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10 Fakten zur Anonymität

Vom Augenkontakt bis zum chinesischen Cybermob: 10 Fakten zum Thema Anonymität.

Sämtliche Punkte stammen aus meinem Buch “Der unsichtbare Mensch” (hier ein paar Rezensionen):

1.) Anonyme Kritik kränkte bereits Jean-Jacques Rousseau

Von einem Unbekannten kritisiert zu werden, darüber ärgern sich Menschen nicht erst seit dem Internet. Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) war bereits ein Opfer von anonymer Kritik. Was Rousseau nicht wusste: Hinter den Attacken steckte sein Intimfeind Voltaire. Der ohnehin schon labile Rousseau litt darunter, nicht zu wissen, wer ihn da desavouierte – er schreibt darüber in seiner Autobiografie “Die Bekenntnisse”.

2.) Die Chinesen haben ein eigenes Wort für den Cybermob

In China gibt es einen eigenen Begriff für die Hetzjagd im Internet: „Renrou sousuo“ bedeutet Menschenfleisch-Suchmaschine. Ein beunruhigendes Phänomen, bei der einzelne User, die zum Hassobjekt vieler Menschen wurden, ausgeforscht, gestalkt und oft sogar bedroht werden. In China ist dieses Phänomen besonders schlimm, weil die Behörden wenig tun, um ihre Bürger vor Verleumdung oder Drohungen zu schützen.

3.) Gänzlich anonyme User liefern die besten Beiträge der Wikipedia

Anonyme, nicht registrierte User schreiben die hochwertigsten Einträge und Korrekturen auf Wikipedia. Das fanden Forscher der University of Dartmouth heraus. Diesen „guten Samaritern“ geht es in erster Linie darum, ein Detail auszubessern oder neue Information beizusteuern – und nicht um „Ruhm“ in der Community. Deswegen legen sie sich keinen Wert auf eine Namensnennung. Ein Beispiel, wie Menschen auch anonym gute Taten begehen.

4.) Das Onlinekollektiv Anonymous war anfangs gar nicht politisch

Heute präsentieren sie sich als Robin Hoods der Internetbevölkerung, als Kämpfer für Meinungsfreiheit im Netz und fallen mit medienwirksamen Aktionen auf, etwa wenn sie gehackte Daten veröffentlichen oder die Webseiten von Parteien lahmlegen. Was viele nicht wissen: Anfangs war das namenlose Kollektiv Anonymous gar nicht politisch – es ging viel mehr darum, online Streiche zu spielen. Erst mit der Zeit wurde den  “Anons” (den Aktivisten von Anonymous) bewusst, dass sie ihre Wut und destruktive Kraft auch für politische Zwecke einsetzen können.

5.) Ist der Ton im Forum schlecht, werden Artikel negativer aufgenommen

Forscher haben festgestellt, dass Beleidigungen in Postings dazu führen, dass der Artikel darüber negativer interpretiert wird. Wissenschaftler der University of Wisconsin zeigten dies anhand eines Artikels zum Thema Nanotechnologie. Wird unter einem – noch so neutralen – Text geschimpft, fassen die User daraufhin das Gelesene viel schlechter auf. Die Forscher sprechen vom „Nasty Effect“, einem fiesen Effekt, den das Herumgeschimpfe hat.

6.) Der Internettroll hat nichts mit dem gleichnamigen Fabelwesen zu tun

In der nordischen Mythologie sind Trolle Sagenwesen, die in Höhlen oder unter Brücken leben und manchmal Menschen fressen. Doch der „Internettroll“ hat mit diesen Figuren nichts zu tun. Sein Name leitet sich auf, sondern der Fischersprache ab: „Trolling“ bezeichnet eine Angeltaktik, bei der man den Köder mit dem Boot hinter sich herschleppt und so Raubfische anlockt. Auch Internettrolle ködern uns: Sie posten fiese oder provokante Aussagen und hoffen, dass jemand reagiert.

7.) Südkorea bekämpfte die Online-Anonymität – und scheiterte

Im Jahr 2007 führte Südkorea die sogenannte Klarnamenpflicht ein. Wer sich auf großen Nachrichtenseiten anmelden wollte, musste zuerst seine Identität verifizieren (die Verwendung von Pseudonymen war aber weiterhin erlaubt). Dies sollte den Ton online verbessern, doch diese Maßnahme erwies sich als ineffektiv: Online wurde weiterhin geschimpft. Es kam noch schlimmer. Schließlich wurden die privaten Daten von 35 Millionen Südkoreanern gehackt. Dieser Datendiebstahl war nur möglich, weil Südkorea seine gesamte Netzbevölkerung aufgezeichnet und abgespeichert hatte. Schließlich hob der Verfassungsgerichtshof das Gesetz wieder auf (mehr dazu hier).

8.) Ausschreitungen in der anonymen Masse? Dafür gibt es einen eigenen Fachbegriff

„Deindividuation“ bezeichnet das Phänomen, dass Menschen in der anonymen Masse viel mehr zu Grobheiten oder Gewalt neigen. Die Deindividuation wurde schon lang vor Erfindung des Internets beobachtet: Seit den 1950er-Jahren registrierten Psychologen wie Leon Festinger, Stanley Milgram oder Philip Zimbardo immer wieder, dass Anonymität in der Masse oft „antisozialem Verhalten“ vorausgeht – dies zeigen auch große Demos oder manch ein Fußballspiel.

9.) Selbst Facebook kann die Anonymität nicht ganz abschaffen

Ungefähr 9 Prozent aller Facebook-Accounts sind ein Fake. Wie die Firma im Jahr 2012 selbst einräumte, sind 83 Millionen Profile wohl nicht ganz wahrheitsgetreu. User geben einen falschen Namen an oder legen für ihr Haustier ein Profil an. Dies ist laut den Geschäftsbedingungen der Seite zwar verboten, doch Facebook hat bei weitem nicht genug Personal, um alle Accounts auf Echtheit zu überprüfen.

10.) Augenkontakt macht uns freundlicher

Sehen wir uns in die Augen, werden wir automatisch freundlicher. Dies stellten die israelischen Forscher Noam Lapidot-Lefler und Azy Barak, die mehrere Versuche mit Internetusern machten. Sie testeten, wie freundlich oder unfreundlich Internetuser in verschiedenen Settings miteinander reagieren. Das Ergebnis ist spannend: Besonders freundlich waren die User, wenn sie sich via Webcam in die Augen sahen. Dies ist ein Indiz, wie wichtig nonverbale Signale (Mimik, Gestik, Augenkontakt) für das Gesprächsklima ist.

 

Hier noch ein großartiges Video, wie man auf hasserfüllte Kommentare reagieren kann:

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  • Sehr geehrte, liebe Ingrid Brodnig,

    mir hat Ihr professioneller sympathisch vermittelter Beitrag im Interview mit Wolfgang Ritschl, Ö1, Kontext, außerordentlich gut gefallen. Ich werde darüber ein Posting auf sozialprojekte.com stellen und meine Kolleginnen bei bpw.at davor informieren. Und die KollegInnen im Kepler Salon Linz http://www.kepler-salon.at

    Und jetzt geh' ich Ihr Buch kaufen :-)
    Herzliche Gratulation!
    Heidemarie Penz

    • Das freut mich sehr, vielen Dank! Ich muss Sie vorwarnen: Das Buch ist erst ab kommenden Montag im Handel, aber online kann man es bereits vorbestellen. Zum Beispiel hier. Ich bin natürlich immer sehr an Feedback interessiert!

    • Sehr geehrte Frau Brodnig!

      Danke für Ihre heutige kompetente Stellungnahme in der ZIB2!

      Mit besten Grüßen
      Kurt Pecher

  • Herzlichen Dank für diesen mehr als lesenswerten Text, den ich dann auch gleich mal weiterverbreitet habe. Sie sprechen mir aus tiefstem Herz und geben genau meine Überzeugung und Gedanken wider. Ich war ebenfalls mit dem Text von Nico Lumma einer Meinung, aber mit Ihren Zeilen ... als seien es meine Gedanken. Nur, dass ich sie nicht so gut in Worte packen kann.

    Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende wünscht Sabine

    • Super, danke für den Hinweis! Finde das eine gute Medienstrategie, das Problem öffentlich zu thematisieren und damit die Antifeministen auch bloßzustellen

  • hallo ingrid brodnig!

    ich habe aufgrund einer empfehlung ihr buch gelesen, und wollte mich auf diesem weg bei ihnen dafür bedanken. es öffnet in dieser debatte die eine oder andere türe und regt in vielen punkten zum nachdenken an.

    ich möchte auf einen punkt eingehen, der mir, nachdem ich das buch zugeklappt habe, gekommen ist, und den ich für nicht unwichtig halte, der jedoch in ihrem buch nicht berücksichtigung findet (vielleicht auch finden konnte, denn durchaus möglich, dass er den rahmen ihres buches gesprengt hätte. (und jetzt auch nicht als negative kritik zu verstehen)).

    es geht um die fehlende achtsamkeit bzw. fehlende verantwortung bzw. den fehlenden respekt gegenüber anderen AUSSERHALB der online-welt. und da spreche ich nicht nur von rassistischen, geschlechterspezifischen oder ähnlichen (miß)tönen, oder von der generellen radikalisierung der sprache, sondern auch von so einfachen situationen, wie einem fehlenden "danke sagen", wenn einem die türe aufgehalten wird. da hat sich in den letzten jahrzehnten leider vieles zum schlechten gewendet (stichwort: elbogengesellschaft oder ich-ag).

    ich denke mir, dass diese "verrohung des zueinanders" (man könnte auch von einer erneuten militarisierung der gesellschaft sprechen) eine wesentliche vorbereitung dessen ist, was - wie sie dann richtig beschreiben - zu den bösartigkeiten in der netzcommunity beiträgt bzw. einladet. in folge können diese online-enthemmungen natürlich auch wiederum in den realen alltag eingehen. ein wechselspiel in folge.

    die anonymität (das fehlen von augenkontakt, wie sie es sehr schön genannt haben) wirkt dann beinahe wie das lang gesuchte hilfsmittel, um endgültig alle schranken fallen lassen zu können.

    zu thematisieren wäre in diesem zusammenhang auch die verwendung der "smilie-ikons". ich finde, sie bringen ein wenig den "augenkontakt" zurück.

    wenn ich jetzt und hier ein pseudonym benutze - das meinem nickname im standard.at forum entspricht - so ist es meinerseits ein kleines spiel ;- )
    (ich habe im übrigen bei meinem posten festgestellt, dass es manchmal schon genügt, wenn ich ein direktes hallo und den angesprochenen usernamen bzw. eine verabschiedung (zb. mfg) schreibe, dass sich dann in folge der ton zum positiven verändert hat - eine kleinigkeit zwar, aber mit durchaus großer wirkung)

    auf jeden fall kann auch ich ihr buch sehr empfehlen ... und werde es auch tun.
    ich verbleibe mit freundlichen grüßen
    behan

  • Ganz auch meine Meinung! Könnte man "shitstorm" nicht aus der Welt schaffen und durch was anderes ersetzen? Mir graust davor.
    LG RG

  • Bei der Vorratsdatenspeicherung kann der Bürger wenigstens aufrüsten. Zum Beispiel mithilfe eines VPN Dienstes. Darum bin ich der Meinung das der Windmühlenkampf zwecklos ist. Eine technologische Aufrüstung wäre sinnvoller, besonders im Zeitalter des Informationszeitalters. Heute kauft jeder ein Auto mit Sicherheitsgurt. Aber Internet ohne VPN...

  • Danke für den Workshop und die Folien dazu.

    Als Ergänzung: "Krautreporter" will mit diesem Konzept starten:

    "Finanzieren wollen sich die Macher über eine Art Community - für 60 Euro im Jahr dürfen Leser kommentieren, zudem seien Begegnungen mit den Autoren oder Stadtführungen für die zahlenden Mitglieder denkbar. " -> http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/krautreporter-will-portal-fuer-qualitaetsjournalismus-werden-a-968688.html

    Einerseits verringert es die angesprochene Schwelle Journalist / Leser, andererseits wird die Hürde für einen Kommentar erhöht, weil zuerst bezahlt werden muss. Eine Art von Freemium. Lesen ist gratis, mitmachen kostet.

    • Danke für den Link, bin sehr gespannt, was das Team von Krautreporter am Dienstag vorstellen wird! Denke auch, dass in allen künftigen Onlinemedien, hinter denen ein Bezahlmodell steht, der Umgang mit der Community - und zwar auf Augenhöhe - umso wichtiger wird

  • Liebe Ingrid,

    danke für die spannende Session und anschließende Diskussion - sehr interessantes, wichtiges Thema! Hier der Link zu unserem Forschungsprojekt, über das wir anschließend kurz sprachen.
    Und hier hat mein Kollege Julius Reimer darüber im EJO einen Gastbeitrag geschrieben.
    Herzliche Grüße, freue mich schon auf die Buchlektüre,
    Nele

    • Liebe Nele,

      super, danke dir für die Links! Klingt echt spannend, was ihr macht - muss ich mir gleich näher ansehen. Eventuell kann ich ja in einem der nächsten Blogeinträge darauf eingehen. Jedenfalls toll, wie die re:publica Menschen zusammenbringt, die sich mit einem Thema beschäftigen!

      Schönen Gruß,
      Ingrid

  • Vollste Zustimmung! Ich hab's nicht geschafft, in meinem Beitrag ernst zu bleiben.

    • Danke für den Hinweis - und die freundlichen Worte im Blogeintrag! Ich versuche ja, möglichst auf Häme zu verzichten, weil ich viele Bedenken der Kritiker teile. Mir behagt der Ton vielerorts auch nicht. Aber es ist halt sehr schade, dass dann prompt der Satz "weg mit der Anonymität" fällt, eine substanziellere Auseinandersetzung mit dem Thema jedoch nicht passiert. Aber vielleicht ändert sich das noch!

      • Ja, ich weiß genau, was du meinst - ich war bei dem Thema auch skeptisch. Aber es hat mich so in den Fingern gejuckt... und letztendlich hat dann dein Beitrag den Auschlag gegeben; dass ich mir sozusagen die Satire erlauben kann mit Verweis auf deinen Beitrag :-)

        Und es ist ja so typisch .at, dass der Woiferl gleich aufs Thema springt. Ich frag mich eher, warum Oe24 Startseitenartikel so wenig Likes bekommen.

        • Ich bin sehr gespannt, wie Fellner bis Juni die Seite auf Klarnamen umstellen will und wie er das genau machen möchte. Das ist verdammt wenig Zeit und führt zu etlichen technischen Fragen. Entweder heißt das ein Einloggen via Facebook oder eine Art redaktionelle Kontrolle, ob die Namen zumindest halbwegs echt klingen.

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