Rein rechtlich hätte es die anonyme Facebook-Seite “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” gar nicht geben dürfen: Sie hat die Transparenzpflichten des Mediengesetz verletzt. Der Fall zeigt, wie gefährlich und rechtswidrig anonyme Seiten im Wahlkampf sind.
Es ist die wohl bisher brisanteste Enthüllung in diesem Wahlkampf: Hinter der Dirty-Campaigning-Seite “Die Wahrheit hinter Sebastian Kurz” steckt der SPÖ-Berater Tal Silberstein, berichten profil und Presse. Die Facebook-Page sollte so aussehen, als käme sie aus dem rechten Eck, um dann politische Schmutzwäsche zu verbreiten. Wie übel die Methoden dieser Seite waren, habe ich schon mal hier beschrieben.
Nun ist dies natürlich ein politischer Super-GAU für die SPÖ – allerdings ist auch die juristische Ebene sehr interessant. Derartige anonyme Facebook-Seiten verstoßen gegen das österreichische Mediengesetz, das bestätigten mir auf Nachfrage die fachkundigen Rechtsanwälte Maria Windhager und Michael Pilz.
In Wirklichkeit dürfte es solche anonymen Seiten auf Facebook gar nicht geben: Nach österreichischen Medienrecht würden Transparenzpflichten gelten, mindestens Name und Anschrift des Verantwortlichen müsste auf dieser Seite stehen. Juristisch gilt die sogenannte “Impressumspflicht” und/oder “Offenlegungspflicht”. Denn auch Pages auf Facebook sind – ebenso wie normale Webseiten – aus juristischer Sicht ein Medium im Sinne des Paragraf 1 des Mediengesetzes. Sie müssen transparent machen, wer dahinter steht.
Als Medium wird in §1 Mediengesetz definiert: “jedes Mittel zur Verbreitung von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt in Wort, Schrift, Ton oder Bild an einen größeren Personenkreis im Wege der Massenherstellung oder der Massenverbreitung.” In Paragraf 24 wiederum ist die Impressumspflicht verankert, in Paragraf 25 die Offenlegungspflicht.
Ihre Verantwortlichen verheimlichte die Seite “Die Wahrheit über Sebastian Kurz”. Dort stand lediglich unter dem Punkt “Info” lediglich: “Die Wahrheit über Sebastian Kurz – den größten Wendehals der zweiten Republik. Wir zeigen auf, wie sich der junge ÖVP-Chef nach dem Wind dreht, wie er populäre Forderungen anderer Parteien einfach kopiert und wer die Strippenzieher hinter der politischen Marionette Kurz sind.”
Diese fehlende Information ist rechtswidrig. Eine anonyme Seite wie “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” dürfte es gar nicht geben – hier hätten mindestens Medieninhaber (anscheinend Tal Silberstein) und eine konkrete Adresse angegeben werden müssen.
Warum ist dieses Detail relevant? Weil wir auf Facebook ein immenses Problem mit anonymen, aber politisch agierenden Facebook-Pages haben: Etliche anonyme Seiten machen Stimmung im Wahlkampf, darunter Accounts wie “Freunde der Wahrheit” oder angriffige Satire-Seiten wie “Verein Freunde der Tagespolitik”. Sie alle haben gemein, dass ein richtiges Impressum fehlt und der Nutzer nur vermuten kann, wer denn dahintersteckt. “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” ist bisher das extremste Beispiel, wie weit diese Irreführung gehen kann: Hier wird nicht mit offenem Visier gekämpft – und nebenbei das Mediengesetz gebrochen.
Es ist extrem wichtig, dass wir anfangen, auf das Mediengesetz und Transparenz zu pochen: Es ist nicht in Ordnung, wenn anonym agierende Fanpages Stimmung im Wahlkampf machen. Die Versuchung für Parteien ist zu groß, derartige anonyme Tools für Schmutzwäsche zu gebrauchen.
Was können wir tun? “Die Rechtslage ist an sich ja klar: Aber tatsächlich wäre es gut, wenn mehr Menschen solche anonymen und politisch agierenden Seiten auch anzeigen. Mir sind derartige Fälle aber kaum bekannt”, sagt Medienanwältin Maria Windhager. Anzeigen kann man diesen Verstoß bei der Bezirksverwaltungsbehörde – in Wien beispielsweise das Magistrat. Selbst wenn solche Anzeigen (bei einem einmaligen Verstoß) vermutlich nur niedrige Strafen hervorbringen, hätte dies eine Signalwirkung. “Zweitens wäre es gut, wenn Plattformen wie Facebook von vornherein auf die Impressumspflicht und/oder Offenlegungspflicht hinweisen: Wenn man eine Facebook-Seite anlegt, sollte es ein eigenes Formular geben, wo man diese Information eintragen kann. Den meisten Nutzerinnen und Nutzern ist vermutlich gar nicht bewusst, dass ihre Facebook-Page eine solche Transparenz benötigt.” Diese Transparenz ist deswegen auch nötig, damit in juristischen Streitfällen eine zuständige Person identifizerbar und notfalls klagbar ist.
Es geht hier nicht einfach nur darum, spröde Rechtsvorschriften einzuhalten: Diese anonymen Facebook-Seiten ohne Impressum bergen ein enormes Missbrauchspotenzial – natürlich ist es ungeheuer verlockend für Parteien, über den politischen Gegner unerkannt hart anzuschreiben. Doch genau dafür gibt es eigentlich ein Impressum: Wer im großen Maße öffentliche Botschaften verbreitet, soll identifizierbar sein. Auch ist dies notwendig, damit sich Opfer von übler Nachrede oder Beleidigungen notfalls zur Wehr setzen können.
Der aktuelle, schockierende Fall der Seite “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” zeigt, was passieren kann, wenn dieses Mindestmaß an Transparenz in der politischen Debatte nicht eingehalten wird.
Nachtrag – wichtige Ergänzung: Was passiert, wenn man bei der Bezirksverwaltungsbehörde Anzeige gegen eine anonyme Fanpage auf Facebook einreicht – allerdings eben nicht bekannt ist, wer dahinter steckt? Letztlich wäre Facebook als sogenannter “Host-Provider” verpflichtet, der Behörde Auskunft zu erteilen. Wenn die zuständige Behörde also ernsthaft ermittelt und auch Facebook als “Host-Provider” kontaktiert, wäre in diesem Fall Facebook verpflichtet, Infos zum Verfasser der rechtswidrigen Seite mitzuteilen. Das geht aus der E-Commerce-Richtlinie hervor, die in der ganzen EU gilt. Die Realität sieht bisher so aus, dass das Mediengesetz zwar gültiges Recht ist, aber wenig Konsequenzen bringt: Deswegen ist es wichtig, hier einerseits von Behörden einzufordern, solche Fälle auch ernsthaft zu verfolgen, und von Facebook wiederum einzufordern, solche anonymen Seiten nicht länger anonym zu lassen. Wir können hier sehr wohl etwas tun, um wieder mehr Transparenz in die politische Debatte zu bringen.
Alle Screenshots stammen von den genannten Facebook-Seiten, die Seite “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” ist mittlerweile offline. Danke Maria Windhager und Michael Pilz für ihre juristische Auskunft am Wochenende!
View Comments (2)
Dank für diesen Post!
Die besagten Facebook-Seiten haben übrigens auch die "Nutzungsbedingungen für Facebook-Seiten" verletzt: "Seiten dürfen keine falschen, irreführenden, betrügerischen oder täuschenden Behauptungen oder Inhalte enthalten." (IV. Seiteninhalte, D.)
Impressum: Ein solches Formular gibt es im Info-Bereich der Seite, allerdings ist es keine Pflicht-Angabe. Dennoch schreibt Facebook zumindest folgendes: "Dieses Feld ist optional. In einigen Ländern wie Österreich, Deutschland und der Schweiz, können Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet sein, Angaben zur Inhaberschaft auf ihrer Webseite zu machen. Das Limit beträgt 2.000 Zeichen."
Und wenn die gar so amoralische Seite eine 'false flag operation' ist, anonym und jedem unterschiebbar? Hier wird Silverstein als Sündenbock vorgeführt. Leider ist er bis auf Weiteres nicht erreichbar..