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“Ich bin die Datenjägerin”

Lisa Evans durchforstet für den Guardian Berge von Informationen und betreibt eine neue Form des Journalismus

Fakten sind heilig. Das ist das Motto der Datenjournalisten im Guardian. Seit zwei Jahren gibt es in der britischen Tageszeitung ein eigenes Team, das Informationen zusammenträgt und auswertet. Das Ergebnis sind wunderschöne Infografiken in der Printausgabe, viel Hintergrundinformation zu den Artikeln und ein eigenes Datenblog online.

Lisa Evans arbeitet für dieses Datenblog. Sie war vergangene Woche zu Gast in Wien und erzählte über ihren ungewöhnlichen Job. Sie sieht es sogar als eine Form des investigativen Journalismus und klagt darüber, dass ihr die Recherche nicht immer leicht gemacht wird.

Falter: Frau Evans, wie darf man sich Ihren Job vorstellen? Durchforsten Sie dauernd Berge von Daten, Statistiken und Tabellen?

Lisa Evans: Ja, das gehört zu meinem Job. Beim Datenjournalismus geht es um reine Tatsachen. Im herkömmlichen Journalismus stecken Meinungselemente und emotionale Aspekte drinnen, die sortieren wir aus, bis nur noch blanke Fakten übrigbleiben. Gewissermaßen ist diese Arbeit auch eine Form des investigativen Journalismus. Ich nehme eine Information aus der realen Welt und schaue mir diese noch näher an, gehe noch mehr in die Tiefe.

Fällt Ihnen da ein Beispiel ein?

Evans: Etliche Beispiele. Wir machen ja ganz unterschiedliche Dinge. Wir liefern Hintergrundinformationen zu aktuellen Artikeln. Wir produzieren Infografiken für die Printausgabe. Als Wikileaks Militärprotokolle aus Afghanistan veröffentlichte, war das eine riesige Datensammlung. Wir schlüsselten auf, wo in Afghanistan Bomben fielen und wo Menschen starben. Wir haben mit Google Maps eine Landkarte erstellt, Internetuser konnten diese Landkarte ansehen und erforschen. Wenn man auf einen Vorfall klickte, erhielt man noch mehr Details.

Die überaus komplexe Situation in Afghanistan wurde also auf einen Blick verständlich?

Evans: Genau. Man konnte den großen Überblick über dieses Gebiet erhalten oder heranzoomen und mehr über die einzelnen Angriffe erfahren. All das war in einer einzigen Darstellung vereint.

Ist Datenjournalismus eine gänzlich neue Form des Journalismus?

Evans: Einiges davon gab es ja schon immer. Zeitungen haben bereits in der Vergangenheit Daten, Diagramme oder Tabellen abgedruckt. Neu erscheint mir, dass wir diese Daten tatsächlich erforschen und darin nach Geschichten suchen. Wenn ich bei einer Regierungsstelle um Information ansuche, tue ich das nicht mit einem Hintergedanken, in welche Richtung meine Recherche geht. Ich will einfach die Fakten erhalten und diese ansehen.

Was war denn Ihre bisher erfolgreichste Geschichte?

Evans: Ein Beitrag über Murmeltiere.

Murmeltiere?

Evans: Ja, in den USA gibt es den Groundhog Day, den Murmeltiertag. Angeblich können die Tiere vorhersagen, wie das Wetter heuer wird. Wird es ein langer Winter oder ein schöner Sommer? Ich habe die Murmeltierprognosen mit dem Schneefall der letzten Jahre statistisch verglichen. Das Ergebnis: Diese Tiere sind keine guten Wettervorhersager.

Wenig überraschend.

Evans: Ja, wenig überraschend. Aber die Geschichte ist der meistgelesene Text in unserem gesamten Datenblog. Auf Facebook wurde es ungefähr 700 Mal weitergeleitet und im Web führen mehrere tausend Links zu diesem Text. Natürlich habe ich das Ganze mit Augenzwinkern geschrieben. Es ist eine nette Geschichte, die ich in vier Stunden erstellt habe. Ich mag diesen Mix aus ernsten Dingen und lockeren Themen.

Sehr oft hantieren Sie mit weitaus spröderen Daten. Da geht es um Wirtschaftszahlen oder Gesundheitsstatistiken. Wie wichtig sind da die Grafiken?

Evans: Immens wichtig. Eine gute Grafik macht solche Themen erst zu einem Vergnügen. Plötzlich werden nackte Fakten zu einer Art von Kunst. Aus meiner Erfahrung würde ich sagen: Eine Geschichte mit einer eigenen Grafik wird doppelt so oft auf Twitter und Facebook aufgegriffen und weitergeleitet.

So wie diese beeindruckende Grafik zu den USA und China.

Evans: Ja, da haben wir die zwei Supermächte verglichen. Zu dieser Zeit besuchte der chinesische Staatschef das Weiße Haus. Wir suchten nach Kennzahlen, um die Macht dieser zwei Staaten gegenüberzustellen.

Was haben Sie dabei genau gemacht?

Evans: Ich bin die Datenjägerin gewesen, könnte man sagen. Die Grafik wurde dann groß in der Zeitung abgedruckt, und unsere Journalisten haben einen schönen Artikel rundherum verfasst. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie beim Datenjournalismus unterschiedliche Teams zusammenarbeiten.

Vorher haben Sie noch gemeint, Datenjournalismus ist von jeder Meinung befreit. Allerdings ist so eine Grafik leicht beeinflussbar. Sie können ja entscheiden, welche Zahlen Sie den Lesern zeigen – und welche nicht.

Evans: Letztlich ist das eine Abwägungsfrage. Uns war es sehr wichtig, da fair vorzugehen. Wir haben uns vorab Indikatoren überlegt, wie man Macht messen kann. Danach sahen wir uns an, wie China und Amerika abschneiden. Dabei hätte auch rauskommen können, dass China in jedem Feld dominiert. Es war allerdings eine Mischung, beide Supermächte haben ihre Stärken und Schwächen.

Sie selbst recherchieren viel zu Budgetzahlen und fragen nach, wofür der Staat sein Geld ausgibt. Ist diese Recherche einfach?

Evans: Nein, die ist überaus schwierig. Dieser Budgetkram ist extrem unübersichtlich. Finanzdaten werden dauernd aufgesplittet. Einmal geht es darum, wie viel Geld in den nächsten drei Jahren ausgegeben wird. Dann wird das diesjährige Budget dargestellt. Wir stehen dann vor der Herausforderung, wie man überhaupt noch ein realistisches Bild des Budgets zeichnen kann.

Klingt mühsam. Dabei rückt Großbritannien doch wesentlich mehr Budgetdaten als zum Beispiel Österreich heraus. Der Staat ist vergleichsweise offen.

Evans: Ja, sie sind relativ offen. Nur ist diese Information oft nicht aussagekräftig genug. Uns Journalisten wird quasi ein Wulst an Daten hingeschmissen, und es heißt dann: Hier, sortiert das aus. Bei den Daten fehlt aber die Information, wofür genau das Geld ausgegeben wurde. Dann können wir nachlesen, welche Firma wie viel öffentliche Mittel erhalten hat. Aber der genaue Verwendungszweck steht nicht in der Tabelle.

So eine Information ist doch ziemlich nutzlos.

Evans: Genau. Wenn man aus Daten nichts herauslesen kann, wenn man diese Information nicht weiterverwerten kann, dann ist so eine Offenlegung nur eine leere Geste. Das passiert leider oft.

Hier steht der Datenjournalismus erst ganz am Anfang.

Evans: Ja. Das Ziel wäre, dass öffentliche Budgetzahlen durchschaubarer werden und Menschen ein Verständnis entwickeln, wohin ihre Steuergelder gehen. Ähnlich ist das bei der Gesundheitsreform, auch da fehlen uns Daten darüber, woran das System krankt. Aber für eine Demokratie ist es wichtig, solche Informationen zu haben. Nur dann können wir eine wohlüberlegte Entscheidung treffen.

Wird der Datenjournalismus in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen?

Evans: Ich hoffe es zumindest. Mir gefällt diese Idee, dass man mit Grafikern und Journalisten zusammenarbeitet und Fakten zusammenträgt, dass man dabei wirklich behutsam vorgeht und ein tiefergehendes Verständnis für diese Daten entwickelt. Das tut dem Journalismus sicherlich gut, würde ich meinen.

 

Zur Person – Lisa Evans

Foto: Julia Fuchs

Lisa Evans, 33, arbeitet für das Datenblog des Guardian. Ihre genaue Postenbeschreibung lautet “Data Researcher“. Zuvor war sie für die Initiative WhereDoesMyMoneyGo.org tätig. Die Webseite schlüsselt britischen Internetusern auf, wohin ihre Steuern fließen, und fordert mehr Transparenz

 

Das Datenblog

des Guardian findet man unter guardian.co.uk/data, alle Beiträge von Lisa Evans gibt es unter www.guardian.co.uk/profile/lisaevans.

Digital First

lautet die Strategie der Tageszeitung. Chefredakteur Alan Rusbridger kündigte vergangene Woche weitere Investitionen ins digitale Geschäft an

Konferenz in Wien

Lisa Evans nahm vergangene Woche an der Open Government Data Konferenz in Wien teil und sprach über ihre Arbeit. Weitere Infos zur Konferenz unter www.ogd2011.at

 

Dieses Interview ist in Falter 25/11 erschienen. Bilder: Julia Fuchs / Guardian

View Comments

  • Ich finde an den drei Beispielkomentaren nichts verwerfliches.

    Für freie Meinung und gegen Neusprech!!!

  • Ich verstehe das Problem mit den Beispiel-Kommentaren leider auch nicht. Das Problem ist anscheinend doch eher der Inhalt, nicht die Form. Wären im Kommentar #1 böse Polizisten gemeint gewesen, wäre wahrscheinlich alles in Ordnung.

    Spannender finde ich folgende Frage: Welcher der folgenden Kommentare ist denn nun ein Hass-Kommentar?

    a) Asylanten sollten sofort, ohne wenn und aber, wieder abgeschoben werden!

    b) Dem Polizisten, der mit Pfefferspray auf die Demonstranten losgegangen ist, sollte man selbst mal eine ordentliche Ladung ins Gesicht verpassen.

    c) All cops are bastards!

  • Ich denke, dass das Einstellen eines einzelnen Community-Managers, der nach seinen eigenen bzw. nach redaktionell vorgegebenen Moralvorstellungen die Nutzerkommentare zensiert, nicht der richtige Weg sein kann. Zu empfehlen wäre da eher, auf eine andere Technologie zurückzugreifen, die eine Regulierung durch die Community selbst ermöglicht - quasi durch Mehrheitsentscheid. Ein gutes Beispiel hierfür liefert momentan das Portal YouTube, in dem die Möglichkeit besteht, jeden einzelnen Kommentar als positiv oder negativ zu bewerten. Ab einer gewissen Anzahl negativer Bewertungen wird ein Kommentar standardmäßig ausgeblendet (und nicht gelöscht!) - man muss ihn explizit wieder einblenden, falls man neugierig darauf sein sollte, warum er geschmäht wurde. Nach meiner Beobachtung funktioniert dieses System recht gut und wird von der YT-Nutzergemeinde durchaus gerne in Anspruch genommen. Außerdem stellt es einen Kompromiss zwischen Zensurbefürwortern und -gegnern dar.

  • Bei vielem im Artikel möchte ich zustimmen, aber eine Befürchtung bleibt: Zu viel Kontrolle. Zum Beispiel Foren mit einer Vorab-Moderation finde ich persönlich unbenutzbar. Auch zu strenge Nettiquette, wie Spiegel-Online-Foren, wo wohl das siezen gefordert wird (Leute, wirklich?) sind ein Hinderungsgrund. Und eine Zwangsregistrierung erst Recht. Dafür muss man die Seite schon sehr oft besuchen, dass sich das lohnt. Um gelegentlich mal einen interessanten Blogartikel durch einen Tipp zu ergänzen werde ich mir bestimmt keinen Account anlegen.

  • Hi, mich beschleicht oft das Gefühl Internetforen werden zum Abreagieren verwendet. In der "offline" Welt leiden viele Menschen an Harmoniesucht. Man möchte Freunde nicht verunsichern oder gar verärgern. Also spielt man eitle Wonne, geht nach Hause und lässt Dampf ab beim Beschimpfen von Fremden.
    Andererseitsss sind Regeln wie: „Dont feed the Troll“ schon recht alt, werden aber nicht immer befolgt. Hier müssen die Nutzer noch erwachsen werden. Youtube bietet dafür mit dem Ausblenden von stark negativ bewerteten Kommentaren eine Hilfe an. Bei einigen Themen wie Sexismus, Ausländerhass etc. ist ignorieren nicht ausreichend. Hier müssen die Nutzer die nötigen Werkzeuge erhalten um solch einen Hassposter zu melden, auszublenden. An einer Moderation kommt man dann natürlich nicht mehr vorbei. Moderatoren lassen sich aus der Community rekrutieren.

    Guter Artikel, alles Gute beim Buch!

  • Der Artikel spricht mir aus der Seele. Besonders gefällt mir, dass das Problem von Hasskommentaren mal thematisiert wird, ohne einer Klarnamenpflicht das Wort zu reden. Denn für ano- oder pseudonymes Posten gibt es diverse Gründe, viele davon völlig legitim. Außerdem löst eine Klarnamenpflicht, wie Sie das ja schon im vorangehenden Beitrag dargelegt haben, das Problem überhaupt nicht. Das ist in dem Zusammenhang einfach eine Scheindebatte.

    Sehr wertvoll fand ich auch den Hinweis darauf, dass es eine wichtige Rolle spielt, ob und wie die Autor_innen des kommentierten Artikels sich an der Diskussion beteiligen.

    In einem Punkt greift mir der Artikel aber etwas zu kurz, nämlich wenn das Problem auf die Form der Kommentare reduziert wird, unabhängig vom Inhalt. Die Form ist sicherlich ein großes Problem, und die meisten Meinungen kann man auch ohne hate speech vortragen. Es gibt aber auch Meinungen, die an sich hasserfüllt sind. Um ein besonders klares Beispiel zu nehmen: Wenn jemand der Meinung ist, alle Homosexuellen sollten getötet werden - dann kann er_sie das so sachlich und unaufgeregt formulieren wie nur möglich (also wie ich das in dem Beispiel grade getan habe), es bleibt eine zutiefst hasserfüllte Botschaft.

    Ich bin also der Meinung, dass Foren und Kommentarspalten keineswegs allen Meinungen Platz einräumen sollten, genausowenig wie allen Formulierungen. (Das bezieht sich natürlich auf Portale mit dem entsprechenden Anspruch; pi oder Krone haben halt das Publikum, das zum redaktionellen Inhalt passt.) Nicht alles, was generell gesagt werden darf - strafrechtlich sind der Meinungsfreiheit zum Glück nur seeehr weite Grenzen gesetzt - muss auch überall gesagt werden dürfen.

    Problematisch ist natürlich die Grenzziehung, wofür es sicher kein Patentrezept gibt. Da ist auch die Selbstdisziplin von Blogger_innen und Redaktionen gefragt; positive und kritische Kommentare sollten unbedingt nach den gleichen Kriterien behandelt werden. Auf jeden Fall bin ich für größtmögliche Transparenz, d.h. es sollte so gut wie möglich allgemein dargelegt werden, was akzeptabel in Kommentaren ist und was nicht. Im Sinne der Transparenz bin ich auch eher dafür, Hasskommentare nachträglich zu löschen, als Kommentare von vornherein erst nach Prüfung freizuschalten. Dann können User_innen nämlich ab und an sehen, was gelöscht wird und was nicht.

    Eine Halde für gelöschte Kommentare nach Vorbild von hatr.org fände ich auch gut. Dann kann man nämlich sehen, ob tatsächlich nur Hasskommentare gelöscht werden oder generell missliebige Meinungen und sanfte Polemiken. Außerdem bleibt so die Freakshow an einem sicheren Ort erhalten. Daraus lassen sich ja auch wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung bestimmter Formen von Hass gewinnen.

  • I want to to thank you for this great read!! I definitely enjoyed every bit of it.
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  • Schön auf den Punkte gebracht kann man da nur sagen, ich selbst arbeite in einer Werbeagentur in Klagenfurt und wir stellen zum Teil auch Printmedien her. Da finde ich diesen Artikel sehr treffend, da ich auch schon oft sowas zu hören bekommen habe.
    Dann werde ich mal etwas Feenstaub auf den Bildschirm werfen um etwas schönes zu zaubern. =)

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  • Ich glaube auch das ist Geschmackssache, da gibt es sicher einige Pros und Contras ;) Ich persönlich bevorzuge die guten alten Bücher, aber in der jüngeren Generation scheinen eBooks voll im Trend zu liegen, hier ein Beispiel. LG

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