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Willkommen im Zuckernet

Facebook ist dem Untergang geweiht? Von wegen! 2015 war ein herausragendes Jahr für das soziale Netzwerk. Es zeigte auch die digitalen Welteroberungspläne des Konzerns.

Facebook will hoch hinaus. Wie hoch, illustriert ein Gerät namens Amos-6 wohl am besten. Im kommenden Jahr soll dieser Satellit in den Orbit geschossen werden und von dort Internet auf die Erde beamen – konkret auf Afrika südlich der Wüste Sahara. Auf diese Weise werden “Millionen von Menschen” vernetzt, kündigte Konzerngründer Mark Zuckerberg an.

Internet aus dem Orbit? Klingt utopisch, aber tatsächlich arbeitet der Facebook-Chef daran, die Vernetzung in jedem Winkel der Welt voranzutreiben. Zuckerberg hat dafür die Initiative Internet.org gegründet. Wenn es sein muss, setzt er sogar Satelliten und Drohnen ein, um die Menschen mit Internet zu versorgen – und freilich auch mit seinen Diensten.

Doch während Facebook an derart futuristischen Plänen zur digitalen Welteroberung arbeitet, hält sich in unseren Breiten hartnäckig ein anderes Gerücht: Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis Facebook untergehe; Jugendliche hielten die Site ohnehin schon für “beerdigt” und seien gar nicht mehr dort anzutreffen – der Rest der User werde ihnen bald folgen. Auch Medien werfen in regelmäßigen Abständen die Frage auf: “Wie tot ist Facebook?” Zuletzt tat dies das “Handelsblatt” am 6. Oktober.

Die Antwort lautet: Facebook ist gesünder denn je. 2015 war sogar ein herausragend gutes Jahr für das soziale Netzwerk. Die Site hat nun monatlich 1,55 Milliarden Nutzer, jeden Tag nutzen mehr als eine Milliarde Menschen die Site. Dies geht aus dem dritten Quartalsbericht hervor. Eine Milliarde Dollar Werbeeinnahmen machte das Unternehmen in diesem Zeitraum allein in Europa – das sind 3,47 Dollar pro User. Auch das ein Rekord.

“Dass Facebook an Relevanz verloren hätte, können wir aus diesen Zahlen nicht herauslesen. Eines kann man mit Sicherheit sagen: Facebook ist dominant”
Facebook ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil es nahezu jeden Konkurrenten aufkaufte, der ihm gefährlich werden konnte: 2012 das Fotoportal Instagram für eine Milliarde Dollar, 2014 den Instant-Messaging-Dienst Whats-App für 22 Milliarden Dollar. Nur Snapchat, eine Smartphone-App zum Austauch kurzer Videos und Bilder, lehnte Zuckerbergs Kaufangebot ab.

Die Expansionsstrategie scheint aufzugehen: 84 Prozent der Internetuser nutzen mindestens einen Dienst, der dem Konzern gehört, also Facebook, WhatsApp oder Instagram.

“Dass Facebook an Relevanz verloren hätte, können wir aus diesen Zahlen nicht herauslesen. Eines kann man mit Sicherheit sagen: Facebook ist dominant”, sagt Jason Mander, der diese Umfrage für den Marktforscher GlobalWebIndex in 32 Ländern durchführte. Unter den jungen Usern (16 bis 24) verwenden sogar neun von zehn mindestens einen Facebook-Dienst. Auch andere Marktforscher kommen zum Schluss, dass Facebook vielleicht nicht mehr cool ist, aber von den Jugendlichen immer noch mehr als alle anderen sozialen Medien genutzt wird.

Mark Zuckerberg hat eines klug erkannt: Der weltweite Ausbau des Internets erfolgt viel langsamer, als der Westen erhoffte. In vielen Entwicklungsländern fehlt das Geld dafür -und oftmals auch das Interesse der Politik. Viele Regimes wollen gar kein starkes Internet, das ohnehin nur zu Widerrede und Kritik verführe.

Nun bringt Zuckerbergs Initiative Internet in Landstriche, die bisher digital abgeschottet waren. Internet.org baut dafür nicht nur Satelliten (eine Kooperation mit dem Satellitenanbieter Eutelsat), sondern bietet auch gratis eine Mini-Variante des Internets. Das klingt nobel, ist aber kontrovers.

Seit 23. November dieses Jahres können beispielsweise alle User in Indien kostenlos die App “Free Basics” auf ihren Handys nutzen, ein Service von Internet.org. Über dieses Programm lassen sich einige Webdienste ansteuern; man kann etwa Nachrichten der BBC lesen, und natürlich lässt sich auf Facebook aufrufen.

In Entwicklungsländern wächst der Konzern rasant und wird teils sogar zum Synonym für die Digitalisierung
Einigen behagt das jedoch gar nicht. Sie sprechen von einem “Zuckernet”, in dem Mark Zuckerberg die technischen Rahmenbedingungen vorgebe und in dem Facebook zum Gatekeeper für alles Digitale werde. Facebook hingegen meint ganz pragmatisch: Wäre es besser, wenn diese Menschen gar keinen Einblick ins Netz hätten?

“Mark Zuckerberg mag durchaus wohltätige, altruistische Motive haben. Aber ein netter Nebeneffekt dieser Initiative ist natürlich: Viele Menschen erhalten hier nicht nur Zugang zum Internet, sondern auch zu Facebook”, sagt Marktbeobachter Jason Mander.

Auch diese Strategie scheint aufzugehen: In Entwicklungsländern wächst der Konzern rasant und wird teils sogar zum Synonym für die Digitalisierung. Eine Wissenschafterin stellte fest, dass viele Indonesier zwar Facebook nutzen, aber gar nicht wissen, dass Facebook Teil des Internets ist. “Es schien, als gäbe es in ihrer Vorstellung das Internet gar nicht. Es gibt nur Facebook”, schreibt der Thinktank LIRNEasia über ihre Erfahrungen.

In den USA und Europa wurden die Expansionspläne Facebooks heuer ebenfalls sichtbar. Im Mai startete das soziale Netzwerk “Instant Articles”. Dabei handelt es sich um Zeitungsartikel und Videos von professionellen Medienhäusern, die auf Facebook-Servern gespeichert werden. Die Plattform verleibt sich de facto fremde Inhalte ein -ein “faustischer Pakt”, wie der kanadische Journalist Mathew Ingram meint.

Facebook verspricht, dass die “Instant Articles” den Nutzern ohne Wartezeit in der App angezeigt werden. Und es gewährt den Medien den gesamten Werbeerlös, den ihre Texte generieren (oder zumindest den Großteil, wenn Facebook für sie die Werbung verkauft). Für Medien wie die “New York Times” oder den “Spiegel” ist dies dabei ein riskantes Geschäft: weil sie ihre Texte aus der Hand geben, weil sie die Aufmerksamkeit vieler Leser auf Facebook richten -und nicht auf ihre eigene Website.

Das soziale Netzwerk soll offensichtlich zur ersten Anlaufstelle werden, wenn Menschen Unterhaltung oder Information suchen – auch hier will Facebook ein neuer, mächtiger Gatekeeper sein. Und Medien spielen dabei mit, weil sie Printleser verlieren und online auf mehr Aufmerksamkeit hoffen und weil Facebook schon jetzt großen Einfluss hat. Welche Artikel im Netz zur Sensation werden, über die jeder spricht, und welche Texte nicht so gut sichtbar sind, das bestimmt oft der Facebook-Algorithmus.

Wer das Gefühl hat, Facebook sei nicht mehr so persönlich wie früher, liegt vollkommen richtig
Dass Facebook stirbt, dafür fehlt also jeglicher Beleg. Wohl aber lässt sich eine Transformation erkennen: War Facebook früher eine Site, auf der man enthusiastisch von privaten Erlebnissen berichtete, sind mittlerweile viele User zurückhaltender geworden.

Wer das Gefühl hat, Facebook sei nicht mehr so persönlich wie früher, liegt vollkommen richtig: Umfragen des Marktforschers GlobalWebIndex zeigen, dass im dritten Quartal 2015 nur noch jeder Dritte seinen Status aktualisierte. Im Jahr zuvor waren es noch 50 Prozent gewesen. Dafür wird Facebook zunehmend passiv genutzt: Man liest Artikel, schaut Videos oder hinterlasst Kommentare bei Freunden.

Die häufigste Tätigkeit ist übrigens das Klicken des “Gefällt mir”-Knopfes – das taten 70 Prozent. “Facebook scheint zu einem Medium zu werden, in dem wir uns eher das Leben anderer Menschen ansehen, als über unser eigenes zu berichten. Dieser Wandel ist aber nicht unbedingt ein Problem für Facebook: Die Verweildauer bleibt hoch. Für Facebook ist entscheidend, dass es weiterhin vielen Menschen Werbung einblenden kann”, sagt Jason Mander.

Genau darum geht es letztlich im digitalen Überlebenskampf: Werbung. Hier ist Google, dessen Mutterkonzern mittlerweile Alphabet heißt, weiterhin klar der Marktführer, nahm heuer im dritten Quartal 16,78 Milliarden Dollar mit Werbung ein (bei Facebook waren es 4,3 Milliarden). Doch gerade im wichtigsten Zukunftssegment, dem mobilen Werbegeschäft, holt Facebook gehörig auf. Schon jetzt stammen 78 Prozent der Einnahmen aus mobiler Werbung. Das Marktforschungsunternehmen eMarketer prognostiziert, dass Facebook in diesem Bereich auch stärker als Google wachsen wird, zumindest in den USA.

2015 war jedenfalls nicht das Jahr, in dem der seit Langem angekündigte Tod von Facebook eintrat. Im Gegenteil: Tot ist lediglich das Facebook der Frühzeit, als Menschen noch viel Privates berichteten, als Facebook noch keine Satelliten in den Orbit schoss – und als sich Google und sein Mutterkonzern Alphabet noch nicht fürchten mussten.

 

Dieser Text erschien in profil (Ausgabe 52/15) und ist auch auf profil.at lesbar. Bild via pixabay. Update: Der “Free Basics”-Dienst ist in Indien weiterhin sehr umstritten. Hier berichtet der Guardian darüber.

View Comments

  • Hat nichts an Schlagkraft eingebüßt dieser Artikel! Tolle Sache :-)

  • Guten Tag

    Ein interessanter Artikel über die Art der Berichterstaatung vom ORF:

    Mein Montevideo – Völkermord in Uruguay – der ORF und die Lügenpresse

    http://wipi.at/immoblog/uruguay-voelkermord

    Nicht rechte Populisten schaffen Rechtsextreme, sondern die Lügen die von linken Gutmenschen verbreitet werden - die Anführer arbeiten beim ORF!

    schönen Feiertag

    • Diese Strategie der rechten Populisten hat schon einen Bart: Rollen drehen: die Linken sind Schuld. Dieses Schubladendenken loest kein einziges Problem, von denen wir zu Genuege haben. Ich bin gerne ein Gutmensch - uebrigens eines der aergsten Schimpfwoerter.

  • Grossartig ihre Beiträge bei den heutigen Alpbach Talks. Bin ab sofort Profil Abonnent.

  • Herzlichen Dank für Ihren ausserordentlich beeindruckenden Beitrag bei den heutigen Alpbach Talks. Ich würde Sie gerne für einen Diskussionsabend auf der FH Vorarlberg gewinnen und mich deshalb über eine Rückmeldung freuen.

  • der Artikel ist immer noch top aktuell! man findet ihn immer noch ganz oben bei Google wenn man nach dem richtigen keyword sucht! :-) Bei dieser Gelegenheit möchte ich natürlich nicht verabsäumen, auch die besten Wünsche für das neue Jahr 2017 zu übermitteln 

  • ein wirklich ewig aktueller Beitrag wie man auch anhand verschiedener Meinungen sehr gut sehen kann! vielen Dank auch von mir fürs Teilen

  • Liebe Ingrid Brodnig,
    wir bereiten gerade eine Diskussionsveranstaltung zu "Hass im Netz" vor, die wir im Medienzentrum beim Kirchentag auf dem Weg in Magdeburg veranstalten möchten. es ist uns sehr wichtig, dass wir die verschiedenen Seiten diskutieren und nicht beim Jammern verbleiben, sondern gemeinsam darüber nachdenken, was wir alle tun können. Dafür wären Sie eine sehr geeignete Gesprächspartnerin.
    Ihr Buch würde darüber natürlich auch noch einmal mit beworben werdne und bekannter gemacht werden, was mir übrigens sehr gefällt.
    Hier die Daten für die Veranstaltung, bitte schauen Sie doch zeitnah, ob es Ihnen möglich wäre, and er Diskussion teilzunehmen.
    Podium "Hass im Netz"
    Datum: Fr, 26. Mai 2017, 14.30 - 16.00 Uhr
    Ort: Zentrum Digitalisierung und Neue Medien, Festung Mark, Magdeburg, im Rahmen des Kirchentag auf dem Weg
    weitere ReferentInnen (z.T. zugesagt, z.T. angefragt): Julia Schramm/Fachreferentin für Haed Speech, Christof Breit/ Social media Beauftragter der Bayrischen landeskirche, Renate Künast/MdB,Partei Die Grünen, evtl. ein Hasskommentator, der sich der Debatte stellt.
    Über eine sehr rasche Antwort würden wir uns freuen.
    Herzliche Grüße, Annette Berger (Programmausschussvorsitzende des Kirchentag auf dem Weg/Magdeburg)

  • Vielen Dank - Das sind klare Worte!!
    Besonders wichtig in einer Zeit, wo man so viel Irritierendes hört. Und da sind immer wieder die rechten Populisten vorne dabei. So postet letztlich sogar ein HC Str., dass im auffällt, die Sprache würde zusehends verrohen! NA SOWAS!! Wo doch gerade ER und seine Mitstreiter dazu besonders fleißig und regelmäßig die deftigsten Beträge verfassen .....

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