Das Handy als Peilsender? Auch die EU erkennt nun die Gefahr

Es bleibt noch eine Woche. Ende April wird der Nationalrat die wohl umstrittenste EU-Richtlinie in österreichisches Recht umsetzen müssen: die “Vorratsdatenspeicherung“.

Dieses Regelwerk dreht alles um. Plötzlich braucht es keinen konkreten Tatverdacht, keinen richterlichen Befehl mehr, um die Handy- und Computerdaten der gesamten Bevölkerung aufzuzeichnen. Für ein halbes Jahr wird gespeichert, wann Bürger mit wem wo und wie lange telefoniert hat, wann er eine SMS oder E-Mail verschickt hat. Das ist praktisch für die Polizei, das Handy wird rückwirkend zum Peilsender des Bürgers. Früher hatten die Telekomunternehmen viele dieser Daten für “Verrechnungszwecke“ gespeichert. Nun müssen sie es für den Staat tun. Ein Paradigmenwechsel.

Die EU hat dies 2005 im Schatten der spanischen Terroranschläge beschlossen – mit Zustimmung der damaligen BZÖ-Justizministerin Karin Gastinger. Bis Ende des Monats muss der Nationalrat die Richtlinie umsetzen, sonst drohen Millionenstrafen. Die grundrechtsaffinere rote Verkehrsministerin Doris Bures – die für die Umsetzung zuständig ist – zierte sich zwar. Doch Widerstand ist zwecklos. EU-Recht geht vor nationales Recht.

Doch nun wird das Überwachungsgesetz sogar in Brüssel infrage gestellt. Diese Woche veröffentlichte die EU-Kommission ihren Evaluationsbericht. Sie hält am pauschalen Speichern zwar weiterhin fest, weist aber selbst auf Probleme hin: In manchen Staaten dürfen nicht nur Polizei, sondern auch Militär und Geheimdienste auf die Daten zugreifen.

Die EU-Kommission will die Richtlinie deshalb überarbeiten, eventuell abschwächen. Sie hört die Signale europäischer Höchstgerichte. In Deutschland, Tschechien und Bulgarien wurde die Umsetzung von Verfassungsgerichten gekippt. In Rumänien entschied das Höchstgericht, dass die Richtlinie gegen die Menschenrechtskonvention verstößt.

Auch deshalb geben in Österreich einige Bürgerrechtler die Hoffnung nicht auf. Sie schlagen der Regierung vor, den Gesetzesentwurf bis zur Unkenntlichkeit abzuschwächen oder notfalls die Strafzahlungen in Kauf zu nehmen.

Noch wichtiger wäre es, die Richtlinie dort zu bekämpfen, wo sie herkommt – in Brüssel. Die Beispiele Deutschland, Tschechien und Bulgarien zeigen, dass es genügend Verbündete gäbe. Die Sicherheitsdebatte hat sich ja seit den Anschlägen von Spanien wieder normalisiert. Nun ist es Zeit, Freiheit und Sicherheit anders abzuwägen.

 

Dieser Kommentar ist im Falter 16/11 erschienen. Mittlerweile hat die Regierung die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Foto: Flickr-User jpbader

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