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Recht auf Heimlichkeit

 

Die Schriftstellerin Juli Zeh hat ihre düstere Zukunftsvision mit der Band Slut vertont

Alles ist rein, die Menschen sind gesund, makellos und schön. Kriege, Hunger und religiöser Wahn gehören der Vergangenheit an. Auf den ersten Blick beherbergt die Zukunft, die Juli Zeh in „Corpus Delicti“ beschreibt, eine perfekte Welt. Allerdings ist auch die Freiheit massiv eingeschränkt: Man ist verpflichtet, auf seine Fitness zu achten, Rauchen ist sowieso verboten, und auch der Partner muss gewisse genetische Kriterien erfüllen. Das Werkzeug, um diese totalitär gewordene Vorstellung von Gesundheit durchzusetzen, wird schlicht „die Methode“ genannt und vom Großteil der Bürger blind befolgt.

Juli Zeh versteht ihr Buch als Warnung: „Unser Menschenbild wird immer biologistischer, wir betrachten Zufriedenheit und Gesundheit als rein abstrakten Wert. Es gibt Mädchen, die sich fast zu Tode hungern, um schlank zu werden!“

Die 35-jährige Zeh hat „Corpus Delicti“ zunächst als Theaterstück geschrieben, dann als Roman adaptiert – und den Text nun noch einmal mit der deutschen Indieband Slut überarbeitet. „Überarbeiten kann man schon gar nicht mehr sagen. Ich habe die Texte wirklich als Steinbruch benutzt“, präzisiert Zeh im Interview. Das Ergebnis nennt sich „Schallnovelle“ – kein Hörspiel und auch keine Lesung mit ein bisschen Musik, sondern eine atmosphärische Collage aus Text und Ton, bei der Zeh auch als Backgroundsängerin mitwirkt.

„Corpus Delicti“ übersteigert und verfremdet Bekanntes. Die Hörer werden zum Beispiel mit Warnhinweisen traktiert, wie wir sie aus dem Kino kennen: Zusätzlich zu den gewohnten Warnungen vor Raubkopien gibt es noch Gesundheitstipps – ganz im Stil der „Methode“, der auch die Protagonistin, Mia Holl, folgt – bis sie nach dem Selbstmord ihres Bruders beginnt, die „Methode“ infrage zu stellen. Die Fassade beginnt langsam zu bröckeln, die Diktatur zeigt ihr skrupelloses Gesicht: jenes des Journalisten und obersten Meinungsführers im Lande, Heinrich Kramer. Die Handlung des Buchs ist in der Schallnovelle nur mehr erahnbar. Trotzdem muss man den Roman nicht gelesen haben, um zu merken: In diesem Staat ist etwas faul.

„Wenn man Katastrophen im Rückblick betrachtet, fragt man sich immer: Wieso haben die damals nichts gemerkt? Aber wenn man in diesem Prozess drinnensteckt, fehlt einem der nötige Abstand“, erklärt Zeh. Mittlerweile ist sie ja nicht nur als erfolgreiche Autorin, sondern auch als Gegnerin übereifriger Sicherheitspolitiker bekannt. Die studierte Juristin hat bereits Beschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgerichtshof gegen Fingerabdrücke im Reisepass eingereicht und vor kurzem das gemeinsam mit Ilija Trojanow verfasste Sachbuch „Angriff auf die Freiheit“ veröffentlicht.

Videokameras, DNA-Datenbanken, Onlinedurchsuchungen – Zeh wehrt sich gegen die zunehmende Überwachung der Bürger. Das Argument, dem zufolge nichts zu befürchten habe, wer nichts zu verbergen hat, lässt sie nicht gelten. „Da schwingt ja schon der Anspruch mit, dass jemand, der nichts zu verbergen hat, alles offenlegen soll. So ist das nicht. Jeder Mensch soll in seinen eigenen vier Wänden ungestört sein, völlig egal, was er da verbirgt. Das Recht auf Heimlichkeit gehört einfach zur Menschenwürde“, sagt Zeh.

Warum ihr der Blick des großen Bruders nicht behagt? Auf diese Frage gibt Zeh nicht nur verfassungsrechtliche Antworten: „Ich bin da einfach selbst sehr empfindlich. Es klingt vielleicht albern, aber wenn ich am Computer schreibe und jemand guckt mir über die Schulter, drehe ich durch. Und noch weniger mag ich es, wenn der Staat das tut.“

Juli Zeh und Slut: Corpus Delicti. Eine Schallnovelle. Schöffling, 1 CD, € 18,50

Manche Kritiker haben bemängelt, dass die aufklärerische Absicht in „Corpus Delicti“ zu offensichtlich sei, und auch im „Angriff auf die Freiheit“ wird der Zeigefinger erhoben, wenn Trojanow und Zeh die Naivität vieler Bürger anprangern. Zeh mag aber keine Trennlinie zwischen ihrer Arbeit als Schriftstellerin und ihrer Existenz als besorgte Bürgerin ziehen. Dafür findet sie auch neue Sympathisanten. „Sie ist quasi die Jeanne d’Arc der Überwachungsgegner“, meinte Slut-Sänger Christian Neuburger neulich über seine Bühnenkollegin.

„So eine heroische Bezeichnung würde ich nicht wählen, weil das nicht richtig zu mir passt“, meint Zeh, die als klassischer Kopfmensch an ihre eigenen Charaktere erinnert. Gegen die Existenz als Galionsfigur hat sie aber nichts. Es sind laute Stimmen wie ihre, die die Datenschutzdebatte anheizen – und auch massentauglicher machen.

Demonstrationen gegen Internetzensur stehen in Deutschland schon auf der Tagesordnung, das Überwachungsthema ist im Wahlkampf äußerst präsent. Laut Zeh erklärt das auch, warum „Corpus Delicti“ nun schon als Theaterstück, Buch und CD erschien. Kein anderes Werk hat die Autorin bisher in so viele Gattungen übertragen. „Das liegt nicht an mir“, beteuert sie, „sondern am Thema. Viele Menschen treten an mich heran und möchten etwas machen. Ich glaube, das sitzt mehr in den Köpfen, als man vermutet. Man hat immer das Gefühl, denen ist alles egal, die sind alle unpolitisch und kümmern sich nicht. Das stimmt aber nicht.“

YouTube-Clip zu Corpus Delicti

Dieser Artikel ist im Falter 39/09 erschienen. Foto: Screenshot von RoteRaupeTV.

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  • Ich finde an den drei Beispielkomentaren nichts verwerfliches.

    Für freie Meinung und gegen Neusprech!!!

  • Ich verstehe das Problem mit den Beispiel-Kommentaren leider auch nicht. Das Problem ist anscheinend doch eher der Inhalt, nicht die Form. Wären im Kommentar #1 böse Polizisten gemeint gewesen, wäre wahrscheinlich alles in Ordnung.

    Spannender finde ich folgende Frage: Welcher der folgenden Kommentare ist denn nun ein Hass-Kommentar?

    a) Asylanten sollten sofort, ohne wenn und aber, wieder abgeschoben werden!

    b) Dem Polizisten, der mit Pfefferspray auf die Demonstranten losgegangen ist, sollte man selbst mal eine ordentliche Ladung ins Gesicht verpassen.

    c) All cops are bastards!

  • Ich denke, dass das Einstellen eines einzelnen Community-Managers, der nach seinen eigenen bzw. nach redaktionell vorgegebenen Moralvorstellungen die Nutzerkommentare zensiert, nicht der richtige Weg sein kann. Zu empfehlen wäre da eher, auf eine andere Technologie zurückzugreifen, die eine Regulierung durch die Community selbst ermöglicht - quasi durch Mehrheitsentscheid. Ein gutes Beispiel hierfür liefert momentan das Portal YouTube, in dem die Möglichkeit besteht, jeden einzelnen Kommentar als positiv oder negativ zu bewerten. Ab einer gewissen Anzahl negativer Bewertungen wird ein Kommentar standardmäßig ausgeblendet (und nicht gelöscht!) - man muss ihn explizit wieder einblenden, falls man neugierig darauf sein sollte, warum er geschmäht wurde. Nach meiner Beobachtung funktioniert dieses System recht gut und wird von der YT-Nutzergemeinde durchaus gerne in Anspruch genommen. Außerdem stellt es einen Kompromiss zwischen Zensurbefürwortern und -gegnern dar.

  • Bei vielem im Artikel möchte ich zustimmen, aber eine Befürchtung bleibt: Zu viel Kontrolle. Zum Beispiel Foren mit einer Vorab-Moderation finde ich persönlich unbenutzbar. Auch zu strenge Nettiquette, wie Spiegel-Online-Foren, wo wohl das siezen gefordert wird (Leute, wirklich?) sind ein Hinderungsgrund. Und eine Zwangsregistrierung erst Recht. Dafür muss man die Seite schon sehr oft besuchen, dass sich das lohnt. Um gelegentlich mal einen interessanten Blogartikel durch einen Tipp zu ergänzen werde ich mir bestimmt keinen Account anlegen.

  • Hi, mich beschleicht oft das Gefühl Internetforen werden zum Abreagieren verwendet. In der "offline" Welt leiden viele Menschen an Harmoniesucht. Man möchte Freunde nicht verunsichern oder gar verärgern. Also spielt man eitle Wonne, geht nach Hause und lässt Dampf ab beim Beschimpfen von Fremden.
    Andererseitsss sind Regeln wie: „Dont feed the Troll“ schon recht alt, werden aber nicht immer befolgt. Hier müssen die Nutzer noch erwachsen werden. Youtube bietet dafür mit dem Ausblenden von stark negativ bewerteten Kommentaren eine Hilfe an. Bei einigen Themen wie Sexismus, Ausländerhass etc. ist ignorieren nicht ausreichend. Hier müssen die Nutzer die nötigen Werkzeuge erhalten um solch einen Hassposter zu melden, auszublenden. An einer Moderation kommt man dann natürlich nicht mehr vorbei. Moderatoren lassen sich aus der Community rekrutieren.

    Guter Artikel, alles Gute beim Buch!

  • Der Artikel spricht mir aus der Seele. Besonders gefällt mir, dass das Problem von Hasskommentaren mal thematisiert wird, ohne einer Klarnamenpflicht das Wort zu reden. Denn für ano- oder pseudonymes Posten gibt es diverse Gründe, viele davon völlig legitim. Außerdem löst eine Klarnamenpflicht, wie Sie das ja schon im vorangehenden Beitrag dargelegt haben, das Problem überhaupt nicht. Das ist in dem Zusammenhang einfach eine Scheindebatte.

    Sehr wertvoll fand ich auch den Hinweis darauf, dass es eine wichtige Rolle spielt, ob und wie die Autor_innen des kommentierten Artikels sich an der Diskussion beteiligen.

    In einem Punkt greift mir der Artikel aber etwas zu kurz, nämlich wenn das Problem auf die Form der Kommentare reduziert wird, unabhängig vom Inhalt. Die Form ist sicherlich ein großes Problem, und die meisten Meinungen kann man auch ohne hate speech vortragen. Es gibt aber auch Meinungen, die an sich hasserfüllt sind. Um ein besonders klares Beispiel zu nehmen: Wenn jemand der Meinung ist, alle Homosexuellen sollten getötet werden - dann kann er_sie das so sachlich und unaufgeregt formulieren wie nur möglich (also wie ich das in dem Beispiel grade getan habe), es bleibt eine zutiefst hasserfüllte Botschaft.

    Ich bin also der Meinung, dass Foren und Kommentarspalten keineswegs allen Meinungen Platz einräumen sollten, genausowenig wie allen Formulierungen. (Das bezieht sich natürlich auf Portale mit dem entsprechenden Anspruch; pi oder Krone haben halt das Publikum, das zum redaktionellen Inhalt passt.) Nicht alles, was generell gesagt werden darf - strafrechtlich sind der Meinungsfreiheit zum Glück nur seeehr weite Grenzen gesetzt - muss auch überall gesagt werden dürfen.

    Problematisch ist natürlich die Grenzziehung, wofür es sicher kein Patentrezept gibt. Da ist auch die Selbstdisziplin von Blogger_innen und Redaktionen gefragt; positive und kritische Kommentare sollten unbedingt nach den gleichen Kriterien behandelt werden. Auf jeden Fall bin ich für größtmögliche Transparenz, d.h. es sollte so gut wie möglich allgemein dargelegt werden, was akzeptabel in Kommentaren ist und was nicht. Im Sinne der Transparenz bin ich auch eher dafür, Hasskommentare nachträglich zu löschen, als Kommentare von vornherein erst nach Prüfung freizuschalten. Dann können User_innen nämlich ab und an sehen, was gelöscht wird und was nicht.

    Eine Halde für gelöschte Kommentare nach Vorbild von hatr.org fände ich auch gut. Dann kann man nämlich sehen, ob tatsächlich nur Hasskommentare gelöscht werden oder generell missliebige Meinungen und sanfte Polemiken. Außerdem bleibt so die Freakshow an einem sicheren Ort erhalten. Daraus lassen sich ja auch wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung bestimmter Formen von Hass gewinnen.

  • I want to to thank you for this great read!! I definitely enjoyed every bit of it.
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  • Schön auf den Punkte gebracht kann man da nur sagen, ich selbst arbeite in einer Werbeagentur in Klagenfurt und wir stellen zum Teil auch Printmedien her. Da finde ich diesen Artikel sehr treffend, da ich auch schon oft sowas zu hören bekommen habe.
    Dann werde ich mal etwas Feenstaub auf den Bildschirm werfen um etwas schönes zu zaubern. =)

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    understand. It seems too complicated and extremely broad for me.

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  • Ich glaube auch das ist Geschmackssache, da gibt es sicher einige Pros und Contras ;) Ich persönlich bevorzuge die guten alten Bücher, aber in der jüngeren Generation scheinen eBooks voll im Trend zu liegen, hier ein Beispiel. LG

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