Gerade wenn die Zeiten ernst sind, sollte man nicht Doomscrolling betreiben und all seine Zeit mit digitalen Medien verbringen.
Wir Internetnutzer sind ja manchmal wie das Kaninchen vor der Schlange: Wir sind fixiert auf das, was uns Angst oder wütend macht. Gerade in unbehaglichen Zeiten kann man stundenlang, tagelang auf die Bildschirme schauen, ständig in der Erwartung, eine weitere schlechte Nachricht in den Social-Media-Feeds oder den Livetickern der Online Medien zu finden. In den USA wird diese masochistische Praktik mittlerweile “Doomscrolling” genannt.
Kein Wunder, dass gerade die Amerikaner diesen Begriff erfunden haben: Mit ihrem Neverending-News-Cycle, den aufgeregten 24-Stunden-Nachrichtensendungen und der hocherhitzten US-Debatte auf Social Media kann man dort leicht den Eindruck bekommen, man müsse permanent live am Screen dabei sein. Aber auch bei uns, im kleinen Österreich, fühlt es sich manchmal so an, als wäre es vernünftig, permanent mitzulesen.
Wenn also ein Ausnahmezustand wie der Lockdown passiert, kann man den Drang verspüren, ständig informiert zu sein, auf die nächste wichtige oder zumindest halbwichtige Neuigkeit zu warten, die vielleicht gleich im Feed auftaucht. Soziale Medien begünstigen das natürlich auch, weil sie immer eine weitere Neuigkeit einblenden können, weil man permanent auf “Aktualisieren” klicken und weiterlesen kann. Diese Plattformen sind genau für dieses stundenlange Mitlesen programmiert worden.
Doch Doomscrolling ist Zeitverschwendung. Einerseits passiert oft stundenlang oder tagelang ohnehin nichts wirklich Neues. Auch kann man die Frage aufwerfen, ob manch eine Pressekonferenz überhaupt die Zeit wert ist, die sie in Anspruch nimmt. Anstatt live zuzuschauen und mitzuscrollen, könnte man in Ruhe spazieren gehen, einen guten Film schauen oder einfach die Küche zusammenräumen. Andererseits ist das Problem an Doomscrolling auch, dass man eine ohnehin belastende Situation noch stärker auf sich einwirken lässt, wenn man auf Social Media einen entnervten Post nach dem anderen liest.
Ich stimme zu, dass die Situation verärgernd, nervenaufreibend und verunsichernd ist. Nur spricht gerade das dafür, sich zwischendurch eine Pause davon zu gönnen und nicht nur physisch, sondern eben auch gedanklich durchzulüften.
Diese Kolumne ist im November 2020 im Nachrichtenmagazin “profil” erschienen – weitere Kolumnen finden Sie hier. Bild: Pixabay/Canva