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Simmering Valley

Kann Wien zur Metropole für Start-ups werden? Das Pioneers-Festival zeigt das innovative Potenzial der Stadt Vielleicht sind sie in einem Jahr gescheitert, vielleicht sind sie aber auch in Silicon Valley und verhandeln mit Google. Das wissen die drei Jungunternehmer Andreas Röttl, Bianca Busetti, und Christian Papauschek nicht. Noch sitzen sie im Sektor5, einem Wiener Gemeinschaftsbüro, und programmieren eine App, basteln an der Website und haben mehrere Computer in Griffweite. Der Wirtschaftstyp, die Designerin und der Programmierer wagten etwas, was sich nicht viele Mittzwanziger trauen: Sie gründeten ihre eigene Firma namens Miavia.

Miavia

Das junge Team will Reisen revolutionieren. Man soll nicht mehr einen Reiseführer kaufen, sondern genau zugeschnittene Pakete für den Wunschurlaub – von der “romantischen Rundreise in Sri Lanka“ bis hin zum “Trans-Siberian Railway Adventure“. Auf Miavia können Internetuser und Reiseblogger ihre Routen mit Fotos dokumentieren, Tipps für den perfekten Urlaub geben und diese “Travel Boxes“ an andere User verkaufen. “Wir machen jeden User zum Herausgeber seines eigenen Lonely Planet“, sagt Röttl, 28, der CEO. Bianca Busetti, 23, ist nicht nur seine Geschäftspartnerin, sondern auch seine Freundin – die beiden lernten sich in einem Onlinekurs der Stanford-Universität kennen. Bei einer Sri-Lanka-Reise merkte das Paar, dass es noch an Software und Websites fehlt, die personalisierte Reisetipps geben und Tools liefern, um die eigene Reise simpel zu dokumentieren. Eine “Demokratisierung des Reiseführermarktes“ nennt Röttl das.

Wenn er Pech hat, dann floppt sein Produkt oder eine andere Firma schafft mit derselben Idee am internationalen Markt den Durchbruch. So etwas weiß man bei Start-ups nie: Es ist ein Hochrisikogeschäft, bei dem einige wenige Firmengründer sogar zu Millionären werden und viele nicht. “Das größte Problem in Österreich ist die Angst vor dem Scheitern“, sagt Röttl, “aber wenn wir scheitern, haben wir zumindest fürs Leben gelernt.“

 

Das ist der Start-up-Gedanke: Besser man scheitert, als man hat’s nicht probiert. Auch in Wien wächst eine Start-up-Mentalität, bei der junge Entwickler einfach loslegen, Apps programmieren oder Roboter entwickeln. Mittlerweile ist eine überschaubare, innovative Szene entstanden, in der sich Firmengründer wie Röttl vernetzen und in bunten Büros gemeinsam arbeiten – sogenannten “Coworking Spaces“. Jetzt geht es um die Frage, ob Wien noch mehr daraus macht und eine richtige Start-up-Stadt wird. Kann man mit innovativen Metropolen wie Berlin oder London mithalten? Eine Antwort liefert vielleicht das Pioneers-Festival, das kommende Woche stattfindet. Es ist die bisher wichtigste Initiative, um Wien als innovative Stadt auf der internationalen Landkarte sichtbar zu machen. Zwei Tage lang treffen sich in der Hofburg einige der renommiertesten Gründer und Geldgeber der Internetbranche (siehe Info rechts). Auf der Bühne werden nicht nur amerikanische Entwickler stehen, sondern auch Florian Gschwandtner aus dem Mostviertel. Er ist das österreichische Gesicht im Silicon Valley, einer der Gründer von Runtastic, jener Handy-App, die einen beim Laufen überwacht. Die Firma hat mittlerweile mehr als 20 Millionen registrierte Benutzer, und Gschwandtner ist alle paar Wochen im kalifornischen Silicon Valley. Er meint, Österreich müsse sich nicht verstecken: “Unsere Techniker stehen denen dort in nichts nach.“

indoors

Gute Technik gibt es hierzulande, die liefert zum Beispiel die Firma Indoors, die quasi das Google Maps für Innenräume macht. In Wien-Margareten wird Technik entwickelt, die nun auch in Brasilien zum Einsatz kommt: Die Jungunternehmer messen Räumlichkeiten, zum Beispiel Flughäfen oder riesige Shoppingmalls, aus und können einem via App sagen, wo man sich gerade befindet und wo das gewünschte Geschäft oder der Terminal liegt. Diese Indoor-Lokalisierung ist ein Zukunftsmarkt, für den sich auch große Firmen interessieren.

Am Pioneers-Festival können die österreichischen Start-ups ihre Leistungen präsentieren. Dass nun internationale Medien und Geldgeber nach Wien kommen, dafür sind zwei junge, ambitionierte Unternehmer verantwortlich. Andreas Tschas und Jürgen Furian haben die Firma Pioneers gegründet, die beiden sind zwei zentrale Figuren, die die österreichischen Start-ups zusammenführen. “Vor vier Jahren hat es nicht einmal eine Start-up-Szene gegeben“, sagt Tschas. Damals begannen die zwei WU-Absolventen, Vernetzungswochenenden in Wien und ganz Europa zu organisieren. Techniker und Marketingleute, also Gründer in spe, sollten zusammenkommen und ihre Ideen präsentieren. Das Konzept ging auf: Nachdem man ein Wochenende lang Ideen ausgetauscht, Menschen aus ganz anderen Branchen kennengelernt hatte, gründeten viele tatsächlich Firmen.

Tschas und Furian haben bereits 20 Mitarbeiter, beim Pioneers-Festival erwarten sie 2500 Gäste, mehr fasst die Hofburg gar nicht. In ihrem Büro am Getreidemarkt schaut es derzeit chaotisch aus. Etliche junge Menschen sitzen hinter Laptops, im Besprechungsraum steht ein Wuzler, und Werbematerial von vergangenen Events liegt herum. An einer Wand wurde eine riesige Glühbirne aufgeklebt. Bewusst pflegen die beiden gebürtigen Kärntner das Image der Ideengeber. Ihr Geschäftsmodell ist nicht nur, Veranstaltungen zu organisieren, sondern auch, Konzerne aus dem Technologie-, Banken-und Versicherungsbereich mit jungen Start-ups zu vernetzen – eine Art Frischzellenkur für riesige Firmenorganismen.

Pioneers

Freilich ist nicht alles rosig. Etwa braucht es viel Überzeugungsarbeit, wichtige Vortragende in die Stadt holen. “Wien ist in der Szene außerhalb Österreichs überhaupt nicht präsent“, sagt Furian. Aber zumindest werde es jedes Jahr eine Spur leichter. Zunehmend haben österreichische Firmen eine Niederlassung in Kalifornien, heuer findet das Festival zum zweiten Mal statt, da hat man schon Kontakte geknüpft.

Was macht den Erfolg des Silicon Valley aus – also jener Region zwischen San Francisco und San José, wo immer wieder innovative Internetfirmen entstehen und Google, Apple und Facebook ihren Firmensitz haben? Die Antwort lautet: Netzwerke. Die Stanford University arbeitet eng mit den Internetfirmen zusammen, in zehn Minuten Fahrtzeit ist man von Facebook bei Google. Dieser Austausch ist für Start-ups extrem wichtig, junge Firmengründer lernen von anderen Unternehmen oder Investoren wie das Geschäft funktioniert, welche Fehler man vermeiden sollte.

Austausch fehlt in Wien noch, vor allem auf universitärer Ebene. Hardcore-Techniker und Marketingfuzzis, die leben in derselben Stadt, aber anscheinend in unterschiedlichen Welten. Ein gutes Beispiel dafür ist die neugegründete Firma Blue Danube Robotics der beiden Elektrotechniker Walter Wohlkinger und Michael Zillich. In ihren Büros liegen Leiterplatten und Schraubenzieher herum, ein Plüschroboter lässt einen vermuten, was hier gebaut werden soll: elektronische Helfer. Die Wiener Techniker werden beim Pioneers-Festival einen Roboterkopf präsentieren. Dieser Roboter kann seine Umgebung, Gegenstände und Menschen erkennen. Er soll schwerbehinderten Menschen helfen, die rund um die Uhr Versorgung brauchen. Wenn dem Pflegebedürftigen die Fernbedienung runterfällt oder er gerne ein Glas Orangensaft hätte, kann das Gerät das Erforderliche tun, der Behinderte muss nicht extra einen Assistenten um Hilfe bitten.

Blue Danube Robotics

Bisher kosten komplexe Roboter hunderttausende Euro. Die beiden Firmengründer haben ein Konzept entwickelt, nach dem der Roboter für 12.000 Euro erhältlich sein soll. Das technische Know-how haben sie, weil sie seit langem an der TU Wien forschen. Jetzt fehlt ihrem Team aber noch ein Finanzexperte. Die Techniker kennen niemanden aus dem Wirtschaftsbereich. “Das hat mir auf der TU immer gefehlt: dass es keine Netzwerke zur Wirtschaftsuniversität gibt“, sagt Wohlkinger. “Falls Sie erwähnen könnten, dass wir jemanden suchen, wäre das ganz toll“, meint sein Kollege Zillich. Von 3-D-Druckern, Infrarotkameras und Roboterarmen haben die zwei eine Ahnung, aber nicht von Steuern oder Vertrieb.

Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie in Wien die richtigen Experten noch zusammenfinden müssen. Auch tun sich manche Jungunternehmer schwer, Risikokapital und sogenannte “Business-Angels“ aufzutreiben. Letzteres sind oft Millionäre, die nicht nur Geld, sondern auch Know-how in neugegründete Firmen investieren. Ein solcher Business-Angel braucht auch Geduld. “Viele Start-ups finden erst nach drei, vier Jahren ihr Geschäftsmodell. Auch Google brauchte so lange. Aber in Wien würde das kaum einer durchhalten“, meint Klaus Matzka, der ebenfalls Geschäftspartner der Firma Pioneers ist und die Szene gut kennt.

Risikobereitschaft ist keine genuin österreichische Eigenschaft. International lässt sich Wien eher mit Barcelona als Berlin oder gar London vergleichen. Was könnte man da tun? Gleich neben dem Rathaus findet man die richtige Ansprechperson: Gabriele Tatzberger. Eine Mittdreißigerin, die an der TU studierte, leitet die Abteilung Mingo der Wirtschaftsagentur der Stadt Wien. Die Büros sind hell, die Türen offen. Die Anlaufstelle für Start-ups soll möglichst wenig an eine Behörde erinnern. Mingo steht für “Move in and grow“. “Seit einem Jahr setzen wir den Fokus auch auf wachstumsorientierte, innovative Unternehmen. Die haben spezielle Bedürfnisse“, sagt Tatzberger. Dafür wurde das Förderprogramm “Twin Entrepreneurs“ gestartet, es soll slowakische und österreichische Unternehmer zusammenbringen und bei der Expansion helfen. Wien versucht auch, als Tor zum Osten aufzutreten und vielleicht manch eine Firma oder hochausgebildete Mitarbeiter aus Osteuropa anzulocken – ein großes Potenzial der Stadt.

Wien, eine Touristenmetropole mit viel Geschichte und Kunst, ein Ort mit hoher Lebensqualität für Manager und vielen internationalen Organisationen. Aber Wien als Start-up-Stadt? Da steht man noch ziemlich am Anfang: Niemand weiß zum Beispiel, wie viele Start-ups es hier wirklich gibt. 600 Gründer berät Mingo pro Jahr, etwa ein Drittel davon sind vermutlich klassische Start-ups, schätzt Tatzberger. “Aber stimmt, wir hätten auch gerne noch viel konkretere Zahlen.“ Ein Start-up, das heute existiert, gibt es vielleicht morgen gar nicht mehr, oder vielleicht sitzt es im Silicon Valley. Mit diesem wechselhaften Unternehmenstyp müssen sich die Österreicher wohl erst noch anfreunden.

 

Dieser Artikel ist im Falter 43/13 erschienen. Sämtliche Fotos hat Heribert Corn gemacht.

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  • Erstmal: Danke für diesen schönen Überblick!

    Mir scheint, Kommentare werden momentan fast nur als lästiges Service gesehen das aus rechtlichen Gründen beaufsichtigt werden muss.
    Dabei könnte man das Ganze auch als gratis bereitgestellten user-generated content sehen der die Homepage der Zeitung stark aufwertet.
    In Österreich wäre derStandard.at ein Beispiel: Mit ein bisschen Filtern und/oder blocken ist deren Kommentarbereich oft äußerst interessant. Gerade bei technischen Artikel (die oft selbst eher schwach sind) oder zu witzigen Artikeln, sind die Kommentare schon ein echtes Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Seiten ohne aktive Community.

  • Es gibt Benutzer, die können mal trollen. Diese kann man ermahnen, mit ihnen darüber reden und sie evtl. auf den rechten Pfad bringen. Bei echten trollen ist das alles vergebene Liebesmühe. Da muss man auch nicht tollerant sein oder irgendwelche Zensurvorwürfe gefallen lassen. Ich vergleiche so etwas gerne mit dem realen Leben.

    Beispiel:
    Kommt jemand unbekanntes zu mir nach Hause, grölt rum, pöpelt alle anderen Gäste an oder randalliert, dann fliegt er er sofort raus. Kommt der wieder, hole ich die Polizei. Es ist nicht meine Aufgabe dem Typen Manieren beizubringen. Ich bin weder seine Eltern noch sonst eine dafür verantwortliche Person. Und es ist auch nicht meine Aufgabe, dass er sich an Gesetze hält, für derartige Verstöße ist die Polizei da, auch im Netz.

    Meine Seite ist wie meine Wohnung, dort habe ich das Hausrecht und das sieht bei mir vor, dass man sich zivilisiert benimt. Ich muss und werde in meinen vier Wänden keine Arschlöcher, Kriminelle oder gewaldbeeite Randallierer dulden. Und so wie man auch im analogen Leben derartige Typen sofort vor die Tür setzt und/oder die Polizei benachrichtigt, so ist es auch im digitalem Netz. Denn ob die realen vier Wände oder das Internet, die Arschlöcher/Trolle sind in beiden Welten die selben.

  • Entschuldigung, es sieht langsam nach absichtlich kontrollierte ZENSUR mit der Ausrede von Anonymität aber in WAHRHEIT versucht man schon seit Jahren dies zu zensieren. Wenn man beleidigt wird, dann muss man sich ändern oder sich fragen was an sich nicht gemocht wird dass die Leute die Person beleidigen. Die Beleidigung ist zuerst geprägt von Unzufriedenheit der Massen und dies hat immer ein Grund und zwar demokratisch gesehen werden die Massen entscheiden wer akzeptiert wird und wer nicht und zwar als Führer oder Orator der Gesellschaft. Zur Zeit sind viel unwichtigen Personen die nur bezahlt sind die Massen zu stören und plötzlich kommen auch die Antworten. Also die Reaktion der Massen kann man nicht ignorieren oder als rassistische bezeichnen weil als soziale Gerechtigkeit alle Menschen die etwas nicht akzeptieren werden dann laut hier die Analyse als RASSISTEN bezeichnet und auch weiter beschimpft oder ganz isoliert. Man kann die Rechte der Menschen nicht entfernen nur weil ein paar politiker oder Zeitungen dies nicht mögen wenn das Volk sie beleidigt oder kritisieren, also jeder Mensch hat das Recht seine Meinung mit oder ohne BGB zu äußern und die Äußerung kann stören aber muss man sich fragen was störend war und nicht sofort alle als Rassisten zu beschimpfen. Wenn man unsere politiker analisiert dann darf keiner von ihnen an der Macht nicht stehen, die haben und belogen und verraten also die sind laut Gesetzt trotzdem Rassisten und verachtend weil die sich überhaupt nicht um unsere Problemen kümmern. Seit dem diese invasoren nach DE kamen, haben unsere politiker alles vergessen, die Arbeitslosigkeit, die Arbeitsplatzbeschaffung, der Arbeitgeber zeigen auch keine Interesse mehr für Arbeitslosen, Griechenland ist super glücklich, der euro ist stark wie eine tote Maus..., wir sind am ENDE und wir werden STÄNDIG abgelehnt mit solchen Kleinigkeiten ABSICHTLICH damit die HAUPTTHEMEN zu vergesen, ABLEHNUNG VON WAHRHEIT. Das ist die Taktik...

  • Natürlich ein klares Nein dazu. Man kann sehr lange darüber diskutieren wie man diskutieren sollte aber abdrehen käme ja einer Diktatur gleich. Demokratie haben wir ja ohnedies keine mehr. Aber die Kommis abzudrehen ist ein absoluter NO Go! Danke für deinen Gedankenanstoß. LG Sabine

  • Interessanter Beitrag , doch habe ich nicht die Möglichkeit mich aus solch negativen Postings zurückzuziehen? Ich für meine Person gebe nur Postings, wo ich mich auch "verstanden" fühle. Damit meine ich nicht, das mir automatisch zugestimmt wird, sondern wo das Niveau hoch genug ist, eine Kritik oder andere Meinung zu akzeptieren und darüber sich auszutauschen.

    • Liebe Waltraud,
      ich glaube sich zurueckzuziehen ist nicht das Allheilmittel fuer alle User. Denn die Menschen, die in Foren mit einseitiger Meinungsbildung verkehren, werden systematisch falsch informiert, was zu der angesprochenen Abgrenzung dieser Gruppe fuehrt. Durch die Abgrenzung sind die Mitglieder der Gruppe nicht mehr offen fuer rationale Argumente, da diese ja von der "Luegenpresse" stammen. Eine soche Isolation ist immer gefaehrlich, da die Gruppe von der Realitaet entkoppelt ist. Wenn diese Gruppe entschlossen genug ist, etwas zu bewegen, koennen Phaenomene, wie der IS entstehen (auch, wenn fuer die Entstehung des IS mehrere faktoren zusammengekommen sind, aber am Ende lauft es darauf hinaus, dass eine isolierte Gruppe wild entschlossen war etwas zu bewegen...).

      • Werte Waltraud Aouida, werter Matthias, danke für die beiden Kommentare! Ich verstehe gut, dass man manche digitalen Diskussionsräume lieber meidet - oft ist das Klima so rau, dass eine sachliche Debatte auch gar nicht möglich ist. Für den einzelnen User mag also ein Rückzug oft sinnvoll sein, für die Gesellschaft als Ganzes ist das aber riskant. Ich teile Matthias Sorgen, dass ein Rückzug genau den Falschen nützt - jene, die sich über diese Polarisierung freuen. Dazu eine Ergänzung: Manche Gruppen versuchen bewusst, einige öffentliche Diskussionsräume einzunehmen und mit ihrer Meinung zu besetzen. Zum Beispiel sind Antifeministen im Netz sehr aktiv und posten leidenschaftlich (und oft sehr aggressiv) unter Artikeln, in denen es um Frauenrechte und um Feminismus geht, den sie ablehnen. Das raue Diskussionsklima führt dazu, dass sich einige Menschen abwenden und lieber anderswo (oder nur im privaten Raum) weiterdiskutieren. Diese Taktik wird auch als „Silencing“ bezeichnet: Man ist so grob und so rüpelhaft zu anderen, dass diese einfach nicht mehr das Wort ergreifen wollen - und somit sollen auch andere Sichtweisen letztlich ausgeblendet werden. Zum Teil funktioniert diese Strategie. Was also tun? Ich finde es wichtig, dass Webseitenbetreiber und Onlinemedien mehr Verantwortung für den Umgangston auf ihrer Seite übernehmen und auch stärker die Diskussion vor der Entgleisung bewahren. Solche Räume gibt es, zum Beispiel hat „Zeit Online“ ein sehr gut moderiertes Forum. In anderen Worten: Ich finde es wichtig, dass digitale Räume verteidigt und geschaffen werden, in denen Menschen respektvoll miteinander diskutieren. Übrigens verstehe ich Ihre Formulierung mit dem „verstanden werden“ sehr gut: Das Entscheidende ist nicht, dass man überall einer Meinung ist, sondern dass man in der Lage ist, sachlich und fair miteinander zu diskutieren.

    • Werter Emanuel, danke für die Reaktion. Wir sind uns offensichtlich nicht überall einer Meinung, aber es freut mich nichtsdestotrotz, dass Sie so gründlich auf die einzelnen Überlegungen eingegangen sind. Zu Ihrer Antwort, im Kern entnehme ich daraus drei Einwände: Erstens haben Sie Recht, dass mein Vortrag nur ein sehr eingeschränktes, gut gebildetes Publikum erreichen wird und oftmals jene Menschen, die ganz ähnlich sind wie ich, die in der gleichen Blase sitzen wie ich. Das gibt mir, ehrlich gesagt, oft zu denken auf und die perfekte Antwort auf diese Filterblase habe ich nicht. Ich glaube aber, dass allein im letzten Jahr dieses Thema ungeheuer breitenwirksamer geworden ist. Ich habe im Jahr 2014 ein Buch über Anonymität und Diskussionskultur im Internet veröffentlicht und merke, wie mehr und mehr Menschen über dieses Thema auch reden wollen. Das ist zwar womöglich noch immer eine Minderheit (vielleicht auch nicht), mein Eindruck ist jedenfalls, das Bewusstsein wächst. Zweitens: Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie die Gefahr, dass die Debatte hierzu erst recht polarisierend wird (da kämpfen dann quasi die vermeintlich „Guten“ gegen die vermeintlich „Bösen“). Differenzierung ist wichtig, da stimme ich Ihnen zu. Ich warne nur vor der Gefahr, eine Debatte dann als „differenziert“ zu verstehen, wenn sie auch untergriffige oder gar verletzende Wortmeldungen enthält, oder wenn kein Unterschied zwischen belegbaren Fakten und wilden Gerüchten gemacht wird. Nun könnte man natürlich einwenden: Wer entscheidet denn, was ein Gerücht und was ein Faktum ist, was eine zulässige Aussage und was eine Beleidigung? In manchen Fällen ist das tatsächlich nicht leicht zu erkennen. Manchmal aber doch - und dann sollte das auch benannt werden. In diesen Fällen finde ich es in Ordnung, dass wir aggressive oder faktisch falsche Wortmeldungen nicht schützen oder gleichrangig behandeln wie die Wortmeldungen jener User, die sachlicher und fairer diskutieren (sachlich diskutieren bedeutet nicht, dass man einer Meinung sein muss, aber dass einen gewissen Grundrespekt - auch gegenüber Fakten - wahrt). Drittens, zum Thema „Filtern“ möchte ich noch auf diese exzellente Wortmeldung von Armin Wolf hinweisen: https://www.facebook.com/arminwolf.journalist/posts/1161742677170933 Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie meine Antworten nicht zufriedenstellen oder gar umstimmen wird. Ich habe jedenfalls Ihren Beitrag mit Interesse gelesen.

  • "Nun ist die Wikipedia 15 Jahre alt geworden, ich las neulich eine interessante Zahl dazu: Eine interne Umfrage aus dem Jahr 2011 fand heraus, dass nur einer von zehn Helfern der Wikipedia eine Frau ist. Nur jeder zehnte Wikipedianer ist eine Frau. Erst vor wenigen Wochen brächte der Atlantic einen interessanten Artikel über den Umgang mit Frauen auf Wikipedia. Die Autorin schrieb über das Verhalten mancher Userinnen:

    „Um zu verhindern, dass sie Ziel von Belästigungen werden, nutzen manche Wikipedianerinnen geschlechtsneutrale Pseudonyme und vermeiden es, bei ihrem Usernamen irgendeine persönliche Information anzuführen.“

    Das ist doch erschütternd, dass Frauen verheimlichen, dass sie eine Frau sind – damit ihnen gegenüber niemand unangenehm wird."

    Das passiert, wenn man sich nicht informiert, nicht hinter de Sachen schaut, einfach nur ein paar Sachen ungefiltert abtippt. Dann steht das da und alle glauben es so wie es da steht. Ich könnte jetzt was dazu sagen - aber es hat ja eh keinen Sinn. Wird ja dennoch ignoriert.

    • Sehr geehrter Markus Cyron, wenn Sie auf einer sachlichen Ebene diskutieren und konkrete Beispiele bringen, wo ich angeblich "nicht informiert" bin oder "ein paar Sachen ungefiltert abtippe", dann gehe ich auch noch gerne darauf ein.

      • Ich äußere mich mich mal an dieser Stelle, weil ich genau auf das Wikipedia-Thema eingehen will. Gleich vorneweg: Der Umgangton in der Wikipedia ist an einigen Stellen sehr aggressiv, und natürlich gibt es auch immer wieder gezielte Affronts gegen weibliche Benutzer. Das ist äußerst unschön, da bin ich Ihrer Meinung.

        Liebe Frau Brodnig, leider sind Sie dann aber in eine Falle getappt, die Sie oben selbst treffend beschrieben haben. Diejenigen Stimmen, die am lautesten sind und am meisten an diversen Stellen kommentieren, werden am ehesten wahrgenommen, das gilt eben auch für die weit verbreiteten Aussagen über die "frauenfeindliche" Wikipedia.

        Ich gehöre zu den Frauen, die sich als "Benutzer" eingetragen haben - weil es nämlich für meine Mitarbeit zunächst unwichtig ist, ob ich männlich, weiblich oder sonstigen Geschlechts bin. Wer genaueres über mich wissen möchte, kann mit einem Klick feststellen, dass ich eine Frau bin. Ich habe auch einen geschlechtsneutralen Benutzernamen - nicht weil ich Angst habe erkannt zu werden, sondern weil mir zu dem Zeitpunkt meiner Anmeldung nichts Originelles eingefallen ist, ich aber anonym bleiben wollte.

        Wie gehe ich nun mit geschlechtsspezifischen oder sonstigen Angriffen um? Dagegenhalten, nicht abschrecken lassen, sachlich bleiben, im schlimmsten Falle ignorieren oder kontern, aber nicht jammend durch ganze Internet ziehen, wie böse die Frauen doch wieder behandelt worden sind.

  • Ich fand den Vortrag ebenfalls sehr interessant und freue mich, dass es den hier jetzt auch schriftlich gibt.
    Gilt auch als manueller, absichtlich unaufdringlicher Trackback auf meinen Blogeintrag vom heutigen Tag. :) Wenn du möchtest, kannst du den direkten Link ja selbst hinzufügen. Liebe Grüße!

  • Ich möchte Alnilam hier zustimmen - und dazu sagen: Es gibt übrigens auch männliche Autoren, die sich explizit für einen weiblichen Nick entschieden haben und es gibt weibliche Autorinnen, die gerne austeilen. Wenn man das Thema Frauenfeindlichkeit angehen möchte, sollte man über ausreichend Hintergrundinformationen verfügen. Damit meine ich jetzt nicht die oben beanstandete "Abtipperei" oder speziell Ihren Artikel. Ich meine damit, dass das "System Wikipedia" so komplex ist, dass man zunächst einen Einblick braucht, um auch beurteilen zu können, wann ein Angriff gegen jemanden geht, weil er eine Frau ist - oder wann das praktisch schon zur Wikipedia "same procedure as every day" (unabhängig vom Geschlecht) gehört. Erst dann wird nämlich auch das Thema Frauenfeindlichkeit ernst genommen (und das beziehe ich jetzt nicht ausschließlich auf die Wikipedia, es fällt mir fast tagtäglich auf). Liebe Grüße von einer Autorin der WP

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