“Niemand kann sich sicher fühlen“
Sie stellen sich über das Gesetz und sabotieren Webseiten. Ein Gespräch mit den Hackern von Anonymous
Sie reden vom Zorn der Allgemeinheit, von einer korrupten Politik und von zu wenig Verständnis für das Internet. So rechtfertigen die Mitglieder von Anonymous ihre Angriffe im Web. Vergangene Woche legten sie die Webseite der FPÖ lahm und hackten jene der SPÖ. Statt der Startseite der Sozialdemokraten war plötzlich das Logo von Anonymous zu sehen – ein Mann im Anzug ohne Gesicht.
Anonymous ist ein diffuses Internetkollektiv. Die Mitglieder nennen sich Anons und verheimlichen ihre Identität. Seit kurzem schlagen sie auch in Österreich zu, vandalisieren Webseiten und drohen der Politik mit weiteren Attacken. Was wollen sie erreichen?
Wer mit Anonymous sprechen will, kann dies nur online tun. Es gibt keine Webseite, keine E-Mail-Adresse, nur den Twitter-Account einer österreichischen Splittergruppe namens “@AnonAustria“. Der Falter hat die Gruppe via Twitter kontaktiert und um ein Interview gebeten. Anonymous Austria diktierte den Gesprächsverlauf: Zuerst veröffentlichte der Falter seine Fragen im Web, dann antwortete Anonymous. Der Falter hat keine Gewissheit darüber, mit welcher Person er sprach, wer am anderen Ende der Internetleitung saß.
Der gesamte Gesprächsverlauf ist im Netz nachlesbar (siehe Webtipp S. 22). Der hier vorliegende Abdruck wurde möglichst wenig gekürzt, um den Wortlaut von Anonymous unverfälscht wiederzugeben und einen Einblick in das Weltbild der Hacker zu gewähren. Die sehen sich übrigens gar nicht als Hacker, sondern als Netzaktivisten und als Rächer einer hinters Licht geführten Öffentlichkeit.
Falter: In Medienberichten wird Anonymous Austria als Hackergruppe bezeichnet. Sehen Sie sich als solche?
Anonymous: Wir bezeichnen uns nicht als Hacker im eigentlichen Sinne. Hacker sind kreative Leute, die über den Tellerrand schauen und neue Wege finden, ein Problem zu lösen. Das können Programmierer, Ingenieure oder Wissenschaftler sein. Die Medien wollen sich oft nicht die Mühe machen zu recherchieren und fassen deshalb alles, was irgendwie in den Bereich Aktivismus im Internet fällt, einfach als Hacker zusammen. Wir selber haben keine spezielle Bezeichnung für uns, da sich die Mitglieder selbst von den Motiven und den Fähigkeiten her unterscheiden. Einige sind politisch motiviert, andere hingegen machen es aus Spaß; der eine ist ein Computerspezialist, der andere ist Grafiker oder kann gut schreiben. Sie können uns als unzufriedene Durchschnittsbürger mit überdurchschnittlichen Computerkenntnissen und Mut zur Eigeninitiative bezeichnen.
Wie funktioniert Anonymous Austria?
Anonymous: Anonymous funktioniert als loses Kollektiv und wird von keiner Person angeführt. Jeder Bewohner dieser Erde kann an unseren Operationen teilhaben oder selbst welche starten. Organisatorisches wird fast ausschließlich in Online-Chats (>> Glossar) besprochen.
Wie entscheiden Sie, wen Sie angreifen?
Anonymous: Es wird nichts de facto entschieden. Solche Dinge ergeben sich meist spontan. Wenn manche Mitglieder es für nötig erachten, Maßnahmen zu ergreifen, dann finden sich eben diese zusammen und arbeiten gemeinsam an der Lösung des “Problems“. Niemand muss mitmachen, weil es “entschieden“ wurde, es steht jedem frei, sich aus Aktionen herauszuhalten, die nicht seinen Idealen entsprechen.
War es technisch schwierig, die Webseiten von SPÖ und FPÖ zu hacken?
Anonymous: Wir möchten noch einmal klarstellen: Die FPÖ wurde zu keinem Zeitpunkt gehackt! Es wurde lediglich durch sogenannte DDoS-Attacken (>> Glossar) auf die FPÖ-Server verhindert, dass andere User diese Seiten aufrufen konnten. Dies kann man am besten mit einer virtuellen Sitzblockade vergleichen – wir blockieren den Datenverkehr zum Server. Die Website der SPÖ wurde hingegen vollständig übernommen. Es war nicht wirklich schwierig. Man muss den verantwortlichen Programmierern auch fehlende Sicherheitsvorkehrungen bei der Speicherung der Passwörter vorwerfen. Heutzutage solche sensiblen Daten noch unverschlüsselt zu speichern, ist so, als ob jemand bei seinem Auto nicht abschließt und seine Brieftasche auf dem Beifahrersitz liegen lässt. Da braucht man sich nicht wundern, wenn etwas gestohlen wird. Es handelt sich in der Regel um simple Fehler oder Unachtsamkeiten seitens der Programmierer. Wenn dann ein selbsternannter “Experte“ öffentlich zu mehr Firewalls oder Ähnlichem rät, sollte er aufhören, sich in der Presse hervorzutun, und sich lieber einen Job als Maurer suchen.
Warum attackieren Sie Parteien?
Anonymous: Politiker vergessen immer mehr ihre Aufgabe als Repräsentanten des Volkes und denken, sie könnten losgelöst von der Bevölkerung agieren. Operationen wie “AntiSec“ (>> Glossar) erinnern sie daran, dass sie der Kritik und der Kontrolle der Öffentlichkeit unterliegen.
Viele waren überrascht, dass Sie nicht nur die Seite der FPÖ lahmlegten, sondern auch die SPÖ hackten. Warum die SPÖ?
Anonymous: Von allen Parteien Österreichs hat die SPÖ ihre Grundsätze am meisten verraten. Bei ihrem Handeln lassen sich kaum noch soziale Beweggründe feststellen, stattdessen wird fleißig in die eigene (und auch so manche befreundete) Tasche gewirtschaftet. Das soll jedoch nicht heißen, dass andere nicht ein ähnliches Schicksal erleiden können. Niemand kann sich vollkommen sicher fühlen.
Was ist Ihre politische Agenda? Haben Sie überhaupt eine solche?
Anonymous: Unsere politische Agenda kann sich nur über unsere Mitglieder definieren und fluktuiert deshalb sehr stark. Wir haben viele verschiedene politische Ansichten, jedoch lässt sich zurzeit ein Trend in Richtung direkte Demokratie erkennen. Viele “Anons“ (>> Glossar) sind einfach verärgert, dass es keine Parteien gibt, die ihre Interessen vertreten können, und viele Parteien ihre Wahlversprechen schon am ersten Tag nach der Wahl brechen, weil es die längste Zeit bis zur Neuwahl ist und die Wähler es so eher vergessen. Alle “Anons“ sind sich darüber hinaus einig, dass alle derzeitigen Politiker keine Ahnung vom Internet haben und leichtsinnige Entscheidungen zum Thema Datenschutz, Urheberrecht und Vorratsdatenspeicherung fällen, ohne sich der wahren Folgen bewusst zu sein.
Ist es legitim, fremde Webseiten zu hacken, um auf politischen Unmut hinzuweisen?
Anonymous: Bei Anonymous sind Meinungs-, Rede- und Informationsfreiheit für viele wichtig, daher gibt es bei solchen Fragen nur eine Regel: niemals die Presse angreifen. Alle anderen Organisationen unterliegen dem Zorn der Allgemeinheit, dem Zorn von Anonymous. Wir versuchen durch unsere Aktionen den Interessen der Mehrheit zu folgen. Ein anonymes, unzensiertes, freies Kollektiv zu sein, hilft dabei. Wenn Plattformen wie Wikileaks der Zugang zu ihren Konten verwehrt wird, erheben wir uns, wie bei Visa und Mastercard (>> Glossar). Wenn Großkonzerne ihre Lobby zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung nutzen, erheben wir uns, wie bei Sony (>> Glossar). Und wenn Politiker ihre Bestimmung als Repräsentaten des Volkes vergessen, erheben wir uns ebenso.
Trotzdem: Sie begehen mit Ihren Angriffen Straftaten. Heiligt der Zweck die Mittel?
Anonymous: Verglichen mit den Verbrechen, die der Staat an seinen Bürgern begeht, sind unsere Aktionen als harmlos einzustufen. Wenn versucht wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken, ist unsere Form des Internetaktivismus wohl die einzig effektive, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Wenn man sich die Leserkommentare auf diversen Nachrichtenseiten oder auf Twitter ansieht, so ist die positive Resonanz aus der einfachen Bevölkerung überwältigend. Wir machen also alles richtig, auch wenn das die sogenannten Opfer natürlich anders sehen und uns am liebsten im Gefängnis sehen würden.
Kritiker meinen, dass Anonymous nur aus unreifen Jungs besteht, die zu Hause vor dem PC sitzen und Unsinn machen wollen.
Anonymous: Diese Behauptung hören wir nur allzu oft und sind der Meinung, dass sie nur auf einen kleinen Prozentsatz zutrifft. Die meisten von uns gehen einer geregelten Arbeit nach, haben Familie und sind anderweitig sozial integriert. Anonymous ist ein Schnitt quer durch die Durchschnittsbevölkerung, bei uns sind alle möglichen Altersstufen und Berufe vertreten.
Warum bekennen Sie sich nicht mit Ihren richtigen Namen zu diesen Aktionen?
Anonymous: Bei Anonymous bekennt sich keiner unter seinem richtigen Namen, da es bei uns nicht darum geht, wer jemand ist. Wir arbeiten im Kollektiv und haben es nicht nötig, uns als Privatperson zu beweisen, deshalb werden nicht einmal unsere Nicknames (Pseudonyme) bei den Aktionen genannt. Besonders in einer Welt, wo Zensur und Kontrolle ständig wachsen, ist es uns wichtig, die Personen zu schützen, die sich daran beteiligen.
Ist es nicht feig, anonym Webseiten lahmzulegen? Mutig wäre, offen zu demonstrieren.
Anonymous: Die meisten Regierungen nehmen doch Demonstrationen kaum noch wahr. Wenn man allerdings in ihre fast durchwegs schlecht gesicherten Systeme eindringt und sensible Daten öffentlich macht, fühlen sie sich sehr schnell in die Enge gedrängt und merken, wie verwundbar sie eigentlich sind. Und besonders unsere Anonymität scheint ihnen Angst zu machen, dies nutzen wir natürlich aus.
Wie schützen Sie sich technisch davor, dass die Polizei nicht Ihre Identität ausforscht?
Anonymous: Wir haben natürlich unsere Methoden, um uns im Internet zu anonymisieren. Wie Sie aber sicher verstehen, möchten wir zu unserer eigenen Sicherheit nicht näher darauf eingehen.
Sind Sie in Kontakt mit Anonymous-Gruppen in anderen Ländern?
Anonymous: Es steht jedem Mitglied frei, egal, aus welchem Land es kommt, an allen Operationen weltweit teilzunehmen. Die regionalen Splittergruppen dienen lediglich dazu, Operationen zu planen, bei denen Unkenntnis der regionalen Gegebenheiten oder der Sprache eine Barriere darstellt. Es kommt durchaus vor, dass gewisse große Operationen von einem weltweiten Kollektiv durchgeführt werden, während bei anderen wiederum nur regionale Gruppen völlig autonom agieren.
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Dieses Interview
bahnte der Falter über Twitter an. Der Austausch von Fragen und Antworten geschah auf der Webseite pastebin.com, auf der man Texte speichern und veröffentlichen kann. Anscheinend verwendet Anonymous gerne diesen Onlinedienst. Die Hacker präsentierten dort auch ihre Pressemitteilung. Die Falter-Fragen kann jeder unter http://pastebin.com/aPrqsnzA nachlesen, ebenso die Antworten von Anonymous unter pastebin.com/tet2HXv8
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Dieses Interview ist im Falter 27/11 erschienen
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Erstmal: Danke für diesen schönen Überblick!
Mir scheint, Kommentare werden momentan fast nur als lästiges Service gesehen das aus rechtlichen Gründen beaufsichtigt werden muss.
Dabei könnte man das Ganze auch als gratis bereitgestellten user-generated content sehen der die Homepage der Zeitung stark aufwertet.
In Österreich wäre derStandard.at ein Beispiel: Mit ein bisschen Filtern und/oder blocken ist deren Kommentarbereich oft äußerst interessant. Gerade bei technischen Artikel (die oft selbst eher schwach sind) oder zu witzigen Artikeln, sind die Kommentare schon ein echtes Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Seiten ohne aktive Community.
Es gibt Benutzer, die können mal trollen. Diese kann man ermahnen, mit ihnen darüber reden und sie evtl. auf den rechten Pfad bringen. Bei echten trollen ist das alles vergebene Liebesmühe. Da muss man auch nicht tollerant sein oder irgendwelche Zensurvorwürfe gefallen lassen. Ich vergleiche so etwas gerne mit dem realen Leben.
Beispiel:
Kommt jemand unbekanntes zu mir nach Hause, grölt rum, pöpelt alle anderen Gäste an oder randalliert, dann fliegt er er sofort raus. Kommt der wieder, hole ich die Polizei. Es ist nicht meine Aufgabe dem Typen Manieren beizubringen. Ich bin weder seine Eltern noch sonst eine dafür verantwortliche Person. Und es ist auch nicht meine Aufgabe, dass er sich an Gesetze hält, für derartige Verstöße ist die Polizei da, auch im Netz.
Meine Seite ist wie meine Wohnung, dort habe ich das Hausrecht und das sieht bei mir vor, dass man sich zivilisiert benimt. Ich muss und werde in meinen vier Wänden keine Arschlöcher, Kriminelle oder gewaldbeeite Randallierer dulden. Und so wie man auch im analogen Leben derartige Typen sofort vor die Tür setzt und/oder die Polizei benachrichtigt, so ist es auch im digitalem Netz. Denn ob die realen vier Wände oder das Internet, die Arschlöcher/Trolle sind in beiden Welten die selben.
Entschuldigung, es sieht langsam nach absichtlich kontrollierte ZENSUR mit der Ausrede von Anonymität aber in WAHRHEIT versucht man schon seit Jahren dies zu zensieren. Wenn man beleidigt wird, dann muss man sich ändern oder sich fragen was an sich nicht gemocht wird dass die Leute die Person beleidigen. Die Beleidigung ist zuerst geprägt von Unzufriedenheit der Massen und dies hat immer ein Grund und zwar demokratisch gesehen werden die Massen entscheiden wer akzeptiert wird und wer nicht und zwar als Führer oder Orator der Gesellschaft. Zur Zeit sind viel unwichtigen Personen die nur bezahlt sind die Massen zu stören und plötzlich kommen auch die Antworten. Also die Reaktion der Massen kann man nicht ignorieren oder als rassistische bezeichnen weil als soziale Gerechtigkeit alle Menschen die etwas nicht akzeptieren werden dann laut hier die Analyse als RASSISTEN bezeichnet und auch weiter beschimpft oder ganz isoliert. Man kann die Rechte der Menschen nicht entfernen nur weil ein paar politiker oder Zeitungen dies nicht mögen wenn das Volk sie beleidigt oder kritisieren, also jeder Mensch hat das Recht seine Meinung mit oder ohne BGB zu äußern und die Äußerung kann stören aber muss man sich fragen was störend war und nicht sofort alle als Rassisten zu beschimpfen. Wenn man unsere politiker analisiert dann darf keiner von ihnen an der Macht nicht stehen, die haben und belogen und verraten also die sind laut Gesetzt trotzdem Rassisten und verachtend weil die sich überhaupt nicht um unsere Problemen kümmern. Seit dem diese invasoren nach DE kamen, haben unsere politiker alles vergessen, die Arbeitslosigkeit, die Arbeitsplatzbeschaffung, der Arbeitgeber zeigen auch keine Interesse mehr für Arbeitslosen, Griechenland ist super glücklich, der euro ist stark wie eine tote Maus..., wir sind am ENDE und wir werden STÄNDIG abgelehnt mit solchen Kleinigkeiten ABSICHTLICH damit die HAUPTTHEMEN zu vergesen, ABLEHNUNG VON WAHRHEIT. Das ist die Taktik...
Natürlich ein klares Nein dazu. Man kann sehr lange darüber diskutieren wie man diskutieren sollte aber abdrehen käme ja einer Diktatur gleich. Demokratie haben wir ja ohnedies keine mehr. Aber die Kommis abzudrehen ist ein absoluter NO Go! Danke für deinen Gedankenanstoß. LG Sabine
Danke! Toller Beitrag!
Vielen Dank, ich freue mich über das Feedback!
Interessanter Beitrag , doch habe ich nicht die Möglichkeit mich aus solch negativen Postings zurückzuziehen? Ich für meine Person gebe nur Postings, wo ich mich auch "verstanden" fühle. Damit meine ich nicht, das mir automatisch zugestimmt wird, sondern wo das Niveau hoch genug ist, eine Kritik oder andere Meinung zu akzeptieren und darüber sich auszutauschen.
Liebe Waltraud,
ich glaube sich zurueckzuziehen ist nicht das Allheilmittel fuer alle User. Denn die Menschen, die in Foren mit einseitiger Meinungsbildung verkehren, werden systematisch falsch informiert, was zu der angesprochenen Abgrenzung dieser Gruppe fuehrt. Durch die Abgrenzung sind die Mitglieder der Gruppe nicht mehr offen fuer rationale Argumente, da diese ja von der "Luegenpresse" stammen. Eine soche Isolation ist immer gefaehrlich, da die Gruppe von der Realitaet entkoppelt ist. Wenn diese Gruppe entschlossen genug ist, etwas zu bewegen, koennen Phaenomene, wie der IS entstehen (auch, wenn fuer die Entstehung des IS mehrere faktoren zusammengekommen sind, aber am Ende lauft es darauf hinaus, dass eine isolierte Gruppe wild entschlossen war etwas zu bewegen...).
Werte Waltraud Aouida, werter Matthias, danke für die beiden Kommentare! Ich verstehe gut, dass man manche digitalen Diskussionsräume lieber meidet - oft ist das Klima so rau, dass eine sachliche Debatte auch gar nicht möglich ist. Für den einzelnen User mag also ein Rückzug oft sinnvoll sein, für die Gesellschaft als Ganzes ist das aber riskant. Ich teile Matthias Sorgen, dass ein Rückzug genau den Falschen nützt - jene, die sich über diese Polarisierung freuen. Dazu eine Ergänzung: Manche Gruppen versuchen bewusst, einige öffentliche Diskussionsräume einzunehmen und mit ihrer Meinung zu besetzen. Zum Beispiel sind Antifeministen im Netz sehr aktiv und posten leidenschaftlich (und oft sehr aggressiv) unter Artikeln, in denen es um Frauenrechte und um Feminismus geht, den sie ablehnen. Das raue Diskussionsklima führt dazu, dass sich einige Menschen abwenden und lieber anderswo (oder nur im privaten Raum) weiterdiskutieren. Diese Taktik wird auch als „Silencing“ bezeichnet: Man ist so grob und so rüpelhaft zu anderen, dass diese einfach nicht mehr das Wort ergreifen wollen - und somit sollen auch andere Sichtweisen letztlich ausgeblendet werden. Zum Teil funktioniert diese Strategie. Was also tun? Ich finde es wichtig, dass Webseitenbetreiber und Onlinemedien mehr Verantwortung für den Umgangston auf ihrer Seite übernehmen und auch stärker die Diskussion vor der Entgleisung bewahren. Solche Räume gibt es, zum Beispiel hat „Zeit Online“ ein sehr gut moderiertes Forum. In anderen Worten: Ich finde es wichtig, dass digitale Räume verteidigt und geschaffen werden, in denen Menschen respektvoll miteinander diskutieren. Übrigens verstehe ich Ihre Formulierung mit dem „verstanden werden“ sehr gut: Das Entscheidende ist nicht, dass man überall einer Meinung ist, sondern dass man in der Lage ist, sachlich und fair miteinander zu diskutieren.
Meine persönliche Ansicht~Meinung~Antwort zu dem Text: http://muli.nl/blog/20160121091722.html
Werter Emanuel, danke für die Reaktion. Wir sind uns offensichtlich nicht überall einer Meinung, aber es freut mich nichtsdestotrotz, dass Sie so gründlich auf die einzelnen Überlegungen eingegangen sind. Zu Ihrer Antwort, im Kern entnehme ich daraus drei Einwände: Erstens haben Sie Recht, dass mein Vortrag nur ein sehr eingeschränktes, gut gebildetes Publikum erreichen wird und oftmals jene Menschen, die ganz ähnlich sind wie ich, die in der gleichen Blase sitzen wie ich. Das gibt mir, ehrlich gesagt, oft zu denken auf und die perfekte Antwort auf diese Filterblase habe ich nicht. Ich glaube aber, dass allein im letzten Jahr dieses Thema ungeheuer breitenwirksamer geworden ist. Ich habe im Jahr 2014 ein Buch über Anonymität und Diskussionskultur im Internet veröffentlicht und merke, wie mehr und mehr Menschen über dieses Thema auch reden wollen. Das ist zwar womöglich noch immer eine Minderheit (vielleicht auch nicht), mein Eindruck ist jedenfalls, das Bewusstsein wächst. Zweitens: Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie die Gefahr, dass die Debatte hierzu erst recht polarisierend wird (da kämpfen dann quasi die vermeintlich „Guten“ gegen die vermeintlich „Bösen“). Differenzierung ist wichtig, da stimme ich Ihnen zu. Ich warne nur vor der Gefahr, eine Debatte dann als „differenziert“ zu verstehen, wenn sie auch untergriffige oder gar verletzende Wortmeldungen enthält, oder wenn kein Unterschied zwischen belegbaren Fakten und wilden Gerüchten gemacht wird. Nun könnte man natürlich einwenden: Wer entscheidet denn, was ein Gerücht und was ein Faktum ist, was eine zulässige Aussage und was eine Beleidigung? In manchen Fällen ist das tatsächlich nicht leicht zu erkennen. Manchmal aber doch - und dann sollte das auch benannt werden. In diesen Fällen finde ich es in Ordnung, dass wir aggressive oder faktisch falsche Wortmeldungen nicht schützen oder gleichrangig behandeln wie die Wortmeldungen jener User, die sachlicher und fairer diskutieren (sachlich diskutieren bedeutet nicht, dass man einer Meinung sein muss, aber dass einen gewissen Grundrespekt - auch gegenüber Fakten - wahrt). Drittens, zum Thema „Filtern“ möchte ich noch auf diese exzellente Wortmeldung von Armin Wolf hinweisen: https://www.facebook.com/arminwolf.journalist/posts/1161742677170933 Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie meine Antworten nicht zufriedenstellen oder gar umstimmen wird. Ich habe jedenfalls Ihren Beitrag mit Interesse gelesen.
"Nun ist die Wikipedia 15 Jahre alt geworden, ich las neulich eine interessante Zahl dazu: Eine interne Umfrage aus dem Jahr 2011 fand heraus, dass nur einer von zehn Helfern der Wikipedia eine Frau ist. Nur jeder zehnte Wikipedianer ist eine Frau. Erst vor wenigen Wochen brächte der Atlantic einen interessanten Artikel über den Umgang mit Frauen auf Wikipedia. Die Autorin schrieb über das Verhalten mancher Userinnen:
„Um zu verhindern, dass sie Ziel von Belästigungen werden, nutzen manche Wikipedianerinnen geschlechtsneutrale Pseudonyme und vermeiden es, bei ihrem Usernamen irgendeine persönliche Information anzuführen.“
Das ist doch erschütternd, dass Frauen verheimlichen, dass sie eine Frau sind – damit ihnen gegenüber niemand unangenehm wird."
Das passiert, wenn man sich nicht informiert, nicht hinter de Sachen schaut, einfach nur ein paar Sachen ungefiltert abtippt. Dann steht das da und alle glauben es so wie es da steht. Ich könnte jetzt was dazu sagen - aber es hat ja eh keinen Sinn. Wird ja dennoch ignoriert.
Sehr geehrter Markus Cyron, wenn Sie auf einer sachlichen Ebene diskutieren und konkrete Beispiele bringen, wo ich angeblich "nicht informiert" bin oder "ein paar Sachen ungefiltert abtippe", dann gehe ich auch noch gerne darauf ein.
Ich äußere mich mich mal an dieser Stelle, weil ich genau auf das Wikipedia-Thema eingehen will. Gleich vorneweg: Der Umgangton in der Wikipedia ist an einigen Stellen sehr aggressiv, und natürlich gibt es auch immer wieder gezielte Affronts gegen weibliche Benutzer. Das ist äußerst unschön, da bin ich Ihrer Meinung.
Liebe Frau Brodnig, leider sind Sie dann aber in eine Falle getappt, die Sie oben selbst treffend beschrieben haben. Diejenigen Stimmen, die am lautesten sind und am meisten an diversen Stellen kommentieren, werden am ehesten wahrgenommen, das gilt eben auch für die weit verbreiteten Aussagen über die "frauenfeindliche" Wikipedia.
Ich gehöre zu den Frauen, die sich als "Benutzer" eingetragen haben - weil es nämlich für meine Mitarbeit zunächst unwichtig ist, ob ich männlich, weiblich oder sonstigen Geschlechts bin. Wer genaueres über mich wissen möchte, kann mit einem Klick feststellen, dass ich eine Frau bin. Ich habe auch einen geschlechtsneutralen Benutzernamen - nicht weil ich Angst habe erkannt zu werden, sondern weil mir zu dem Zeitpunkt meiner Anmeldung nichts Originelles eingefallen ist, ich aber anonym bleiben wollte.
Wie gehe ich nun mit geschlechtsspezifischen oder sonstigen Angriffen um? Dagegenhalten, nicht abschrecken lassen, sachlich bleiben, im schlimmsten Falle ignorieren oder kontern, aber nicht jammend durch ganze Internet ziehen, wie böse die Frauen doch wieder behandelt worden sind.
Ich fand den Vortrag ebenfalls sehr interessant und freue mich, dass es den hier jetzt auch schriftlich gibt.
Gilt auch als manueller, absichtlich unaufdringlicher Trackback auf meinen Blogeintrag vom heutigen Tag. :) Wenn du möchtest, kannst du den direkten Link ja selbst hinzufügen. Liebe Grüße!
Ich möchte Alnilam hier zustimmen - und dazu sagen: Es gibt übrigens auch männliche Autoren, die sich explizit für einen weiblichen Nick entschieden haben und es gibt weibliche Autorinnen, die gerne austeilen. Wenn man das Thema Frauenfeindlichkeit angehen möchte, sollte man über ausreichend Hintergrundinformationen verfügen. Damit meine ich jetzt nicht die oben beanstandete "Abtipperei" oder speziell Ihren Artikel. Ich meine damit, dass das "System Wikipedia" so komplex ist, dass man zunächst einen Einblick braucht, um auch beurteilen zu können, wann ein Angriff gegen jemanden geht, weil er eine Frau ist - oder wann das praktisch schon zur Wikipedia "same procedure as every day" (unabhängig vom Geschlecht) gehört. Erst dann wird nämlich auch das Thema Frauenfeindlichkeit ernst genommen (und das beziehe ich jetzt nicht ausschließlich auf die Wikipedia, es fällt mir fast tagtäglich auf). Liebe Grüße von einer Autorin der WP