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Die Vermessung der Weltenbummler

Immer weniger geht es beim Reisen um den Zufall. Immer mehr geht es um Algorithmen und Apps, die uns einen besseren Urlaub versprechen

Wenn er auf Urlaub fährt, sucht er eine Unterkunft über den Onlinedienst Airbnb. Während der Reise lädt er Fotos hoch, damit seine Freunde und Familie an dem Abenteuer teilhaben können, und natürlich trägt er dabei seine Reiseroute ein – das funktioniert ganz einfach, denn sein Handy weiß ja jederzeit, wo er ist.

Andreas Röttl, 29, ist der Prototyp eines digital Reisenden. Digital reisen ist sogar sein Beruf. Der gebürtige Kärntner hat mit seiner Freundin und einem Kumpel das Wiener Start-up Journi gegründet, das nun eine erste App herausgebracht hat. Sie soll revolutionieren, wie wir online unsere Reiseerlebnisse dokumentieren.

Röttl sitzt in einem modern eingerichteten Gemeinschaftsbüro in Wien-Margareten. Er trägt -sehr passend – Flipflops und ein stylisches Surfer-T-Shirt, auf dem man eine Palme in strahlendem Sonnenschein sieht. Das iPhone hat er stets zur Hand.

Seine App, die ebenfalls Journi heißt, ist simpel: Man macht während der Reise Fotos, schreibt ein paar Zeilen dazu. Der Ort wird automatisch getaggt, sofern man dies erlaubt hat. Abends, wenn man im Hotel wieder Internet hat, lädt die Software die Bilder hoch. “Auf ganz simple Weise kann man ein digitales Fotobuch erstellen. Bisher war das deutlich schwieriger”, sagt Röttl. Mehr als 2000 Menschen nutzen mittlerweile diesen Dienst.

Heute lassen wir uns nur noch selten treiben, heute haben wir für jede ungewisse Situation eine App parat
Journi ist eine weitere App einer weiteren Firma, die zeigt, wie sich das Reisen verändert hat. Von der Planung bis hin zum Aufenthalt überlassen wir nichts mehr dem Zufall. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit riesigen Stadtplänen durch fremde Gassen stolperte und sich permanent verlief – jedoch gerade auf diesen Umwegen besondere Orte entdeckte: ein herrliches kleines Café, in dem nur Einheimische sitzen, oder ein Tapaslokal, von dem man noch Jahre später schwärmt.

Heute lassen wir uns nur noch selten treiben, heute haben wir für jede ungewisse Situation eine App parat. Ein Programm errechnet zum Beispiel, wie viel Trinkgeld man geben soll, ein anderes sagt einem, wann am Urlaubsort Vollmond ist. Geht dadurch ein Teil des Reiseerlebnisses verloren? Oder werden wir tatsächlich besser im Reisen?

Urlauben war vor dem Internet tatsächlich ein Wagnis. “Über Jahrzehnte hinweg fuhr man in den Urlaub mit einer ganz geringen Informationsdichte. Man kaufte eine Ware, die man im Vorfeld nie wirklich gesehen hatte”, sagt Axel Jockwer, ein Experte des digitalen Reiseangebots. Der Deutsche arbeitete jahrelang im Onlinetourismus, heute ist er Professor für Tourismusmanagement an der EBC Hochschule in Stuttgart.

Noch bevor es Youtube oder gar Facebook gab, krempelten schon Bewertungsseiten wie TripAdvisor die Hotelbranche um. “Früher konnten Hotels mitunter auch Mist verkaufen. Dann sind die verärgerten Kunden halt nächstes Jahr nicht mehr gekommen, dafür kamen andere Kunden”, sagt Jockwer. Das habe sich massiv verändert. Wer heute Touristennepp betreibt, wird darüber auch in seinen Bewertungen lesen.

Das Internet brachte also viel mehr Planbarkeit, und mit dieser Planbarkeit kamen neue Bedürfnisse: Man will nicht mehr in irgendein Hotel fahren, sondern in das Hotel, das genau zur eigenen Persönlichkeit passt. In eines, wo man sich durchgehend kohlehydratarm ernähren kann (das gibt es tatsächlich in Tirol), oder eines, wo man eine Art digitale Entschlackungskur angeboten bekommt, inklusive Stadtplan, Zeitung, Kerze und einen kleinem Safe, in dem sich das Smartphone wegsperren lässt (ein solches Hotel liegt in Dublin).

Ein bisschen ähnelt Airbnb einer Partnerbörse, bei der allerdings nicht die Liebe, sondern leerstehende Appartements vermittelt werden
Eine Website hat diese Individualisierung des Reisemarkts vorangetrieben wie kaum eine andere: Airbnb. Es ist ein großartiges Tool, um Menschen zusammenzubringen. Die Amerikanerin Valerie hat ein ungenütztes Zimmer in Santa Monica, gleich neben dem Strand. Sie vermietet es an die Deutsche Anke und ihren Mann um 96 Euro pro Nacht. Pedro hat ein Luxusappartement an der Küste nahe Valencia, die Kanadierin Theresa steigt darin um 137 Euro ab und schreibt online: “Das Appartement ist stilvoll eingerichtet und sehr gemütlich.” Ein bisschen ähnelt Airbnb einer Partnerbörse, bei der allerdings nicht die Liebe, sondern leerstehende Appartements vermittelt werden. “Economy of sharing” nennen die Amerikaner das.

Airbnb ist ein weltweites Phänomen: In 190 Ländern und mehr als 35.000 Städten kann man über die Website absteigen, allein in Österreich gibt es 3500 Airbnb-Gastgeber. Wie viele Menschen aus Österreich Airbnb schon genutzt haben, sagt die Firma nicht. Bekannt ist nur: Eine Million Deutsche sind mit dem Dienst bereits verreist. Der Wert des Unternehmens wird von Anlegern sogar auf zehn Milliarden Dollar geschätzt.

“Bei den typischen Airbnb-Gästen denkt man vielleicht an junge Kiddies, an Mitte 20-Jährige, die nicht so viel Geld haben. Tatsächlich ist der durchschnittliche Gast in Deutschland 34 Jahre alt”, sagt Christopher Cederskog, Regional-Manager für Deutschland, Österreich, Mittel-und Südosteuropa. Es gehe längst nicht nur um den Preis, der oft niedriger ist als in den Hotels, sondern um die Individualität: “Wir haben ein sehr hochpreisiges Segment, mit dem wir Menschen ansprechen, die sonst in 4-oder 5-Stern-Hotels gehen würden.”

Cederskog ist ein eloquenter Manager, der erzählt, wie er selbst in Costa Rica in einem stilvollen Baumhaus abstieg oder in einem Appartement mit 360-Grad-Blick über die idyllische Landschaft. Er berichtet davon am Telefon, denn Cederskog befindet sich gerade im Firmensitz in San Francisco, wo Airbnb 2008 loslegte. Mit drei Luftmatratzen, auf Englisch “airbed”, und einer ziemlich großen Wohnung.

“AirBed and Breakfast”, so hieß das Startup anfangs. Heute wirbt man nicht mehr mit Luftmatratzen, sondern ” einzigartigen, wunderbaren Unterkünften” und “Gastgebern zum Anfassen”. Tatsächlich gibt es viele Airbnb-User, die von solchen Erlebnissen schwärmen: Der Wiener Start-up-Gründer Röttl mietete in der Toskana ein Appartement. “Die Gastgeber waren zwei Brüder und luden uns gleich zum Abendessen ein. Das war ein italienisches Festmahl, wie man es sonst nur in Filmen sieht.”

Der Erfolg der Website baut nicht zuletzt auf den Versäumnissen der Hoteliers auf. In städtischen Hotels wird man oft kaum beraten. Man fragt den Concierge, wo es die nächste Apotheke gibt, und der weiß es nicht. Jedoch üben die Hoteliers zum Teil auch berechtigte Kritik an Airbnb: etwa, dass viele Airbnb-Gastgeber ihre Einkünfte nicht versteuern und ein ungerechter Wettbewerbsvorteil entstünde.

Das kann sich die Wienerin Doris Neubauer gut vorstellen: “Dieses Geschäftsmodell ist einfach extrem schwierig zu kontrollieren: Wenn jemand eine private Wohnung durchgehend via Airbnb vermietet, dann kommt irrsinnig viel Geld herein. Nur, wie soll das Finanzamt das merken?”

Die freie Journalistin zeigt, dass es anders geht: “Ich versteuere das, so wie jede andere Einnahme auch. Aber so viel ist es nicht.” Neubauer, 35, bietet seit heuer ein Zimmer in ihrer Eigentumswohnung an: 13 Quadratmeter, hell, gut gelegen im 6. Bezirk, 35 Euro die Nacht. Die Wohnung hat einen Balkon, ein großes Wohnzimmer, an der Wand hängen viele Fotos von den unzähligen Auslandsaufenthalten.

Sie ist eine Reiseidealistin, arbeitete zwei Jahre als Reisebloggerin und freie Autorin: “Wir haben alle schon so viel gesehen. Das Einzige, was uns noch überraschen kann, sind die Menschen.” Um diese Menschen tatsächlich kennenzulernen, nützt sie seit langem das Internet. 2007 begann sie couchzusurfen. Couchsurfing ähnelt Airbnb, ist aber gratis. Und weil es gratis ist, liegt man oft tatsächlich auf einer Couch. “Ich habe auf Couches geschlafen, am Boden, im Zimmer neben jemandem”, erzählt sie von ihren Reisen von Südamerika bis Indien.

Airbnb Kapitalismus in Reinform, die Website macht aus Privatpersonen Unternehmer und ermöglicht, dass jeder ungenützte Raum auf dem Markt feilgeboten wird
“Beim Couchsurfing ging es gerade in den Anfangszeiten nicht nur um die Gratisübernachtung, sondern um die Begegnung mit Menschen. Ich habe das Gefühl, dass es bei Airbnb viel mehr ums günstige Übernachten geht.” Sie bezweifelt, dass die meisten Gäste tatsächlich den Kontakt zu den Einheimischen suchen würden, wie das Airbnb gerne behauptet. Ihrer Erfahrung nach wollen viele gar kein Zimmer mieten, sondern die ganze Wohnung für sich allein.

Streng genommen ist Airbnb Kapitalismus in Reinform, die Website macht aus Privatpersonen Unternehmer und ermöglicht, dass jeder ungenützte Raum auf dem Markt feilgeboten wird, und sei es nur das leerstehende Kinderzimmer.

Urlaub ist ein trügerisches Thema: Jeder macht gerne Urlaub, die Branche ist darauf ausgerichtet, dass sich Menschen dabei wohlfühlen. Vor allem geht es aber um Geld, um verdammt viel Geld. Der Tourismus macht neun Prozent des Weltbruttosozialprodukts aus, erwirtschaftet somit mehr als die Ölindustrie.

Einen großen Teil der Einnahmen bringen aber noch immer Offl ine-Produkte, darunter der gedruckte Reiseführer. In Österreich macht er 7,6 Prozent aller Buchumsätze aus – trotz der Konkurrenz in den App-Stores. Warum eigentlich?

“Das liegt auch an der Schwäche der Smartphones: Eines der größten Probleme ist der Akku, der zu schnell leer wird”, sagt Röttl, der seine Journi-App deswegen extra so designt hat, dass sie möglichst wenig Batterie frisst. Röttl verreist deswegen selber noch immer mit dem gedruckten “Lonely Planet”. Er ist aber davon überzeugt, dass sich der digitale Reisemarkt stark weiterentwickeln wird: “Derzeit suchen viele fieberhaft nach einer Art Reisebüro 2.0. Die Idee ist, dass es online bessere Lösungen geben muss, um gute Reiseempfehlungen zu bekommen.” Ganz wie bei Amazon: Der Onlinehändler ist bekannt für seinen Algorithmus, der einem – oft ziemlich treffsicher -Bücher vorschlägt, die einen interessieren könnten. Bislang fehlt eine derartige Seite für das Reisen, die das eigene Reiseverhalten analysiert und den passenden Urlaub dazu vorschlägt.

Das würde Röttl gefallen: “Es ist aber eine totale Gratwanderung, das so zu designen, dass es den Leuten noch behagt. Diese Reiseempfehlungen sollten wie bei Amazon eher dezent im Hintergrund sein – und im Vordergrund sollte weiterhin die Möglichkeit stehen, alle Inhalte selbst zu durchsuchen.” Da ist sie wieder, die Idee, dass Algorithmen den perfekt zugeschnittenen Urlaub berechnen und Datenbanken uns das Besondere vermitteln können.

“Wenn man den Urlauber mit großer Aufmerksamkeit beobachtet, erahnt man die Veränderung in unserer Gesellschaft. Man sieht die Signale des Wertewandels”, meint Manfred Kohl, ein weiterer Kenner der Reisebranche. Der Villacher Unternehmensberater, 66, beobachtet seit Jahrzehnten Urlauber und erklärt Hoteliers und Tourismusregionen, was dem heutigen Reisenden wichtig ist.

Im Grunde ist der Urlauber auf der Suche nach dem guten Leben, nach einem Leben, von dem er sich wünschte, er könnte es dauernd führen
In den 1980er-Jahren gab es etwa die Spaßgesellschaft, die den dazugehörigen Urlaub buchte. “Heute suchen viele Menschen Lebensqualität. Sie sagen zum Beispiel, sie wollen Orte und Dienstleistungen, die ,stimmig’ sind und möglichst auf sie zugeschnitten”, meint der Unternehmensberater. So schätzen viele ökologisch nachhaltige Hotels oder Airbnb-Wohnungen, bei denen man ein vermeintlich authentischeres Erlebnis bekommt. “Im Grunde ist der Urlauber auf der Suche nach dem guten Leben, nach einem Leben, von dem er sich wünschte, er könnte es dauernd führen”, sagt Kohl. Deswegen sage es viel über uns aus, wie wir urlauben.

Folgt man seiner These, ist unsere Gesellschaft auch eine ziemlich kalkulierende und zahlengläubige: Wir möchten bloß keine Ungewissheit haben und hoffen, dass wir den perfekten Urlaub bekommen, wenn wir nur einmal genügend Daten ins System eingespeist haben.

 

Dieser Text war die Cover-Geschichte der Falter-Ausgabe 26/14. Illustration: Jochen Schievink

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  • Die Inhalte der Postings entsprechen sicher nicht der feinen englischen Art. Aber Hass, eher
    Nein. Sie bringen – zugegeben auf recht derbe Weise – das wieder, was die Bevölkerung
    von Heinisch-Hosek hält. Nämlich nicht sehr viel. Die SPÖ-Politikerin ist allgemein (und
    das hat nichts mit Gabalier zu tun) sehr unbeliebt. Sie ist abgehoben, präpotent und arrogant.
    Diese mehr als 14.000 Postings wurden von Personen aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten verfasst und sind daher in der Auswertung aussagekräftiger, als jede ach so repräsentative Umfrage eines Meinungsforschungsinstitutes.

    • Es ist immer schwierig zu definieren: Was ist ein Hassposting? Ab wann kann davon die Rede sein? Ich vermute, wir zwei haben da nicht die gleiche Definition, möchte ich einwenden

  • Kleine Korrektur: Gabalier ist kein Volksmusiker, sondern ein volksdümmlicher Musiker.
    Ansonsten super Artikel.

  • Ich hatte früher großen Respekt vor Heimisch-Hosek,
    aber sie ist nur bei bestimmten Frauen-Themata selbstsicher.
    Leider hat sie ebenfalls vollkommen in ihrer vorherigen letzten Position (Beamtenministerin) und aktuellen Position (Unterrichtsministerin) voll versagt.
    Die Bienalsprünge sind noch immer da und die werden der Republik viel Geld kosten und das Bildungssystem ist nicht einmal auf dem Weg zu einer Reform.
    Versagen gehört zum Leben, ich versagte und scheiterte auch einmal im Leben und zog die Konsequenzen und trat zurück.

    Leider kann das die Frauenministerin nicht, aber diese Schwäche betrifft nicht nur sie, sondern die ganze Bundesregierung.

    Sie ist nur stark bei gewissen Frauenthemen, aber bei Khol, Blecha, Hundstorfer, Neugebauer ist die gute so ein devotes Weiblein,
    das es ärger nicht mehr geht.
    Ich habe gehofft, dass Heinisch-Hosek hier tuff enough ist,
    aber leider hatte ich mich getäuscht und zu viel von ihr erwartet.

    • Ich glaube, Sie sind nicht der einzige, der von der Performance als Unterrichtsministerin nicht gerade überzeugt wurde. Die Pisa-Aufregung et cetera waren keine Glanzleistungen. Aber ich muss sagen, finde die Beschreibung "devotes Weiblein" ziemlich untergriffig - vielleicht könnte man das eine Spur neutraler formulieren. Als Frau stößt es mir übel auf, wenn andere Frauen als Weiblein bezeichnet werden - auch wenn ich verstehe, dass Ihre Kritik in erster Linie darauf fußt, dass Sie sich mehr erwartet haben!

      • Die einst sehr geschätzte Ministerin ist manchmal sehr provozierend, deswegen bediente ich mich auch des Stilmittels der Polemik.
        Es ist doch war, dass die Ministerin in Beantensachen sich nicht gegen die Macht des Neugebauers durchsetzen konnte.
        Das derzeitige Pensionssystem in der Altersgruppe 55+ bevorzugt generell Männer, besonders bei den Luxuspensionen.
        Da die Ministerin auch bei Frauenangelegenheiten diese Altersgruppe aussen vor ließ, habe ich bewusst provoziert.

        Oftmals wird das Gender-Pay-Gap von der Frauenministerin hergenommen. Ich möchte anmerken, dass das Gender-Pay-Gap in der Altersgruppe unter 30 nur marginal vorhanden ist. Das größte Gender-Pay-Gap ist in der Altersgruppe 50+ vorhanden. Viel größer als das Gender-Pay-Gap ist das Generation-Pay-Gap.
        Die Belastungen der jüngeren werden immer höher, es wird immer mehr Leustung abverlangt und durch die höheren Belastungen wird kommen geringere netto Gehälter heraus.

        Generationengerechtigkeit gibt es hier nicht und wer seinen Kindern eine öde abgewirtschaftete Wüste hinterlässt, der darf sich nicht wundern, wenn sich diese radikalen Ideen zuwenden.

  • Da schockierende ist, da posten Leute aus meiner Facebook-Timeline mit, die das auch noch stolz verkünden. Leute, die ich bis eben noch für aufgeklärte halblinke gehalten habe. Man merkt nicht nur bei dieser Aktion, dass sich die Leute im Recht fühlen, so zu agieren, was erlaubt sich diese Person, weg mit ihr! Die ist selbst schuld, das hat sie verdient, sie stellt sich gegen uns alle. Nicht die Taten, aber die Worte und Rechtfertigungen erinnern mich an einen Radiobericht aus 1938, den Peter Daser vor einiger Zeit auf Twitter verlinkte, in dem der Nazi-Reporter am Tag nach dem Synagogenbrand erklärt, warum das Volk das zurecht mache. Das sind ganz ähnliche Argumente! Von wenigen eindeutigen Postings abgesehen sehe im Heinisch-Hosek-Shitstorm allerdings gar nicht so sehr die feministische Komponente im Vorderdrund, sondern eher die Indentifikation mit dem vermeintlichen Helden, der es denen da oben zeigt. Ein männlicher Unterrichtsminister hätte hier nicht wesentlich weniger einstecken müssen.

    • Naja, also ich mag mir diesen Shitstorm aus psychohygienischen Gründen nicht anschauen, aber ich kenne die entsprechende "Diskussion" aus dem Standard-Forum. Und dort war es nach meinem Eindruck schon so, dass der antifeministische Aspekt im Vordergrund stand. Also nicht weil der Binnen-i-Verweigerer es "denen da oben" zeigt, ist er beliebt, sondern weil er "sich traut", es "den Feministinnen so richtig zu zeigen". Mir kommt es so vor, dass diese Wutbürger in Wirklichkeit nicht gegen "die da oben" sind, sondern eher nach dem klassischen Radfahrerprinzip handeln (nach oben buckeln, nach unten treten). So zumindest mein Eindruck.

    • Den Hinweis auf den "vermeintlichen Helden" finde ich sehr gut, tatsächlich wird da dem Musiker Gabalier die Rolle des Robin Hoods zugeschrieben, der sich mit den "Mächtigen" anlegt. Ich erinnere nur an einen weiteren solchen "Helden", der das politische System umkrempeln wollte: Frank Stronach. Wie das ausgegangen ist, wissen wir bekanntlich. Was die Frauen-Komponente betrifft, sind wir wahrscheinlich nicht einer Meinung. Ich bin auch dieser Ansicht, weil viele User dezidiert antifeministische Postings verfassen - und damit wäre ein männlicher Minister nun nicht konfrontiert. Aber man muss ja nicht überall zu 100 % einer Meinung sein: Let's agree to disagree (zumindest ein bisserl)!

  • Ich denke, dass die Hymne ein anderes Problem in Wahrheit betrifft.
    Die Leute haben einen tiefen Hass auf diese feudal beamtete Proporzregierung.
    Die Regierung ist komplett unfähig Reformen durchzuziehen, das System verschlingt Jahr für Jahr Milliarden an € mehr und es geht nur um dieae depperte Hymne, wie um Gessler seinen Hut.
    Weder sind die Frauen in der Altersgruppe 50+ gleichgestellt, noch wurden die feudal föderalen Ausgaben für den Hofstaat auf ein sinnvolles Maß reduziert. Da in Österreich ein sehr patriarchale unliberale Anti-Leister Gesinnung vorherrscht und die Regierung das vorlebt, darf frau sich nicht wundern, wenn das Volk das nachahmt.
    Eine Merkel würde es hier nie nach oben bringen, ebenso wenig wie ein Mario Draghi. Das System bevorzugt alte brave Parteisoldaten ohne Hirn und Männer bekommen den Großteil in den Parteien.

    daher sind die Töchter in der Hymne die reinste Verhöhnung und das Volk reagiert undifferenziert mit Wut.

  • Sehr geehrte Frau Brodnig!
    Einen klugen Kommentar haben Sie hier wieder abgeliefert. Wichtig finde ich auch den Hinweis, dass es egal ist, ob das Auftreten der Frau Minister hier unglücklich und peinlich ist oder nicht. So soll und darf mit einem Menschen, auch wenn er in der Öffentlichkeit steht, nicht umgegangen werden! Als Gegenmittel kann man allen Personen der Öffentlichkeit nur raten, nicht auf Plattformen aufzutreten, wo "jeder" mitposten kann, oder genügend Kontrollkapazitäten zu haben. Das ist schade; ich würde lieber in einer Gesellschaft leben, wo Menschen zivilisiert miteinander umgehen (auch medial) und der Begriff Shitstorm nicht existiert.
    Frau Brodnig, Sie sind eine der positivsten Erscheinungen im österreichischen Journalismus, was sich erst letztlich wieder durch ihre sachliche Auseinandersetzung zur "Klarnamendebatte" zeigte. Danke!

    • Vielen Dank für Ihre überaus freundlichen Worte! Leider stimmt es, dass viele Personen der Öffentlichkeit aufgrund dieser Angst diese offenen Plattformen meiden. Aber meine Hoffnung ist, dass in Zukunft die Social-Media-Kommunikation professioneller wird und gleichzeitig auch das Bewusstsein des einzelnen steigt, was noch ein angemessener Tonfall ist. Aber allein, dass wir diese Debatte führen, zeigt ja, dass dieses Thema vielen anscheinend wichtig ist.

  • Zum Thema AntifeministInnen ist eine interessante Beobachung, dass einige sozusagen aus den eigenen Reihen kommen. Viele Frauen verstehen das Verhalten ven sogenannten Emanzen und die Art zu integrieren auch nicht. Das Hauptproblem ist einfach das dieses Thema bis zum Exzess getrieben wurde und dadurch auch unser Kulturgut (Hymne) und unsere Sprache (Innen, die/der) verkompliziert und teilweise auch verschandelt hat. Diese hässlichen Kommentare unter der Gürtellinie sind definitiv Fehl am Platz und spiegelt leider einen Teil der Gesellschaft wieder, aber die Diskussion an sich ist leider schon überfällig und meiner Meinung auch angebracht und gerechtfertigt.
    Die Social Media Betreuer von Frau Bundesministerin haben leider ihr Berufsziel verfehlt.....auf einen Shitstorm (offene Brief der Grünen) so eine Stellung Beziehung ist politischer Selbstmord...aber da braucht man kein Genie zu sein um das zu erkennen. Fazit.....Gute und interessante Diskussion, PR-Berater vom Bundesministerium sollte deren Berufswahl nochmal kur überdenken, Kommentare mit Fikalsprache....naja manchmal ist es gut, dass diese Leute Nichtwählern gehen, FeministInnen einfach einmal reflektieren und darüber nachdenken ob manchmal weniger mehr ist!

  • Wieso werden die Morddrohungen gelöscht und nicht strafrechtlicher Verfolgung zugeführt? Hier gibt es nichts zu schützen.

    • Gelöscht wurden sie wohl, damit das nicht weiterhin so stehen bleibt. Ob es weitere strafrechtliche Konsequenzen geben wird, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Kann aber montags nochmal nachfragen, ob das Ministerium gegen einzelne Poster rechtlich vorgehen will.

  • Vielen Dank für die klaren Worte, ich finde die aktuellen Entwicklungen (auch) sehr bedenklich.

  • Die Anonymität des Internets zeigt uns nur, was schon lange prädigital in den Leuten brodelte. Aber nur über Sichtbares kann man diskutieren. Diese positiven Seiten sollte man auch sehen. Es mag tatsächlich im ersten Moment ein Schockeffekt eintreten, wenn man unbedarft auf eine Troll-Vorhölle stößt, aber das gibt sich mit der Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand, der ernsthaft zu einem Thema recherchiert und engagiert ist, von Trollen abschrecken lässt. Aus dem eigenen Blog kann man Trolle aussperren, bei Facebook und Google+ blockieren etc. Reine Beleidigungen kann man löschen. Wenn Beleidigungen mit Inhalten verknüpft sind, muss man halt entscheiden. Im Zweifel für den Troll, das ist meine persönliche Meinung. Ich möchte dass Menschen ihre Meinung sagen dürfen, auch die Frustrierten.

    • Ich sehe das anders: Sicher haben Sie Recht, dass viele dieser Gefühle auch schon früher da waren. Das Besondere an der digitalen Kommunikation ist aber, dass es dabei schneller zu verbalen Entgleisungen kommt, weil wichtige Signale fehlen, die auch die Empathie fördern. So fehlen in der schriftlichen Kommunikation im Internet viele nonverbale Signale und das führt dazu, dass Menschen mitunter gar nicht merken, wenn sie sich selbst in eine Rage reden und andere dadurch verletzen. Es fehlt zum Beispiel der Augenkontakt, der ein wichtiges Signal ist. Man sieht nicht, ob der andere nach einer Aussage gekränkt dreinblickt, ob Mithörende mit der Stirn runzeln oder ob die Stimme des anderen plötzlich leiser klingt. Das mag sich nach Nebensächlichkeiten anhören, ist es aber nicht: All diese Signale sind wichtig in der Gesellschaft, um einander (ganz unauffällig) Feedback zu geben und gegenseitig in einer Tonalität miteinander zu reden, die für alle in Ordnung ist. Dadurch, dass diese Signale online leider wegfallen, wird es oft schriller und das führt oft nicht zu mehr Erkenntnis oder einer ehrlicheren Debatte, sondern dass am Ende alle nur aufeinander wütend oder gekränkt sind. Dazu passend gibt's auch eine spannende Studie: http://www.nytimes.com/2013/03/03/opinion/sunday/this-story-stinks.html?_r=0

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