Schwangere Teenager: Drüber reden, aber richtig
Falsche Aufklärung und Hürden bei der Pille danach: Warum in Österreich zu viele Teenager schwanger werden
Auf den ersten Blick schaut es hier wie bei einer normalen Ärztefortbildung aus. Ein Pharmaunternehmen hat Werbung aufgestellt, bunte Broschüren liegen am Tisch. Eine Rednerin präsentiert ihre PowerPoint-Folie. Doch es ist kein Pillenhersteller, der am Samstag vor zwei Wochen sein neues Präparat vorstellt, kein Primar, der Testergebnisse präsentiert. 40 Frauenärzte sind ins Wiener Hotel Modul gekommen, um zu erfahren, wie sie am besten mit jungen Patientinnen umgehen. Sie nehmen am ersten Workshop teil, der sie auf die Mädchensprechstunde vorbereiten soll. Das ist ein Programm, bei dem Lehrer mit Schülerinnen zum Frauenarzt gehen, damit dieser mit ihnen über Verhütung und Sexualität redet. In Deutschland gibt es solche Sprechstunden seit vier Jahren.
Ich habe dort selbst so einen Workshop mitgemacht und mich gefragt, warum es das nicht auch bei uns gibt, sagt der Ottakringer Frauenarzt Michael Elnekheli, Präsident des Berufsverbands österreichischer Gynäkologen. Er hat das Projekt nun importiert. Österreichweit sollen künftig Mädchensprechstunden stattfinden. Der Zeitpunkt dafür ist günstig gewählt: Denn vermehrt wird über ungewollt schwangere Mädchen berichtet.
Tageszeitungen schreiben über abtreibende Teenager, junge Mütter und ungeschützten Sex unter Jugendlichen. Manches davon ist übertrieben. Denn die Zahl der Elf- bis Achtzehnjährigen, die ein Kind gebären, nimmt seit Jahren langsam ab. 1432 junge Mütter verzeichnete die Statistik Austria 2007. Trotzdem muss Österreich auf diese Zahl nicht stolz sein. Der internationale Vergleich zeigt, dass es hierzulande sehr viele junge Mütter gibt, die wider Willen schwanger werden. Laut dem UN-Weltbevölkerungsbericht kommen auf Tausend 15- bis 19-Jährige 11 Geburten. Das ist der schlechteste Schnitt in ganz Westeuropa. Zum Vergleich: In Deutschland sind es pro Tausend Teenager neun Neugeborene, in der Schweiz vier und in Frankreich eine.
Kümmert sich der Staat nicht genug um die Aufklärung? Könnten ungewollte Schwangerschaften verhindert werden, wenn die Politik sich stärker einmischt?
Wer mit Sexualpädagogen und Ärzten spricht, hört Kritik. Ein praktisches Beispiel bringt Frauenarzt Elnekheli, der in seiner Patchworkfamilie zwei 14-jährige Töchter an unterschiedlichen Schulen hat. Bei der einen hat die Aufklärung gut funktioniert. Bei der anderen war das kein Thema, erzählt er. Das zeigt ein grundsätzliches Problem: In Österreich überlässt es der Staat oft Einzelnen, wie sie mit Aufklärung und Verhütung umgehen sollen – auch an den Schulen.
Sexualerziehung als Pflichtfach, in Ländern wie Schweden und Dänemark gibt es das längst. In Österreich ist es ein Unterrichtsprinzip. Das heißt, das Thema kann in verschiedenen Fächern einfließen – muss es aber nicht. Nur im Lehrplan für Biologie ist Sexualkunde dezidiert verankert. Kein Wunder, dass das oft an den Biologen hängenbleibt. Und die gehen die Sache dann häufig sehr technisch-biologisch an. Es gibt eine Barriere vom Wissen zur Umsetzung, sagt Beate Wimmer-Puchinger, Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien. Viele Experten wünschen sich eine praxisnähere Aufklärung im Unterricht.
Dass das von Schule zu Schule variiert, missfällt auch der Stadt. Deswegen bietet sie nun flächendeckend in vier Gemeindebezirken Workshops an: Im 2., 15., 16. und 17. Bezirk kommen Sexualpädagogen zu den 13- und 14-Jährigen in die Klasse und reden offen über Sex. Jungs und Mädels stellen dort anonyme Fragen. Zum Beispiel: Kann man sich von einem O.B. entjungfern? Ist es normal, dass es nach dem zehnten Mal Sex noch wehtut? Wie viel Alkohol muss man trinken, um ein Kind zu verlieren?
Vielen Jugendlichen fehlt der Bezug zum eigenen Körper. Vor allem Burschen informieren sich durch Pornos. Dann gibt es Jungs, die fragen: Meine Freundin steht nicht darauf, wenn ich sie fiste. Was kann ich tun?
Gerade bei so einer starken Sexualisierung der Gesellschaft braucht man Sexualerziehung, um Irrtümer und Unsicherheiten zu beseitigen, sagt Bettina Weidinger vom Österreichischen Institut für Sexualpädagogik, die selbst Workshops an Wiener Schulen durchführt.Diese Aufklärung ist auch Schwangerschaftsprophylaxe. Denn gerade die Mädchen, die Kinder gebären, tun das meist nicht aus einer bewussten Entscheidung heraus. Oft merken sie erst, dass sie schwanger sind, wenn es zu spät zum Abtreiben ist. Das ist eine Mischung von Verdrängen und fehlender Körperkompetenz, sagt Hebamme Uschi Reim-Hofer von der Einrichtung YoungMum, die schwangere Teenager begleitet.
Die Frauengesundheitsbeauftragte Wimmer-Puchinger wünscht sich, dass die Sexualworkshops auf alle städtischen Schulen ausgedehnt werden. Der Staat könnte aber auch sonst mehr tun, um Teenagerschwangerschaften zu verhindern. Das zeigt etwa die Pille danach. Sie ist ein stark hormonhaltiges Medikament, das eine Schwangerschaft bis zu 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr verhindern kann. Wenn das Kondom reißt, die Pille vergessen wurde – dann verhindert sie in den meisten Fällen die Befruchtung. Das Problem dabei: Gerade für junge Mädchen ist es schwieriger, an das Präparat heranzukommen. Jedes vierte Spital mit gynäkologischen Abteilungen weigert sich, Rezepte für die Notfallverhütung auszustellen. Das ergab 2006 eine Befragung der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Zwar hätten mittlerweile Apotheker die Möglichkeit, in der Nacht und am Wochenende das Medikament in Notfällen ohne Rezept herauszurücken – aber gerade junge Mädchen blitzen dort oft ab.
Anderswo gibt es dieses Problem nicht. Die Mehrzahl der europäischen Länder bietet die Pille danach rezeptfrei an. In französischen und britischen Schulen kann die Schulkrankenschwester das Medikament sogar verteilen. Kritiker fürchten, dass das Präparat dann zu leichtfertig eingenommen wird. Von unserer Seite gibt es ein klares Nein zur Pille danach ohne Rezept, sagt Daniela Klinser, Pressesprecherin von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP). Die Pille danach könnte sehr viel Leid verhindern, meint hingegen Wimmer-Puchinger.
Keine Pille danach und praxisferner Aufklärungsunterricht. Das sind nur zwei Kritikpunkte, die zeigen, dass sich der Staat aus dem Thema stark heraushält. Wenn die Politik klare Regeln scheut, hängt es aber letztlich vom Einzelnen ab, wie er mit Verhütung umgeht: vom jeweiligen Lehrer, ob er seine Schülerinnen zur Mädchensprechstunde beim Frauenarzt bringt, und vom jeweiligen Apotheker, ob er eine Teenagerschwangerschaft verhindert oder nicht.
(erschienen in Falter 44/08)
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Sehr geehrte, liebe Ingrid Brodnig,
mir hat Ihr professioneller sympathisch vermittelter Beitrag im Interview mit Wolfgang Ritschl, Ö1, Kontext, außerordentlich gut gefallen. Ich werde darüber ein Posting auf sozialprojekte.com stellen und meine Kolleginnen bei bpw.at davor informieren. Und die KollegInnen im Kepler Salon Linz http://www.kepler-salon.at
Und jetzt geh' ich Ihr Buch kaufen :-)
Herzliche Gratulation!
Heidemarie Penz
Das freut mich sehr, vielen Dank! Ich muss Sie vorwarnen: Das Buch ist erst ab kommenden Montag im Handel, aber online kann man es bereits vorbestellen. Zum Beispiel hier. Ich bin natürlich immer sehr an Feedback interessiert!
Sehr geehrte Frau Brodnig!
Danke für Ihre heutige kompetente Stellungnahme in der ZIB2!
Mit besten Grüßen
Kurt Pecher
Herzlichen Dank für diesen mehr als lesenswerten Text, den ich dann auch gleich mal weiterverbreitet habe. Sie sprechen mir aus tiefstem Herz und geben genau meine Überzeugung und Gedanken wider. Ich war ebenfalls mit dem Text von Nico Lumma einer Meinung, aber mit Ihren Zeilen ... als seien es meine Gedanken. Nur, dass ich sie nicht so gut in Worte packen kann.
Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende wünscht Sabine
Was, wenn parallel zum Shitstorm auch noch ein Transformationsvirus der ganz anderen Art unterwegs ist ;-)
Eine weltweite Epidemie verbreitet sich mit rasender Schnelligkeit!
Ein Umgang von Medien mit Hasskommentaren ist auch die klare Stellungnahme gegen diese.
Als Beispiel wäre hier z.B. der NDR zu nennen:
http://www.ndr.de/ratgeber/netzwelt/antifeminismus101.html
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/hannover/feminismus141.html
Herzliche Grüße
Super, danke für den Hinweis! Finde das eine gute Medienstrategie, das Problem öffentlich zu thematisieren und damit die Antifeministen auch bloßzustellen
hallo ingrid brodnig!
ich habe aufgrund einer empfehlung ihr buch gelesen, und wollte mich auf diesem weg bei ihnen dafür bedanken. es öffnet in dieser debatte die eine oder andere türe und regt in vielen punkten zum nachdenken an.
ich möchte auf einen punkt eingehen, der mir, nachdem ich das buch zugeklappt habe, gekommen ist, und den ich für nicht unwichtig halte, der jedoch in ihrem buch nicht berücksichtigung findet (vielleicht auch finden konnte, denn durchaus möglich, dass er den rahmen ihres buches gesprengt hätte. (und jetzt auch nicht als negative kritik zu verstehen)).
es geht um die fehlende achtsamkeit bzw. fehlende verantwortung bzw. den fehlenden respekt gegenüber anderen AUSSERHALB der online-welt. und da spreche ich nicht nur von rassistischen, geschlechterspezifischen oder ähnlichen (miß)tönen, oder von der generellen radikalisierung der sprache, sondern auch von so einfachen situationen, wie einem fehlenden "danke sagen", wenn einem die türe aufgehalten wird. da hat sich in den letzten jahrzehnten leider vieles zum schlechten gewendet (stichwort: elbogengesellschaft oder ich-ag).
ich denke mir, dass diese "verrohung des zueinanders" (man könnte auch von einer erneuten militarisierung der gesellschaft sprechen) eine wesentliche vorbereitung dessen ist, was - wie sie dann richtig beschreiben - zu den bösartigkeiten in der netzcommunity beiträgt bzw. einladet. in folge können diese online-enthemmungen natürlich auch wiederum in den realen alltag eingehen. ein wechselspiel in folge.
die anonymität (das fehlen von augenkontakt, wie sie es sehr schön genannt haben) wirkt dann beinahe wie das lang gesuchte hilfsmittel, um endgültig alle schranken fallen lassen zu können.
zu thematisieren wäre in diesem zusammenhang auch die verwendung der "smilie-ikons". ich finde, sie bringen ein wenig den "augenkontakt" zurück.
wenn ich jetzt und hier ein pseudonym benutze - das meinem nickname im standard.at forum entspricht - so ist es meinerseits ein kleines spiel ;- )
(ich habe im übrigen bei meinem posten festgestellt, dass es manchmal schon genügt, wenn ich ein direktes hallo und den angesprochenen usernamen bzw. eine verabschiedung (zb. mfg) schreibe, dass sich dann in folge der ton zum positiven verändert hat - eine kleinigkeit zwar, aber mit durchaus großer wirkung)
auf jeden fall kann auch ich ihr buch sehr empfehlen ... und werde es auch tun.
ich verbleibe mit freundlichen grüßen
behan
Ganz auch meine Meinung! Könnte man "shitstorm" nicht aus der Welt schaffen und durch was anderes ersetzen? Mir graust davor.
LG RG
Bei der Vorratsdatenspeicherung kann der Bürger wenigstens aufrüsten. Zum Beispiel mithilfe eines VPN Dienstes. Darum bin ich der Meinung das der Windmühlenkampf zwecklos ist. Eine technologische Aufrüstung wäre sinnvoller, besonders im Zeitalter des Informationszeitalters. Heute kauft jeder ein Auto mit Sicherheitsgurt. Aber Internet ohne VPN...
Danke für den Workshop und die Folien dazu.
Als Ergänzung: "Krautreporter" will mit diesem Konzept starten:
"Finanzieren wollen sich die Macher über eine Art Community - für 60 Euro im Jahr dürfen Leser kommentieren, zudem seien Begegnungen mit den Autoren oder Stadtführungen für die zahlenden Mitglieder denkbar. " -> http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/krautreporter-will-portal-fuer-qualitaetsjournalismus-werden-a-968688.html
Einerseits verringert es die angesprochene Schwelle Journalist / Leser, andererseits wird die Hürde für einen Kommentar erhöht, weil zuerst bezahlt werden muss. Eine Art von Freemium. Lesen ist gratis, mitmachen kostet.
Danke für den Link, bin sehr gespannt, was das Team von Krautreporter am Dienstag vorstellen wird! Denke auch, dass in allen künftigen Onlinemedien, hinter denen ein Bezahlmodell steht, der Umgang mit der Community - und zwar auf Augenhöhe - umso wichtiger wird
Liebe Ingrid,
danke für die spannende Session und anschließende Diskussion - sehr interessantes, wichtiges Thema! Hier der Link zu unserem Forschungsprojekt, über das wir anschließend kurz sprachen.
Und hier hat mein Kollege Julius Reimer darüber im EJO einen Gastbeitrag geschrieben.
Herzliche Grüße, freue mich schon auf die Buchlektüre,
Nele
Liebe Nele,
super, danke dir für die Links! Klingt echt spannend, was ihr macht - muss ich mir gleich näher ansehen. Eventuell kann ich ja in einem der nächsten Blogeinträge darauf eingehen. Jedenfalls toll, wie die re:publica Menschen zusammenbringt, die sich mit einem Thema beschäftigen!
Schönen Gruß,
Ingrid
Vollste Zustimmung! Ich hab's nicht geschafft, in meinem Beitrag ernst zu bleiben.
Danke für den Hinweis - und die freundlichen Worte im Blogeintrag! Ich versuche ja, möglichst auf Häme zu verzichten, weil ich viele Bedenken der Kritiker teile. Mir behagt der Ton vielerorts auch nicht. Aber es ist halt sehr schade, dass dann prompt der Satz "weg mit der Anonymität" fällt, eine substanziellere Auseinandersetzung mit dem Thema jedoch nicht passiert. Aber vielleicht ändert sich das noch!
Ja, ich weiß genau, was du meinst - ich war bei dem Thema auch skeptisch. Aber es hat mich so in den Fingern gejuckt... und letztendlich hat dann dein Beitrag den Auschlag gegeben; dass ich mir sozusagen die Satire erlauben kann mit Verweis auf deinen Beitrag :-)
Und es ist ja so typisch .at, dass der Woiferl gleich aufs Thema springt. Ich frag mich eher, warum Oe24 Startseitenartikel so wenig Likes bekommen.
Ich bin sehr gespannt, wie Fellner bis Juni die Seite auf Klarnamen umstellen will und wie er das genau machen möchte. Das ist verdammt wenig Zeit und führt zu etlichen technischen Fragen. Entweder heißt das ein Einloggen via Facebook oder eine Art redaktionelle Kontrolle, ob die Namen zumindest halbwegs echt klingen.