“Das jagt vielen Journalisten Angst ein“
Man muss mit dem Leser auf Augenhöhe kommunizieren, meint Chris Moran vom Guardian. Er erklärt das Konzept des radikal offenen Journalismus
Der Guardian will eine Weltmacht im Internet werden. Die britische Traditionszeitung setzt dabei auf Transparenz, spricht von einem “offenen Journalismus“. Wie dadurch die Berichterstattung besser werden soll und wie der Guardian sich seine Zukunft vorstellt, erklärt Digitalexperte Chris Moran.
Falter: Herr Moran, der Guardian glaubt an eine neue Form des Journalismus, den “offenen Journalismus“. Was ist denn das?
Chris Moran: Unser Bekenntnis lautet: Was unsere Leser liefern, finden wir gleich wichtig wie das, was wir ihnen liefern. Wenn man ein großes, loyales Publikum hat, findet man darin unausweichlich Experten zu jedem Bereich, über den man berichtet. Journalisten können nicht immer sofort über alles Bescheid wissen. Gerade in einem digitalen Zeitalter, wo alles in Echtzeit passiert, wo man immer schneller berichten muss, soll man das aufzeigen.
Haben Sie ein Beispiel?
Moran: Ja, manchmal machen die Leser unseren Job leichter. Wir hatten einen riesigen Spesenskandal in Großbritannien, unser Konkurrenzblatt The Telegraph deckte auf, dass Abgeordnete Spesen für private Zwecke verrechneten. Das war der Scoop des Jahres. Der Staat hat daraufhin eine riesige Datensammlung mit allen Parlamentsspesen veröffentlicht. Mehr als 400.000 Rechnungen. Nur wie verarbeitet man das journalistisch?
Sie haben Ihre Leser durch die Akten stöbern und Hinweise geben lassen, wo ungewöhnliche Rechnungen ausgestellt wurden.
Moran: Genau. Immer öfter sind wir mit riesigen Datenbergen konfrontiert, da können uns Leser das Leben erleichtern. Diese Spesendatenbank war wie eine Schatztruhe, in der die Leser nach interessanter Information suchen sollten. Ein gutes Beispiel für die Weisheit der Masse. Mehr als 32.000 Leser haben mitgemacht. Die gesamte Datenbank wurde zwar nicht durchforstet, aber immerhin eine Viertelmillion Dokumente. Das hat zu mehreren Artikeln im Guardian geführt.
Auch ein Polizeiskandal wurde erst mithilfe der Leser aufgedeckt.
Die Polizei hat die Öffentlichkeit in die Irre geführtMoran: Genau, der Tod von Ian Tomlinson. Tomlinson war ein Zeitungsverkäufer, der 2009 auf seinem Heimweg in die Proteste gegen den G20-Gipfel in London kam. Laut Polizei starb er an einem Herzinfarkt, die Polizisten hätten ihm helfen wollen, seien aber mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Unser Journalist Paul Lewis war kurz zuvor Twitter beigetreten und fing an, dort Fragen zu stellen. Er versammelte jene Leute, die an den Protesten teilgenommen hatten und erarbeitete eine Zeitleiste von den letzten Minuten in Tomlinsons Leben. Dann kam der entscheidende Hinweis: Ein amerikanischer Börsenmakler hatte die Szene gefilmt, in der Tomlinson von einem Polizisten grundlos attackiert wurde, wenige Minute bevor er an einem Herzinfarkt starb. Auch sah man, dass die Demonstranten keine Steine geworfen hatten. Um es freundlich zu sagen: Die Polizei hat die Öffentlichkeit in die Irre geführt.
War Twitter für den Fall so wichtig? Auch früher erhielten Journalisten Tipps von Augenzeugen.
Moran: Ja, nur wie kommuniziert man, dass man nach Hinweisen sucht? Fragen Sie auf Ihrem Titelblatt: “Hat jemand etwas gesehen“‚ Twitter eignet sich da besser. Die Leute haben Paul retweetet, sein Anliegen verbreitet. Das ist der Twitter-Effekt: So eine Nachricht zieht Kreise, ähnlich einem Stein, den man in einen Teich wirft. Und irgendwann hat sie dann den Börsenmakler in den USA erreicht.
Nicht all Ihre Versuche gehen so wunderbar auf. Neuerdings geben Sie jeden Morgen bekannt, worüber Sie tags darauf berichten werden. Das ist in einer Onlinetabelle nachlesbar. Doch nur wenige Leser gehen darauf ein oder helfen mit Hinweisen.
Moran: Diese Tabelle ist ein Experiment. Wir haben dieses Google-Dokument schon früher redaktionsintern verwendet und es dann auch online gestellt. Wobei wir wirkliche Knüller natürlich nicht vorab bekanntgeben. Es stimmt, dass die Beteiligung der Leser nicht rasend ist, aber wir probieren solche Dinge gerne aus. Wir glauben nun einmal an Transparenz und lernen aus solchen Versuchen. Vermutlich kann man die Leser besser einbinden, wenn man ihnen eine gezielte Frage stellt, und nicht sagt: “Hier ist unser morgiges Blatt, was sagt ihr dazu?“ In Blogs wie Reality Check gehen wir gezielt einzelnen Fragen nach, dort sind die Leser-Postings bereits gleich wichtig wie die Beiträge der Journalisten.
Wie funktioniert denn das?
Moran: Reality Check wird von Polly Curtis verfasst. Jeden Morgen sucht sie eine spannende Geschichte, die man näher beleuchten könnte. Das Youtube-Video “Kony 2012“ (Anm.: über den afrikanischen Warlord Joseph Kony) war ein gutes Beispiel dafür. Es vereinte interessante Aspekte, soziale Medien, Wohltätigkeit und die Probleme Afrikas. Es gab aber auch Kritik daran, und man wusste nicht, ob man es gut finden soll oder nicht. Also fragte Polly: “Kony 2012, was steckt dahinter?“ Das hat unglaublich gut funktioniert, über Google haben wir ganz neue Lesergruppen angezogen. Gemeinsam mit den Lesern ging Polly dann dieser Frage nach. Sie bloggt alle paar Minuten und zieht Leserreaktionen maßgeblich dabei ein.
Bei dem Blogeintrag zu Kony steuerten Leser spannende Quellen bei oder brachten ihr eigenes Wissen über Afrika ein. Wie verändert sich die Rolle des Journalisten im 21. Jahrhundert?
Der Journalist ist jemand, der zuhört. Wir hören Leute, die früher stumm schienenMoran: Der Journalist ist jemand, der zuhört. Und zwar nicht nur den Interviewpartnern oder Presseleuten. Wir hören Leute, die früher stumm schienen. Das mag simpel klingen, ist es aber nicht, weil das vielen Journalisten Angst einjagt. Oft schimpft jemand oder ist wütend auf sie. Manche User sind aggressiv, andere sind einfach nur Trolle. Deswegen ist es für Journalisten anfangs so furchteinflößend, sich diesem Lärm auszusetzen und jene Stimmen herauszufiltern, die einem bei der Arbeit wirklich weiterhelfen.
Der Guardian achtet sehr auf die Qualität seiner Onlinepostings. Wie verhindert man Untergriffe?
Moran: Da gibt es etliche Möglichkeiten, wir haben eigene Moderatoren- und Communityteams. Einen wesentlichen Unterschied macht aber oft, ob der Autor selbst auf Kommentare antwortet. Genauso wie wir unsere Leser als Menschen wahrnehmen müssen, müssen auch unsere Leser erkennen, dass es sich bei uns um Menschen handelt. Oft schreibt man einen Text und schon fallen sie über einen her. Wenn man auf Kommentare antwortet und eingeht, dann sehen sie plötzlich: Du bist auch ein Mensch.
Sie sind jetzt schon seit 1999 in der der Onlineredaktion des Guardian. Wie hat sich diese seit damals verändert?
Moran: Gewaltig. Allein die geografische Veränderung war beeindruckend. Zuerst saßen Online und Print nicht im gleichen Gebäude. Dann waren wir im gleichen Haus, aber in einem anderen Stock. Und vor vier Jahren wurde beides zusammengelegt, jetzt sitzen wir alle nebeneinander.
Wie viele Leute arbeiten in der Onlineredaktion?
Moran: Als ich anfing, waren es wohl so 50 Leute. Heute wird da nicht mehr unterschieden. Das gesamte Personal des Guardian ist digital.
Ihr Chefredakteur Alan Rusbridger sagt: digital first. Er ist wohl einer der radikalsten Vordenker, was den Journalismus im digitalen Zeitalter betrifft.
Moran: Ja, er stand dem digitalen Wandel stets offen gegenüber und hat das Wachstum von guardian.co.uk geschickt beobachtet und die richtigen Weichenstellungen gesetzt. Falls es heute noch einen Redakteur bei uns gibt, der nicht über das Digitale nachdenkt, wäre das wohl ein Problem.
Einfach gesagt: Der Guardian will eine digitale Weltmarke werden.
Moran: Stimmt. Wir haben erst neulich ein Büro in Amerika eröffnet, wir wollen unsere Bedeutung am Markt ausdehnen. Die Berichte über Wikileaks haben uns viel amerikanische Aufmerksamkeit beschert, als englische Mitte-links-Zeitung hatten wir aber auch schon zuvor viele amerikanische Leser, die unseren anderer Blickwinkel schätzen. Das wollen wir ausnützen. Wenn man digital richtig agiert, hinterlässt man hoffentlich weltweit seine Spuren.
Nur, wann rechnet sich das finanziell?
Im Moment denken wir über keine Paywall nachMoran: Das ist die große Frage, die jeder gerne beantworten würde: Wann und wie rechnet sich das? Unsere Vorstellung von offenem Journalismus inkludiert, dass wir im Moment über keine Paywall nachdenken. Wir wollen an einer internationalen digitalen Debatte teilnehmen und uns nicht selbst von dieser abkapseln. Also schauen wir uns andere Dinge an: das iPad, Applikationen, Handy-Apps, Kindle. Das ist nicht mein Aufgabenbereich, aber ich glaube, am ehesten funktioniert wohl ein Mix mehrerer digitaler Einnahmequellen.
Sie wollen sich also nicht hinter Bezahlschranken wie der Paywall verstecken. Die New York Times hingegen hat einen anderen Zugang. Wer mehr als 20 Artikel im Monat online lesen will, muss zahlen.
Moran: Ein interessanter Versuch, aber ob es wirklich ein Erfolg wird, werden wir erst sehen. Vielleicht funktioniert so etwas nur für einzelne Unternehmen mit bestimmten Grundvoraussetzungen. Ob man das auf die eigene Zeitung umlegen kann, ist unklar. Wir haben da eben unterschiedliche Zugänge.
Und in der Zwischenzeit verbrennt der Guardian Geld. Allein im letzten Geschäftsjahr verloren Sie 47 Millionen Euro. Selbst der Guardian kann sich das nicht auf alle Ewigkeit leisten.
Moran: Ich bin in keiner Weise für das Finanzielle zuständig. Wir haben aber durchaus eine realistische Sicht der Dinge, und Einsparungen werden gemacht. Ich glaube, wir gehen verantwortungsbewusst um – es ist aber nicht meine Aufgabe, hierzu Stellung zu nehmen.
Okay, dann lassen Sie mich die Frage anders stellen: Die Idee ist also, jetzt investieren und zur Weltmarke wachsen, bis hoffentlich die Werbeeinnahmen groß genug sind?
Moran: Das ist ein Element des Ganzen, wenn man den amerikanischen Markt ansieht, scheint das durchaus sinnvoll. Aber das ist nicht das Einzige: Das iPad, der Kindle, all das sind für uns interessante Geräte, um unseren wertvollen Inhalt Menschen zu geben und Geld dafür zu verlangen. Wir sind ein Unternehmen, das viel ausprobiert. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit seinem Leser in Kontakt zu treten.
Video zum Tod von Ian Tomlinson:
Zur Person:
Dieses Interview erschien im Falter (Ausgabe 12/12). Illustration: PM Hoffmann / Foto: Walter Henisch
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Drinking water throughout your day helps you to prevent disease,
your optimal weight, as it dieting is so hard should.
For the study, Gardner and his colleagues looked at data from 300 overweight
or obese, advise people that cutting calories by a certain amount of fat to be
healthier. That is something to think about all the hoopla over his
weight.
Was ich spannend finden würde:
Wie wird eigentlich in Österreich überwacht?
Was macht die Polizei & der Verfassungsschutz?
Was die beiden militärischen Geheimdienste?
Vor allem: was dürfen die rechtlich - was machen sie faktisch, also wie weit wird die Rechtsstaatlichkeit bewahrt?
Nun, zur rechtlichen Lage hat der Sprecher des Innenministeriums Stellung genommen. Siehe: http://derstandard.at/1369363164908/Bespitzelung-a-la-PRISM-In-Oesterreich-ausgeschlossen
Inwieweit andere Staaten (etwa Österreich) auch geheime Programme haben oder die Ermittler mehr tun, als sie dürfen, kann man natürlich nicht sagen - wobei ich mir bei der Vorstellung schwer tue, dass Österreich ein ähnliches Spitzelprogramm hat. Weder haben wir große IT-Konzerne bei uns sitzen, noch einen Patriot Act, der sehr vieles sehr Problematisches möglich macht.
Und zum Vergleich mit der Vorratsdatenspeicherung:
Von manchen wird PRISM mit der Vorratsdatenspeicherung verglichen, was aber irreführend ist ist. Ich bin wahrhaft keine Freundin der Vorratsdatenspeicherung, aber sie ist mit PRISM nicht vergleichbar. PRISM ist ein geheimes (!) Programm, das Daten abzapft. Laut den internen Dokumenten kann die NSA auf E-Mails, Fotos, Videos, Chatprotokolle zugreifen. Das geht viel weiter als die Vorratsdatenspeicherung, bei der sogenannte Verbindungsdaten gespeichert werden - also nicht der Inhalt einer E-Mail, sondern die Information, wann wer mit wem wo gemailt hat. Es geht mir keine Sekunde darum, die Vorratsdatenspeicherung zu verharmlosen, nur werden hier Äpfel mit Birnen verglichen.
PRISM ist ein Geheimprogramm, von dem wir nur dank einem Whistleblower erfahren haben und das offensichtlich viel weitreichender ist als alle anderen Überwachungsmethoden, von denen wir bisher wissen.
hier vielleicht ein interessanter Link/anderer Blick: http://nakedsecurity.sophos.com/2013/06/10/prism-not-as-bad-as-you-thought-and-dont-call-it-prism/
ich glaube auch überhaupt nicht, dass Österreich hier ähnliche Programme unterhält, auch ein Vergleich mit der VDS liegt mir fern. PRISM scheint ja vielmehr sowas wie Echelon zu sein nur weit umfassener, das ist eine ganz andere liga als die Vorratsdatenspeicherung.
Aber natürlich gibt es auch in Europa eigene Überwachungsbestrebungen, wie hier http://fm4.orf.at/stories/1719346/ etwas kompliziert beschrieben. Da wird Österreich sicher auch mit an board sein.
Darüber hinaus wird zb das Projekt INDECT betrieben. (https://de.wikipedia.org/wiki/INDECT)
Und, wieder anderes Thema, es gibt ja momentan schon weitreichende Übereinkünfte mit den USA über Fluggast-Daten und auch E-Banking (SWIFT) betreffend.
Aber ja, eine maßlose allumfassende Aufzeichnung/Speicherung der "österreichischen Daten" wird es wohl nicht geben, einzelne Maßnahmen der Polizei/Geheimdienste die weiter gehen als die Gesetze es erlauben bestimmt (siehe VGT-Prozess).
Eine öffentliche Kontrolle dieser Tätigkeiten gibt es aber nicht, und auch keine Diskussion über die Befugnisse und tatsächlichen Überwachungstätigkeiten der Behörden hierzulande, womit ich wieder bei meinen Einstiegsfragen angelangt bin :)
Komisch, der Kommentar blieb im Spam-Filter hängen. Sorry! Sehr spannender Artikel auf FM4, kannte ich noch gar nicht. Danke!
Mir geht's gar nicht darum, Europa zu sehr in Schutz zu nehmen. Ich hab nur ein bisschen Angst, dass nun sehr schnell so ein generelles Wurschtigkeitsgefühl eintritt, so nach dem Motto: Jo, mei, es überwachen eh alle! Das wäre schlecht, weil das erst recht jene EU-Abgeordneten blockiert, die nun wieder Verschärfungen in die Datenschutzverordnung reinschreiben wollen. Was sicherlich generell eine gute Idee ist. Aber ja, der Tierschützerprozess wirft sicher kein gutes Licht auf das Vorgehen der Behörden...
übrigens:
http://derstandard.at/1369363661519/Bundesheer-Geheimdienst-soll-mit-NSA-kooperieren
"Etwa, dass für den Rest der Menschheit nicht die gleichen Menschenrechte gelten?"
Genau so kommt mir aber die Haltung vieler US-Amerikaner vor. Guantanamo ist nicht so schlimm, so lange keine Amerikaner dort sind. Und das F in FISA steht nicht umsonst für "Foreign". Klar, das sich ein Staat zuallererst um seine eigenen Bürger kümmert und eine Regierung um ihre Wähler. Gerade deshalb sollten in wir in Europa scharfe Datenschutzgesetze schaffen und uns nicht den Lobbyisten der großen (US-)IT-Unternehmen beugen.
Stimmt, leider entsteht dieser Eindruck derzeit tatsächlich. Wobei man ja sagen muss, dass Obama ursprünglich auch für das Versprechen, Guantanamo zu schließen, gewählt wurde. Es gibt sicherlich einige Amerikaner, die keine Freunde der Außenpolitik ihres Staates sind.
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Mal sehen wie viele Studien über die Sinnlosigkeit der Vorratsdatenspeicherung benötigt werden um sie wieder abzuschaffen. Leider sind die Regierungen einfach so datensammelwütig.
Nachdem es jetzt eh passiert ist sollte man das ganze System mit sinnlosen Informationen zumüllen, dann geht vielleicht in der Datenflut unter wann meine Oma mit ihrem Arzt über ihre Hüftprothese via Email kommuniziert hat... (Ja ich weiß, Inhalte werden nicht gepeichert - noch nicht...)