austausch selten statt und wenn er stattfindet, ist er konfliktgeladen. Das sehen wir, wenn Menschen beispielsweise die Korrektur einer Falschmeldung erhalten. Wir beobachten, dass manche Bürger dieser Korrektur dann nicht mehr glauben wollen. Dies zeigen Sätze wie: “Das hätte aber wahr sein können.” Oder: “Für mich stimmt die Nachricht weiterhin!”

Das ist schon irritierend, wenn Menschen auf Richtigstellungen nicht eingehen wollen. Im schlimmsten Fall geht es aber noch einen Schritt weiter: Manchmal passiert es, dass Menschen mit der Korrektur einer Falschmeldung konfrontiert werden, und danach umso mehr die Falschmeldung glauben. Das nennt man den “Backfire Effect“, der Schuss geht sozusagen nach hinten los.

Etliche Untersuchungen zeigen das bereits auf. Eine besonders interessante Studie fand zum Thema Impfen statt: Es gibt extrem viele Gerüchte rund um Impfungen, beispielsweise dass diese Autismus bei Kindern auslösen würden. Das stimmt nicht. Der Politologe Brendan Nyhan hat mit Kollegen eine Untersuchung gemacht: Mehr als 1700 amerikanische Eltern wurden mit Informationen zum Thema Impfen versorgt, mit Bildmaterial, mit schriftlichem Aufklärungsmaterial. Die Forscher überprüften, wie das die Einstellung der Eltern zur Thematik veränderte. Gerade die überzeugtesten Impfgegner haben mit dem Gegenteil des gewünschten Effekts reagiert. Jene Väter und Mütter, die Impfungen schon vorher stark ablehnten, waren nachher umso weniger bereit, ihre Kinder impfen zu lassen. Das ist eigentlich schockierend, denkt man darüber nach, dass man Kinder impfen lassen soll, damit sie nicht an gewissen Krankheiten sterben. Je mehr Kinder geimpft sind, desto niedriger ist auch die Wahrscheinlichkeit in der Gesamtpopulation, dass ein solcher Todesfall eintritt.

Angesichts all der Mechanismen, die ich beschrieben habe, stellt sich die Frage: Was können wir tun? Offensichtlich funktioniert die Verbreitung von Lügen im Netz herausragend gut.

Ich möchte drei Strategien gegen Falschmeldungen im Netz präsentieren. Der erste Schritt: Wenn ich all dies erzähle, kommt oft die Frage, ob wir auf Korrekturen gänzlich verzichten sollten. Das wäre aber total falsch. Dieser Backfire Effect betrifft vor allem extrem überzeugte, unbeirrbare Menschen. Ein großer Teil der Bürger sind nicht total von solchen Ideen eingenommen – viele Bürger sind noch erreichbar. Für die sind solche Korrekturen von Falschmeldungen sinnvoll.

Wenn man Korrekturen verfasst, gibt es aber handwerkliche Fehler, die man vermeiden sollte. In den USA gibt es zum Beispiel das hartnäckige Gerücht, dass Barack Obama ein Moslem sei. Das ist natürlich ein Unsinn. Die erste Reaktion vieler Menschen auf diese Falschmeldung, ist zu sagen: “Nein, Barack Obama ist kein Moslem.” Das ist naheliegend. Es ist jedoch besser auf diese Falschmeldung mit dem Satz zu antworten: “Nein, Barack Obama ist Christ.”

Wenn ich meine Richtigstellung so formuliere, wiederhole ich die falsche Aussage in meiner Antwort nicht noch einmal. Wenn ich die Falschmeldung – auch nur in einer Verneinung – wiederhole, besteht die Gefahr, dass sich Menschen vor allem die falsche Aussage merken. Denn sie wird dabei wiederholt.

Deswegen sollte man Richtigstellungen affirmativ formulieren. Nehmen wir die Behauptung: “Der Großteil der Vergewaltigungen wird von Flüchtlingen begangen.” Darauf kann man antworten: “Nein, der Großteil der Vergewaltigungen in Deutschland wird von deutschen Staatsbürgern durchgeführt.” Das stimmt ja auch.

Die zweite Lösung ist schon etwas komplexer. Wie schon gesagt, gibt es einen Teil der Bürger, die für manche Informationen nicht mehr erreichbar sind. Was machen wir mit denen? Eine richtig gute Strategie gibt es nicht, aber die Idee einer Gegenstrategie: Vielleicht ist es gar nicht das Wichtigste in einer Demokratie, dass alle Menschen alles gleich sehen oder alle Fakten anerkennen. Womöglich ist das Wichtigste, dass wir uns zumindest bei den ganz wichtigen Fragen auf Kompromisse einigen können.

In den USA gibt es ja viele Bürger, die nicht an den Klimawandel glauben, geschweige denn, dass Menschen diesen Klimawandel mitverursacht haben. Vor allem republikanische Wähler streiten das oft ab. Es gibt aber moderate republikanische Politiker, die sehr wohl an den Klimawandel glauben und die ihre Wähler überzeugen wollen, dass umweltschonende Technologien etwas Sinnvolles sind. Wie gehen die dabei vor? Die sprechen nicht von “Climate Change”, die versuchen dieses Wort zu vermeiden, das ist für ihre Wähler toxisch. Stattdessen sprechen sie darüber, dass die Chinesen in Zukunft umweltschonende Technologie kaufen werden. Und sie sagen quasi: “Wenn nicht wir die Technologie entwickeln, entwickeln die die Deutschen. Und die Deutschen kriegen dann das ganze Geld der Chinesen.” So wird erklärt, warum die USA solche Produkte entwickeln sollen. Diese Politiker appellieren also an Werte, die republikanischen Wählern wichtig sind – wie Wettbewerb, Innovation, das Anhäufen von Reichtum.

So kann man vielleicht manchmal doch einen Konsens herstellen: Nicht weil man die Fakten gleich wahrnimmt, sondern weil es verbindende Werte gibt oder auch unterschiedliche Werte zu einem Konsens führen können. Hier beispielsweise zum Konsens, dass Amerikaner es einsehen, wenn umweltschonende Technologie gefördert wird.

In der Flüchtlingsdebatte könnte ein solcher Konsens lauten, dass – egal, wie man über Flüchtlinge denkt – es Common Sense sein sollte, dass man Gewalt ablehnt. Wenn wir solche Mindest-Grundsätze noch erhalten können, ist schon viel erreicht.

Das führt mich zum dritte Ratschlag: Es gibt Untergriffe, die sind so bösartig und so verletzend, dass man die nicht einfach so stehenlassen kann. In diesem Fall sollte man juristische Schritte ergreifen.

glawischnig-fakeDazu ein recht aktueller Fall aus Österreich: Das ist Eva Glawischnig, die Parteichefin der österreichischen Grünen. Über sie sind vergangenen Sommer und Herbst immer mehr Lügengeschichten aufgetaucht. Vor allem erfundene Zitate, die sie in ein ganz schlechtes Licht rücken. Ein Sujet sagt beispielsweise: „Schutzsuchende müssen das Recht haben auf Mädchen loszugehen! ‚Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber!‘“ Hier wird suggeriert, dass diese Spitzenpolitikerin es völlig in Ordnung fände, wenn Asylwerber Mädchen vergewaltigen würden. Viele Nutzer glaubten das tatsächlich. Man kann sich vorstellen, wie die Debatte dann auf Facebook lief. Das war ganz übel. Glawischnig wurde selbst mit Gewalt gedroht. Es fielen schlimmste Worte.

Die Grünen sind dagegen juristisch vorgegangen, insgesamt laufen 27 Verfahren gegen 15 Bürger. In den Fällen, die bisher entschieden worden sind, haben die Grünen alles gewonnen. Die Partei hat nur die eindeutigsten Fälle angezeigt. Interessanterweise sah man bei diesen Sujets auch, dass ein Teil aus der rechten und rechtspopulistischen Szene kam. Das kommt aus einem gewissen Spektrum des politischen Diskurs. Es geht bei diesen Klagen auch darum, eine Linie zu ziehen: Dass es nicht in Ordnung ist, Politik mit Lügen zu machen. Ich halte diese Form der juristischen Notwehr für berechtigt. Wenn jemand Lügen als Waffe einsetzt, soll sich der Betroffene auch wehren können. Juristisch ist die Situation absolut klar: Niemand hat das Recht, mit Unwahrheiten andere Menschen fertigmachen zu dürfen.

Es braucht dementsprechend auch eine Justiz, die diese Themen ernst nimmt. Und es braucht IT-Unternehmen, die schwer verletzende strafrechtlich relevante Inhalte tatsächlich zeitnah entfernen, wenn sie gemeldet werden. Ich spreche hier natürlich von Facebook, das eine große Verantwortung hier hat.

Zum Schluss möchte ich eine grundsätzliche Frage aufwerfen: Werden wir diese Lügengeschichten im Netz irgendwann los? Ich bezweifle das. Denn dass solche Falschmeldungen kursieren, dass damit Angst und Politik gemacht werden, das ist an sich nichts Neues. Das ist nicht erst seit dem Internet, sondern wahrscheinlich sehr menschlich.

Sehr wohl aber glaube ich, dass wir diese Thematik nicht so hinnehmen müssen, wie sie derzeit ist. Wir können besser werden: Wir können es den Fälschern zumindest eine Spur schwerer machen.

 

Vielen Dank an die re:publica, die den Vortrag aufzeichnete! Diese Mitschrift wurde zur besseren Lesbarkeit sprachlich leicht adaptiert. 

Kommentare

  1. Und WAS, wenn UNSER SYSTHEM durch die “Belohnungen” der Lügner LÜGNER produziert ?
    Jedes Kindergartenkind
    wird es Ihnen sagen:
    “Das Fernseh’n lügt “.

  2. ich denke mir, da fehlt was, dieser Artikel behandelt meiner Meinung nach nur oberflächlich eine Seite, also die Lügen. was aber überhaupt nicht angesprochen wird ist die Wahrheit, die immer die Basis bildet und lediglich weitergestrickt, übertrieben usw … wird. der Misstrauen, die Unzufriedenheit etc. ist extrem groß in unseren “westlichen” Gesellschaften, diese kommt nicht von Ungefähr und ist auch nicht unbegründet. wer sich diesem einfach nur über die Lügengeschichten nähert, wird dem Thema nicht gerecht. die Wahrheit ist nämlich furchterregend genug, wie manche einbilden ihre eigenen Interessen der Welt aufzubomben. die Lügengeschichten und Propaganda nur irgendwelchen Untergrundseiten zuzuordnen ist mMn schon ein großer Fehler!

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