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Frau Poitras, wie geht es Edward Snowden heute?

Diese Frau ist ganz wesentlich mitverantwortlich, dass wir von der NSA-Überwachung erfahren haben. Nun hat Laura Poitras einen Film über den wichtigsten Informanten unserer Zeit gemacht

In einem Hotelzimmer in Hongkong saßen sie zu dritt und enthüllten eines der bestgehüteten Geheimnisse der US-Regierung: den riesigen Überwachungsapparat der National Security Agency. Der Whistleblower Edward Snowden, der Journalist Glenn Greenwald und die Filmemacherin Laura Poitras erklärten der Welt im Juni 2013, wie sehr sich der Geheimdienst der demokratischen Kontrolle entzogen hat.

Die Amerikanerin Poitras, 52, war nahezu prädestiniert für diesen Fall: Sie hatte in den Jahren zuvor aus dem Irak kritisch berichtet, wurde von der US-Regierung auf eine Watchlist gesetzt und bei der Einreise in die USA immer wieder schikaniert. Sie lernte, wie man die eigenen Daten verschlüsselt und sich nicht von den Behörden einschüchtern lässt. Daraufhin kontaktierte sie ein anonymer Informant, der sich selbst “Citizenfour” nannte. Hinter dem Pseudonym steckte Edward Snowden.

Der Rest ist Geschichte – eine Geschichte, die Poitras nun anschaulich in ihrer Doku “Citizenfour” erzählt. Originalaufnahmen zeigen darin Edward Snowden in den gefährlichen ersten Tagen der NSA-Affäre. Am 1. Jänner läuft der Film in heimischen Kinos an.

Als erstes österreichisches Medium hat der Falter Poitras zu dieser Extremsituation und zu ihrem Werk befragt, das nun für den Oscar als beste Dokumentation nominiert ist.

Falter: Frau Poitras, glauben Sie, unser Telefonat wird gerade abgehört?

Laura Poitras: Ich sitze gerade im Büro meiner Presseagentin und bezweifle, dass dieser Anschluss hier abgehört wird. Ich gehe jedoch davon aus, dass alle elektronischen Geräte, die auf meinen eigenen Namen angemeldet sind, überwacht werden.

Wie genau beobachtet Sie denn die NSA?

Poitras: Für die NSA ist es ein Kinderspiel, zu ermitteln, mit wem man E-Mails austauscht. Sie erstellen sogenannte “Social Graphs”, die zeigen, mit welchen Menschen man in Kontakt ist. Ich vermute, dass sie solche Social Graphs auch für mich und meinen Kollegen Glenn Greenwald erstellt haben – also dass sie wissen wollen, mit wem wir kommunizieren. Das wirkliche Ausmaß ist schwierig abzuschätzen: Ich bin Journalistin, und es wäre wohl ein Skandal, falls einmal aufflöge, dass sich die NSA auch den Inhalt meiner E-Mails ansieht. Da müssen sie schon vorsichtig sein.

Es geht dem Geheimdienst also eher um sogenannte “Verbindungsdaten”, darum, mit wem Sie in Kontakt stehen, und nicht um die konkreten Inhalte Ihrer Nachrichten?

Poitras: Das vermute ich zumindest. Mir hat einmal jemand mit Kontakten zum deutschen Geheimdienst gesagt, dass ich wie ein Weihnachtsbaum leuchten würde, das heißt, dass meine elektronische Kommunikation sehr genau erfasst wird.

Sie haben die NSA-Affäre mit aufgedeckt und leben in Berlin, um fern der US-Behörden zu arbeiten. Können Sie überhaupt noch ein normales Leben führen?

Poitras: Das glaube ich schon. Meine Arbeit hat ja nicht dazu geführt, dass ich jeden Teil meines Lebens verändern musste. Ich muss mehr Vorsichtsmaßnahmen treffen, um meine Quellen zu schützen. Zum Beispiel verschlüsselte ich die Filmaufnahmen von Edward Snowden, und es gab nur wenige, die die Passwörter dafür kannten. Auch würde ich unser rohes Filmmaterial nie in die USA mitnehmen. Aber es stimmt schon: Die pure Tatsache, dass ich heute in Berlin lebe, verursachte natürlich einen Bruch in meinem Leben. Das ging nicht anders: Als Filmemacherin wurde ich auf eine Watchlist gesetzt und immer wieder aufgehalten, wenn ich die US-Grenze überschritt. Da schien es mir zu riskant, diesen Film über Überwachung zu drehen und das Material in den USA zu lagern. Ganz normal ist meine Situation natürlich nicht.

In Ihrem Film erfährt man, wie Snowden Sie kontaktierte. Damals war er ein anonymer Informant und nannte sich selbst “Citizenfour”. Er schrieb, dass er nicht Sie als Journalistin ausgesucht habe, Sie selbst hätten sich ausgesucht. Wie meinte er das?

Als ich das erste E-Mail von Snowden erhielt, war ich ziemlich überrascht. Warum schreibt er ausgerechnet mir?
Poitras: Als ich das erste E-Mail von Snowden erhielt, war ich ziemlich überrascht. Ich bin Filmemacherin, drehe lange Dokumentationen. Normalerweise muss ich die Leute bitten, Zugang zu bekommen. Nur selten wenden sich Informanten von selbst an mich. Also wollte ich wissen: Warum schreibt er ausgerechnet mir? Der Grund war, Snowden wusste, dass ich auf einer Watchliste stand, dass ich sechs Jahre lang jedes Mal, wenn ich die Grenze überschritt, aufgehalten wurde. Ausschlaggebend war also, dass ich die Gefahren der Überwachung selbst gut genug kannte und trotzdem weitergearbeitet hatte. Rückblickend glaube ich auch, dass Snowden mich anschrieb, weil er wusste, dass Glenn Greenwald und ich Kollegen sind. Er hatte ja schon früher probiert, Glenn zu kontaktieren, doch das scheiterte, weil Glenn keine E-Mail-Verschlüsselung installierte.

Sie sind die Person, die alle entscheidenden Charaktere zusammenbrachte. Glenn Greenwald, Edward Snowden und Sie, in einem Hotelzimmer in Hongkong haben Sie drei den Überwachungsapparat der NSA aufgedeckt.

Poitras: Stimmt, ich bin wohl dafür verantwortlich, dass wir alle zusammenkamen. Ich holte Glenn dazu, weil ich bald erkannte, dass mehr als eine Person an diesem Fall arbeiten musste. Diese Geschichte brauchte einen Printjournalisten, der sie als Schreiber aufarbeitete. Ich komme stärker aus dem visuellen Bereich.

Bei anonymen Informanten weiß man anfangs oft nicht, ob sie glaubwürdig sind. Hatten Sie auch bei Snowden Zweifel?

Poitras: Absolut. Meine ersten Fragen lauteten: Woher weiß ich, dass Sie nicht verrückt sind, dass Sie mich nicht in die Irre führen wollen, und überhaupt, warum kontaktieren Sie mich? Ich blieb sehr zurückhaltend, gleichzeitig sagte mir aber mein Bauchgefühl, dass ich extrem behutsam kommunizieren, dass ich noch mehr Sicherheitsmaßnahmen als sonst anwenden muss. Ich fragte meine E-Mails weder von zu Hause noch vom Arbeitsplatz ab, ich hatte einen eigenen Computer, den ich einzig und allein für den Austausch mit diesem Informanten einsetzte. Ich wollte diesen Informanten so gut wie möglich schützen.

Gab es einen Moment, wo Sie ihm dann plötzlich geglaubt haben?

Poitras: Es gab zwei solche Momente, einer war eher ein Gefühl. In einem E-Mail, das auch im Film vorkommt, schrieb er in etwa: “Ich weiß, an welchem Ort die meiste amerikanische Kommunikation abgefangen wird, und kann es beweisen. Ich weiß, dass Vertreter des Staates die Öffentlichkeit angelogen haben, und kann es beweisen.” Das war ein langes E-Mail mit ziemlich kühnen Ansagen, und ich habe mir gedacht: Okay, das könnte arg werden. Der zweite Moment war, als ich erstmals eines der NSA-Dokumente sah. Kurz bevor ich nach Hongkong flog, konnte ich einige Dateien entschlüsseln. Da wusste ich sofort, das ist real.

Wie fühlt es sich an, wenn man als Erster so ein Dokument sieht?

Poitras: Es ist absolut schockierend. Bei den ersten Dokumenten waren die Informationen zu PRISM und zum geheimen Budget der Geheimdienste dabei. Da war ich gleich noch alarmierter, weil mir bewusst wurde: Es geht hier um wirklich, wirklich viel.

Dieses PRISM-Dokument machte vielen Menschen schlagartig bewusst: Oje, wir leben in einer ganz anderen Welt, als wir bis dahin vermutet hatten.

Poitras: Mir ging es genauso. Ein bisschen fühlte ich mich wie in der “Matrix”. Man ist in der einen Realität und dann geht eine Tür auf und dahinter gibt es eine ganz andere Realität. So war das für mich. Und dann gab es diese Erfahrungskurve: Diese Dokumente sind voller Codenamen und ziemlich technisch und es war so, als würde man eine zweite Sprache lernen.

Sie flogen dann mit Glenn Greenwald nach Hongkong, um Ihren Informanten zu treffen. Sie wussten damals noch gar nichts über diese Person. War das nicht seltsam?

Poitras: Absolut seltsam! Wobei ich schon ein paar Informationen hatte. Unter den entschlüsselten Dokumenten war auch ein Brief mit seinem Namen. Ich hatte also die Vermutung, dass der Informant Edward Snowden hieß, aber ich wollte diesen Namen nicht googeln. Ich wusste, wenn ich ihn google, könnte das irgendein Warnsignal bei der NSA auslösen. Ich hielt mich also zurück, um nicht unser Treffen in Hongkong zu gefährden. Als wir uns dann wirklich trafen, haben mich mehrere Sachen überrascht – vor allem, dass er so viel jünger war, als ich ihn mir vorgestellt hatte.

Worüber waren Sie sonst noch überrascht?

Poitras: Das Alter war für mich besonders gewöhnungsbedürftig. Monatelang hatte ich gedacht, ich spreche mit einer viel älteren Person. Auch überraschte uns, wie ruhig Snowden war. In seiner Situation wäre ich extrem nervös gewesen. Er war jedoch unglaublich ruhig. Anfangs waren eher Glenn und ich die Nervösen, aber dann begannen wir ziemlich intensiv zusammenzuarbeiten. Wir wussten, uns bleibt nicht viel Zeit.

Sie filmten Snowden in seinem Hotelzimmer in Hongkong. Es stimmt, dass seine Stimme immer ruhig bleibt, aber sein Gesicht erzählt eine ganz andere Geschichte.

Poitras: Das stimmt, man merkt es auch an seiner Atmung – eine Unruhe. Unter der Oberfläche schwelgt ein Gefühl der Unsicherheit und Angst, das wir alle spürten.

Lief das Ganze für Snowden bisher gut?

Snowden hatte Angst, dass die Welt das gar nicht interessiert. Wir sahen ziemlich schnell, dass dem nicht so war
Poitras: Ja. Snowden hatte Angst, dass die Welt das gar nicht interessiert. Wir sahen ziemlich schnell, dass dem nicht so war. Gewiss weiß er, welche Bedeutung er hatte. Persönlich finde ich es enttäuschend, wie die Regierungen darauf reagiert haben, sowohl die US-amerikanische als auch die anderen. Ich glaube aber, dass seine Enthüllungen vielen Menschen erst bewusst machten, wie gefährlich das Sammeln all dieser Daten ist. Dieses Unbehagen spürt man – vor allem hier in Deutschland. Auch technisch entwickelt sich gerade einiges, das unsere Privatsphäre künftig stärken wird. Snowden hat viele Dinge in Bewegung gesetzt.

Er lebt jetzt mit seiner Freundin in Russland. Wie geht es Snowden heute?

Poitras: Da habe ich nur einen beschränkten Einblick. Snowden arbeitet nach dem “Need to know”-Prinzip. Er erzählt Menschen nur Dinge, die sie wirklich wissen müssen. Sollte ich irgendwann verhört werden, kann ich bei vielen Sachen sagen: Ich habe keine Ahnung. Deswegen weiß ich auch vieles nicht aus seinem Leben. Ich glaube aber, es macht ihn glücklich, dass seine Partnerin Lindsay Mills bei ihm ist. Ich habe ihn besucht, bevor sie zu ihm kam, und auch danach. Mein Eindruck ist, dass es ihm jetzt deutlich besser geht.

Snowden darf die nächsten drei Jahre in Russland bleiben. Was passiert danach?

Poitras: Seine Rechtsberater haben in einigen Ländern um Asyl angesucht, und ich glaube, sie sind auch mit einigen Staaten in Gesprächen. Ich bin in diesen Prozess nicht involviert, aber es würde mich nicht wundern, wenn ein Land hervortritt und ihm politisches Asyl gibt.

Sollte das nicht Europa tun?

Poitras: Oh, auf jeden Fall. Wäre Snowden ein Whistleblower aus China, hätte er längst politisches Asyl. Wieso kriegt er es nicht? Wegen des politischen Drucks der USA. Auch die deutsche Regierung ist sehr zurückhaltend. Dabei glaube ich wirklich, dass sich Europa hier hervortun sollte.

Besteht die Gefahr, dass nun zwar alle von den Geheimdienstaktivitäten wissen, es vielen Menschen aber zunehmend egal ist, sie sich an diese Überwachung gewöhnen?

Poitras: Edward Snowden hat enorme Risiken auf sich genommen, um diese Information offenzulegen. Es ist die Aufgabe von uns als Öffentlichkeit, etwas zu tun. Die Geschichte wird zeigen, wie wir mit diesem Wissen umgehen, das ist ähnlich wie mit dem Klimawandel. Wir haben von einer Gefahr für uns alle erfahren. Die Frage ist nun, wie wir darauf reagieren. Die gute Nachricht dabei ist, dass wir gar nicht auf die Regierungen warten müssen, jeder Einzelne kann zum Wandel beitragen, indem er Verschlüsselungsmethoden nutzt. Nehmen Sie nur den Sony-Hack, wo kürzlich höchst sensible Daten gestohlen wurden. Die große Frage dabei lautet: Warum war diese Information nicht von vornherein verschlüsselt? Medizinische Akten, Sozialversicherungsnummern, wären diese Informationen verschlüsselt gespeichert gewesen, hätten die Hacker nichts damit anfangen können. Technische Lösungen existieren längst.

Wie sollte sich jeder technisch schützen?

Poitras: Es gibt simple Tools wie den TOR-Browser, mit dem man anonym das Internet nutzen kann. TOR ist gratis und funktioniert wie jeder andere Webbrowser. Wenn Sie mit Ihrem Handy Textnachrichten verschicken wollen, können Sie zum Beispiel TextSecure nutzen, das Programm ist gratis und auch verschlüsselt.

Dabei gibt es aber Hindernisse: TextSecure ist nur für Android-Handys erhältlich, der TOR-Browser ist wiederum ziemlich langsam, wenn man damit herumsurft.

Poitras: Ich mache es mit TOR oft so: Ich habe zwei Browser geöffnet, TOR und einen ganz normalen Browser. Wenn ich etwas unbeobachtet recherchieren möchte, verwende ich TOR. Wenn ich mehr Geschwindigkeit will, etwa für ein Onlinevideo, dann nutze ich den anderen Browser. Das ist gar nicht so schwer: Wir haben dauernd verschiedenste Applikationen am Computer laufen, jetzt läuft halt eine mehr, wenn ich meine Privatsphäre schützen will.

Snowden war anfangs ziemlich überrascht, wie viele Journalisten keine E-Mail-Verschlüsselung nutzen. Sind wir Journalisten technisch zu naiv?

Poitras: Definitiv. Jeder Journalist sollte lernen, wie man sich technisch absichert. Es ist aber nicht rein die Schuld der Journalisten. Viele Medien bieten ihren Mitarbeitern das gar nicht an. Die US-Regierung ist derzeit immens daran interessiert, Whistleblower aufzudecken. Journalisten müssen wissen, womit sie ihre Informanten in Gefahr bringen. Wenn Sie eine anonyme Quelle treffen, sollten Sie das Handy zu Hause lassen oder die Batterie vorher rausnehmen. Das sollte das Standardprozedere sein, aber für viele Medien ist das alles neu.

Viele Journalisten werden fragen, ob dieser Aufwand echt nötig ist. Nicht jeder hat so einen wichtigen Informanten wie Snowden.

Es geht da auch um Solidarität: Je mehr Menschen Verschlüsselungstools nutzen, desto weniger fallen diejenigen auf, die diese Tools dringend benötigen
Poitras: Ich hatte früher auch keinen Kontakt zu Edward Snowden. Hätte ich damals nicht gewusst, wie man Nachrichten verschlüsselt, wäre er zu jemand anderem gegangen. Zweitens geht es da auch um Solidarität: Sie mögen vielleicht nicht mit anonymen Informanten arbeiten, aber vielleicht sitzt in Ihrer Redaktion zwei Tische entfernt ein Kollege, der das sehr wohl tut. Je mehr Menschen Verschlüsselungstools nutzen, desto weniger fallen diejenigen auf, die diese Tools dringend benötigen.

Sie selbst verwenden schon länger Verschlüsselungstools, weil Sie immer wieder bei der Einreise in die USA aufgehalten und durchsucht wurden. Wieso stehen Sie überhaupt auf einer Watchlist?

Poitras: Ich habe keine Ahnung. Das ist das Furchteinflößende an diesem Watchlist-System, die rechtstaatlichen Prinzipien sind außer Kraft gesetzt. Man findet nicht heraus, warum man auf einer Watchlist landete, man kann nicht dagegen vorgehen. Das fühlt sich ziemlich kafkaesk an, wenn man jedes Mal beim Reisen aufgehalten und befragt wird. Und es hat natürlich meine Arbeit zunehmend erschwert, als ich noch in den USA lebte, weil die Grenzbehörden auch meine Notizbücher kopierten, mir meinen Computer zwischenzeitlich wegnahmen.

Sie wurden einmal sogar in Österreich von Grenzschutzbeamten aufgehalten.

Poitras: Stimmt, aber um korrekt zu sein: Ich wurde immer auf das Ansuchen der US-Regierung hin aufgehalten. Das passierte in einigen Städten, in Wien, in Amsterdam, in London.

Das Faszinierende daran ist, dass Sie ausgerechnet aufgrund dieser Erfahrungen von Edward Snowden kontaktiert wurden.

Poitras: Ja, er hatte noch nie Kontakt mit Journalisten gehabt und suchte Menschen, die nicht so leicht von der Regierung einzuschüchtern sind; die von diesen Dokumenten berichten, komme, was wolle. Er wusste, dass ich Filme über den Irak-Krieg und Guantánamo gemacht hatte, dass Glenn ein ausgesprochener Kritiker der USA nach 9/11 ist. Es ist ironisch: Die Tatsache, dass ich auf einer Watchlist landete, war die beste Vorbereitung für dieses Thema.

Wie ist Ihre Beziehung zu Snowden heute, sehen Sie ihn rein als Informanten oder auch als Freund?

Poitras: Was wir erlebt haben, führt natürlich zu einer besonderen Beziehung, so eine Extremsituation schweißt zusammen – so sehe ich übrigens auch Glenn. Es ist aber schon eine Beziehung zwischen einer Journalistin und einer Quelle. Für mich ist Snowden ein Informant. Wenn ich an einer Geschichte arbeite, kontaktiere ich ihn, wir tauschen aber keine privaten Details aus.

Ihr Film startet nun in Österreich. Wenn Sie sich eine Erkenntnis wünschen könnten, die Menschen daraus mit nach Hause nehmen, welche wäre das?

Poitras: Gute Frage. Ich sehe meinen Film als eine Erzählung über Menschen, die aufstehen, wenn sie etwas sehen, das falsch läuft, und die persönliche Risiken eingehen. So jemand ist Edward Snowden oder auch der Whistleblower William Binney, der früher für die NSA arbeitete und im Film vorkommt. In speziellen Momenten in der Geschichte braucht es Menschen, die Stellung beziehen. Ich hoffe, dass der Film vermittelt, wie wichtig das ist.

 

Zur Person:

Laura Poitras, geb. 1962 in Boston, studierte am San Francisco Art Institute und zog nach New York. Als 2003 US-Truppen in den Irak einmarschierten, war dies ein entscheidender Moment in ihrer Filmkarriere. Die Regisseurin reiste 2004 in den Irak.

Ihre oscarnominierte Doku “My Country, My Country”(2006) zeigt die Besatzungszeit, das Nachfolgewerk “The Oath”(2010) handelt von zwei Männern, die in den Krieg gegen den Terror verwickelt werden. Die Filme sind Teil einer Trilogie, deren Abschluss nun “Citizenfour” ist. Zwischen 2006 und 2012 wurde Poitras Dutzende Male von US-Grenzbehörden aufgehalten und befragt. Später stellte sich heraus, sie steht auf einer Watchlist der US-Regierung. Um von den US-Behörden ungestört arbeiten zu können, lebt sie mittlerweile in Berlin.

 

Dieses Interview erschien im Falter (Ausgabe 52/14). Die verwendeten Fotos stammen aus der Citizenfour-Pressemappe und wurden zu einer Collage verarbeitet mittels Photovisi.

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  • Mich würde interessieren, wie es dir in und nach den 2 Wochen gegangen ist.
    Aus dem Falter wissen ja alle, dass du dein Handy mit ins Bett nimmst ...

    • Gute Frage! Grundsätzlich war es angenehm, ich habe auf meinem iPhone den Mail-Account gelöscht, hatte gar nicht das Bedürfnis, all die eintreffenden Mails zu lesen. Doch dann habe ich selbst gegen mein Sabbatical verstoßen: Während der Feiertage hat sich bei mir etwas Privates ereignet und ich wollte meine Kollegen diesbezüglich verständigen. Nur was tun? Jeden einzelnen anrufen? An alle ein SMS? Mir schien E-Mail die beste Kommunikationsform und schließlich habe ich dann gemailt. So ganz habe ich mein Sabbatical also nicht eingehalten, aber trotzdem zwei Dinge gelernt: 1.) Es ist eine gute Idee, den Mail-Empfang am iPhone während des Urlaubs zu deaktivieren - das werde ich weiterhin machen. 2.) Ganz auf E-Mail zu verzichten, ist aber gar nicht so leicht, vor allem wenn man selbst einen großen Mitteilungsdrang hat. Mir ging eher das Mail-Versenden als das Mail-Empfangen ab...

      • OK. Das heißt ja wohl, dass du nur auf die Mails verzichtet hast. ;-)
        Musste den Artikel noch mal lesen, um das zu verstehen. Dass heißt, du hast dich nur auf das "normale" Urlaubslevel runtergesetzt. Ich dachte, du willst es OHNE Internet schaffen. Sprich: OHNE Mail, OHNE Surfen, OHNE Online-Spiele - OHNE Internet eben.
        Das hast du dir zu einfach gemacht, finde ich. Und dann nicht mal ganz eingehalten.

        Ingrid ich habe heute leider kein Foto für dich ...

        • Interessanter Einwand - aus meiner Sicht habe ich das weggelassen, was mich während des Urlaubs am meisten stört (eben, dass ich trotzdem ständig E-Mails checke). Aber wenn ich zwischendurch nach einem guten Lokal google oder online einen Routenplan suche, stört mich keine Sekunde lang. Im Gegenteil: Ich würde es als extreme Benachteiligung empfinden, wenn ich in meiner Freizeit darauf verzichten müsste.

          Natürlich kann man's auch so sehen, dass das nur ein Schmalspur-Sabbatical war. Den echten Offline-Test haben schon andere gemacht, zum Beispiel Alex Rühle für sein Buch "Ohne Netz". http://www.falter.at/web/shop/detail.php?id=33075&SESSID= Aber schauen wir mal, vielleicht wage ich mich doch noch über eine echte Auszeit drüber. Bisher verspüre ich jedenfalls nicht den Drang, das Internet gänzlich abzudrehen...

  • Da kommt also ein Gerät heraus, welches kleiner und leichter ist, doppelt so viel Prozessorleistung bietet, eine 9x schnellere Grafik, ein verbessertes Display, einen FullHD-Ausgang für externe Präsentationen und die Nachrüstung der viel bemängelten Kameras. Und das ist dann keine Innovation. Alright.

  • Ja, das ist eine Verbesserung, aber noch keine Innovation. Etwas anderes zu behaupten, ist echt gewagt.

  • Interessant, Danke für den Link! Diese komischen Geräusche hatten also einen Grund...

  • Aber mal ehrlich: Die Werbeeinnahmen im Netz sind viel zu gering. Sie reichen bisher nicht aus, um hochqualitative Recherche und Redigatur zu finanzieren.

    Und genau da liegt das Problem fuer

    Wir verabschieden uns vom traditionellen Journalismus und seinem Finanzierungsmodell, aber wir haben noch keine neue Lösung gefunden.

    Wenn sich Werbepreise fuer Online Ads den Offline Ads, also Zeitungsinseraten, annaehern wuerden, waere die ganze Geschichte auch ohne Paywall finanzierbar. Denn zieht man bei einer Zeitung die Druckkosten und die Lieferkosten ab, bleibt unterm Strich auch nichts mehr uebrig (oder noch weniger). Zwar wird von den Werbeagenturen immer mehr Geld vom offline ins online advertising verschoben, doch hat das in den letzten Jahren nicht den erhofften Preisanstieg gegeben. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass 15 Dollar pro User nur durch on page advertising praktisch nicht erreichbar sind. Selbst wenn die NYT pro 1000 aufgerufenen Seiten 10 Dollar bekommt (was derzeit eh nicht realistisch ist, eher 1/3 - 1/10 davon), muesste ein User 1500 Seiten pro Monat aufrufen um damit auf 15 Dollar zu kommen.

    Andererseits stellt sich die Frage wie lange es dauern wird um den Aufwand, der die Implementierung und Wartung einer Paywall mit sich bringt, mit Abos zu finanzieren.

    Ich bin auf jeden Fall gespannt wo das in den naechsten Monaten/Jahren hinfuehren wird :-)

  • Danke für den spannenden Einblick in die Zahlen! Was ich mich frage: Ist es realistisch, dass sich die Onlinewerbepreise irgendwann den Offlinepreisen angleichen? In den letzten Jahren ist das ja leider nicht passiert.

    Im App-Store von Apple kommt übrigens ein neues Problem für die Zeitungshäuser hinzu: Da kassiert Apple 30 Prozent des Umsatzes ein, dazu gibt's auch wieder heftige Debatten (siehe zB http://www.tagesschau.de/wirtschaft/apple142.html).

    • Ist es realistisch, dass sich die Onlinewerbepreise irgendwann den Offlinepreisen angleichen?

      Darauf kann man natuerlich nicht pauschal mit ja oder nein antworten. Da erstens die Werbeformen sowohl offline als auch online zu verschieden sind. Wenn man online Werbung auf Zeitungsportalen mit Zeitungsanzeigen vergleicht, wuerde ich eher dazu tendieren und "nein" zu sagen. Unterm Strich wird wohl in den naechsten Jahren immer noch mehr mit Zeitungsanzeigen zu holen sein. Doch koennen gewisse Online Kampagnen natuerlich ueber den offline Preisen liegen. Wenn zB gezielt Werbung fuer eine gewisse Zielgruppe geschaltet wird ("nur die 25-35 jaehrigen, alleinstehenden Maenner mit Sportwagen") sind die Preise dementsprechend hoeher.

      Ich moechte auch noch anmerken, dass die Zahlen, die ich oben geschrieben haben nicht die wirklichen Zahlen der NYT sind. Es sind lediglich Schaetzungen aufgrund meiner Erfahrungen (beschaeftige mich seit 2001 mit Online Werbung und die Preise sind seither stetig gesunken - Ende 90er Jahre waren die Preise am ehesten mit Offline Preisen zu vergleichen). Darueber hinaus bin ich mir ziemlich sicher, dass die NYT bessere Preise fuer Online Kampagnen erzielt als irgendein 08/15 Blog. Trotzdem sind die Preise im Keller, auch wenn die NYT einen 50-fach hoeheren Preis bekommt :-)

      Zu apple: der von dir verlinkte Artikel ist leider etwas einseitig geschrieben. Kurz die Gegenseite: Das mit den 30% stimmt. Allerdings nur fuer "neue" Kunden, also Kunden, die ueber die App angeworben wurden. Es steht jedem Verlag frei, ausserhalb des App Stores Abos zu verkaufen (die dann natuerlich auch innerhalb der App genutzt werden koennen). Fuer solche Verkaeufe bekommen die Verlage dann 100%. So das Argument von Apple.

      Natuerlich sitzt der Dollar lockerer wenn man in der App ist, die Zahlungsdaten hinterlegt sind und man nur noch auf "abonnieren" druecken muss. Das weiss Apple natuerlich auch ...

  • Selbstredend gibt nichts dagegen zu sagen für die NYT zu zahlen. Vielleicht nur, dass wir in seltsamen medialen Zeiten leben, wenn eine Journalistin eine Art Rechtfertigung dafür postet. Es ist aber auch mehr als nur "für guten Journalismus" zahlen - es ist ein Commitment zur Marke, zum Medium und wahrscheinlich eine Art Freude über das implizite Bildungsversprechen einer Zeitung wie die New York Times. Und unterstreicht den Mangel an solchen Angeboten in Österreich. Was ein derartiges Commitment zu geben zur Zeit schwer macht, ist die schiere mediale Vielfalt am Bildschirm. Ein zunehmend diffuser gewordenes Angebot, die oft zitierte mediale Herausforderung. Tageszeitung lesen, Magazine rezipieren und sich dann um die Feeds kümmern. Welches Medium greife ich heraus, um es finanziell zu unterstützen? - NYT, SZ, NZZ, FAZ,...,....,....,....,.....,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,....,.....,,...,....,....,.Glückwunsch, wenn man hier klar sieht und für sich zu einer Entscheidung kommt. Unglücklich hingegen finde ich die Formulierung "guter Journalismus". Was das ist, ist stets persektiven-abhängig und kommt meist oberlehrerhaft herüber. Ob die Strasser-Aufdeckung etwa ein Beispiel für "guten Journalismus" ist, halte ich etwa für dikussionswürdig - Büros mieten, Politiker in Versuchung führen usw. Eine Top-Story allemal. Aber "guter Journalismus". Naja, für mich verwunderlich. Aber egal. Schönes Wochenende.

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