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Ministerin Heinisch-Hosek postet ein Foto und du wirst nie glauben, was danach passierte

Der aktuelle Shitstorm rund um Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek zeigt: Wir haben kein Problem mit der Anonymität im Internet. Wir haben ein Problem mit Meinungen, die anecken, und mit Frauen, die zu selbstsicher sind

Mit Staunen und Erschrecken beobachte nicht nur ich, wie ein Shitstorm rund um Ministerin Heinisch-Hosek wütet. Mehr als 14.000 Postings erntete die SPÖlerin, weil sie sich auf Facebook in die aktuelle Debatte rund um die Bundeshymne einschaltete. Das Ganze verrät viel, über die Art und Weise, wie online miteinander gesprochen wird – oder konkreter gesagt: eben nicht miteinander gesprochen wird, sondern gebrüllt.

Egal, ob man den aktuellen Hymnentext super, mies, holprig oder eh ganz okay findet, ich behaupte: Niemand hat für so ein simples Foto so viel Hass verdient, auch nicht eine Politikerin. Der aktuelle Fall zeigt folgendes:

1.) Wir haben kein Problem mit der Anonymität im Netz. Wir haben ein Problem mit der Wut

Einmal mehr sieht man, dass viele User auch dann nicht vor übelsten Untergriffen zurückschrecken, wenn ihr echter Name zu sehen ist.

– Von einem “großen Trampel” spricht User Gerhard F. und postet das Bild von Heinisch-Hosek öffentlich
– “Halt doch s maul he”, schreibt David R.
– “Du Idioten Weib”, kommentiert Kemal S.
– “Eingsperrt ghört sie dafür!!!”, so Verena F.

Und das sind nur ein paar Beispiele: Viele User posten solche Beleidigungen unter ihrem Klarnamen auf der Facebook-Seite der Ministerin. Wie ich schon mehrfach erklärt habe: Die Anonymität ist eben nicht der einzige Grund, warum Menschen online entgleisen. Die psychologischen Hintergründe beschreibe ich in meinem Buch.

Übrigens sind diese Beleidigungen nur jene Postings, die nicht gelöscht wurden: Seit gestern sind drei Mitarbeiter der Frauenministerin damit beschäftigt, die allerschlimmsten Sachen zu löschen. Gelöscht werden etwa Mordandrohungen.

2.) Mag sein, dass das Foto ungeschickt war. Aber sorry, selbst das rechtfertigt nicht den Hass

Ich muss gestehen, dass ich das Posting von BM Heinisch-Hosek zuallererst gelungen fand: Die Frauenministerin bezieht keck Stellung, zeigt Ecken und Kanten in einem kontroversen Thema und sagt dem Volksmusiker Gabalier ordentlich die Meinung. Genau das fehlt in meinen Augen häufig der Politik, wo keiner mehr irgendetwas Substanzielles sagen will, und jeder Angst vor der Wut der Bürger (im Netz “Shitstorm” genannt) hat.

Man kann die Details der Ausführung aber durchaus infrage stellen. Kommunikationsberater und Regierungskritiker Rudi Fussi hat auf Twitter unter anderem kritisiert, dass die Botschaft ungeschickt formuliert war. Man hätte das laut Fussi eher als Frage einbringen können, zum Beispiel. ob es fair sei, dass nur große Söhne in der Bundeshymne vorkommen. Und die Mitarbeiter der Ministerin hätten im Anschluss aktiver moderieren und mehr auf Augenhöhe kommunizieren sollen. Das sind berechtigte Kritikpunkte. In meinen Augen wäre die Shitstorm-Gefahr eindeutig geringer gewesen, hätte Heinisch-Hoseks Posting nicht einen etwas belehrenden Ton gehabt. Meine Erfahrung zeigt: Ein bescheidener Tonfall führt dazu, dass viele User freundlicher zu einem sind – vor allem als Frau. Und genau das stimmt mich so nachdenklich.

Sollten wir nun ernsthaft die Frage stellen, was Heinisch-Hosek falsch machte? Sollen wir den Fehler also zu allererst bei der Ministerin anstatt bei jenen suchen, die tatsächlich die Beleidigungen posteten? Ich glaube nicht. Mag sein, dass Heinisch-Hosek bessere Social-Media-Berater braucht, aber das ist doch nicht Kern des Problems. Vielmehr geht es darum, dass man als Politiker und vor allem als Politikerin offensichtlich gar nicht anecken darf, dass es kontroverse Themen gibt, wo man sofort zum Opfer eines Shitstorms wird, wenn man es wagt, eine klare (mitunter auch angriffige) Stellungnahme abzuliefern.

3.) Hier besteht die Gefahr des Konformitätsdruck: Keine Politikerin traut sich mehr, die Meinung zu sagen

Hätte Heinisch-Hosek geschwiegen, hätte sie sich viele Mühen erspart. Das ist die traurige Erkenntnis dieses Facebook-Eintrags – sie bestätigt somit all jene Politiker, die bloß nie eine markante Meinung äußern, denn das führt bekanntlich nur zu Problemen. Über diesen Konformitätsdruck schrieb ich einmal: “Die Gefahr dieser permanenten Aufregung besteht darin, dass viele online gar nicht mehr mitdiskutieren wollen, weil sie Angst vor überzogener Kritik haben.”

Ich bin überzeugt, dass diese Debatte auch deswegen entgleiste, weil Heinisch-Hosek eine Frau – sogar Frauenministerin! – ist und weil es sich um ein feministisches Anliegen handelt. Die dezidiert Feministen-Hasser, die sogenannten “Antifeministen” sind eine der aggressivsten und aktivsten Gruppierungen. Sie versuchen online permanent, Stimmung zu machen.

4.) Achtung! Hier passiert Antifeminismus

Warum sorgte dieses Posting für Aufregung? Weil viele in der Bevölkerung anscheinend eine Wut auf die Regierung, auf die Politik oder allgemein auf “die da oben” haben, weil Heinisch-Hosek mit ihrem Foto eine Angriffsfläche (und die Möglichkeit zum Kommentieren) bot.

Aber das ist nur ein Teil der Erklärung: Beobachtet man die Postings auf der Facebook-Seite der Ministerin, wird man auch viele Einträge finden, die den Feminismus als solchen infrage stellen, die Feministinnen als Heulsusen und als sexuell frustriert darstellen – die üblichen Untergriffe, mit denen Feministinnen konfrontiert sind, leider insbesondere im Netz. Die sogenannten Antifeministen sind der Meinung, dass der Feminismus bereits zu weit gegangen sei, dass der Mann bereits das unterjochte Geschlecht ist und wir in einer “Femokratie” leben, der Herrschaft des Weibes. Sie versuchen, online Stimmung zu machen, posten zum Beispiel so lange in Zeitungsforen und beleidigen alle Andersdenkenden, bis alle Andersdenkenden verstummen und sie allein den Ton angeben (oder bis die Antifeministen von den Moderatoren gesperrt werden). Die Antifeministen sind nur eine kleine Gruppe, aber sie sind verdammt laut: Auch auf Twitter versuchen einzelne antifeministische Accounts, das Klima zu verseuchen – ihr beliebtestes Tool ist die Gewaltandrohung und die Androhung von Vergewaltigung. Das soll dazu führen, dass Frauen Angst bekommen und verstummen. Hier gibt es einen guten Artikel dazu.

Fazit:

Der Fall Heinisch-Hosek illustriert in meinen Augen die große gesellschaftliche Gefahr, die vielen Shitstorms innewohnt: Dass selbst harmlose (oder ein bisschen kontroverse) Postings nicht mehr geduldet werden, dass wir als Gesellschaft die Fähigkeit verlernen, zu diskutieren, ohne den anderen zu beflegeln, dass Meinungsträger keine Meinung mehr äußern, weil sie Angst haben, dafür verbal geprügelt zu werden, und dass speziell Frauen betroffen sind, weil anscheinend einer kleinen Gruppe von Antifeministen nicht recht ist, wenn Frauen selbstsicher das Wort ergreifen.

Sicher ist es richtig, dass viele Politiker kompetentere Teams und vor allem eigene Mitarbeiter brauchen, die sich professionell und durchgehend mit Social Media beschäftigen. Ich selbst schreibe bekanntlich immer wieder, wie wichtig gute Moderation und eine Kommunikation auf Augenhöhe ist. Der aktuelle Fall zeigt aber, das dies nur der eine Teil der Lösung ist. Wir müssen auch mehr Verantwortung vom Einzelnen einfordern und vielen Usern klar machen, dass solche Postings nicht okay (und auch nicht Teil der Meinungsfreiheit) sind. Ich glaube tatsächlich, dass vielen Usern nicht bewusst ist, wie viel Schmerz ihre Worte anrichten – und dass sie lernen müssen, dass ihre Worte etwas wert sind und dass die vermeintlich virtuelle Debatte längst nicht so virtuell ist.

Ich wünsche mir, dass die Ministerin weiterhin wagt, auch auf Facebook ihre Meinung zu sagen. Meine große Angst ist aber, dass das genaue Gegenteil eintreten wird.

 

Update 1: 

Der Shitstorm hat eine richtige Debatte ausgelöst, ich will ein paar der Texte verlinken (freue mich über weitere Hinweise!):

– Woman-Chefredakteurin Euke Frank über das Wort Töchter in der Hymne
– Kommunikationsberater Rudi Fußi analysiert das Posting der Ministerin
– Warum ausgerechnet die Hymne ein so emotionsbeladenes Thema ist, erklärt Bernhard Schindler
– Der Kurier widmet sich mit mehreren Texten – unter anderem von Georg Leyrer und Philipp Wilhelmer – dem Streit um die Hymne
– Vice schimpft über die ganze Debatte – und spricht von einem “Scheißhaufen, der aktuell das Internet vollstinkt”
– Eine weitere Erklärung, wieso ausgerechnet die Hymne für so viel Diskussion sorgt, liefert Christopher Tafeit in seinem Blog

Foto: BMBF

 

View Comments

  • Ich glaube, dem ORF fehlt der Mut, wirklich zu diesen komplexeren Serien zu stehen und auch in Kauf zu nehmen, dass sie nicht ad hoc ein Massenpublikum anziehen. Für den Artikel habe ich mit mehreren Fernsehmachern oder -experten gesprochen und ein spannender Aspekt an dem Ganzen ist auch die Frage der Programmierung: Zu welcher Uhrzeit läuft was und weiß das Publikum das überhaupt?

    Beispiel Serienmontag im ORF. Den gibt's mittlerweile seit ein paar Jahren und die Zuseher können sich darauf verlassen: Am Montag laufen abends unterhaltsame Serien wie Grey's Anatomy oder CSI NY. Das funktioniert sehr gut, weil der Serienmontag zu einer Art Marke des ORF wurde.

    Wenn hingegen neue und komplexere Serien gar keine Chance gegeben wird und sie nach mittelmäßigen Quoten sofort in die späte Nacht verbannt werden, kann sich das Publikum gar nicht daran gewöhnen, dass es zu einer gewissen Uhrzeit einschalten und hochqualitatives Programm sehen kann.

    Ich fände es zum Beispiel spannend, wenn der ORF sagen würde: Mittwoch ist unser Abend für anspruchsvolle, aber sehenswerte Serien. Egal, ob diese dann Californication, Dexter oder Damages heißen, kann man sich als Zuseher merken: Wenn ich am Mittwoch einschalte, erwartet mich kein Blödsinn, sondern gutes Programm. Natürlich ist die ganze Thematik noch komplexer als das. Aber eine verlässliche Programmierung ist wahrscheinlich ein wichtiger Aspekt beim Erfolg einer Serie.

  • Sowas wurde doch auch mit der Donnerstag Nacht versucht. Die war mal wirklich gut! Serie - (Grey's) - Serie (House) - Die 4 da - Sendung ohne Namen - Serie (My name ist Earl) oder so. Hat sich auch nicht so recht durchgesetzt. Die 4 da war dem ORF wohl zu systemkritisch.

    Es ist ja nicht so, dass komplexere Serien nicht dem Zuseher Angeboten wurde. Auf alle Fälle gab es die erste Staffel Rom zu sehen und falls ich mich nicht komplett irre auch Band of Brothers. Für Rome wurde einiges an Werbeaufwand betrieben und soweit ich mich erinnern kann waren die Folgen mit 21:05 auch zu einer brauchbaren Uhrzeit.

    Was zusätzlich noch zur ganzen Thematik aber auch die Frage aufwirft, warum sich die Masse des Fernsehpublikums lieber den 27sten Aufguss einer Castingshow ansieht als eine komplexe, spannende Fernsehserie und ist es wirklich so, oder ist es die Auffassung der ORF Programmgestalter?
    Ist es echt nur, weil man dann ja keine Folge verpassen darf und der ORF mit Wiederholungen zu unflexibel ist, oder ist es weil sich Großteil des Publikums nur stumpfsinnig berieseln lassen will? Und wer hat den Konsument so werden lassen, wurde man durch immer mehr werdenden Stumpfsinn ausgehöhlt oder fordert das Publikum Stumpfsinn einfach ein?

  • Eines der Hauptprobleme ist jedoch nicht das vervollständigen von Daten, sondern die meist Kontextlose Verwendung.

    Vor einigen Tagen erst wurde der Erfolg des neuen Personalausweises gerühmt, mit der bestärkenden Information, dass die Online Abfrage in der Verkehrssündenkartei im Vergleichszeitraum um 200% gestiegen ist. Problematisch nur, wenn man bei dieser Erfolgsstory verschweigt, dass es sich hier gerade mal um eine 2-stellige Personenzahl handelt.

    Viele Daten werden einfach so weit herunter-reduziert, dass man jede gewünschte Aussage damit untermauern kann.

  • Gut geschriebener Artikel - vor allem der Titel gefällt mir :-)
    Leider ist mein Zitat ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich halte auch das jetzige, wenn auch noch kleine Angebot der Stadt Wien in Sache offene Daten keineswegs für einen Witz, sondern ganz im Gegenteil: Wien wird denke ich für andere österreichische Städte und auch den Bund Vorbild und Benchmark sein, was die nachhaltige Veröffentlichung von Datensätzen betrifft.
    Das auch mit wenigen Datensätze bereits nützliche Apps und Visualisierungen erstellt werden können, zeigt außerdem ja das App-Verzeichnis auf data.wien.gv.at
    Natürlich ist der Weg zur vollständigen Integration von Open Government-Prinzipien in der Wiener Stadtverwaltung/in Österreich noch weit (im Vergleich zu Großbritannien beispielsweise), aber die Richtung stimmt mal würde ich sagen :-)

  • Verstehe den Artikel - frag mich aber nach dem Sinn ...
    meiner Meinung nach sollte der ORF weniger Serien bringen. Das kann man ja den anderen (privaten) überlassen.
    der ORF sollte das Geld nehmen und eigene Formate entwickeln. Und wenn alle in die Hose gehen - was soll's? Immer noch besser als teure Serien zu kaufen, die sich dann nur die drei Leute (du und die anderen hippen Hyper [gebildet]) ansehen, die ein Bedürfnis danach haben, die Speerspitze von etwas zu sein, das eben hipp-gehypt wurde von jemandem, der das schon ist (Nüchtern vielleicht in dem seltsamen Artikel über die Serien - vor ein paar Faltern). Das klingt jetzt nicht so gemein, wie es klingen sollte. :-)

  • Domainnamen haben sich in Wahrheit nie wirklich durchgesetzt und sind bereits jetzt auf dem Rückzug, wo Otto-Normal-Nutzer sowieso nur mehr ein Stichwort in das Suchfeld des Browsers eingibt, und damit im Extremfall nach Google googlet.
    Mit den neuen TLDs wird das Chaos nur noch größer, niemand wird sich zusätzlich zu einem Stichwort auch noch die Endung merken (heute: implizit ".com").
    Schade.

  • Ich würde derartige Verallgemeinerungen vermeiden. Mathematik war für mich das einfachste Fach überhaupt, habe nie etwas gelernt, nicht aufgepasst und trotzdem fast nur "Sehr Gut" erhalten; dafür waren Aufsätze in allen unterrichteten Sprachen meist eher rot angezeichnet. Dennoch bin ich der Meinung, dass der Mathematik-Unterricht an der AHS, so wie er jetzt stattfindet, sinnlos ist.

  • Frage: Ist Loslösung von der Gesellschaft per se schlecht?
    2. Frage: Wie kann ich eine Vorstellung/Vision haben, wenn ich im banalen (nicht negativ gemeint) feststecke.
    Das Problem bei unseren doch oft sehr dumpfen Volksvertretern ist, dass viele von ihnen losgelöst von der Gesellschaft skuril banal sind.
    Hat wenig mit dem Thema zu tun - gebe ich hin. Ich habe mich durch den Artikel gequält ... seit wann brauchen artikel twists. Muss der Leser bis zum Schluß im Unklaren bleiben wo es hingeht?
    LG Paolo

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