Ja, dürfen’s denn das?
Google scannt 400.000 Bücher der Nationalbibliothek ein. Weil der Staat die digitale Revolution verschläft
Gregor Mendel kreuzte Erbsensorten und beobachtete die neu entstandenen Hybriden. Hatten sie weiße oder violette Blüten? Gelbe oder grüne Schoten? Auf diese Weise entdeckte er Mitte des 19. Jahrhunderts die grundsätzlichen Gesetze der Vererbung. Eine revolutionäre Erkenntnis, die den Grundstein der Genetik legte. Nun ist Mendel, 126 Jahre nach seinem Tod, erneut Teil einer Revolution und zwar der digitalen. Wer sein Buch Versuche über Pflanzenhybriden in der Originalausgabe durchblättern wollte, musste bisher die Österreichische Nationalbibliothek aufsuchen. Bald wird ein Ausflug ins Internet genügen. Jeder Internetuser kann dann das Werk lesen, abspeichern und nach Schlagworten durchsuchen. Denn die Nationalbibliothek arbeitet mit Google an der Digitalisierung ihres historischen Bestands. 400.000 alte Bücher werden eingescannt und ins Netz gestellt, das sind 120 Millionen Buchseiten und mehrere Dutzend Terabyte Speicherplatz.
Vor ein paar Jahren schien es wie Science-Fiction, dass einmal ganze Bibliotheken per Knopfdruck online nachlesbar werden und das vollkommen gratis. Bald wird man in der Datenbank nach künstlichen Befruchtungen suchen und Mendels Erstausgabe finden. Powered by Google.
Das ist die Zukunft der Bibliothek. Aber ist es klug, dass ein Milliardenkonzern zur ersten Anlaufstelle für Information, zum Hüter literarischer Schätze wird? Sollte das nicht Aufgabe des Staates sein?
Der Deal zwischen Nationalbibliothek und Google sagt viel über den Übergang zur digitalisierten Wissensgesellschaft aus und darüber, wie die Politik den Anschluss verpasst. Vergangene Woche gab Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Nationalbibliothek, freudig die Kooperation mit Google bekannt und sprach von einer Demokratisierung des Wissens.
30 Millionen Euro kostet das Einscannen der 400.000 Bücher, eine Summe, die die Nationalbibliothek selbst nicht aufbringen kann. Google ermöglicht diese Digitalisierung, in Bayern wird der Internetriese die Bände einlesen, es handelt sich dabei ausschließlich um historische Werke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, bei denen das Urheberrecht längst erloschen ist.
Eine Win-win-Situation, urteilte die Presse. Die Nationalbibliothek hat gewissenhaft verhandelt: Sie wird Google nicht naiv den gesamten historischen Bestand in den Rachen werfen, der Internetriese musste zuerst einer Reihe von Auflagen zustimmen. Die Nationalbibliothek bekommt eine Kopie aller Scans und darf diese auch an andere Bibliotheken weiterreichen. Die digitale Version des Kulturschatzes liegt also nicht nur bei dem Datenkraken. Google hat keine Monopolstellung. Das war uns wichtig, deswegen haben wir auch drei Jahre verhandelt, sagt Rachinger.
Dieser Deal habe dem Steuerzahler 30 Millionen Euro erspart, heißt es nun. Das bedeutet auch, dass es dem Staat anscheinend nicht wert war, diese Summe selbst zu investieren, um sein historisches Erbe online zu sichern.
Dabei spricht alles für eine Digitalisierung. 2004 brannte die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, 50.000 Bücher zerfielen zu Asche. 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv ein, die Restaurierung des übriggebliebenen Materials wird 30 Jahre dauern. Beim Hofburgbrand im Jahr 1992 konnten wertvolle Bücher gerade noch gerettet werden. Wenn die Werke auch in elektronischer Form und mit Sicherheitskopien vorliegen, ist dieses Wissen viel besser geschützt.
Auch die Forscher reiben sich schon die Hände, die Veröffentlichung im Netz bringt ihnen neue Möglichkeiten. Plötzlich können sie auf jahrhundertealte Texte zugreifen und per Volltextsuche rastern. Wer wissen will, was Zeitgenossen über Prinz Eugen schrieben, hat es künftig leichter. Er kann den Katalog der ÖNB nach Schlagworten durchsuchen und interessante Passagen in Werken finden, die er sonst gar nicht eingesehen hätte. Durch die Digitalisierung werden womöglich spannende Bücher entdeckt, die noch niemand genau studiert hat. Bis 2016 soll der gesamte historische Bestand eingescannt sein.
Was Rachinger nur auf Nachfrage sagt: Sie hatte zuerst versucht, das Geld für die Digitalisierung beim Staat aufzutreiben. Zuständig ist das Unterrichts- und Kulturministerium unter Claudia Schmied (SPÖ). Ich kann aber nicht erkennen, dass wirklich große Summen für eine Digitalisierung in die Hand genommen werden, sagt die ÖNB-Chefin. So stand sie vor der Entscheidung: Solle sie warten, bis sich der Staat eine virtuelle Bibliothek leisten will? Oder gleich mit Google zusammenarbeiten?
Nicht alle jubeln über den Deal. Google ist ein umstrittenes Unternehmen, nicht nur wegen der jüngsten Datenaffäre. Der Konzern aus Kalifornien ist die einflussreichste Marke im Web, so einflussreich, dass es manchen nicht mehr behagt, welche Unmengen an Daten Google anhäuft. Ausgerechnet die Österreichische Nationalbibliothek hilft dem Internetriesen nun, seinen Informationsvorsprung auszubauen. Für den User ist das bequem: Endlich sind diese Informationen gratis im Netz einsehbar und nicht in irgendwelchen Depots versteckt.
Die Politik könnte sich zurücklehnen und das Digitalisieren von Information nur noch privaten Firmen überlassen. Oder sie könnte ein Gegengewicht zu Google sein. In der Theorie versucht die EU das auch. 2008 startete die Europäische Kommission das Projekt Europeana. Die Online-Bibliothek ist die öffentliche Antwort auf Google Books allerdings eine jämmerliche.
Während Googles Scanner auf Hochtouren rotieren, wirkt die Europeana nur traurig. Die Nationalstaaten knausern, deswegen finden sich weniger Werke in den Speichern der europäischen Bibliothek. Der historische Bestand der ÖNB hätte zum Datenschatz der Europeana werden können.
Stattdessen kommt Google zum Zug. Zuerst scannt die Firma die Bücher ein, dann bekommt die Nationalbibliothek eine Kopie davon. Eine Kopie der Kopie geht danach an die Europeana. Das hätte das größte Demokratisierungsprojekt der Europäischen Union werden können, klagt Benedikt Föger, Vorsitzender des Österreichischen Verlegerverbandes. Ihm wäre es lieber, der Staat hätte die 30 Millionen Euro selbst gezahlt, die Werke nicht mit Google geteilt und nur der Europeana gegeben.
Bei dieser Frage geht es ganz grundsätzlich darum, ob man Kulturgüter teilen will noch dazu mit einem privaten Anbieter. Allerdings liefert Google den europäischen Internetusern im Gegenzug auch Werke amerikanischer Bibliotheken, etwa der Universitäten Harvard und Stanford.
Was wirklich fehlte, war die Debatte. Während die Politik schlief und die Öffentlichkeit von nichts wusste, sicherte sich Google die Daten. Bekannt wurde das erst, als die Verträge schon unterschrieben waren. Vielleicht wäre bei einer öffentlichen Diskussion dasselbe Ergebnis herausgekommen. Vielleicht führt kein Weg an Google vorbei, weil die europäischen Staaten viel zu lethargisch sind, um das Potenzial einer Digitalisierung ihres Kulturschatzes zu erkennen. Ob man den Deal begrüßt oder nicht, entscheidend ist letztlich wohl folgende Frage: Ist eine Digitalisierung von privater Hand besser als gar keine seitens der öffentlichen Hand? Die letzten Jahre haben eines deutlich gemacht: Wenn man will, dass Gregor Mendel im Internet landet, wenn man von einer virtuellen Bibliothek und vom Zugriff auf Millionen von Büchern träumt, darf man nicht auf die Eigeninitiative des Staates warten.
Dieser Artikel ist im Falter 25/10 erschienen. Illustration: Jochen Schievink
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interessant.
Falschmeldungen oder irreführende Beiträge funktionieren immer besser, als wahre Geschichten.
Liebe Frau Brodnig,
Danke für Ihr tolles Buch "Lügen im Netz"! Es war der Grund, warum ich meine Staatsexamensarbeit über das Thema Fake News geschrieben habe und hat mich während des Schreibens immer wieder inspiriert und motiviert.
Freundliche Grüße
Die Klage,
Unterstützung von mir.
Fuer erste mal Buchkauf!!!
Lg
WERNER
Sehr geehrte Frau Brodnig,
ich bin Inhaber eines Bildungsinstitutes und bitte um Kontaktaufnahme.
Wir wollen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Thema Digitalisierung nahe bringen
und ich würde gerne mit Ihnen abklären, ob Sie mit uns Workshops durchführen würden.
Lieben Gruß
Christian Lang
Ich denke in der Diskussion werden gerade einige (juristische) Aspekte vermischt, die man auseinander halten und nicht in eine Topf werfen sollte.
1. Es gibt eine Regelungslücke. Es ist sicher ein Problem, dass sich Frauen die derart extrem obszön beleidigt werden strafrechtlich nicht wehren können. Zivilrechtlich könnte frau den Absender wohl auf Unterlassung klagen. Einen Straftatbestand kann das aber natürlich nicht setzen. => hier muss der Gesetzgeber was tun. Zb die erwähnte deutsche Regelung übernehmen.
2. Die Anfeindung von Frauen die sich währen: Das ist ein gesellschaftliches Problem und muss politisch/gesellschaftlich diskutiert und geändert werden. Z.B. durch Bewusstseinsbildung in Schulen etc.
3. Die Rechte (mutmaßlicher) Täter. Auch wenn es vielen gerade nicht passt. Rechtsstaat heißt: Auch Arschlöcher haben Rechte. Z.B. gewisse Persönlichkeitsrechte, selbst wenn mann Täter ist. Der „steirische Arzt mit dem Spitzenpolitiker-Bruder“ wird in Medien nicht mit vollem Namen genannt. Obwohl absolut glaubwürdig ist, dass er ein richtiger Ungustl ist, hat er Persönlichkeitsrechte und es gilt für Ihn die Unschuldsvermutung. Gleiches gilt für den „niederösterreichischen Medienmanager“ der im Suff seinen Freund mit dem Motorboot überfahren hat. Der ist mittlerweile rechtskräftig verurteilt und durchaus eine Person öffentlichen Interesses. Trotzdem nennen Medien seinen Namen nicht.
Der Twitter-Pranger und ein virtueller Lynchmob sind keine Lösung für die Probleme 1. und 2. Und das soll auch so bleiben. Maurer hätte die Nachrichten anonymisiert veröffentlichen sollen und den Typen (wenn möglich) klagen/anzeigen sollen
zu 1. Nein, Beleidigungen unter Erwachsenen müssen vollkommen straffrei bleiben, solange es zu keiner Bedrohung oder sonstigen Straftat kommt. Für Kinder gilt das natürlich nicht, weil diese Beleidigungen durch Erwachsene als Bedrohung empfinden. Auch, wo ein Machtgefälle herrscht, muss es Ausnahmen geben. Ansonsten muss es unter gleichberechtigten Erwachsenen - und um die handelt es sich bei Sigrid Maurer und Bierkraft - völlige Freiheit geben.
zu 2. Hier müssen sich vor allem Frauen ändern. Dieses "Tante! Der blöde Bub war gemein zu mir!" von Sigrid Maurer war zum Fremdschämen. Sie braucht offensichtlich einen Kurs in Facebook. Die Kinder lernen das heute schon in der Schule. Sigrid Maurer hat das wohl verpasst.
zu 3. vollste Zustimmung. Im konkreten Fall wurde die Privatsphäre des Absenders verletzt, indem seine Korrespondenz veröffentlicht wurde. Ich gehe davon aus, dass er es war, und glaube ihm nicht, dass ein Phantom in sein Geschäft geschlichen ist. Trotzdem hat er das Recht, dass seine - auch tiafsten - Ergüsse dort bleiben, wo er sie erzeugt hat - im Privatbereich. Sigrid Maurer und andere social-media-User müssen den Unterschied zwischen privat und öffentlich lernen, und die Grenze respektieren. Ich kann einer Freundin Hassnachrichten am Handy zeigen, aber nicht allen meinen Followern. Die dann hingehen und Bierkraft aufs Geschäft spucken.
Aber den letzten Satz verstehe ich nicht. Auf was hätte sie ihn klagen bzw. wegen was anzeigen sollen?
Es ist schade, dass es in vielen Diskussionen zum Thema scheinbar(!) hauptsächlich um Frauen geht. Der Schein trügt: Auch Männer können sich aufgrund dieses Urteils - sofern es stand hält - nicht mehr effektiv vor Stalking und Mobbing schützen.
Da wäre es wirklich wundervoll, wenn wir einfach mal von MENSCHEN sprechen. Dann fühlen sich hoffentlich wieder mehr Leute angesprochen, sich für eine bessere Gesetzgebung einzusetzen.
Zustimmung zur Frage des Geschlechts. Es wird auch nicht möglich sein, das Gesetz geschlechtsspezifisch zu formulieren, obwohl es natürlich so gemeint ist - Frauen Opfer, Männer Täter.
Aber wo ich widersprechen muss, ist dass sich Beleidigungsopfer aufgrund dieses Urteils nicht mehr effektiv vor Stalking und Mobbing schützen können. Das ist nicht richtig. Stalking ist als beharrliche Verfolgung verboten und strafbar und hier außerdem nicht passiert, Mobbing ebenfalls nicht, weit davon entfernt. Es hat nur ein Facebook-Account eine Abgeordnete beleidigt. Das kommt bei Politikern sehr oft vor. Üblicherweise besitzen diese aber die persönliche Reife, damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch als Nichtpromi kann man solche Nachrichten einfach löschen, oder den Absender blockieren, oder einfach davon unberührt bleiben. Wenn man einen Kommunikationskurs gemacht hat, können sich daraus sogar nette Gespräche entwickeln.
Ich finde den Blogbeitrag interessant, aber etwas doof dass es nur auf Frauen bezogen ist. Auch Männer können obszöne Botschaften erhalten! Sollte alles auch etwas geschlechtsneutraler betrachtet werden!
Nicht nur. Solange es privat bleibt, ist es maximal lästig. Erst wenn sich ein bedrohliches Muster abzeichnet, sollte der Staat einschreiten. Aber passende Gesetze gibt es jetzt schon. Neue Gesetze für beleidigte Frauen würden sich verheerend auf die gesamte zwischenmenschliche Kommunikation auswirken.
Potenziellen "Tätern" muss klar sein, wen sie vor sich haben, einen Erwachsenen oder ein Kind in einem Erwachsenenkörper. Sie haben einfach das Recht zu wissen, mit wem sie reden. Ob ein böses Wort adäquat gekontert wird, oder ob das Baby zum Weinen anfangt. Man ist sonst ständig mit einem Bein im Häfen.
Warum muss sich eine Frau dagegen "wehren". Wenn sie unaufgefordert solche Nachrichten bekommt, kann sie sie einfach ignorieren. Wenn sie etwas dazu beigetragen hat, ist es IHR Konflikt genauso wie der des Absenders, auf jeden Fall aber privat.
Und grundsätzlich sind Frauen nicht schützenswerter als Männern, denn wir haben Gleichberechtigung, und sexuelle Beleidigungen nicht schlimmer als andere.
Ja, eine erwachsene Frau muss das aushalten. Und ein Promi noch mehr.
Ich möchte jedenfalls nicht per Gesetz auf die Stufe eines wehrlosen Kindes gestellt werden, nur weil ich eine Frau bin, und werde mich, falls es soweit kommt, dagegen wehren. Ich kann mit beleidigenden Nachrichten nämlich selbst ganz gut umgehen und möchte auch die Hoheit darüber behalten. Ich brauch keinen "Tante, der blöde Bub was gemein zu mir!"-Alarmknopf. DAS ist dann eine Beleidigung, mit der ich nicht umgehen kann.