X

Broken Comment Culture – let’s fix it!

Auf der re:publica hielt ich mit Teresa Bücker einen Workshop zur (oft furchtbaren) Kommentarkultur und wie es besser ginge. Hier die Slides und ein paar ergänzende Worte zu einem überaus aktuellem Thema

Heute schreibt Herausgeber Christian Rainer im Profil: “Schluss mit der Anonymität im Netz!” Ich habe bekanntlich eine andere Meinung und zu diesem Thema ein Buch geschrieben. Bei der re:publica in Berlin hielt ich kürzlich mit Teresa Bücker gemeinsam einen Workshop zur – oftmals miserablen – Kommentarkultur online und wie es besser ginge. Hier ein Auszug aus der Workshop-Beschreibung:

“Frauen werden niedergemacht, Aktivist_innen glühen aus, manch einer oder eine verstummt und zieht sich aus der Onlinedebatte zurück: In vielen Foren ist das Worst-Case-Scenario tatsächlich schon eingetreten und die Rüpel geben den Ton an.

Die gute Nachricht ist aber: So muss das nicht sein. Es gibt Wege und Tools, um die Schreihälse auszublenden und eine Debatte auf Augenhöhe zu fördern. Etliche Medien wie der ‘Guardian’ oder auch ‘Gawker’ probieren bereits solche Anreizsysteme aus. Im Workshop sollen Best-Practive-Beispiele vorgestellt werden und darüber diskutiert werden, wie man online eine respektvolle Debatte fördern und Schreiduelle verhindern kann.”

Slide 1

Slide 2:

SIWOTI, kurz für “Someone is wrong on the internet”. Das Gefühl, jemand habe Unrecht, treibt enorm viele Internetuser an. Das große Missverständnis vieler Journalisten ist: Den Postern geht es um den Schlagabtausch und nur selten um den Artikel. Wer für eine bessere (und somit weniger aggressive) Kommentarkultur sorgen will, muss die Psychologie hinter den Kommentaren verstehen. Dazu auch die nächste Folie…

 

 

Slide 3:

Eine der wichtigsten Thesen, die die Aggression im Netz erklärt, ist der Online Disinhibition Effect. Neben der Anonymität ist ein wesentlicher Faktor dabei auch das Gefühl der Unsichtbarkeit: In der schriftlichen Kommunikation des Internets sieht man den Gesprächspartner nicht, bekommt nicht mit, wie er gekränkt dreinschaut oder seine Stimme unsicher wird, nachdem man etwas Schroffes gesagt hat. Dieses Fehlen nonverbaler Signale – etwa dem Augenkontakt – ist ein bedeutender Grund, warum Menschen online oft aggressiver und uneinfühlsamer sind.

 

Slide 4:

Dieses Video habe ich hergezeigt. Es führt vor, wie es aussehen würde, fände der Online Disinhibition Effect auch offline statt

 

Slide 5:

Eine der Gefahren einer so aggressiven Onlinedebatte ist, dass sich viele daraus zurückziehen, weil sie nicht beschimpft werden oder auf einem solchen Niveau diskutieren wollen. Insbesondere Frauen und Feministinnen sind oft von den verbalen Angriffen betroffen, was tatsächlich eine einschüchternde Wirkung hat. Hier ein sehr guter Artikel dazu.

 

Slide 6:

Eine zweite Gefahr, die ich auch ausführlich in meinem Buch und hier beschreibe: Die aggressiven Kommentare führen dazu, dass Debatten tatsächlich anders geführt werden und die untergriffigen Postings dazu führen, dass die Leser über das Berichtete viel negativer denken. Forscher haben dies übrigens beobachtet und sprechen vom “Nasty Effect“.

 

Slide 7:

Hier ein paar Lösungsvorschläge. Im folgenden gehe ich auf die einzelnen Punkte noch stärker ein.

 

Slide 8:

Ein möglicher Weg ist, nicht mehr die neuesten Kommentare als oberstes anzuzeigen, sondern zu ordnen und ganz oben jene Kommentare herzuzeigen, die am förderlichsten für die Debatte sind. Das Onlinemedium Gawker ist dabei schon sehr weit, es zeigt ganz oben jene Kommentare an, die am meisten diskutiert werden. Ganz wesentlich ist dabei auch, dass der einzelne User sehr viel Verantwortung übertragen bekommt. Jeder ist Moderator seiner eigenen Debatte: Schreibe ich einen Kommentar und jemand antwortet darauf, kann ich dessen Antwort auch ausblenden. Dies führt dazu, dass die Community freundlicher und einfühlsamer wird – wer einfach nur herumpöbelt, wird sofort ausgeblendet. Hier ein paar Infos zu dem Gawker-System.

Slide 9:

Dies ist ein Beispiel, wie die Debatte auf Gawker funktioniert – selbst bei einem schwierigen Thema wie den Vorwürfen an Woody Allen.

Slide 10:

Im Netz wird die Meinungsfreiheit oft falsch verstanden. Meinungsfreiheit inkludiert nicht das Recht, alles überall ohne jegliche Konsequenzen behaupten zu dürfen, wie das Comic xkcd.com extrem gut illustrierte. In meinen Augen geht es darum, dass Medien auch online Haltung bewahren. Wer sich in seiner Blattlinie oder Netiquette zu einer demokratischen, antirassistischen, antisexistischen Haltung bekennt, hat sehr wohl das Recht, online auch eine antirassistische, antisexistische Debatte zu moderieren. Es ist nicht Zensur, wenn man diejenigen verbannt, die immer wieder dagegen stören wollen. Der Pluralismus des Netzes erlaubt es diesen Personen, auf anderen Seiten – die zum Beispiel ausdrücklich rassistisch oder sexistisch sind –  weiterhin zu posten. Aber es ist keine Zensur, wenn man moderierend auf der eigenen Seite eingreift und auch ein Mindestmaß an Respekt einfordert.

 

Slide 11:

Die New York Times geht sehr gewissenhaft vor und wendet dabei einen cleveren Trick an: Bei einigen Artikeln werden die Leser gezielt nach ihren eigenen Erfahrungen gefragt. Das führt dazu, dass sich tatsächlich jene User zu Wort melden, die zu dem Thema etwas zu sagen haben. Insgesamt zeigt sich auch bei anderen Medien, dass die Onlinedebatte wesentlich konstruktiver wird, wenn Medien mit klar formulierten Fragen an die Leser herantreten und sich eben vorab überlegen: Worüber will ich eigentlich mit den Usern diskutieren? Man sollte also eine – zumindest grobe – Idee haben, wofür das eigene Forum gut ist.

 

Slide 12:

Dies bedeutet aber auch ein Umdenken bei vielen Journalisten. Derzeit ist die Beziehung zwischen Journalist und User eine Hassliebe – mit Betonung auf Hass. Dazu habe ich neulich gebloggt und einen Teil meines Buchs onlinegestellt, das obige Bild ist ein Screenshot dieses Beitrags.

 

Slide 13:

Ein Best-Practice-Beispiel ist mit Sicherheit auch der Guardian. Wie mir die damalige Kommentar-Zuständige Joanna Geary erklärte: Beim Guardian gibt es die Regel, dass der Autor des Artikels entscheidet, ob er die Kommentarfunktion freischaltet. Er soll nur dann Postings zulassen, wenn er auch bereit ist, mitzudiskutieren – zumindest ein bisschen. Kommentare löschen oder gegen Trolle vorgehen müssen die Journalisten ohnehin nicht, dafür gibt es ein eigenes Team.

Warum ist so wichtig, dass Journalisten mitdiskutieren? Weil dies prompt die Tonalität verbessert. Dies zeigt eine interne Studie des Guardian, aber auch die Erfahrung aller anderen Community-Manager, mit denen ich für mein Buch sprach.

Slide 14:

Noch eine spannende Webseite: Stack Overflow ist eine Hilfeseite für Informatiker, man stellt eine Frage und bekommt möglichst gute Antworten. Die Community verwaltet sich dabei selbst: Die Mitglieder verteilen untereinander sogenannte „Reputationspunkte“. Wer eine interessante Frage stellt oder eine kluge Antwort liefert, erhält ein paar Punkte. Je mehr Punkte ein User hat, desto mehr Befugnisse bekommt er auch im Forum und kann immer mehr Verantwortung übernehmen. Stack Overflow bietet eine clevere Infrastruktur, bei sich die User gegenseitig in Schach halten und einander Anerkennung zollen. Wer konstruktiv mitdiskutiert, wird belohnt. Pöbelt ein User hingegen nur herum oder provoziert er unnötig, dann schadet er sich selbst.

Slide 15:

Hier ein ganz wesentlicher Punkt: In der Tat zeigt es sich, dass Kommentatoren mit echten Namen oftmals deutlich freundlicher sind (oder zumindest weniger Beschimpfungen posten). Dies zeigt etwa eine Studie von Daegon Cho und Alessandro Acquisti, die mir dieses Bild zur Verfügung stellten. Eine wesentliche Erkenntnis ist aber auch: Es führt auch schon zu einem etwas besseren Ton, wenn User mit einer fixen Online-Identität posten – also zum Beispiel mit ihrem Twitter-Account, der kann ein Pseudonym sein. Doch dieses Pseudonym ist vielen Usern wichtig, weil sie sich eine Reputation und somit eine fixe Online-Identität aufgebaut haben. Diese Reputation will man nicht verlieren. Oder anders gesagt: Wer auf Twitter 700 Follower sammelte, indem er gewitzte und kluge Kommentare verfasste, wird seinen guten Ruf wohl nicht aufs Spiel setzen, nur um herumzupöbeln. Solche fixe Online-Identitäten sind somit eine Lösung, um online einen freundlicheren Ton herzustellen, wenn man nicht gleich die Anonymität abschaffen will. Siehe auch Stack Overflow (vorige Folie), die machen das sehr gut.

 

Slide 16:

Kurzes Fazit: Im Kern geht es darum, dass wir online ein System der Verantwortung herstellen müssen. Man kann die Tonalität in den Onlineforen massiv verbessern, ohne gleich die ganze Anonymität abschaffen zu müssen. Aber wesentlich dabei ist vor allem, dass auch Onlinemedien Haltung zeigen, sich aktiv für einen respektvollen Umgang einsetzen und auch jene User beschützen, die derzeit von den Schreihälsen niedergemacht werden.

View Comments

  • das ist ja wieder einmal tatsachenverdrehung in reinkultur ... das topic wurde von 0utput, deinem co-landesmediensprecher, nach interne diskussionen verschoben und auf u.a. meine initiative wieder öffentlich gestellt.
    es wäre vielleicht sinnvoll vorher intern einmal miteinander zu reden bevor eine anschuldigung an den BV ausgestossen wird ...

    nebenbei ist die schaffung eines landesmediensprechers ohnehin so unnötig wie ein kropf, insbesonders wenn beide personen ohnehin landesvorstand sind ... zumindes noch ...

  • Mein Tipp - es ist Urlaub, nimm den Kindle mit - alles andere verursacht nur Multitasking und das hat nichts im Urlaub verloren ;)

    • da hat sie ja schon mal so einen halbherzigen versuch gestartet und hat über weihnachten auf ihre Mails verzichtet. das war schon einen artikel wert ;-P

    • Finde ich auch die beste Variante. zB bei Thermen-Urlauben wird das Handy zwar mitgenommen aber untertags in den Safe gelegt. Am Abend kann man dann immer noch nachsehen.

  • "Jetzt wird immer so getan, als ginge es bei Musik nur ums Geldmachen. Das ist Bullshit. Mit Musik und Kunst beginnt man doch nicht fürs Geld, sondern weil es einem Freude macht." OGott O Gott ist diese Piratenpartei in ihrer Argumentation sowas von naiv. Natürlich geht es ums Geld. Da muss man gar nicht herumreden. Geld ist doch nicht Scheisse, Scheisse ist gratis Klauen und Scheisse ist, wie hier versucht wird in diesem Artikel mit diesen Kleindieben ein anständiges Gespräch zu führen. "Warum hast Du den Kaugummi gestohlen?" - "Weil er aus Material erstellt wurde, dass 100% synthetisch und weil er in einem Drittweltland von unterbezahlten Kindern zusammengestellt wurde." "Und warum isst Du dann den Kaugummi?" "Weil ich ihn vernichten muss, damit ihn nicht ein anderer isst." Dasselbe mit Kleidern aus Drittweltländern, mit Nahrungsmittel, mit Geld, mit Rassismus. Ich finde die Piratenpartei einfach nur flau, etwas für Egoisten.

  • I really like what you guys are usually up too.
    This kind of clever work and coverage! Keep up the awesome works guys I've added you guys to my personal blogroll.

  • Verständlich, dass du dermaßen deprimiert bist. Was können wir denn auch für diese Abhängigkeit, wenn iPhone und Co mittlerweile so viel können und uns den Alltag erleichtern. Dein Verlustgefühl kann ich sehr gut nachempfinden. Ich hoffe du hast mittlerweile ein Neues!

  • Wirkliche Musikliebhaber wollen natürlich ein gut produziertes Album. Gerade wer viel Wert auf Sound legt, der wäre sehr enttäuscht, wenn die Platte zuhause aufgenommen werden musste, weil der Künstler sich die Produktion nicht leisten konnte. Musik ist auch Arbeit und der Künstler sollte dafür auch entlohnt werden. Wer aus Freude am Fussball mit dem Sport beginnt, bekommt auch irgendwann Geld dafür, wenn er gut genug ist. Fussball ist doch auch Kultur!

  • Ich würde das nicht so kritisch sehen. Vielleicht sieht man weniger Frauen im Zusammenhang mit nerdigen Spielen, weil sie nicht so infantil sind wie dies Peterpansyndromisierten Spielkinder.

  • Wenn der ORF keine Fan-Seiten machen darf, dürfen doch sicher die Fans Fan-Seiten machen. Wäre nur schön, wenn der ORF dann Logos etc. kostenfrei zur Verfügung stellen würde.

  • 1 5 6 7 8 9 37