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Hartnäckig wie Feuerkraut

Die feministische Historikerin Gerda Lerner stellt ihre fesselnde politische Autobiografie in Wien vor

“Ich habe versucht, so ehrlich wie möglich zu schreiben. Aber leicht ist das nicht, man möchte lieber von hübschen Sachen erzählen”, sagt Gerda Lerner über ihre neue Autobiografie, die sie dieser Tage in Wien präsentiert.

Die 89-Jährige wurde als feministische Historikerin bekannt. Sie war eine der Ersten, die den Spuren folgten, die Frauen in der Geschichte hinterlassen haben. Aber bevor die gebürtige Wienerin ihre wissenschaftliche Laufbahn in ihren 40ern einschlug, hatte sie schon ein sehr bewegtes und sehr politisches Leben.

Gerda Kronstein (später Lerner) wuchs in einer wohlhabenden jüdischen Wiener Familie auf, schon als Jugendliche setzte sie sich gegen den Austrofaschismus ein. Später wurde sie von den Nazis inhaftiert. Der Vater, ein Apotheker, hätte verhaftet werden sollen, und floh deswegen schon früh vor den Nationalsozialisten nach Liechtenstein. Die 17-jährige Tochter und ihre Mutter wurden als Faustpfand vorübergehend eingesperrt, um den Vater zur Rückkehr zu erpressen. Das funktionierte nicht. Und nach der Freilassung konnte Lerner in die USA emigrieren.

Die Österreicher hören das nicht gerne, sagt sie, aber der Antisemitismus war in Österreich viel brutaler als in Deutschland. Ich hatte damals einen Besucher aus Deutschland zu Gast. Er kam nach Wien, nachdem er schon fünf Jahre unter Hitler in Deutschland gelebt hatte – und er war schockiert. Er sagte:, Solche Verfolgung habe ich überhaupt noch nie gesehen.” In ihrer Autobiografie Feuerkraut erinnert sie sich, wie Juden auf der Straße gedemütigt und jüdische Geschäfte am helllichten Tag ausgeraubt wurden – selbst als das noch gar nicht die offizielle Politik der NS-Führung war.

Das Buch ist nicht nur spannend, weil es ein Stück Zeitgeschichte vermittelt. Sondern auch, weil es die Familiengeschichte der Kronsteins erzählt. ,Feuerkraut” liest sich wie ein Roman, befand die New York Times. Die Autorin analysiert die Beziehung zwischen ihrem Vater, ihrer Mutter und ihr durchaus kritisch. Da wird die Doppelmoral im gutbürgerlichen Wien, die unglückliche Ehe ihrer Eltern und schließlich die Entfremdung von der Mutter beschrieben.

An manchen Stellen liest sich das fast wie eine Beichte. Lerner bereut Jahrzehnte später, dass es bis zum frühen Tod ihrer Mutter nie eine richtige Aussprache gab. Sie schreibt: Die Schuld der Überlebenden ist zu einem Klischee geworden. Wie es sich jedoch anfühlt, ist etwas anderes. Man kann eine Wand drum herum aufbauen; man kann Zement in sein Herz gießen; man kann auf den Gräbern tanzen. In Wirklichkeit lähmt sie einen, diese unheilvolle Krankheit, die man ein Leben lang in sich trägt. Es ist mehr als die Schuld, überlebt zu haben. Es ist die Schuld, missverstanden und falsch geurteilt zu haben. Es fiel ihr schwer, manches öffentlich auszusprechen. Wenn meine Eltern noch am Leben wären, hätte ich das Buch nicht schreiben können, sagt sie.

Das Buch ist auch eine Aufarbeitung des Erlebten. Die Verfolgung unter der NS-Zeit legt sich wie ein Schatten über die gesamte Biografie. Ich bin relativ gut davongekommen. Als Holocaustüberlebende, als Emigrant ist mir fast nichts geschehen. Aber ich wollte aufzeigen, dass dieses, Nichts” ein vollständig verheerendes Erlebnis war. Das hat mein ganzes Leben beeinflusst.

Ich wollte wirklich leben. Aber um zu überleben, musste ich tapferer werden, als ich es war, und um das zu werden, musste ich akzeptieren, dass ich möglicherweise hier sterben würde
In den Wochen im Gefängnis schloss sie fast mit ihrem Leben ab. Auf engem Raum bekommt sie nur die halben Essensrationen, weil sie Jüdin ist, und hat keine Aussicht auf ein faires Verfahren. Sie schreibt: “Ich feierte meinen 18. Geburtstag im Gefängnis. Ich wollte hinaus und meine Prüfung (die Matura, Anm. d. Red.) machen und irgendwann an der Universität studieren. Ich wollte meinem Freund nach Amerika folgen. Ich wollte meiner Mutter und meiner Schwester helfen, aus Nazideutschland hinauszukommen. Ich wollte wirklich leben. Aber um zu überleben, musste ich tapferer werden, als ich es war, und um das zu werden, musste ich akzeptieren, dass ich möglicherweise hier sterben würde.”

Ihre jüngst ins Deutsche übersetzte Autobiografie ist jenen gewidmet, die in dunklen Zeiten Anstand bewahrten, sich gegen Gleichschaltung wehrten und niemals ihre Hoffnung auf die Kraft der Demokratie verloren. Das ist auch ihr kompromissloser Anspruch an sich selbst. Lerner ist ein sehr ernster, beharrlicher Mensch. Es gibt nur wenige Dinge, die sie bereut. Eines davon sind aber die ideologischen Scheuklappen, die sie bei ihrem Blick auf die Sowjetunion anlegte.

Die frühe Rebellion, die politische Grundhaltung erklären auch, warum Lerner letztlich zu einer erfolgreichen Forscherin wurde. Die zweite Hälfte des Buchs beschreibt die Nachkriegsjahre in den USA, in denen sie den Feminismus für sich entdeckte. Egal ob als ausgebeutete Arbeitskraft im New Yorker Bonbongeschäft, als Aktivistin in der kommunistischen Partei oder als Mutter zweier Schulkinder, sie erfuhr immer wieder, wie Frauen marginalisiert wurden.

Als sie sich dann in den 50er-Jahren an der New School for Social Research fürs Geschichtsstudium einschrieb, gab es keine feministische Geschichte. Ich habe immer gefragt:, Wo sind die Frauen?”, erzählt Lerner. Noch mit 89 Jahren regt sie sich darüber auf, dass ihr damals erklärt wurde, die Frauen seien Illiteraten und für die Geschichte unbedeutsam gewesen.

Falsch. Lerner konnte in ihrer Forschung bedeutsame Frauen ausfindig machen. Zum Beispiel die Schwestern Sarah und Angelina Grimké, die zwei einzigen weißen Frauen aus den Südstaaten, die in der Antisklavereibewegung aktiv waren. Lerners späteres Buch über schwarze Frauen im weißen Amerika war wegweisend. Wenn ich bei meinem Geschichtsstudium jünger gewesen wäre, wenn ich 18 Jahre alt gewesen wäre, dann hätte man auch mich gehirnwaschen können. Die Professoren haben alle das Gleiche behauptet. Und ich habe immer gesagt: Das ist nicht wahr. Und zum Schluss hatte sie einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass dieses Geschichtsbild umgestoßen wurde.

 

Dieser Artikel ist im Falter 24/09 erschienen.

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  • zur erweiterten Gefahrenerforschung: Wie kommen denn Ermittler dazu dass eine Person potentiell Terrorist werden koennte? Naemlich ohne diese Person (noch frühzeitiger) zu ueberwachen.

    Vielleicht weil diese Person etwas mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die was mit einer Person zu tun hat die ein Terrorist ist. Das waer dann wohl so ziemlich jeder.

  • Die links-grünen Eliten planen die Vernichtung der eingesessenen europäischen Volker durch Masseneinwanderung von Nichteuropäern, insbesondere von Muslimen, weil sie diese brauchen, um die bürgerlich-christlich geprägten Gesellschaften radikal nach utopischen Vorstellungen umzukrempeln (Antonio Gramsci hat das alles schon vor 80, 90 Jahren durchdacht) und wundern sich dann, dass es Widerstand gegen die eigene Vernichtung gibt.

    Europa soll zu einem bunten Völkergemisch werden, in dem sich letztlich der Islam durchsetzen wird, während alle nicht-westlichen Gesellschaften weiterhin ihre eigenen nationalen Gesellschaften behalten und da wundert sich die Elfenbeinturmbewohner, dass die völlig durchgeknallte Selbstvernichtung nicht von allen begeistert aufgenommen wird...

    Die etablierten geistigen "Eliten" in Europa haben jede Orientierung und führen die westliche Welt in den Untergang....

    Was Breivik getan hat, ist moralisch nicht zu rechtfertigen, nachvollziehbar als Verzweiflungstat ist es meines Erachtens dennoch. In 10, 20 oder 30 Jahren, wenn der Bürgerkrieg um die Herrschaft in Europa tobt zwischen den muslimischen Einwanderern und den Eingesessenen, wird man das verhalten von Breivik in weiten Bevölkerungskreisen verstehen, da bin ich mir sicher!

  • dieses beispiel zeigt deutlich, wie weit weg von der realität die entwicklerInnen solcher kampagnen sind...

  • Das spricht mir aus der Seele! Komplett inhaltsleer, keine tiefergehenden Informationen oder Erklärungen für die Bürger, kein Dialog, .... das Ganze ist völlig sinnlos. Was insbesondere deswegen schade ist; da es eine gute Gelegenheit gewesen wäre an Politik desinteressierte Menschen, insbesondere Junge, zurückzugewinnen. Darum tut es mir mehr leid, als um die 200.000 Euro, denn es wird noch viel mehr bei uns verschwendet.

  • Kein Politiker, der nicht von sich aus in den neuen Medien präsent sein will, sollte sich da präsentieren. Man kann einfach nicht glaubwürdig rüberkommen.

  • Man muss ja nicht mal schummeln am FB-Profil. Man veröffentlicht einfach nur die richtig netten Sachen, Gelegenheiten, Fotos und Momente für alle Freunde. Man schränkt die persönlichen Postings auf den "inneren" Freundeskreis ein. Dann sieht der alte Bekannte halt nur einen Ausschnitt aus dem Leben. Aber genauso kann man auch seine Erzählungen & Darstellungen während eines Abends in großer Runde einschränken (solang keine Leute dabei sind, die Genaueres wissen und dies auch kundtun). Same same.
    Aber sicher spannend, das Treffen. Fix Oida!

  • #OPEN und #PIPA blieb leider unerwähnt.

    zu: ACTA und VDS sind Chiffren für ein unsauberes Demokratieverständnis. Da werden in geheimen Verhandlungen Dokumente erstellt, und wenn der fertige Entwurf an die Öffentlichkeit dringt, ist es für eine echte Debatte längst zu spät. Diese Geheimniskrämerei auf supranationaler Ebene ist ein guter Trick, um umstrittene Gesetze ohne große Diskussion auf Schiene zu bringen.

    Hinweis:
    Ross und Reiter werden von Ihnen hier laufend anonymisiert: Welche Personen meinen Sie genau, die "im geheimen Dokumente erstellen" Wessen "Geheimniskrämerei"?? Wie heißen, die Österreicher, die hier aktiv waren / sind? Wenn Sie diese "Geheimniskramerei" selbst eliminieren würden, wären Roß und Reiter konkret benannt. (Ein "Ministerium" kann ja nicht schreiben, verhandeln, etc. --- nur Personen.)

  • Ich finde, Sie nehmen (wie sehr viele Journalisten, inkl. Mr. Wolf vom ORF) die Sache immer noch zu leicht.

    Durch privat bzw. allgemein erhältliche Software fische ich (mit fast 98% Genauigkeit) aus facebook die ÖVP- oder SPÖ-Wähler heraus; womit das Wahlgeheimnis zu 98% futsch ist. (wird normalerweise "demokratieschädlich" genannt)

    Bei den $cientologen wurde deren Grundsatz "von jedem eine Akte anlegen" (im $c.Jargon: Ethik-Akte) von Leuten wie Ihnen heftig bekämpft, weil totalitär. Nun haben Sie das, was früher "totalitär" genannt wurde: eine Akte von jedem, die Privates und Intimes enthält.

    Danke U$-Konzerne und U$-Regierung, v.a. Bush-Regierung für die exorbitante
    - politische Spionage
    - Wirtschaftspionage
    - militärische Spionage

    Denn: heute ist Information viel, viel wichtiger als "Geld"; Information regiert die Welt.

    lg

  • In D hat ein Blogger nach seinem Urlaub festgestellt, dass etliche seiner Texte im web gefehlt haben. Das hat den gewaltig überrascht, sodass er gleich nachforschte.

    Der Provider hat ihm die Blog-Beiträge herausgelöscht!! Und zwar deswegen, weil ein Rechtsanwalt dem Provider eine einstweilige Verfügung eines kleinen BRD-Gerichtes gemailt hat, mit der Aufforderung, zwei dutzend Texte zu entfernen. Das hat der Provider gemacht, um nicht als "Störer" (ist in der BRD so) vom RA belangt zu werden.

    Das heißt: lange bevor der Blogger davon erfahren hat (vom Rechtsanwalt und des Gerichtsbeschlusses) waren seine Texte vom web entfernt.

    Die einstweilige Verfügung wird OHNE Anhören der Blogger beschlossen; nach der Anhörung des Bloggers wurde der Beschluß aufgehoben; das Entfernen der Texte war rechtswidrig, weil der Gerichtsbeschluß aufgehoben werden mußte.

    Also: wenn von Ihnen im web zwei dutzend Beiträge fehlen und sie nicht wissen warum, dann wissen Sie, wo das Problem bei #ACTA liegt. http://is.gd/ED43eX

    Das Problem ist, dass sechs Konzerne (Sony, MGM, Universal, ...) mehr Macht haben, als die gesamte EU und ihre Politiker.

    lg

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