“Von wegen: Die Lesbe steht auf der Bühne und kämpft für ihre Frau“
Christine Hödl, Siegerin der ORF-Sendung “Die Große Chance“, über ihr Leben in und nach der Castingshow
Interview:
Ingrid Brodnig & Gerhard Stöger
Die Sängerin wirkt genau so, wie man sie aus dem Fernsehen kennt: Sie ist klein, unkompliziert und einnehmend sympathisch. Einen Unterschied gibt es aber doch: Während Hödl im Fernsehen recht wortkarg war, sprudelt es beim Interview nur so aus ihr heraus. Im Büro ihrer neuen Plattenfirma Sony spricht sie über den Alltag hinter den Kulissen der „Großen Chance“, über den ambivalenten Umgang der Medien, über ihre Karrierehoffnungen – und sie lacht über die Frage nach ihrer Größe, die ihr zuvor auch schon Woman gestellt hatte: Es sind exakt 153 Zentimeter.
Falter: Frau Hödl, wie geht es Ihnen eine Woche nach dem Sieg?
Christine Hödl: Ich konnte mir noch gar nicht die Zeit nehmen, das Ganze Revue passieren zu lassen und abzuklären, was da eigentlich gerade mit mir passiert. Es gibt viel zu viel Trubel um mich herum, außerdem haben die Aufnahmen meines Albums bereits begonnen.
Bekommen Sie eine Auswahl an Songs vorgelegt, die Sie aufnehmen müssen?
Hödl: Nein, das darf ich mir schon aussuchen. Das Album wird meines. Am ersten Studiotag haben wir einen Teil meines Repertoires in einer Rohversion aufgenommen, jetzt müssen wir schauen, was davon wirklich verwendbar ist.
Was war das für ein Gefühl, als plötzlich nur mehr Sie im Scheinwerferlicht standen?
Hödl: Ich habe das gar nicht mitbekommen. Irgendwann hat der Kandidat neben mir gemeint: „Christine, äh, du bist das.“ Ich hatte da längst ein Blackout.
„Die Große Chance“ lebte von permanenter Reizüberflutung. Hatten Sie nie Angst, da unterzugehen?
Hödl: Das Spektakel hat mich nicht gestört. Jeder hatte seine Art, eine Show zu machen, meine war halt sehr minimalistisch. Es ging nicht darum, mit Bomben und Granaten einzuschlagen. Das bin nicht ich.
Wie viel Arbeit steckt hinter so einer Show?
Hödl: Ohne Spaß würde es nicht funktionieren, aber man glaubt gar nicht, wie viel harte Arbeit das hinter den Kulissen ist. In den zwei Wochen vor dem Finale mussten wir täglich ab Mittag dort sein, dann ging es meistens bis Mitternacht. Ich habe eine ganze Sammlung an ORF-Essensgutscheinen zu Hause liegen, weil ich oft gar nicht dazu gekommen bin, die einzulösen. Nikotin und Koffein waren meine Rezepte, um mich bei Laune und munter zu halten.
Hat es Sie überrascht, dass das Showgeschäft so harte Arbeit ist?
Hödl: Ich bin offenkundig sehr naiv in das Ganze hineingegangen. Ich dachte mir: Ich mache die eine oder andere Probe, lasse mich in ein Kostüm stecken und tu halt so als ob. Jetzt weiß ich es besser.
Bei Popmusik geht es immer auch um Show und Illusion. Ihr künstlerisches Konzept ist die Natürlichkeit. Auch weiterhin?
Hödl: Das war kein bewusster Show-Plan. Ich bin so, und das wird so bleiben. Ich darf Gott sei Dank mit Leuten zusammenarbeiten, die mich lassen, wie ich bin. Eigentlich war das auch bei der Show so – ich hab schnell gelernt, mich durchzusetzen, wenn man mich verbiegen wollte.
Christina Stürmer punktete anfangs auch mit ihrer Ungekünsteltheit, aber noch während „Starmania“ wurde sie umgestylt, bekam eine neue Frisur und sprach bald darauf plötzlich Hochdeutsch.
Hödl: Bei so etwas würde ich nicht mitmachen. Ich habe mich vorher informiert, ob das eh keine dieser Shows ist, wo man mich weiblicher machen möchte, mit Glitzer, Haarverlängerungen und solchen Dingen.
Das Gros der Kandidatinnen und Kandidaten bei Castingshows ist sehr jung. Was hat Sie mit Mitte 30 dazu gebracht teilzunehmen?
Hödl: Meine Ehefrau hat mich überredet. Das Casting war gleich ums Eck, und ich habe mir gedacht: Okay, mache ich es halt, just for fun. Als es dann wirklich so weit war, hab ich mich schon gefragt: Na, ob das künstlerisch wirklich so wertvoll ist?
Ihre Frau gab den nötigen Anstoß?
Hödl: Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch. Sie wollte mir meine Zweifel nehmen. So von wegen: „He, hallo, du machst das und du kannst das, also zeig das jetzt!“
Offensichtlich hat es funktioniert. Mit dem Sieg haben Sie 100.000 Euro gewonnen. Was wollen Sie damit machen?
Hödl: Über Geld, das ich noch nicht habe, rede ich lieber nicht, der Koffer in der Show war ja nur ein Fake. Ich muss mich erst um die Geldübergabe kümmern. Es wird aber sicher nie ein Porsche vor unserer Tür stehen. Ich stehe zwar auf Vespas und alte Autos, aber das Geld wird sicher gut angelegt. Eventuell kaufe ich mir eine schöne Gitarre. Wobei – Gitarren habe ich genug. Die 100.000 Euro sind einfach ein Polster, damit wir uns für die nächste Zeit nicht so viele Gedanken machen müssen.
Würden Sie Ihre Tochter mit zwölf Jahren an so einer Show teilnehmen lassen?
Hödl: Schwierige Frage. Ich glaub nicht.
Warum nicht?
Hödl: Weil ich weiß, was sich hinter den Kulissen abspielt. Es gibt Situationen, die man auch mit 35 nicht so leicht wegsteckt. Einmal ganz zu schweigen von der körperlichen Anstrengung. Ich habe mir nicht nur einmal gedacht: „Ich kann nicht mehr, will ich das eigentlich wirklich?“ Ich glaube nicht, dass man als Kind schon mit diesem Druck umgehen kann.
Ausgerechnet Schandmaul Sido war als Juror von Beginn an auf Ihrer Seite. Hat Sie das überrascht?
Nein: Ich gehe nicht davon aus, dass ich meine Seele verkauft habe.Hödl: Mich hat die gesamte Show überrascht, auch das Publikum, und Sido sowieso. Nicht dass ich so viel Angst vor ihm gehabt hätte. Die Jury war mir beim ersten Casting herzlich wurscht. Ich dachte: Entweder es gefällt ihnen oder es gefällt ihnen nicht. Aber es war schon angenehm, zu spüren, dass ich offenkundig einer von Sidos Favoriten war.
Sido sorgte für Aufsehen, als er sich im Casting mit Krone-Kolumnist Michael Jeannée anlegte. Wie fanden Sie das?
Hödl: Witzig. Ich denke, dass Sido genauso bodenständig ist wie ich. Uns verbindet, dass man Dinge so sagt, wie sie sind. Er hat nicht gewusst, wer da vor ihm steht, aber ich hätte genau so reagiert. Es war einfach unter jeder Kritik, was die beiden Vögel da aufgeführt haben. Die zwei haben sich gekonnt lächerlich gemacht.
Bei Castingshows hört man immer wieder von Knebelverträgen für die Teilnehmer. Haben auch Sie Ihre Seele am Tag des Castings verkauft?
Hödl: Wie jeder andere Kandidat auch habe ich gleich einmal einen Stapel Verträge zum Unterschreiben bekommen und wie alle das auch gemacht. Ich bekomme jetzt eine Rechtsberatung. Aber nein: Ich gehe nicht davon aus, dass ich meine Seele verkauft habe.
Viele Castingshowgewinner landen schnell wieder in der Versenkung.
Hödl: Es kommt drauf an, wie man mit seinem Sieg umgeht und was man daraus macht. Wenn man ein, zwei Monate nicht dahinter ist, dann war es das. Es ist nicht so, dass mir jetzt alles in den Schoß fällt. Am Album muss ich schon selber arbeiten, und um die Promotion muss ich mich dann auch kümmern.
Was ist das Mindeste, das Sie aus Ihrem Sieg herausholen möchten?
Hödl: Das Mindeste ist ein eigenes Album, noch dazu ein professionell produziertes Album. Damit geht ein sehr, sehr großer Wunsch in Erfüllung. Und dass sich die Konzerte ein bisschen vergrößern und ich nicht ewig in meinen Irish Pubs versumpere, sondern auch an Orten spielen kann, die man namentlich kennt. Szene Wien oder Porgy & Bess etwa.
Zu Ihren Vorbildern zählen unter anderem Tracy Chapman, Melissa Etheridge und die Indigo Girls. Wie wichtig ist für Sie, dass es auch bekennend homosexuelle Künstler gibt?
Hödl: Das ist reiner Zufall. Ich steh auch auf männliche Interpreten wie Jack Johnson, Travis, Pixies, Jethro Tull, die Stones oder Jimi Hendrix. Bei denen ist mir die sexuelle Ausrichtung übrigens genauso wurscht wie bei den Sängerinnen.
Popmusik hat auch mit Rolemodels zu tun. Männliche Homosexualität ist da seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Warum gibt es so wenige lesbische Popstars?
Hödl: Keine Ahnung, ich kann das nicht beantworten.
Wäre es für Sie als Teenager hilfreich gewesen, im Hauptabendprogramm des ORF eine junge Frau zu sehen, die so selbstverständlich mit ihrer Homosexualität umgeht?
Hödl: Ich glaube nicht, dass mich das weitergebracht hätte. Es gab da die TV-Serie „Ellen“. Die war ganz nett, aber sie war mir viel zu weit entfernt vom echten Leben. Die Realität sieht ganz anders aus. Man muss das selber durchboxen, da hilft einem definitiv keine Serie.
Kennen Sie den Film „The Kids Are All Right“, der von einem lesbischen Paar mit Samenspender handelt?
Hödl: Den haben wir uns natürlich angesehen, weil wir neugierig waren, ob es irgendwelche Parallelen zu uns gibt. Der Film ist aber typisch amerikanisch: irrsinnig überzogen und denkbar weit entfernt von der Realität. Ähnlich wie die TV-Serie „The L Word“: Da sieht man in erster Linie Reich und Schön, nur dass es halt reiche und schöne Lesben sind.
Gerade in Österreich fehlen die Vorbilder im öffentlichen Leben, weil sich so wenige Menschen outen.
Hödl: Ich muss gestehen, dass ich absolut kein Szenegeher bin. Das war nie das meine, für alle Rechte zu kämpfen. Ich setze mich nicht 24 Stunden am Tag mit dieser Thematik auseinander.
War Ihnen bewusst, dass Ihr Privatleben so ein zentrales Element der „Großen Chance“ sein würde?
Hödl: Nein. Mir war klar, dass das irgendwie interessant sein würde, weil wir schon seit dem ersten Casting von Kamerateams verfolgt wurden. Und es gab Momente, wo ich sagen musste: Stopp! Etwa, als man uns beim Stillen filmen wollte. Da hieß es dann: „Aber warum? Das ist ja so romantisch.“ Für mich war ganz klar: Such dir eine andere Stillende, aber sicher nicht meine Frau! Ich werde derzeit in vielen Medien abgestempelt. Von wegen: „Die Lesbe steht auf der Bühne und kämpft für ihre Frau“ oder „Christine, die Lesbierin, welch ein Wunder, hat gewonnen“. Ich stand auf der Bühne und tu das noch immer, ich bin Christine Hödl, die Musikerin, vielleicht die Kindergartenpädagogin, aber in den Berichten geht es meist um etwas anderes, und das hat schon einen sehr negativen Beigeschmack.
In der ORF-Sendung „Direkt“ hieß es: „Christine Hödl – ein spezieller Mensch mit einem speziellen Lebensstil“. Was ist an Ihrem Lebensstil so speziell?
Hödl: Gar nichts. Unsere Familienkonstellation ist halt eine andere, aber ich wage zu behaupten, dass wir ganz normal vor uns hin leben und nichts an uns speziell ist.
Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen noch einmal mit dieser Offenheit in die Sendung hineingehen?
Hödl: Es gäbe sicher Situationen, in die ich mich nicht mehr so leicht hineinpressen lassen würde. Man hat mich zu nichts gezwungen, aber dieses „Direkt“-Team sollte mich 24 Stunden lang begleiten. Dann sieht man einen Tagesablauf, der nicht wirklich unserer ist. Ich sollte unsere Tochter etwa mit der Rockgitarre in den Schlaf wiegen – was ich natürlich nicht gemacht habe, weil ich es auch sonst nicht mache. Mir wurde erst jetzt bewusst, in welches Fahrwasser ich meine Tochter hineingeschleudert habe. Das tut mir wahnsinnig leid. Ich versuche jetzt auch, sie überall herauszuhalten.
Homestorys gibt es also keine mehr?
Hödl: Genau.
Die „Große Chance“ hat sich auch als Chance für Österreich erwiesen: Die Präsenz von Ihnen und Conchita Wurst hat vermutlich mehr gegen Homophobie bewirkt als viele Aufklärungskampagnen.
Hödl: Zu 99,9 Prozent gab es positives Feedback, vor allem aus der Szene. In Wirklichkeit trage ich jetzt auch eine gewisse Last auf meinen Schultern, weil ich so eine Vorreiterrolle habe – obwohl es die Medien mit mir gemacht haben und nicht umgekehrt. Aber das sehe ich nicht wirklich negativ. Offenkundig hat es sehr viele Leute positiv gestimmt, weil sie bemerkt haben, dass wir eh ganz normal sind. Keine Ahnung, was sie sich sonst vorstellen.
Medial war von einem „Sieg für die Toleranz“ die Rede. Sagt Ihr Sieg wirklich etwas über die Toleranz in Österreich aus?
Hödl: Hmm, gefährliche Frage. Es kommt darauf an, warum man mich gewählt hat. Ich wage zu behaupten, dass es mein Gesamtpackage war. Als Künstlerin hoffe ich, dass es wegen der Musik war. Dass meine Tochter einiges dazu beigetragen hat, ist mir klar. Bis zu einem gewissen Grad kann man schon sagen, dass Österreich ein bisschen Toleranz gezeigt hat.
Wie wichtig ist es, dass viele Österreicherinnen und Österreicher durch Sie erstmals mit der fehlenden Gleichstellung homosexueller Partnerschaften konfrontiert sind?
Zu einem gewissen Grad kann man schon sagen, dass Österreich ein bisschen Toleranz gezeigt hat.Hödl: Schaden kann es jedenfalls nicht. Es gibt viele lesbische Pärchen, die nicht wissen, dass es seriösere Wege gibt, zu einem Kind zu kommen, als sich einen schwulen Freund zu suchen. Da werden wir sehr direkt angesprochen: Wo kommt euer Kind her? Wo ist die Klinik? Wie ist das mit Spenderlisten? Das sehe ich sehr positiv, denn ich weiß, wie lange wir recherchiert haben. Wie einfach wäre es gewesen, hätten wir jemanden gekannt, der uns informiert.
Sehr fortschrittlich ist Österreich offensichtlich nicht, wenn man mit seinem Kinderwunsch nach Dänemark gehen muss.
Hödl: Fortschrittlich sind wir sicher nicht! Dem Gesetz zufolge habe ich rein gar keine Rechte, was meine Tochter betrifft, theoretisch bräuchte ich für alles und jedes eine Vollmacht. So lange man sich das familiär untereinander ausmacht, ist das aber weniger ein Problem.
Was wäre, wenn Sie sich trennen würden?
Hödl: Dann wäre ich wieder ein Single ohne Kind.
Was sind für Sie die dringendsten rechtlichen Anpassungen?
Hödl: Die Adoption ist ja schon im Gespräch, und um dieses Recht kämpfe ich auch. Sobald das möglich ist, wird sie von der Stelle weg adoptiert.
Eine letzte Frage noch: Viele Jungs fangen mit dem Gitarrespielen an, um Mädchen zu beeindrucken. War das bei Ihnen auch so?
Hödl: Nein, ich wollte niemanden beeindrucken. Die Gitarre ist optisch ein absolut geiles Instrument, und wenn man sie auch noch spielen kann, ist es umso geiler. Das war der einzige Grund.
Dieses Interview ist in Falter 47/11 erschienen und wurde von Gerhard Stöger und mir durchgeführt. Foto: Corn.
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