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Auch Hilfsbereitschaft ist ansteckend

Was wir in Zeiten von Coronavirus und Twitter über die Menschheit lernen

(ursprünglich erschienen als Beitrag in der Tiroler Tageszeitung)

Im Internet werden die schönsten und dunkelsten Seiten von Menschen sichtbar. Das zeigt auch die digitale Debatte über das Coronavirus. Zum Beispiel sehen wir, wie hilfsbereit viele sind: Die #NachbarschaftsChallenge wurde über Twitter gestartet. Menschen hängen in ihrer Gegend Zettel auf und bieten älteren Nachbarn oder Personen mit geschwächten Immunsystem an, für sie einkaufen zu gehen oder andere Tätigkeiten zu verrichten. Der Hashtag wurde in Wien von der Userin Fredi Ferkova eingeführt, inspiriert durch einen Tweet von Natascha Strobl, aber auch in Deutschland wird die Aktion mittlerweile übernommen. Es gibt sogar eine eigene Webseite (coronahelper.eu), auf der sich Menschen melden können, die helfen wollen oder die Hilfe benötigen. Wir reden oft über die dunklen Seiten der digitalen Kommunikation, aber hier wird deutlich: Im Netz ist auch Hilfsbereitschaft ansteckend.

Kurz zu den Schattenseiten: Seitdem Covid-19 ein Thema ist, kursieren Fälschungen, wilde Gerüchte, Panikmache. Das begann mit der Behauptung, der Microsoft-Gründer Bill Gates hätte etwas mit dem Virus zu tun, und reicht bis hin zu WhatsApp-Nachrichten, die sich im Eiltempo verbreiten und behaupten, eine Ausgangssperre stünde bevor. Doch je spektakulärer eine angeblich geheime „Blitzinfo“ via WhatsApp klingt, desto skeptischer sollten Sie werden. Desinformation funktioniert genau über die vermeintliche Brisanz und Emotionalität. Eine Studie der Forscher Katherine Milkman und Jonah Berger fand schon vor Jahren heraus: Artikel, die Besorgnis auslösen, werden signifikant öfters viral – wer etwas Beunruhigendes liest, schickt dies umso eher seinen Freunden weiter. Desinformation nützt unsere Empfänglichkeit für Angsteinflößendes aus.

Zum Teil werden solche Falschmeldungen zur Belustigung erfunden: Auf Twitter hieß es, der Schauspieler Daniel Radcliffe sei mit dem Coronavirus infiziert. Ein Account, der aussah wie der offizielle Auftritt der BBC, verbreitete diese Behauptung. In einem Interview erklärten die (anonym bleibenden) Verfasser der Falschmeldung, sie finden solche Streiche lustig. Als „Trolle“ bezeichnet man solche Akteure: Sie täuschen andere, machen üble Scherze, die Schadenfreude treibt sie an. Oft glauben solche Trolle, sie seien besonders intelligent, weil es ihnen gelingt andere hineinzulegen – aber natürlich ist das eine kindische und empathielose Sichtweise. Es ist keine große intellektuelle Leistung, sich als BBC auszugeben und dann Klicks zu ernten.

Das Gute ist aber: Solche Trolle sind die Minderheit. Online sieht man viele Bürger, die wissenschaftliche Information und Aufklärungsmaterial teilen, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen (und dem Gesundheitssystem genug Zeit zu geben). Selbst die Sängerin Gloria Gaynor wascht sich vor laufender Kamera gründlich die Hände – und tanzt dabei zu „I will survive“. Man sieht: Die meisten versuchen, konstruktiv zu sein und auch ernste Zeiten mit Humor zu nehmen. Wenn uns soziale Medien und das Coronavirus etwas lehren, dann, dass die meisten Menschen ihr Herz am rechten Fleck haben.

Update: Wenn Sie Gerüchte über WhatsApp oder SMS bekommen, wenn Sie positive Aktionen auf sozialen Medien mitverfolgen, bin ich Ihnen über Infos dankbar – ich sammle positive und negative Beispiele, wie sich Menschen zum Coronavirus online austauschen. Bitte solche Anekdoten oder Links an folgende E-Mail-Adresse senden:

Ich danke für die Hilfe!

Hinweis: Dieser Text ist vergangenen Sonntag in der Tiroler Tageszeitung als Gastbeitrag (Rubrik “Brief an Tirol”) zuerst erschienen. Foto-Credit (oben): Pixabay-User congerdesign Bild unten: canva.com

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  • Das Bitcoin schürfen sollte verboten oder arg besteuert werden, denn ein normaler User mit einem herkömmlichen PC hat da eh keinerlei Chancen.

    • Tatsächlich ist das Bitcoin-Schürfen ein Geschäft, das sich nur in wenigen Ländern rentiert - etwa China, weil dort Energie so billig verkauft wird. Aber die tatsächlichen Kosten, die das für unsere Umwelt verursacht, sind da nicht mitkalkuliert

  • Ku rze freaage: Wo kann man das Datum (zumindest erscheinungsjahr) des beitrags erkennen?

  • Ok, aber das ändert genau nichts. Mich würden Ihre Ideen interessieren, wie man die anonymen Postings in den Griff kriegt.

  • Gern möchte ich folgende Sicht zur Diskussion stellen: man muss die Hitze in der Küche zumindest so lange aushalten, bis man den Herd zurückgedreht hat. Kurz hat mit seinem Statement klar gemacht, dass das Problem nicht in Alma Zadić liegt, sondern in den Geiferern. Mehr steht ihm auch nicht zu. Persönlichen Schutz von Kurz braucht braucht Zadić nicht (wenn leider auch Personenschutz).
    Seien wir sorgsam mit diesem Pflänzchen Problembewusstsein. Noch vor wenigen Jahren haben Politiker das Handtuch geworfen, insbesondere wenn sich die Drohungen auf ihre konkrete Familie konzentriert haben. Für sie wurde der Herd zu spät abgedreht. Persönlich und politisch schmerzhaft .

    • Wir nehmen die Thematik wahrscheinlich ein bisschen anders wahr - aber danke für Ihre differenzierte Rückmeldung! Auf jeden Fall sind Drohungen gegen PolitikerInnen, wie Sie es ansprechen, nicht hinnehmbar

  • Danke! Ich teile das zu 100 %. Ebenso problematisch fand ich die Aussage der neuen Integrationsministerin Raab, die gesagt hat "dass Hass im Netz und im Speziellen Hass gegen Frauen, die in Österreich gut integriert sind und sich für ein harmonisches Zusammenleben einsetzen, absolut keinen Platz hat".“

    An solchen Aussagen - die des Bundeskanzlers und die der Ministerin - sieht man, entweder wie achtlos mit Sprache umgegangen wird oder wie problematisch die Einstellungen dieser Personen sind.

    Was der Kanzler auch hätte sagen können, haben Sie schon angeführt.

    • Danke für die Rückmeldung! Ich finde das einen wichtigen Hinweis: Tatsächlich ist die Frage, inwieweit jemand integriert ist, hier nicht entscheidend, denn jeder Mensch (und auch jede Migrantin) hat einen würdevollen Umgang verdient

  • Aber kein Journalist beschwert sich dass Kurz als Baby Hitler und Faschist bezeichnet wird? Wo bleibt Ihr Artikel dazu?

    Ignorieren, weitermachen.

  • Bitte den Begriff Social Distancing durch Physical Distancing ersetzen, eventuell mit Social Solidarity ergänzen. Danke

  • In der Nacht zum 14.03. ist bei mir (74, chronische Bronchitis) die Infektion ausgebrochen. Schüttelfrost, bissel Fieber 38,1 und dann in kurzer Zeit trockner Husten bis zur Erschöpfung mit akuter Luftnot und die Luftwege völlig zugeschleimt. Jede Hustenatacke mit 20 Stößen und mehr förderte 1 Teelöffel Sputum, und brachte Atemluft für 10 Minuten. So ging das bis 16.03 früh, meine Frau neben mir mit dem Nottelefon in der Hand. Und zum Glück, ich hatte alle Hausmittel plus Inhalationsgerät zur Verfügung. Das Inhalationsgerät war der Lebensretter. Damit begann sich langsam der extrem feste Schleim zu lösen. Die zwei Tage waren die Hölle. Ab drittem Tag war das Fieber weg, die akute Luftnot ging zurück , die Abstände der Hustenatacken wurden allmäglich länger. Nach drei Tagen zu ersten mal 2 Stunden geschlafen. Alle am Hustenreflex beteiligten Muskeln brennen wie Feuer. Andere Beschwerden gibt es nicht, Nase ist frei. Nun hat mein Abwehrsystem und meine physische Leistung gesiegt, ich bin nochmal davongekommen. Und trotzdem gebe ich Herrn Dr. Wodarg überwiegend recht, und finde die Diskussion mit Verwendung des Wortstamm Leugner hier schon wieder einfach nur zum Kotzen (Entschuldigung) warum , soweit ich meine Infektionskette verfolgen kann alles junge Leute mit einem sehr leichten grippalen Infekt. Natürlich habe ich meine Frau angesteckt, obwohl auch schon 73 hat sie das weggesteckt, leichte Symptome, Geruch und Geschmack seit ein paar Tagen völlig weg, kein Fieber keine Luftnot. Es hätte genügt mich zielgerichtet zu isolieren bis ein Impfstoff da ist. Jetzt arbeite ich im "Home Office" damit sich meine Mitarbeiter nicht bei mir anstecken. Also verkehrte Welt

    • Wurden Sie positiv getestet? Der von Ihnen beschriebene Krankheitsverlauf weist eigentlich nicht auf COVID-19 hin. Zu kurz und kein trockener Husten.

    • Klaus Hoffmanns Erlebnisbericht erinnert mich an die Werbe- und Argumentationsstrategie der Homöopathen: Ich kenne einen, der einen kennt, der aber geheilt wurde. Entspricht insoweit der auch immer wieder gern benutzen Behauptung das der eigene Opa Kettenraucher war und bis ins hohe Alter noch seine 5 Schnäpse täglich reingepfiffen hat und 97 Jahre alt wurde.

  • Hallo Ingrid,

    hab' Sie gerade bei der Phoenixrunde gesehen. Ich bin beeindruckt von Ihrer Expertise und wie sie diese sympathisch und authentisch vermitteln. Bieten Sie vielleicht auch einen Podcast oder einen Youtube-Kanal an? Das wäre eine tolle Sache um noch mehr Netzkompetenz zu verbreiten.

    Herzliche Grüße aus Düsseldorf
    Chris Crealto

  • Die Art der Argumentation von Klimawandel-Leugnern und Verschwörungstheoretikern wird inzwischen leider auch von einigen Schulen unterstützt. Der krasseste Fall den ich dazu kenne, ist eine im Netz gestreute vorwissenschaftliche Arbeit, "Freie Energie Eine unbekannte Quelle", die am Adalbert Stifter Gymnasium verfasst wurde. Fast ausschließlich eine Ansammlung von frei erfundenen Behauptungen aus irgendwelchen dubiosen Quellen. Das Ganze wird inzwischen auch von einem Verlag für etwa 18€ unter die Leute gebracht. Neben diverser Literatur zu NMS. Die Tropfen selbst sind dort auch erhältlich. Interessant in der Arbeit ist auch die Bemerkung: “... zusätzlich wurde diesevorwissenschaftliche Arbeit von dem Jupiter- Verlag im April 2019 für eine Printauflage noch fehlerkorrigiert als auch mit wertvollen links ergänzt. “. Das Ganze klingt eigentlich so absurd, dass man es kaum glauben mag. Man kann es aber ziemlich einfach im Netz nachrecherchieren. Und zur Qualifikation der “Fehlerkorrigierer” kann man einmal nach “Die Schneiders und die Scams” im Netz suchen.

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