“Alle Parteien hofieren die Jugendlichen sogar”
Die Jugend solle nicht jammern, sondern lieber einen neuen Gesellschaftsentwurf entwickeln und der Band Tocotronic zuhören, meint Soziologe Heinz Bude. Ein Experteninterview mit unkonventionellen Ideen
Falter: Professor Bude, viele Junge haben dieses mulmige Gefühl, dass es vorigen Generationen besser ging. Ist da was dran?
Heinz Bude: Absolut. Den Jungen ist klar, dass sie nicht den gleichen Aufstieg erleben werden wie ihre Eltern. Mein Kollege Ulrich Beck hat immer von einem “Fahrstuhleffekt“ in der Nachkriegszeit gesprochen: Für die gesamte Gesellschaft ging es nach oben. Diesen Aufzug gibt es nicht mehr und für die Jungen ist das interessanterweise eine schmerzhafte Einsicht.
Was ist so interessant daran? Ist doch verständlich, dass den Jungen das nicht gefällt.
Bude: Stimmt. Nur im vergangenen Jahrhundert nahmen die Jugendgenerationen stets eine Konfliktperspektive zu ihren Eltern ein. Ihnen war wichtig, eine andere Zukunft zu finden als jene der Eltern. Das hat sich merkwürdigerweise umgekehrt. Jetzt klagen die Jungen darüber, dass sie es nicht genauso gut haben werden.
Das wahre Problem ist also, dass die Jugend keinen eigenen Generationenentwurf hat?
Bude: Genau so ist es. Ihnen fehlt der Glaube, dass sie selbst eine neue Zukunft für sich entwerfen können. Das führt zur eigentlichen Depression der Jungen.
Anders als zum Beispiel die 68er, die diesen Mythos um sich gesponnen haben und sich bis heute damit brüsten?
Bude: Interessant, dass Sie gleich von einem “Mythos“ sprechen. Die heute Jungen sind nämlich so schlau, dass sie die Mythenkonstruktion der 68er-Generation längst durchschaut haben. So einer blöden Sage würde niemand mehr auf den Leim gehen. Nur gleichzeitig haben die Jungen keinen Glauben daran, für sich selbst eine neue Sage zu schaffen. Sie wollen keine transformative Kraft sein, sondern nehmen eine rein affirmative Haltung ein.
Die Jungen hoffen also, dass es für sie so weitergeht wie für die Eltern. Ist diese Idee, dass es jeder Generation besser geht, nicht ein Irrtum?
Bude: Ein großer Irrtum sogar. Die Geschichte ist überhaupt nicht linear. Die Zukunft ist nicht einfach nur die Fortsetzung des bisher Dagewesenen. Die Krisenjahre 2008 und 2011 haben gezeigt, dass uns Einschnitte bevorstehen.
Klingt deprimierend. Können wir dem irgendwie entkommen?
Bude: Glaube ich nicht. Wir können nur offen darüber reden. Auch Neid bringt uns nicht weiter.
Was können die Jungen dann tun?
Bude: Darauf gibt es eine interessante Antwort der Band Tocotronic. Die haben ihre neue Platte “Wie wir leben wollen“ genannt. Diese Frage wäre der Beginn eines neuen Anfangs. Die Jungen sollen nicht schauen, wie die Menschen früher gelebt haben. Die Frage muss lauten: Wie wollen wir heute leben?
Wen meinen Sie mit diesem “wir“?
Bude: Die Generation Tocotronic, das sind die heute 40-Jährigen. Über die reden wir hier eigentlich – nicht über die 20-Jährigen.
Wirklich? Fehlt bereits den 40-Jährigen dieser Generationenbegriff?
Bude: Genau das ist das Problem. Die heute 40-Jährigen sind die Kerngeneration des Pillenknicks. Sie wuchsen bereits in einer Welt reduzierter Erwartungen auf. Das ist ihre Muttermilch. Darüber sind sie nie hinweggekommen.
Nun sind die Jungen in der Minderheit. Besteht die Gefahr, dass die Politik sie ignoriert?
Bude: Nein, überhaupt nicht. Alle Parteien von links bis rechts hofieren die Jugendlichen sogar, weil die so rar sind. Man muss nur in eine Partei gehen und sagen: “Ich will was werden.“ Prompt wird man was.
Ist das die Chance für Generationengerechtigkeit? Die Jungen sollen die Parteien erobern?
Bude: Nein, das reicht überhaupt nicht. Die Partei soll ja nicht nur das Karrieresprungbrett für Junge sein. Die müssen auch etwas wollen, die brauchen ein neues Wir-Gefühl.
Und dieses Wir-Gefühl entwickelt man zum Beispiel, indem man fragt: Wie wollen wir leben?
Bude: Genau. Es nützt überhaupt nicht, zu jammern, dass einem niemand zuhöre. Zuerst muss man wissen, was man überhaupt will.
Zusammengefasst heißt das: Die Jungen hätten sehr wohl eine Chance, ihnen fehlt nur die zündende neue Gesellschaftsidee?
Bude: Na ja, die “zündende neue Gesellschaftsidee“ ist mir als Begriff zu viel. Aber Sie haben irgendwie schon Recht, im Grunde geht es darum.
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Heinz Bude, geboren 1954, ist Soziologe an der Universität Kassel. Generationenforschung zählt zu seinen Schwerpunkten. Bude ist Autor mehrerer Sachbücher und verfasst regelmäßig Kommentare im deutschen Feuilleton zu Themen wie Bildungspanik und dem trügerischen Glauben an Generationengerechtigkeit. Facebook-Fanseite von Heinz Bude
Dieses Interview erschien im Falter (Ausgabe 5/13), Fotos: Klaus Nüchtern, Tocotronic. Bildergallerie: morguefile.com, U.S. Army, AYMHughes
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Wer keine Sorgen hat, der macht sich welche und untermauert sie auch noch wissenschaftlich... 🤣
Eine weitere Ursache könnte sein, dass solche Falschmeldungen aus journalistischer Sicht einfach "origineller" und damit auffälliger sind als die "alltägliche Wahrheit". Journalist/innen wollen, dass ihre Meldungen möglichst gut ankommen. Dafür haben sie vor allem zwei Möglichkeiten:
1.) Sie finden ein Sensation und berichten darüber.
2.) Sie erfinden eine Sensation und berichten darüber.
Nur Qualitätsjournalist/innen haben eine dritte Option:
Sie gehen in die Tiefe und decken Hintergründe sowie Beweggründe von Geschehnissen auf. Damit erreichen sie aber leider meist nicht die Massen.
zu 9: correctiv meldet am Schluss, dass nicht 2,6 sondern 5,3% aller Immigranten als Flüchtlinge anerkannt wurden. Wow, das ändert die Lage ja völlig, Hahaha!! Heißt jetzt, mit "5 von Hundert" wäre die Schlagzeile korrekt, die Aussage der Schlagzeile, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der uns immer als "Flüchtlinge" verkauften Menschen tatsächlich Flüchtlingsstatus haben, bleibt also völlig intakt!
Ich empfehle, hierzu den Faktencheck von Correctiv zu lesen: https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/05/16/faktencheck-fluechtlinge-italien-prozent/
Zu dieser Thematik fallen mir gleich eine ganze Reihe von Zitaten ein, die belegen, dass die hier behandelten sozialen Wirkungen schon längst bekannt sind und kein wirklich neues Phänomen darstellen.
„Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen.“ Hegel (1770-1831)
„Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen, bestimmen das Zusammenleben“ Epiktet (um 50 bis 138 n.Chr.)
Und der größte Unsinn ist der Spruch im Volksmund:
„wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
Richtig ist: „wer ständig lügt, dem glaubt man schließlich“
oder wenn oft genug Falsches gesagt, gedacht, geschrieben wird, wird es richtig!
Siehe dazu auch solch banale Dinge, wie die Falschschreibung(sprechung) des Adjektivs extrovertiert.
Natürlich heißt es extravertiert, aber es wurde die letzten 50 Jahre so oft falsch geschrieben und gesprochen, dass es schließlich in der falschen Form im Duden gelandet ist....
keep groovin´& over the tellerrand thinkin´´
Super Website! Super Artikel. Weiter so
LG Alex
Tja, wenn's nur immer so leicht ginge eine Fake News zu identifizieren. Genau Schritt 3 ist nämlich das Problem - in vielen Fällen lässt sich eben nicht oder erst viel zu spät nachweisen, dass gezielte Irreführung betrieben wird. Und dann ist eine Fake News schon eine gewisse Zeit Fakt News geworden...
Ungefähr jedes Merkmal oder jede Manipulationstechnik, die hier exklusiv "rechts" zugeschrieben wird, ist von allen Akteuren im politischen Spektrum in exakt der angeprangerten Form genutzt worden und wird es weiterhin. Die "AfD-Wut" über irgendwas unterscheidet sich beim Facebook-Emoji nicht von der Wut über Lohnungerechtigkeit oder tote Kinder am Strand unter einem taz-Artikel, die patriotische App unterscheidet sich funktional rein gar nicht von gleichartigen Apps, die zur "Vernetzung von Protest" erstellt wurden und nun ja, "Revolutionsversprechen" sind rechts? ... kicher ... schon mal auf 'ner 1.Mai-Demo gewesen?
Es gibt signifikant messbare Unterschiede zwischen den Parteien - dass die AfD stärker Wut erntet als andere, ist das Ergebnis dieser Untersuchung von Josef Holnburger: http://holnburger.com/Auf_den_Spuren_des_Wutbuergers.pdf Man kann dort auch alle anderen Parteien ansehen und nachlesen, welche Reaktionen diese ernten. Aber natürlich: Wut ist eine universelle Emotion, gesellschaftlicher Wandel wird oft über Wut erreicht, zB weil Menschen einen unfairen Zustand nicht länger hinnehmen wollen. In meinen Augen macht es einen qualitativen Unterschied, in welche Richtung Parteien Wut einsetzen - problematisch wird Wut meines Erachtens, wenn man sie gegen gesellschaftlich schwächer gestellte Menschengruppen einsetzt
Vielleicht nur am Rande (oder auch gar nicht...) interessant, aber hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Technologie und Utopie: Bereits im Zusammenhang mit elektrischer Telegrafie und mit der Verlegung des ersten transatlantischen Unterseekabels in den 1850er/60er Jahren äußerten Zeitgenossen immer wieder die Idee, dass, sobald dieses Kabel verlegt und somit Kommunikation im Minutentakt zwischen Großbritannien und Nordamerika möglich sei, eine Ära immerwährenden Friedens zwischen GB und den USA ihren Anfang nähme. Wer sich minutenschnell austauschen könne, der könne schließlich alle potentiellen Konflikte oder Unstimmigkeiten im Nu aus dem Weg räumen. Bald musste man aber feststellen, dass dem nicht so war, wobei hier unterschiedliche Faktoren ihren Teil dazu beitrugen (hohe Kosten pro Nachricht, weshalb diese stark verkürzt wurden, diplomatisches Prozedere, das mit dieser neuen Form der Kommunikation nur schwer zu vereinbaren war, etc.) - In der britischen Presse der damaligen Zeit wurde diese Entwicklung dann wiederum ausgesprochen reflektiert betrachtet und techniksoziologische Betrachtungen angestellt, die heutigen Ansätzen in nichts nachstehen (ich habe da nur Einblicke in die britische Presse, wie an anderer Stelle darüber geschrieben wurde, weiß ich nicht). Ironischerweise war es dann einige Jahrzehnte später ein Telegramm, mit dem Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte...
Aber wie gesagt... das nur am Rande.
Ansonsten - schöner Vortrag! Like! Respect! :)
Das ist total spannend! Sorry für die späte Antwort, aber hatte den Kommentar noch gar nicht gesehen: Das ist eine extrem interessante Anekdote! Ist das vielleicht irgendwo beschrieben, wo ich mehr dazu lesen kann? Ich sammle solche Beispiele auch gerne, weil man weiß nie, wo man solche Beispiele unterbringen kann... Auf jeden Fall: Danke schön für die interessante Rückmeldung!
„Politische Diskussionskultur“ - das ist freilich speziell in Österreich sowieso eine der permanent endangered species.
Bald sind wir so durchgeregelt, dass wir gar keinen Spielraum mehr für Meinungsbildung haben und nur noch das politisch Erwünschte denken. Wünsche aber sind keine Rechte. Sie sind höchstens ein Anzeichen verwöhnten Wohlstands, der Befindlichkeiten zum Nachteil aller anderen hochhält, Menschen gegeneinander ausspielt und Beliebigkeit statt Kritik- und Konfliktfähigkeit kultiviert. Haben wir uns zur modernen Wohlstandsgesellschaft entwickelt, um solche Menschen zu werden?