Hoffnung in kalten Zeiten
Der Schriftsteller Albert Camus schrieb einmal: „Mitten im Winter erfuhr ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher, unbesiegbarer Sommer ist.“
Dieser berühmte Satz stammt aus der Erzählung „Heimkehr nach Tipasa“, in der Camus seine algerische Heimat besucht und sich an seine Jugend und das „Verlangen zu leben“ erinnert. Doch das fällt ihm zunächst schwer: Camus hat zu diesem Zeitpunkt einen Weltkrieg durchlebt, er fühlt sich alt. Noch dazu ist Winter in Algerien, es regnet zuerst unerbittlich.
Doch eines Morgens kommt die Sonne hervor. Camus berichtet: „Ich fand jene frühere Schönheit wieder, den jungen Himmel, und erkannte mein Glück, dass ich durch die ärgsten Jahre des Wahns hindurch die Erinnerung an diesen Himmel in mir bewahrt hatte. Er war es, der mich vom Verzweifeln abgehalten hatte.“ Für mich drückt diese Passage aus, was Hoffnung ist. Unsere Gegenwart erlebe ich als einen gesellschaftlichen Winter, verbunden mit einem Erstarken von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien.
Diese Parteien nutzen eine Form der Kommunikation, bei der sie bei Menschen Wut auslösen – eine aktivierende Emotion. Oft auch Wut, die sich gegen Minderheiten richtet und Menschen, die ohnehin schon zu den gesellschaftlich schlechter gestellten zählen. Da wird dann auch voller Inbrunst und mit dem Gefühl, etwas Besseres zu sein, gegrölt, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.
In solchen Momenten, die sich klirrend kalt anfühlen, denke ich an Albert Camus, der in sich selbst inmitten des Winters einen unvergänglichen und unbesiegbaren Sommer fand. Für mich bedeutet es, einen „unvergänglichen, unbesiegbaren Sommer“ ich sich zu tragen, daran zu glauben, dass es auch wieder andere politische Zeiten geben kann. Und dass auch andere Emotionen Menschen beflügeln und politisch antreiben können – nicht nur die Wut.
Diese Vielfalt an Emotionen wurde auch wissenschaftlich untersucht. Eine Studie der Psychologen Thomas Schubert und David Grüning hat neben der Emotion Wut, die jede und jeder von uns gut kennt, auch die weniger bekannte Emotion „Kama Muta“ untersucht. Der Begriff „Kama Muta“ stammt aus dem indischen Sanskit und beschreibt sprachübergreifend jene Emotionslage, bei der wir uns ergriffen fühlen, also berührt oder gerührt. Mich hat dieses Gefühl beschlichen, als ich ein Tiervideo sah, in dem ein Äffchen auf seinen Arm deutet – prompt kommt ein zweites Äffchen hinzu und lässt sich umarmen. Kama Muta gibt es aber auch in politischen Zusammenhängen.
Die Psychologen Schubert und Grüning testeten in den USA Wahlkampfvideos, die entweder Wut oder Kama Muta erzeugten. Sowohl Menschen, die Wut spürten, als auch die, die von Kama Muta berührt waren, zeigten sich politisch motiviert, wollten dann eher den jeweiligen Kandidaten oder die Kandidatin bei der Wahl unterstützen. Denn selbstverständlich können auch positive Emotionen Menschen antreiben.
Das bringt mich zurück zu Albert Camus. In der Erzählung erlebt er zuerst einen verregneten, unwirtlichen Winter: Aber als dann ein schöner sonniger Tag aufkommt, genügt ihm das, um sich wieder an das Schöne und Hoffnungsspendende zu erinnern.
Hoffnung heißt nicht, die Welt zu verklären und sie als schöner zu zeichnen, als sie ist. Hoffnung bedeutet, sich in unschönen Momenten zu erinnern, dass sie anders sein kann.
Diesen Essay habe ich für die Sendung “Politisches Feuilleton” von Deutschlandfunk Kultur verfasst und eingesprochen. Man kann sich den Beitrag auch als kurzen Podcast hier anhören.
Bild erstellt von DALL:E
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Das Bitcoin schürfen sollte verboten oder arg besteuert werden, denn ein normaler User mit einem herkömmlichen PC hat da eh keinerlei Chancen.
Tatsächlich ist das Bitcoin-Schürfen ein Geschäft, das sich nur in wenigen Ländern rentiert - etwa China, weil dort Energie so billig verkauft wird. Aber die tatsächlichen Kosten, die das für unsere Umwelt verursacht, sind da nicht mitkalkuliert
Ku rze freaage: Wo kann man das Datum (zumindest erscheinungsjahr) des beitrags erkennen?
In diesem Fall am ehesten in der URL des Beitrags, diese lautet hier: https://www.brodnig.org/2009/11/03/ich-habe-es-satt-3/ Daran sieht man, dass das Jahr 2009 war - aber guter Hinweis, ich muss schauen, ob ich die Gestaltung des Blogs verändere, dass das Publikationsdatum leichter sichtbar wird
Ok, aber das ändert genau nichts. Mich würden Ihre Ideen interessieren, wie man die anonymen Postings in den Griff kriegt.
Nur ein kleiner Teil der problematischen Postings ist anonym. Der Ansatz von "Klarnamenpflicht" usw. geht in die falsche Richtung und gefährdet zusätzlich auch noch Menschen die aus Selbstschutz anonym bleiben müssen (Stalking-Opfer usw).
Hier ist ein Vorschlag, den ich kurz vor Weihnachten gemacht habe: https://www.profil.at/shortlist/gesellschaft/ingrid-brodnig-wunsch-2020-11279811 Ein wichtiger Aspekt ist nämlich, die Justiz stark auszustatten
Gern möchte ich folgende Sicht zur Diskussion stellen: man muss die Hitze in der Küche zumindest so lange aushalten, bis man den Herd zurückgedreht hat. Kurz hat mit seinem Statement klar gemacht, dass das Problem nicht in Alma Zadić liegt, sondern in den Geiferern. Mehr steht ihm auch nicht zu. Persönlichen Schutz von Kurz braucht braucht Zadić nicht (wenn leider auch Personenschutz).
Seien wir sorgsam mit diesem Pflänzchen Problembewusstsein. Noch vor wenigen Jahren haben Politiker das Handtuch geworfen, insbesondere wenn sich die Drohungen auf ihre konkrete Familie konzentriert haben. Für sie wurde der Herd zu spät abgedreht. Persönlich und politisch schmerzhaft .
Wir nehmen die Thematik wahrscheinlich ein bisschen anders wahr - aber danke für Ihre differenzierte Rückmeldung! Auf jeden Fall sind Drohungen gegen PolitikerInnen, wie Sie es ansprechen, nicht hinnehmbar
Danke! Ich teile das zu 100 %. Ebenso problematisch fand ich die Aussage der neuen Integrationsministerin Raab, die gesagt hat "dass Hass im Netz und im Speziellen Hass gegen Frauen, die in Österreich gut integriert sind und sich für ein harmonisches Zusammenleben einsetzen, absolut keinen Platz hat".“
An solchen Aussagen - die des Bundeskanzlers und die der Ministerin - sieht man, entweder wie achtlos mit Sprache umgegangen wird oder wie problematisch die Einstellungen dieser Personen sind.
Was der Kanzler auch hätte sagen können, haben Sie schon angeführt.
Danke für die Rückmeldung! Ich finde das einen wichtigen Hinweis: Tatsächlich ist die Frage, inwieweit jemand integriert ist, hier nicht entscheidend, denn jeder Mensch (und auch jede Migrantin) hat einen würdevollen Umgang verdient
Aber kein Journalist beschwert sich dass Kurz als Baby Hitler und Faschist bezeichnet wird? Wo bleibt Ihr Artikel dazu?
Ignorieren, weitermachen.
Falls Sie mit "kein Journalist" die breite Berichterstattung in Medien meinen, finden Sie diese u.a. hier: https://www.welt.de/politik/ausland/article204771992/Sebastian-Kurz-Seenotretter-beschimpfen-Bald-Kanzler-als-Baby-Hitler.html
Bitte den Begriff Social Distancing durch Physical Distancing ersetzen, eventuell mit Social Solidarity ergänzen. Danke
In der Nacht zum 14.03. ist bei mir (74, chronische Bronchitis) die Infektion ausgebrochen. Schüttelfrost, bissel Fieber 38,1 und dann in kurzer Zeit trockner Husten bis zur Erschöpfung mit akuter Luftnot und die Luftwege völlig zugeschleimt. Jede Hustenatacke mit 20 Stößen und mehr förderte 1 Teelöffel Sputum, und brachte Atemluft für 10 Minuten. So ging das bis 16.03 früh, meine Frau neben mir mit dem Nottelefon in der Hand. Und zum Glück, ich hatte alle Hausmittel plus Inhalationsgerät zur Verfügung. Das Inhalationsgerät war der Lebensretter. Damit begann sich langsam der extrem feste Schleim zu lösen. Die zwei Tage waren die Hölle. Ab drittem Tag war das Fieber weg, die akute Luftnot ging zurück , die Abstände der Hustenatacken wurden allmäglich länger. Nach drei Tagen zu ersten mal 2 Stunden geschlafen. Alle am Hustenreflex beteiligten Muskeln brennen wie Feuer. Andere Beschwerden gibt es nicht, Nase ist frei. Nun hat mein Abwehrsystem und meine physische Leistung gesiegt, ich bin nochmal davongekommen. Und trotzdem gebe ich Herrn Dr. Wodarg überwiegend recht, und finde die Diskussion mit Verwendung des Wortstamm Leugner hier schon wieder einfach nur zum Kotzen (Entschuldigung) warum , soweit ich meine Infektionskette verfolgen kann alles junge Leute mit einem sehr leichten grippalen Infekt. Natürlich habe ich meine Frau angesteckt, obwohl auch schon 73 hat sie das weggesteckt, leichte Symptome, Geruch und Geschmack seit ein paar Tagen völlig weg, kein Fieber keine Luftnot. Es hätte genügt mich zielgerichtet zu isolieren bis ein Impfstoff da ist. Jetzt arbeite ich im "Home Office" damit sich meine Mitarbeiter nicht bei mir anstecken. Also verkehrte Welt
Wurden Sie positiv getestet? Der von Ihnen beschriebene Krankheitsverlauf weist eigentlich nicht auf COVID-19 hin. Zu kurz und kein trockener Husten.
Klaus Hoffmanns Erlebnisbericht erinnert mich an die Werbe- und Argumentationsstrategie der Homöopathen: Ich kenne einen, der einen kennt, der aber geheilt wurde. Entspricht insoweit der auch immer wieder gern benutzen Behauptung das der eigene Opa Kettenraucher war und bis ins hohe Alter noch seine 5 Schnäpse täglich reingepfiffen hat und 97 Jahre alt wurde.
Hallo Ingrid,
hab' Sie gerade bei der Phoenixrunde gesehen. Ich bin beeindruckt von Ihrer Expertise und wie sie diese sympathisch und authentisch vermitteln. Bieten Sie vielleicht auch einen Podcast oder einen Youtube-Kanal an? Das wäre eine tolle Sache um noch mehr Netzkompetenz zu verbreiten.
Herzliche Grüße aus Düsseldorf
Chris Crealto
Die Art der Argumentation von Klimawandel-Leugnern und Verschwörungstheoretikern wird inzwischen leider auch von einigen Schulen unterstützt. Der krasseste Fall den ich dazu kenne, ist eine im Netz gestreute vorwissenschaftliche Arbeit, "Freie Energie Eine unbekannte Quelle", die am Adalbert Stifter Gymnasium verfasst wurde. Fast ausschließlich eine Ansammlung von frei erfundenen Behauptungen aus irgendwelchen dubiosen Quellen. Das Ganze wird inzwischen auch von einem Verlag für etwa 18€ unter die Leute gebracht. Neben diverser Literatur zu NMS. Die Tropfen selbst sind dort auch erhältlich. Interessant in der Arbeit ist auch die Bemerkung: “... zusätzlich wurde diesevorwissenschaftliche Arbeit von dem Jupiter- Verlag im April 2019 für eine Printauflage noch fehlerkorrigiert als auch mit wertvollen links ergänzt. “. Das Ganze klingt eigentlich so absurd, dass man es kaum glauben mag. Man kann es aber ziemlich einfach im Netz nachrecherchieren. Und zur Qualifikation der “Fehlerkorrigierer” kann man einmal nach “Die Schneiders und die Scams” im Netz suchen.