“Jetzt kommt der Zensor“
Es ist das umstrittenste Mediengesetz in Europa. Ende des Jahres beschloss die konservative Regierungspartei Fidesz das neue Gesetz und schränkte damit die Meinungs- und Pressefreiheit massiv ein. Nun muss sich Ministerpräsident Viktor Orbán international rechtfertigen, das Mediengesetz überschattet die EU-Ratspräsidentschaft, die Ungarn zu Beginn des Jahres übernahm. Auch im Inland gibt es Kritik und Demonstrationen. Zwei ungarische Journalisten, Zsolt Bogár und Attila Mong, legten im öffentlich-rechtlichen Radio eine Schweigeminute ein – und wurden suspendiert. Mit dem Falter sprach Redakteur Bogár über die Selbstzensur, die in Ungarn zunimmt, und über seine Hoffnung, dass die Regierung doch noch einlenkt.
Falter: Herr Bogár, wie kam es zu Ihrer Schweigeminute?
Zsolt Bogár: Das Parlament verabschiedete das Mediengesetz frühmorgens am 21. Dezember. Ich hatte durch Zufall eine gemeinsame Sendung mit dem Moderator Attila Mong. Wir hatten schon früher besprochen, dass wir dagegen demonstrieren wollen. Bei uns im Radio gibt es aber die interne Regel, dass wir Nachrichten nicht kommentieren dürfen. Wir wollten diese Regel nicht richtig brechen und haben deswegen eine Schweigeminute eingelegt. In unseren Augen war das eher ein Aufschrei als eine Meinungsäußerung.
Wie haben Sie die Schweigeminute ins Programm geschmuggelt?
Bogár: Unsere Sendung heißt “180 Minuten“. Es ist die populärste Morgensendung in Ungarn, bis zu eine Million Menschen hören zu. Es gibt drei bis vier Redakteure, jeden Tag ist ein anderer zuständig. Um sechs Uhr früh beginnen die Nachrichten, um viertel sieben kommt die erste Ansage des Moderators. Attila Mong begann seine Moderation mit der Schweigeminute. Er sagte: “Heute Nacht wurde das Mediengesetz verabschiedet. Da ich nach unseren internen Regeln keinen Kommentar abgeben darf, lege ich im Einverständnis mit dem Redakteur Zsolt Bogár eine Schweigeminute ein.“ Das war eine lange Minute. Im Radio hört sich das wie eine Ewigkeit an.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Viele Kollegen sind vorsichtiger geworden, die Wahl der Themen änderte sichBogár: Wir beide sprachen über das Gesetz und scherzten, wie man kreativ protestieren könnte. Anfangs waren das eher Witze, aber der Gedanke blieb hängen. Schließlich hatten wir die Nase voll. Das Problem ist, dass die Selbstzensur vor einer politischen Wende immer zunimmt. Vergangenen Frühling wurde die neue Regierung gewählt, viele Kollegen sind vorsichtiger geworden, die Wahl der Themen änderte sich. Nach der Wahl hieß es, die öffentlich-rechtlichen Medien werden zusammengelegt, es gibt Kürzungen, viele Journalisten verlieren ihren Job. Dann kam dieses Gesetz. Diese Existenzängste haben die Qualität der Sendungen gesenkt.
Was tun Sie während Ihrer Suspendierung?
Bogár: Ich warte ab. Gegen uns läuft ein Disziplinarverfahren. Wir sollen unsere Handys eingeschaltet lassen und dürfen uns nicht zu weit vom Radio entfernen, falls uns doch jemand benötigt.
Was stört Sie am meisten an dem Gesetz?
Bogár: Da muss man zuerst den Hintergrund verstehen: Es wäre falsch zu sagen, dass früher alles gut und jetzt alles schlecht sei. Auch das Mediengesetz aus dem Jahr 1996 war problematisch und wurde missbraucht. Es gab Korruptionsfälle bei Frequenzvergaben, die Kontrollgremien haben nicht richtig funktioniert. Ich glaube überdies, dass die Sozialisten eine ähnliche Vorstellung von Macht und Pressefreiheit haben. Nur hatten sie während ihrer Regierungszeit keine Zweidrittelmehrheit, um ein solches Mediengesetz durchzusetzen.
Nun hat Fidesz die Zweidrittelmehrheit und kann Gesetze mit gravierenden Folgen ändern.
Bogár: Stimmt. Mit 1. Jänner 2011 trat das Mediengesetz in Kraft. Die Pressefreiheit wurde nicht abgeschafft, aber eingeschränkt. Wir haben noch keine praktischen Erfahrungen, man erkennt aber Tendenzen. Die neu eingerichtete Medienbehörde hat ein ungewöhnlich großes Machtpotenzial. Sie kann fast alles kontrollieren: elektronische Medien, Printmedien, Online-Inhalte. Nirgendwo sonst gibt es in der EU ein derartig mächtiges Kontrollgremium, zumindest ist mir keines bekannt. Die Medienbehörde kontrolliert nicht nur die Einhaltung der Gesetze und verteilt Sendelizenzen, sie kann auch noch hohe Geldstrafen verhängen, Strafen, die Medien in den Ruin treiben können.
Diese Medienbehörde entscheidet nun anscheinend darüber, was im öffentlichen Interesse ist – und was nicht.
Bogár: Das Problem an dem Gesetz ist, dass es äußerst vage formuliert wurde. Zum Beispiel steht darin: Wenn ein Artikel oder eine Sendung die Interessen einer Minderheit oder Mehrheit verletzt, kann das bestraft werden. Was das genau heißen soll, wissen wir nicht. Hinzu kommt, dass die Medienbehörde ausschließlich von regierungsnahen Leuten besetzt ist.
Als Allererstes ging die Behörde gegen den kleinen Radiosender Tilos vor.
Bogár: Das ist ein sehr kleiner Gemeinschaftssender, früher war es ein Piratenradio, heute hören sich maximal 5000 oder 6000 Menschen eine Sendung an. Im September spielte Radio Tilos ein Lied von Ice-T. Ein Bürger hat sich anscheinend beschwert. Ich kann diese Beschwerde noch einigermaßen nachvollziehen, im Text kommt das Wort “Motherfucker“ vor und man hätte sagen sollen: “Dieses Lied ist für Leute ab 16.“ Vielleicht hat Radio Tilos einen Fehler begangen, aber doch keinen Fehler, den man mit hohen Strafen ahndet.
Radio Tilos ist auch als aufmüpfiger Sender bekannt.
Bogár: Ja, zu diesem Fall gibt es auch eine andere Interpretation. Radio Tilos zählt zum liberalen Lager. Viele liberale Journalisten arbeiten dort und man will sie einfach nicht in Ruhe lassen. Dieses Verfahren wäre eine gute Methode, den Sender kaputtzumachen.
Was passiert nun mit der Radiostation?
Bogár: Ihr drohen hohe Strafen. Das ist auch ungeschickt von der Regierung: Jedes Urteil der Medienbehörde, egal ob gerechtfertigt oder nicht, wird als politische Entscheidung gelten. Die Leute werden sagen: Jetzt kommt der Zensor.
Vielleicht kommt es aber gar nicht so weit, weil viele Medien einlenken und sich selbst zensurieren.
In der Selbstzensur sehe ich die größte GefahrBogár: Darin sehe ich die größte Gefahr. In Ungarn und in ähnlichen Ländern reicht es bereits aus, nur über die Einführung eines solchen Gesetzes zu sprechen und schon wird selbstzensuriert. Vor zwei Wochen interviewte eine Radiokollegin einen Menschenrechtler. Es war der internationale Tag der Menschenrechte und der Experte wurde nach Grundrechtsverstößen in Ungarn gefragt. Er zählte solche auf und nannte dann auch das Mediengesetz. Das war sein Pech. Ausgerechnet an diesem Tag wurde berichtet, dass die öffentlich-rechtlichen Medien zusammengelegt und Leute gekündigt werden sollen. Die Reporterin hat angeblich den Menschenrechtler gestoppt und gesagt: “Glauben Sie nicht, dass wir ausgerechnet heute ein solches Interview im öffentlich-rechtlichen Rundfunk veröffentlichen. Ich bin doch nicht dumm, dass ich meine Zukunft verspiele.“ Das ist so ein typischer Fall von Selbstzensur.
Ministerpräsident Viktor Orbán gestaltet nicht nur die Medienlandschaft um, er hat auch das Führungspersonal bei der Polizei ausgetauscht und die Rechte des Verfassungsgerichtshofs eingeschränkt.
Bogár: So ein Personalwechsel ist nach Wahlen nicht ungewöhnlich, neu ist aber die Zweidrittelmehrheit. Die Regierung sagt: Wir haben ein starkes Mandat, wenn wir damit nicht richtig umgehen und die nötigen Reformen nicht durchsetzen, werden wir in vier Jahren abgewählt. Die Konsensdemokratie hat in Ungarn nicht funktioniert, die politischen Lager waren zu gespalten. Nun ist die Zweidrittelmehrheit eine Chance für Reformen. Orbán nutzt den Gestaltungsraum seiner Partei sehr freizügig. Im Fall Mediengesetz ging es mir schon zu weit. Da hat sich die Regierung auf eine unnötige Konfrontation eingelassen, jetzt wird sie im Ausland dafür kritisiert.
Sogar EU-Sanktionen werden angedacht.
Bogár: Sanktionen gingen mir zu weit, ich glaube auch nicht, dass sie kommen. Das Mediengesetz sollte man nicht mit der EU-Ratspräsidentschaft verknüpfen. Ich möchte der Regierung nicht die Chance nehmen, etwas Gutes während der Ratspräsidentschaft auf die Beine zu stellen. Aber man kann schon darüber philosophieren, was die Regierung gerade tut.
Wird dieses Gesetz noch geändert werden?
Bogár: Ja, Orbán sagte bereits vor ausländischen Journalisten, dass man es notfalls ändern könne. Ich glaube, er ist klug und sucht bereits nach einem Ausweg. Wenn das Gesetz so bleibt, wird es der Verfassungsgerichtshof annullieren. Das kann eine Weile dauern, aber ich bezweifle, dass dieses Gesetz einer Überprüfung standhält.
Wurde unter der aktuellen Orbán-Regierung die Demokratie geschwächt?
Bogár: Es gibt mehr antidemokratische Tendenzen. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs wurden eingeschränkt, die obligatorische private Rentenkasse wurde verstaatlicht. Einige Ungarn denken: Das Geld, das ich mein Leben lang zusammengespart habe, ist unsicher. Ungarn steckt in der Krise. Ich bin kein Orbán-Fan, aber ich hoffe noch immer, dass er einen Ausweg aus der Krise sucht und nicht einfach seinen antidemokratischen Neigungen gehorcht – wie man das in dem anderen Lager interpretiert.
Sie sind trotz allem hoffnungsvoll?
Bogár: Natürlich, ansonsten könnte ich einfach das Land verlassen. Viele junge Menschen fragen sich: Warum soll ich in Ungarn bleiben? Sollten sie anderswo eine Möglichkeit finden, wollen sie weg. Dabei gibt es darunter sicherlich einige Personen, die Ungarn bräuchte.
— Zur Person —
Zsolt Bogár ist Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Sender MR1-Kossuth Rádió. Der 37-Jährige arbeitete zuvor als Journalist beim Wochenmagazin Magyar Narancs, wo er über Politik, Wirtschaft und Deutschland berichtete und auch Korruptionsfälle in Budapest aufdeckte. Er wurde bereits dreimal für den besten Artikel des Monats mit dem Medienpreis für Qualitätsjournalismus ausgezeichnet
Dieses Interview erschien im Falter (Ausgabe 01-02/11). Das obige Foto stammt von der Wiener Demo gegen das ungarische Mediengesetz
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