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Die Vermessung der Weltenbummler

Immer weniger geht es beim Reisen um den Zufall. Immer mehr geht es um Algorithmen und Apps, die uns einen besseren Urlaub versprechen

Wenn er auf Urlaub fährt, sucht er eine Unterkunft über den Onlinedienst Airbnb. Während der Reise lädt er Fotos hoch, damit seine Freunde und Familie an dem Abenteuer teilhaben können, und natürlich trägt er dabei seine Reiseroute ein – das funktioniert ganz einfach, denn sein Handy weiß ja jederzeit, wo er ist.

Andreas Röttl, 29, ist der Prototyp eines digital Reisenden. Digital reisen ist sogar sein Beruf. Der gebürtige Kärntner hat mit seiner Freundin und einem Kumpel das Wiener Start-up Journi gegründet, das nun eine erste App herausgebracht hat. Sie soll revolutionieren, wie wir online unsere Reiseerlebnisse dokumentieren.

Röttl sitzt in einem modern eingerichteten Gemeinschaftsbüro in Wien-Margareten. Er trägt -sehr passend – Flipflops und ein stylisches Surfer-T-Shirt, auf dem man eine Palme in strahlendem Sonnenschein sieht. Das iPhone hat er stets zur Hand.

Seine App, die ebenfalls Journi heißt, ist simpel: Man macht während der Reise Fotos, schreibt ein paar Zeilen dazu. Der Ort wird automatisch getaggt, sofern man dies erlaubt hat. Abends, wenn man im Hotel wieder Internet hat, lädt die Software die Bilder hoch. “Auf ganz simple Weise kann man ein digitales Fotobuch erstellen. Bisher war das deutlich schwieriger”, sagt Röttl. Mehr als 2000 Menschen nutzen mittlerweile diesen Dienst.

Heute lassen wir uns nur noch selten treiben, heute haben wir für jede ungewisse Situation eine App parat
Journi ist eine weitere App einer weiteren Firma, die zeigt, wie sich das Reisen verändert hat. Von der Planung bis hin zum Aufenthalt überlassen wir nichts mehr dem Zufall. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit riesigen Stadtplänen durch fremde Gassen stolperte und sich permanent verlief – jedoch gerade auf diesen Umwegen besondere Orte entdeckte: ein herrliches kleines Café, in dem nur Einheimische sitzen, oder ein Tapaslokal, von dem man noch Jahre später schwärmt.

Heute lassen wir uns nur noch selten treiben, heute haben wir für jede ungewisse Situation eine App parat. Ein Programm errechnet zum Beispiel, wie viel Trinkgeld man geben soll, ein anderes sagt einem, wann am Urlaubsort Vollmond ist. Geht dadurch ein Teil des Reiseerlebnisses verloren? Oder werden wir tatsächlich besser im Reisen?

Urlauben war vor dem Internet tatsächlich ein Wagnis. “Über Jahrzehnte hinweg fuhr man in den Urlaub mit einer ganz geringen Informationsdichte. Man kaufte eine Ware, die man im Vorfeld nie wirklich gesehen hatte”, sagt Axel Jockwer, ein Experte des digitalen Reiseangebots. Der Deutsche arbeitete jahrelang im Onlinetourismus, heute ist er Professor für Tourismusmanagement an der EBC Hochschule in Stuttgart.

Noch bevor es Youtube oder gar Facebook gab, krempelten schon Bewertungsseiten wie TripAdvisor die Hotelbranche um. “Früher konnten Hotels mitunter auch Mist verkaufen. Dann sind die verärgerten Kunden halt nächstes Jahr nicht mehr gekommen, dafür kamen andere Kunden”, sagt Jockwer. Das habe sich massiv verändert. Wer heute Touristennepp betreibt, wird darüber auch in seinen Bewertungen lesen.

Das Internet brachte also viel mehr Planbarkeit, und mit dieser Planbarkeit kamen neue Bedürfnisse: Man will nicht mehr in irgendein Hotel fahren, sondern in das Hotel, das genau zur eigenen Persönlichkeit passt. In eines, wo man sich durchgehend kohlehydratarm ernähren kann (das gibt es tatsächlich in Tirol), oder eines, wo man eine Art digitale Entschlackungskur angeboten bekommt, inklusive Stadtplan, Zeitung, Kerze und einen kleinem Safe, in dem sich das Smartphone wegsperren lässt (ein solches Hotel liegt in Dublin).

Ein bisschen ähnelt Airbnb einer Partnerbörse, bei der allerdings nicht die Liebe, sondern leerstehende Appartements vermittelt werden
Eine Website hat diese Individualisierung des Reisemarkts vorangetrieben wie kaum eine andere: Airbnb. Es ist ein großartiges Tool, um Menschen zusammenzubringen. Die Amerikanerin Valerie hat ein ungenütztes Zimmer in Santa Monica, gleich neben dem Strand. Sie vermietet es an die Deutsche Anke und ihren Mann um 96 Euro pro Nacht. Pedro hat ein Luxusappartement an der Küste nahe Valencia, die Kanadierin Theresa steigt darin um 137 Euro ab und schreibt online: “Das Appartement ist stilvoll eingerichtet und sehr gemütlich.” Ein bisschen ähnelt Airbnb einer Partnerbörse, bei der allerdings nicht die Liebe, sondern leerstehende Appartements vermittelt werden. “Economy of sharing” nennen die Amerikaner das.

Airbnb ist ein weltweites Phänomen: In 190 Ländern und mehr als 35.000 Städten kann man über die Website absteigen, allein in Österreich gibt es 3500 Airbnb-Gastgeber. Wie viele Menschen aus Österreich Airbnb schon genutzt haben, sagt die Firma nicht. Bekannt ist nur: Eine Million Deutsche sind mit dem Dienst bereits verreist. Der Wert des Unternehmens wird von Anlegern sogar auf zehn Milliarden Dollar geschätzt.

“Bei den typischen Airbnb-Gästen denkt man vielleicht an junge Kiddies, an Mitte 20-Jährige, die nicht so viel Geld haben. Tatsächlich ist der durchschnittliche Gast in Deutschland 34 Jahre alt”, sagt Christopher Cederskog, Regional-Manager für Deutschland, Österreich, Mittel-und Südosteuropa. Es gehe längst nicht nur um den Preis, der oft niedriger ist als in den Hotels, sondern um die Individualität: “Wir haben ein sehr hochpreisiges Segment, mit dem wir Menschen ansprechen, die sonst in 4-oder 5-Stern-Hotels gehen würden.”

Cederskog ist ein eloquenter Manager, der erzählt, wie er selbst in Costa Rica in einem stilvollen Baumhaus abstieg oder in einem Appartement mit 360-Grad-Blick über die idyllische Landschaft. Er berichtet davon am Telefon, denn Cederskog befindet sich gerade im Firmensitz in San Francisco, wo Airbnb 2008 loslegte. Mit drei Luftmatratzen, auf Englisch “airbed”, und einer ziemlich großen Wohnung.

“AirBed and Breakfast”, so hieß das Startup anfangs. Heute wirbt man nicht mehr mit Luftmatratzen, sondern ” einzigartigen, wunderbaren Unterkünften” und “Gastgebern zum Anfassen”. Tatsächlich gibt es viele Airbnb-User, die von solchen Erlebnissen schwärmen: Der Wiener Start-up-Gründer Röttl mietete in der Toskana ein Appartement. “Die Gastgeber waren zwei Brüder und luden uns gleich zum Abendessen ein. Das war ein italienisches Festmahl, wie man es sonst nur in Filmen sieht.”

Der Erfolg der Website baut nicht zuletzt auf den Versäumnissen der Hoteliers auf. In städtischen Hotels wird man oft kaum beraten. Man fragt den Concierge, wo es die nächste Apotheke gibt, und der weiß es nicht. Jedoch üben die Hoteliers zum Teil auch berechtigte Kritik an Airbnb: etwa, dass viele Airbnb-Gastgeber ihre Einkünfte nicht versteuern und ein ungerechter Wettbewerbsvorteil entstünde.

Das kann sich die Wienerin Doris Neubauer gut vorstellen: “Dieses Geschäftsmodell ist einfach extrem schwierig zu kontrollieren: Wenn jemand eine private Wohnung durchgehend via Airbnb vermietet, dann kommt irrsinnig viel Geld herein. Nur, wie soll das Finanzamt das merken?”

Die freie Journalistin zeigt, dass es anders geht: “Ich versteuere das, so wie jede andere Einnahme auch. Aber so viel ist es nicht.” Neubauer, 35, bietet seit heuer ein Zimmer in ihrer Eigentumswohnung an: 13 Quadratmeter, hell, gut gelegen im 6. Bezirk, 35 Euro die Nacht. Die Wohnung hat einen Balkon, ein großes Wohnzimmer, an der Wand hängen viele Fotos von den unzähligen Auslandsaufenthalten.

Sie ist eine Reiseidealistin, arbeitete zwei Jahre als Reisebloggerin und freie Autorin: “Wir haben alle schon so viel gesehen. Das Einzige, was uns noch überraschen kann, sind die Menschen.” Um diese Menschen tatsächlich kennenzulernen, nützt sie seit langem das Internet. 2007 begann sie couchzusurfen. Couchsurfing ähnelt Airbnb, ist aber gratis. Und weil es gratis ist, liegt man oft tatsächlich auf einer Couch. “Ich habe auf Couches geschlafen, am Boden, im Zimmer neben jemandem”, erzählt sie von ihren Reisen von Südamerika bis Indien.

Airbnb Kapitalismus in Reinform, die Website macht aus Privatpersonen Unternehmer und ermöglicht, dass jeder ungenützte Raum auf dem Markt feilgeboten wird
“Beim Couchsurfing ging es gerade in den Anfangszeiten nicht nur um die Gratisübernachtung, sondern um die Begegnung mit Menschen. Ich habe das Gefühl, dass es bei Airbnb viel mehr ums günstige Übernachten geht.” Sie bezweifelt, dass die meisten Gäste tatsächlich den Kontakt zu den Einheimischen suchen würden, wie das Airbnb gerne behauptet. Ihrer Erfahrung nach wollen viele gar kein Zimmer mieten, sondern die ganze Wohnung für sich allein.

Streng genommen ist Airbnb Kapitalismus in Reinform, die Website macht aus Privatpersonen Unternehmer und ermöglicht, dass jeder ungenützte Raum auf dem Markt feilgeboten wird, und sei es nur das leerstehende Kinderzimmer.

Urlaub ist ein trügerisches Thema: Jeder macht gerne Urlaub, die Branche ist darauf ausgerichtet, dass sich Menschen dabei wohlfühlen. Vor allem geht es aber um Geld, um verdammt viel Geld. Der Tourismus macht neun Prozent des Weltbruttosozialprodukts aus, erwirtschaftet somit mehr als die Ölindustrie.

Einen großen Teil der Einnahmen bringen aber noch immer Offl ine-Produkte, darunter der gedruckte Reiseführer. In Österreich macht er 7,6 Prozent aller Buchumsätze aus – trotz der Konkurrenz in den App-Stores. Warum eigentlich?

“Das liegt auch an der Schwäche der Smartphones: Eines der größten Probleme ist der Akku, der zu schnell leer wird”, sagt Röttl, der seine Journi-App deswegen extra so designt hat, dass sie möglichst wenig Batterie frisst. Röttl verreist deswegen selber noch immer mit dem gedruckten “Lonely Planet”. Er ist aber davon überzeugt, dass sich der digitale Reisemarkt stark weiterentwickeln wird: “Derzeit suchen viele fieberhaft nach einer Art Reisebüro 2.0. Die Idee ist, dass es online bessere Lösungen geben muss, um gute Reiseempfehlungen zu bekommen.” Ganz wie bei Amazon: Der Onlinehändler ist bekannt für seinen Algorithmus, der einem – oft ziemlich treffsicher -Bücher vorschlägt, die einen interessieren könnten. Bislang fehlt eine derartige Seite für das Reisen, die das eigene Reiseverhalten analysiert und den passenden Urlaub dazu vorschlägt.

Das würde Röttl gefallen: “Es ist aber eine totale Gratwanderung, das so zu designen, dass es den Leuten noch behagt. Diese Reiseempfehlungen sollten wie bei Amazon eher dezent im Hintergrund sein – und im Vordergrund sollte weiterhin die Möglichkeit stehen, alle Inhalte selbst zu durchsuchen.” Da ist sie wieder, die Idee, dass Algorithmen den perfekt zugeschnittenen Urlaub berechnen und Datenbanken uns das Besondere vermitteln können.

“Wenn man den Urlauber mit großer Aufmerksamkeit beobachtet, erahnt man die Veränderung in unserer Gesellschaft. Man sieht die Signale des Wertewandels”, meint Manfred Kohl, ein weiterer Kenner der Reisebranche. Der Villacher Unternehmensberater, 66, beobachtet seit Jahrzehnten Urlauber und erklärt Hoteliers und Tourismusregionen, was dem heutigen Reisenden wichtig ist.

Im Grunde ist der Urlauber auf der Suche nach dem guten Leben, nach einem Leben, von dem er sich wünschte, er könnte es dauernd führen
In den 1980er-Jahren gab es etwa die Spaßgesellschaft, die den dazugehörigen Urlaub buchte. “Heute suchen viele Menschen Lebensqualität. Sie sagen zum Beispiel, sie wollen Orte und Dienstleistungen, die ,stimmig’ sind und möglichst auf sie zugeschnitten”, meint der Unternehmensberater. So schätzen viele ökologisch nachhaltige Hotels oder Airbnb-Wohnungen, bei denen man ein vermeintlich authentischeres Erlebnis bekommt. “Im Grunde ist der Urlauber auf der Suche nach dem guten Leben, nach einem Leben, von dem er sich wünschte, er könnte es dauernd führen”, sagt Kohl. Deswegen sage es viel über uns aus, wie wir urlauben.

Folgt man seiner These, ist unsere Gesellschaft auch eine ziemlich kalkulierende und zahlengläubige: Wir möchten bloß keine Ungewissheit haben und hoffen, dass wir den perfekten Urlaub bekommen, wenn wir nur einmal genügend Daten ins System eingespeist haben.

 

Dieser Text war die Cover-Geschichte der Falter-Ausgabe 26/14. Illustration: Jochen Schievink

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  • Erstmal: Danke für diesen schönen Überblick!

    Mir scheint, Kommentare werden momentan fast nur als lästiges Service gesehen das aus rechtlichen Gründen beaufsichtigt werden muss.
    Dabei könnte man das Ganze auch als gratis bereitgestellten user-generated content sehen der die Homepage der Zeitung stark aufwertet.
    In Österreich wäre derStandard.at ein Beispiel: Mit ein bisschen Filtern und/oder blocken ist deren Kommentarbereich oft äußerst interessant. Gerade bei technischen Artikel (die oft selbst eher schwach sind) oder zu witzigen Artikeln, sind die Kommentare schon ein echtes Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Seiten ohne aktive Community.

  • Es gibt Benutzer, die können mal trollen. Diese kann man ermahnen, mit ihnen darüber reden und sie evtl. auf den rechten Pfad bringen. Bei echten trollen ist das alles vergebene Liebesmühe. Da muss man auch nicht tollerant sein oder irgendwelche Zensurvorwürfe gefallen lassen. Ich vergleiche so etwas gerne mit dem realen Leben.

    Beispiel:
    Kommt jemand unbekanntes zu mir nach Hause, grölt rum, pöpelt alle anderen Gäste an oder randalliert, dann fliegt er er sofort raus. Kommt der wieder, hole ich die Polizei. Es ist nicht meine Aufgabe dem Typen Manieren beizubringen. Ich bin weder seine Eltern noch sonst eine dafür verantwortliche Person. Und es ist auch nicht meine Aufgabe, dass er sich an Gesetze hält, für derartige Verstöße ist die Polizei da, auch im Netz.

    Meine Seite ist wie meine Wohnung, dort habe ich das Hausrecht und das sieht bei mir vor, dass man sich zivilisiert benimt. Ich muss und werde in meinen vier Wänden keine Arschlöcher, Kriminelle oder gewaldbeeite Randallierer dulden. Und so wie man auch im analogen Leben derartige Typen sofort vor die Tür setzt und/oder die Polizei benachrichtigt, so ist es auch im digitalem Netz. Denn ob die realen vier Wände oder das Internet, die Arschlöcher/Trolle sind in beiden Welten die selben.

  • Entschuldigung, es sieht langsam nach absichtlich kontrollierte ZENSUR mit der Ausrede von Anonymität aber in WAHRHEIT versucht man schon seit Jahren dies zu zensieren. Wenn man beleidigt wird, dann muss man sich ändern oder sich fragen was an sich nicht gemocht wird dass die Leute die Person beleidigen. Die Beleidigung ist zuerst geprägt von Unzufriedenheit der Massen und dies hat immer ein Grund und zwar demokratisch gesehen werden die Massen entscheiden wer akzeptiert wird und wer nicht und zwar als Führer oder Orator der Gesellschaft. Zur Zeit sind viel unwichtigen Personen die nur bezahlt sind die Massen zu stören und plötzlich kommen auch die Antworten. Also die Reaktion der Massen kann man nicht ignorieren oder als rassistische bezeichnen weil als soziale Gerechtigkeit alle Menschen die etwas nicht akzeptieren werden dann laut hier die Analyse als RASSISTEN bezeichnet und auch weiter beschimpft oder ganz isoliert. Man kann die Rechte der Menschen nicht entfernen nur weil ein paar politiker oder Zeitungen dies nicht mögen wenn das Volk sie beleidigt oder kritisieren, also jeder Mensch hat das Recht seine Meinung mit oder ohne BGB zu äußern und die Äußerung kann stören aber muss man sich fragen was störend war und nicht sofort alle als Rassisten zu beschimpfen. Wenn man unsere politiker analisiert dann darf keiner von ihnen an der Macht nicht stehen, die haben und belogen und verraten also die sind laut Gesetzt trotzdem Rassisten und verachtend weil die sich überhaupt nicht um unsere Problemen kümmern. Seit dem diese invasoren nach DE kamen, haben unsere politiker alles vergessen, die Arbeitslosigkeit, die Arbeitsplatzbeschaffung, der Arbeitgeber zeigen auch keine Interesse mehr für Arbeitslosen, Griechenland ist super glücklich, der euro ist stark wie eine tote Maus..., wir sind am ENDE und wir werden STÄNDIG abgelehnt mit solchen Kleinigkeiten ABSICHTLICH damit die HAUPTTHEMEN zu vergesen, ABLEHNUNG VON WAHRHEIT. Das ist die Taktik...

  • Natürlich ein klares Nein dazu. Man kann sehr lange darüber diskutieren wie man diskutieren sollte aber abdrehen käme ja einer Diktatur gleich. Demokratie haben wir ja ohnedies keine mehr. Aber die Kommis abzudrehen ist ein absoluter NO Go! Danke für deinen Gedankenanstoß. LG Sabine

  • Interessanter Beitrag , doch habe ich nicht die Möglichkeit mich aus solch negativen Postings zurückzuziehen? Ich für meine Person gebe nur Postings, wo ich mich auch "verstanden" fühle. Damit meine ich nicht, das mir automatisch zugestimmt wird, sondern wo das Niveau hoch genug ist, eine Kritik oder andere Meinung zu akzeptieren und darüber sich auszutauschen.

    • Liebe Waltraud,
      ich glaube sich zurueckzuziehen ist nicht das Allheilmittel fuer alle User. Denn die Menschen, die in Foren mit einseitiger Meinungsbildung verkehren, werden systematisch falsch informiert, was zu der angesprochenen Abgrenzung dieser Gruppe fuehrt. Durch die Abgrenzung sind die Mitglieder der Gruppe nicht mehr offen fuer rationale Argumente, da diese ja von der "Luegenpresse" stammen. Eine soche Isolation ist immer gefaehrlich, da die Gruppe von der Realitaet entkoppelt ist. Wenn diese Gruppe entschlossen genug ist, etwas zu bewegen, koennen Phaenomene, wie der IS entstehen (auch, wenn fuer die Entstehung des IS mehrere faktoren zusammengekommen sind, aber am Ende lauft es darauf hinaus, dass eine isolierte Gruppe wild entschlossen war etwas zu bewegen...).

      • Werte Waltraud Aouida, werter Matthias, danke für die beiden Kommentare! Ich verstehe gut, dass man manche digitalen Diskussionsräume lieber meidet - oft ist das Klima so rau, dass eine sachliche Debatte auch gar nicht möglich ist. Für den einzelnen User mag also ein Rückzug oft sinnvoll sein, für die Gesellschaft als Ganzes ist das aber riskant. Ich teile Matthias Sorgen, dass ein Rückzug genau den Falschen nützt - jene, die sich über diese Polarisierung freuen. Dazu eine Ergänzung: Manche Gruppen versuchen bewusst, einige öffentliche Diskussionsräume einzunehmen und mit ihrer Meinung zu besetzen. Zum Beispiel sind Antifeministen im Netz sehr aktiv und posten leidenschaftlich (und oft sehr aggressiv) unter Artikeln, in denen es um Frauenrechte und um Feminismus geht, den sie ablehnen. Das raue Diskussionsklima führt dazu, dass sich einige Menschen abwenden und lieber anderswo (oder nur im privaten Raum) weiterdiskutieren. Diese Taktik wird auch als „Silencing“ bezeichnet: Man ist so grob und so rüpelhaft zu anderen, dass diese einfach nicht mehr das Wort ergreifen wollen - und somit sollen auch andere Sichtweisen letztlich ausgeblendet werden. Zum Teil funktioniert diese Strategie. Was also tun? Ich finde es wichtig, dass Webseitenbetreiber und Onlinemedien mehr Verantwortung für den Umgangston auf ihrer Seite übernehmen und auch stärker die Diskussion vor der Entgleisung bewahren. Solche Räume gibt es, zum Beispiel hat „Zeit Online“ ein sehr gut moderiertes Forum. In anderen Worten: Ich finde es wichtig, dass digitale Räume verteidigt und geschaffen werden, in denen Menschen respektvoll miteinander diskutieren. Übrigens verstehe ich Ihre Formulierung mit dem „verstanden werden“ sehr gut: Das Entscheidende ist nicht, dass man überall einer Meinung ist, sondern dass man in der Lage ist, sachlich und fair miteinander zu diskutieren.

    • Werter Emanuel, danke für die Reaktion. Wir sind uns offensichtlich nicht überall einer Meinung, aber es freut mich nichtsdestotrotz, dass Sie so gründlich auf die einzelnen Überlegungen eingegangen sind. Zu Ihrer Antwort, im Kern entnehme ich daraus drei Einwände: Erstens haben Sie Recht, dass mein Vortrag nur ein sehr eingeschränktes, gut gebildetes Publikum erreichen wird und oftmals jene Menschen, die ganz ähnlich sind wie ich, die in der gleichen Blase sitzen wie ich. Das gibt mir, ehrlich gesagt, oft zu denken auf und die perfekte Antwort auf diese Filterblase habe ich nicht. Ich glaube aber, dass allein im letzten Jahr dieses Thema ungeheuer breitenwirksamer geworden ist. Ich habe im Jahr 2014 ein Buch über Anonymität und Diskussionskultur im Internet veröffentlicht und merke, wie mehr und mehr Menschen über dieses Thema auch reden wollen. Das ist zwar womöglich noch immer eine Minderheit (vielleicht auch nicht), mein Eindruck ist jedenfalls, das Bewusstsein wächst. Zweitens: Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie die Gefahr, dass die Debatte hierzu erst recht polarisierend wird (da kämpfen dann quasi die vermeintlich „Guten“ gegen die vermeintlich „Bösen“). Differenzierung ist wichtig, da stimme ich Ihnen zu. Ich warne nur vor der Gefahr, eine Debatte dann als „differenziert“ zu verstehen, wenn sie auch untergriffige oder gar verletzende Wortmeldungen enthält, oder wenn kein Unterschied zwischen belegbaren Fakten und wilden Gerüchten gemacht wird. Nun könnte man natürlich einwenden: Wer entscheidet denn, was ein Gerücht und was ein Faktum ist, was eine zulässige Aussage und was eine Beleidigung? In manchen Fällen ist das tatsächlich nicht leicht zu erkennen. Manchmal aber doch - und dann sollte das auch benannt werden. In diesen Fällen finde ich es in Ordnung, dass wir aggressive oder faktisch falsche Wortmeldungen nicht schützen oder gleichrangig behandeln wie die Wortmeldungen jener User, die sachlicher und fairer diskutieren (sachlich diskutieren bedeutet nicht, dass man einer Meinung sein muss, aber dass einen gewissen Grundrespekt - auch gegenüber Fakten - wahrt). Drittens, zum Thema „Filtern“ möchte ich noch auf diese exzellente Wortmeldung von Armin Wolf hinweisen: https://www.facebook.com/arminwolf.journalist/posts/1161742677170933 Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie meine Antworten nicht zufriedenstellen oder gar umstimmen wird. Ich habe jedenfalls Ihren Beitrag mit Interesse gelesen.

  • "Nun ist die Wikipedia 15 Jahre alt geworden, ich las neulich eine interessante Zahl dazu: Eine interne Umfrage aus dem Jahr 2011 fand heraus, dass nur einer von zehn Helfern der Wikipedia eine Frau ist. Nur jeder zehnte Wikipedianer ist eine Frau. Erst vor wenigen Wochen brächte der Atlantic einen interessanten Artikel über den Umgang mit Frauen auf Wikipedia. Die Autorin schrieb über das Verhalten mancher Userinnen:

    „Um zu verhindern, dass sie Ziel von Belästigungen werden, nutzen manche Wikipedianerinnen geschlechtsneutrale Pseudonyme und vermeiden es, bei ihrem Usernamen irgendeine persönliche Information anzuführen.“

    Das ist doch erschütternd, dass Frauen verheimlichen, dass sie eine Frau sind – damit ihnen gegenüber niemand unangenehm wird."

    Das passiert, wenn man sich nicht informiert, nicht hinter de Sachen schaut, einfach nur ein paar Sachen ungefiltert abtippt. Dann steht das da und alle glauben es so wie es da steht. Ich könnte jetzt was dazu sagen - aber es hat ja eh keinen Sinn. Wird ja dennoch ignoriert.

    • Sehr geehrter Markus Cyron, wenn Sie auf einer sachlichen Ebene diskutieren und konkrete Beispiele bringen, wo ich angeblich "nicht informiert" bin oder "ein paar Sachen ungefiltert abtippe", dann gehe ich auch noch gerne darauf ein.

      • Ich äußere mich mich mal an dieser Stelle, weil ich genau auf das Wikipedia-Thema eingehen will. Gleich vorneweg: Der Umgangton in der Wikipedia ist an einigen Stellen sehr aggressiv, und natürlich gibt es auch immer wieder gezielte Affronts gegen weibliche Benutzer. Das ist äußerst unschön, da bin ich Ihrer Meinung.

        Liebe Frau Brodnig, leider sind Sie dann aber in eine Falle getappt, die Sie oben selbst treffend beschrieben haben. Diejenigen Stimmen, die am lautesten sind und am meisten an diversen Stellen kommentieren, werden am ehesten wahrgenommen, das gilt eben auch für die weit verbreiteten Aussagen über die "frauenfeindliche" Wikipedia.

        Ich gehöre zu den Frauen, die sich als "Benutzer" eingetragen haben - weil es nämlich für meine Mitarbeit zunächst unwichtig ist, ob ich männlich, weiblich oder sonstigen Geschlechts bin. Wer genaueres über mich wissen möchte, kann mit einem Klick feststellen, dass ich eine Frau bin. Ich habe auch einen geschlechtsneutralen Benutzernamen - nicht weil ich Angst habe erkannt zu werden, sondern weil mir zu dem Zeitpunkt meiner Anmeldung nichts Originelles eingefallen ist, ich aber anonym bleiben wollte.

        Wie gehe ich nun mit geschlechtsspezifischen oder sonstigen Angriffen um? Dagegenhalten, nicht abschrecken lassen, sachlich bleiben, im schlimmsten Falle ignorieren oder kontern, aber nicht jammend durch ganze Internet ziehen, wie böse die Frauen doch wieder behandelt worden sind.

  • Ich fand den Vortrag ebenfalls sehr interessant und freue mich, dass es den hier jetzt auch schriftlich gibt.
    Gilt auch als manueller, absichtlich unaufdringlicher Trackback auf meinen Blogeintrag vom heutigen Tag. :) Wenn du möchtest, kannst du den direkten Link ja selbst hinzufügen. Liebe Grüße!

  • Ich möchte Alnilam hier zustimmen - und dazu sagen: Es gibt übrigens auch männliche Autoren, die sich explizit für einen weiblichen Nick entschieden haben und es gibt weibliche Autorinnen, die gerne austeilen. Wenn man das Thema Frauenfeindlichkeit angehen möchte, sollte man über ausreichend Hintergrundinformationen verfügen. Damit meine ich jetzt nicht die oben beanstandete "Abtipperei" oder speziell Ihren Artikel. Ich meine damit, dass das "System Wikipedia" so komplex ist, dass man zunächst einen Einblick braucht, um auch beurteilen zu können, wann ein Angriff gegen jemanden geht, weil er eine Frau ist - oder wann das praktisch schon zur Wikipedia "same procedure as every day" (unabhängig vom Geschlecht) gehört. Erst dann wird nämlich auch das Thema Frauenfeindlichkeit ernst genommen (und das beziehe ich jetzt nicht ausschließlich auf die Wikipedia, es fällt mir fast tagtäglich auf). Liebe Grüße von einer Autorin der WP

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