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#rp14: Journalisten und Forenposter, eine Hassliebe

Auf der re:publica werde ich mit Teresa Bücker einen Workshop zum Thema Broken Comment Culture halten – darin geht es auch um Lösungsvorschläge, wie man die Debatte in den Leserforen verbessern kann. Hier ein Auszug aus meinem Buch: Er behandelt die schwierige Beziehung zwischen Journalist und Internetforenposter

Ich habe mit Journalisten in Deutschland, Österreich, den USA und Großbritannien gesprochen. Überall beobachten sie dasselbe: Reagiert man als Redakteur freundlich oder sachlich, werden viele Kritiker gleich viel gehemmter. Der „Zeit“-Redakteur David Schmidt sagte zum Beispiel: „Sobald irgendein Mitglied der Redaktion, sei es auch nur ein Moderator, einen Kommentar verfasst, beruhigt sich jede Debatte. Zumindest ein Stück weit, zumindest eine Zeitlang. Ich glaube, es liegt daran, dass die Leser erst einmal vor diese Wand gestellt sind. Die Seite wirkt irgendwie kalt, unmenschlich, das ist ein Produkt. Das lese ich und dann fange ich darüber an zu zetern. Sobald da aber ein Mensch ist, der sagt, dass er sich Gedanken dazu gemacht hat, gehe ich ganz anders damit um.“

Die britische Tageszeitung „Guardian“ hat diesen Effekt statistisch belegt. Ich interviewte Joanna Geary, die damals das Social- &-Communities-Team des „Guardian“ leitete und die strategische Entwicklung des Forums plante (Geary ist mittlerweile bei Twitter). Die Zeitung ließ eine – leider nicht veröffentlichte – Studie zur Qualität der Kommentare erstellen. Wie Geary erzählte, machte es der Untersuchung zufolge einen riesigen Unterschied, wenn sich Mitarbeiter innerhalb der ersten zehn Postings eingeklinkt hatten: „Dann stieg die Qualität der Kommentare, und die Moderationskosten für den Artikel sanken deutlich. Aus diesem Grund haben wir die Regel, dass sich unsere Mitarbeiter, wann immer es möglich und umsetzbar ist, an der Diskussion beteiligen. Die Kommentare sind eine redaktionelle Verantwortung.“

Beim „Guardian“ gibt es sogar die Regel, dass der Autor des Artikels entscheidet, ob er die Kommentarfunktion freischaltet. Er soll nur dann Postings zulassen, wenn er auch bereit ist, mitzudiskutieren – zumindest ein bisschen. Kommentare löschen oder gegen Trolle vorgehen müssen die Journalisten ohnehin nicht, dafür gibt es ein eigenes Team. Das ist übrigens ganz wichtig, dass die Medien eigene Moderatoren engagieren und die Forenwartung oder das Löschen von Spam-Kommentaren nicht unbedingt den Journalisten aufbürden.

Laut Geary gibt es auch beim „Guardian“ Fälle, bei denen eine Diskussion eröffnet wird, ohne dass der jeweilige Redakteur gerade mitdiskutieren kann. Grundsätzlich soll aber jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin bewusst sein: Als Autor hat man eine gewisse Verantwortung für „below the line“ (so wird im Englischen das Leserforum, weil die Leser unterhalb des Artikels posten). Man muss vielleicht nicht jeden Kommentar ansehen, aber die Journalisten sollten sich schon dafür interessieren, was im Forum passiert. Die britische Tageszeitung macht vor, wie man mit den Lesern zunehmend auf Augenhöhe kommuniziert und auch Journalisten dazu ermuntert, sich mehr mit dem Forum auseinanderzusetzen.

Warum ist die Nähe zu den Lesern so wichtig? Joanna Geary hat eine clevere Antwort parat: „Wenn wir über Anonymität reden, haben wir oft eine falsche Vorstellung davon. Die Anonymität ermuntert Menschen dazu, online grässliche Dinge zu sagen, egal ob der eigene Name daneben steht oder nicht. Entscheidend ist dieses Gefühl, dass der Gesprächspartner niemand ist, den man jemals tatsächlich kennenlernen wird. Das macht die Sache verzwickter.“ Sie vergleicht diese Situation übrigens mit einem Schulbus: In der hintersten Reihe sind die Kids am lautesten und verwegensten, weil sie glauben, dass sie von den Verantwortungspersonen weiter vorne nicht wahrgenommen werden.

Diskutiert man aber mit den Usern, ändert sich das mit einem Schlag. Das Dilemma ist nur: Einige Journalisten wollen tatsächlich keinen Kontakt zu ihren Lesern. Ein älterer Kollege sagte einmal zu mir: „Das ist ja unglaublich, jetzt soll man mit den Postern auch noch diskutieren!“ Doch daran führt kein Weg vorbei, wenn man den Ton verbessern will. Und vermutlich ist es nicht gerade das Schlechteste, auch ab und zu mit seinen Lesern in Kontakt zu treten.

Journalisten und Poster sind in Hassliebe vereint, wobei allerdings der Hass dominiert. Beide Seiten tun sich extrem schwer, den anderen zu verstehen
Journalisten und Poster sind in Hassliebe vereint, wobei allerdings der Hass dominiert. Beide Seiten tun sich extrem schwer, den anderen zu verstehen. Journalisten zum Beispiel verstehen das Konzept der Anonymität oft nicht, warum auch? Im Grunde arbeitet ein Journalist sein Leben lang darauf hin, sich einen Namen zu machen. In der Laufbahn eines jeden Redakteurs ist es ein bedeutender Moment, wenn zum ersten Mal der eigene Name in der Zeitung steht oder im Radio genannt wird. Für viele wäre es regelrecht eine Bestrafung, würden sie zur Anonymität gezwungen. Viele Journalisten übersehen dabei jedoch, dass für sie die namentliche Kennzeichnung beruflich förderlich ist. Sie gewinnen dadurch an Renommee. Der durchschnittliche Poster hat keinen solchen Dazugewinn: Was hat ein Kfz-Mechaniker oder ein Chirurg davon, wenn er öffentlich und namentlich die aktuelle Bildungsreform kritisiert? Wohl nicht annähernd so viel wie der Redakteur. Ich bezweifle, dass all diese Menschen mit ihrem Namen zu ihrer Meinung stehen wollen, selbst wenn diese Meinung absolut korrekt und freundlich formuliert ist. Zu Recht behagt auch die Vorstellung vielen nicht, dass alles, was sie online schreiben, mit ihrem Namen via Google zu finden ist. Der durchschnittliche Bürger ist nun mal kein Akteur auf der öffentlichen Bühne und er muss sich nicht als solcher inszenieren.

Gleichzeitig fehlt vielen Postern jegliche Empathie gegenüber den Journalisten, sie benutzen sie wie einen Sandsack, auf den sie verbal eindreschen und so ihren Frust loswerden können. Man kann die schönste Geschichte der Welt publizieren, irgendwer wird darunter schreiben: „Wen interessiert das?“ Oder: „Das könnte meine achtjährige Nichte besser schreiben.“ Hier ist in der Tat eine Verrohung des Umgangstons festzustellen, aber nicht deshalb, weil Poster so bösartige Menschen sind, sondern weil sie ihre eigenen Worte gar nicht richtig ernst nehmen, weil sie nicht so recht glauben wollen, dass Journalisten sich diese Postings sehr wohl zu Herzen nehmen – auch wenn so mancher Kollege das öffentlich abstreiten würde. Die Poster unterschätzen ihre eigene Macht, sie unterschätzen, wie verletzend ihre Worte sein können, weil sie sich unsichtbar fühlen. Und all das führt dazu, dass in vielen Foren Journalisten und Poster nahezu verfeindet sind.

Bei vielen Lösungsansätzen, die ich präsentiere, geht es darum, dies zu ändern und beiderseitigen Respekt herzustellen. Was das bringt? Der Journalismus wird tatsächlich interessanter, wird er mit (dazupassenden) Leser-Rückmeldungen angereichert, so wie das die „New York Times“ macht (mehr dazu im Buch auf S. 165). Und die Leser identifizieren sich mehr, bleiben einem Medium treuer, wenn sie sich als Teil einer Community fühlen, so wie es der „Guardian“ vorführt. Gerade in Zeiten sinkender Auflagezahlen ist das nicht die schlechteste Idee.

Man muss gar kein global agierendes Medium wie die „New York Times“ oder der „Guardian“ sein, um mit den eigenen Lesern in Kontakt zu treten. Sogar die Initiative eines einzelnen Journalisten kann ausreichen, um einen viel freundlicheren Ton herzustellen.*

Ziel war von Anfang an, das Gespräch mit den Usern zu suchen. Manch ein Kollege hielt dies für eine Schnapsidee
Das zeigt die Erfahrung eines österreichischen Redakteurs. Der Kolumnist Michael Hufnagl startete auf der Website der Tageszeitung „Kurier“ ein Blog namens „Meine Gedanken – Ihre Gedanken“. Ziel war von Anfang an, tatsächlich das Gespräch mit den Usern zu suchen und auf möglichst viele einzugehen. Manch ein Kollege hielt dies für eine Schnapsidee. Die Leser hingegen waren begeistert: Das Blog wurde zu einer der meistgelesenen und meistkommentierten Rubriken. „Das wirklich Spannende war aber, dass sich mit der Zeit ganz andere Leute dort einmischten“, erzählte mir Michael Hufnagl.

Anfangs plagten ihn einige Trolle, die ihn mitunter auch persönlich attackierten. Selbst diesen Provokateuren antwortete der Kommentator eher auf eine belustigte Art. Zu einem Beitrag über Patriotismus und den österreichischen Nationalfeiertag schrieb ein User namens „Ober Gscheit“ beispielsweise: „pfau. a cooler hund! macht si nix aus österreich!!! das nenn ich progressiv! ideale voraussetzungen für einen journalisten …“ Hufnagl antwortete prompt: „pfau. a cooler hund. schafft sich das pseudonym ‘Ober Gscheit’ und lässt aus der gesi- cherten anonymität heraus ein paar satztrümmerln fallen. das nenn ich progressiv! ideale voraussetzungen für einen kritischen forumsgeist.“

Als die User merkten, dass der Journalist tatsächlich (sogar auf angriffige) Kommentare einging, wurden sie viel freundlicher, nahmen sich offensichtlich mehr Zeit, verfassten ausgefeiltere Postings. Es meldeten sich Leute zu Wort, die sonst nie kommentieren. „Zum Schluss musste ich mich schon richtig anstrengen, um von den Postern nicht überführt zu werden. Wenn irgendein Argument nicht ganz stimmte, merkten die das sofort“, erzählt Hufnagl rückblickend. Es war aber auch ein ungeheurer Zeitaufwand für ihn, weil er tatsächlich versuchte, möglichst rasch auf Diskussionen einzugehen. Das ist übrigens auch ein Sicherheitsmechanismus: Wer prompt auf Postings antwortet, verhindert damit, dass die Debatte komplett entgleist.

Als Hufnagl Ende 2012 den „Kurier“ verließ, übernahm niemand dieses Blog. Das Experiment endete, die neu gefundene Community zerbröckelte, das angenehme Klima löste sich auf und doch hat Hufnagl eines bewiesen: Es macht einen ungeheuren Unterschied, wenn man als Autor auf Postings eingeht und den Lesern zumindest das Gefühl gibt, dass man sie ernst nimmt.

 

–> mehr ist in meinem Buch “Der unsichtbare Mensch. Wie die Anonymität im Internet unsere Gesellschaft verändert” zu lesen. Auf der re:publica 2014 werden Teresa Bücker und ich im Workshop Best-Practice-Beispiele und mögliche Lösungsansätze besprechen. Sie hat zu dem Thema auch bereits gebloggt.

 

Und zum Schluss noch zwei Bemerkungen:

* Eines muss man sagen: Sehr oft werden diese beiden Gruppen – die Journalisten und User – gegeneinander ausgespielt. Viele Medien investieren zu wenig Zeit und Geld in die Community, engagieren zu wenige Moderatoren, sodass die Redakteure mit unglaublich vielen Trollen konfrontiert sind. In so einer Situation ist es extrem schwierig, als einzelner Journalist dem Forum etwas Positives abzugewinnen.

** Noch eine Anekdote des ehemaligen „New-York-Times“-Autors David Pogue, der mittlerweile „Yahoo Tech“ leitet. Er bekam auf seine Technikkolumnen immer sehr viel Hass-Post und erzählte mir einmal, dass er regelmäßig auf diese E-Mails antwortet: „Manchmal schreibe ich nur: ›Ich antworte gern Ihren Bedenken, wenn Sie Ihre Nachricht nochmal schicken können, ohne dabei ausfällig zu werden.‹ Manchmal gehe ich auch auf die Kommentare ein. In ihrer Antwort entschuldigen sich die Leute dann fast immer und beschwichtigen. Mir scheint, die rechnen keine Sekunde damit, dass ich tatsächlich antworte. Und wenn ich’s dann doch tue, ist ihnen ihr voriges E-Mail furchtbar unangenehm.“

 

Das Aufmacher-Foto stammt von Flickr-User JeepersMedia

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