X

“Viele fanden das herabwürdigend“

Ph. Alessandro Migliardi - All rights reserved

Soll man den Namen des Germanwings-Piloten Andreas L. ausschreiben? Kann man ausgewogen über Israel und Gaza berichten? Auf solche und viele andere Fragen muss Margaret Sullivan als Leseranwältin der “New York Times“ eine Antwort finden.

Wenn Leser mit dem Journalismus der “New York Times“ unzufrieden sind, schreiben sie an Margaret Sullivan. Als Leseranwältin (auf Englisch: “Public Editor“) geht sie der Frage nach, ob die Journalisten der berühmtesten Tageszeitung der Welt sauber recherchiert haben. Erst vergangene Woche wurde die “NYT“-Redaktion wieder mit drei der renommierten Pulitzer-Preise ausgezeichnet. Mit profil sprach Sullivan über den Wert der Transparenz im Journalismus und die größten Pannen der “New York Times“.

profil: Sie sind die Leseranwältin der “New York Times“. Warum gibt es Ihren Job überhaupt?

Margaret Sullivan: Er wurde nach einem “Times“-Skandal geschaffen. Der Journalist Jayson Blair hatte Plagiate verfasst und Informationen erfunden. Das schadete dem Ruf der Zeitung massiv. Die Redaktion fragte sich: Wie können wir sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert? Eine der Reformen war der Posten des Public Editor.

profil: Sie sollen also das Verbindungsstück zwischen Redaktion und Leser sein?

Sullivan: Genau, ich vertrete die Leser. Wenn diese Fragen haben, hake ich in der Redaktion nach. Manchmal gebe ich den Lesern recht, manchmal den Journalisten.

profil: Im Schnitt bekommen Sie 500 Leser-Mails pro Woche. Welche Artikel ernten die meisten Rückmeldungen?

Sullivan: Überraschenderweise oft nicht jene Texte, von denen man das erwarten würde. Zum Beispiel brachten wir eine Geschichte über Michael Brown …

profil: … den Afroamerikaner aus der Stadt Ferguson, den ein Polizist im vergangenen Sommer erschoss?

Sullivan: Genau. In einem Artikel über Brown stand die Formulierung, dass dieser “kein Engel“ gewesen sei. Viele fanden das herabwürdigend.

profil: Es ging in dem Text darum, dass Michael Brown eine schwierige Jugend hatte. Sie haben dann diesen Fall nachrecherchiert. Wie urteilten Sie?

Sullivan: Der Autor des Textes ist ein sehr guter und sensibler Journalist. Er selbst wünschte sich rückblickend, er hätte ein weniger aufgeladenes Wort verwendet. Mein Urteil war: Eine andere Formulierung wäre tatsächlich besser gewesen.

profil: Sind die Leser sensibler oder empfindlicher gegenüber sprachlichen Details geworden?

Sullivan: Verändert hat sich, wie Menschen auf Artikel stoßen. In den sozialen Medien entdecken sie Geschichten in einer aufgesplitterten Weise. Man nimmt nicht mehr die Zeitung in die Hand, liest den Artikel auf Seite zehn und sieht den Kontext rundherum. Stattdessen bekommt man vielleicht einen Link auf Twitter und liest das dann so, als wäre es die einzige Geschichte auf der Welt. Dabei fehlt der Kontext. Selbst wenn etwas nur ein ergänzender Kasten ist, wird er als einzige Geschichte der “New York Times“ an diesem Tag wahrgenommen. Das führt zu einer verzerrten Wahrnehmung. In den sozialen Medien passiert es auch, dass Menschen an einer Diskussion teilnehmen, ohne jemals den Text gelesen zu haben, der die Diskussion auslöste. Ich versuche, in meiner Arbeit zu berücksichtigen, dass es solch überdrehte Gemütslagen gibt. Mit Twitter verhält es sich folgendermaßen: Etwas ist ein paar Tage lang ein richtig heißes Thema, dann verschwindet es komplett, und keiner denkt mehr dran.

profil: Ist das nicht ein echtes Problem der digitalen Debatte und unfair gegenüber dem Journalisten? Sollte man einen Text nicht gelesen haben, ehe man ihn kritisiert?

Sullivan: Auch wenn es nun mal so ist im Zeitalter sozialer Medien, ist es sicher unfair gegenüber den Journalisten. Oft reagieren Menschen auf die Reaktion zu einem Text, und das kann dann völlig außer Kontrolle geraten. Ich weiß jedoch auch nicht, was wir dagegen unternehmen sollen – außer zu verstehen, was passiert, und uns zu vergegenwärtigen, dass diese Wut auch wieder abebbt.

profil: Im deutschsprachigen Raum wurde zuletzt heftig darüber gestritten, ob Medien den Namen des Germanwings-Piloten ausschreiben sollen, der 150 Menschen in den Tod riss. Viele Zeitungen schrieben nur von “Andreas L.“, um seine Identität zu schützen.

Sullivan: Wir druckten den ganzen Namen. Bei uns gibt es keine solchen Empfindlichkeiten, wohl auch, weil wir weiter entfernt sind.

profil: Ist das ein Kulturunterschied zwischen den USA und Europa?

Sullivan: Ja, in Europa ist die Gefühlslage anders. Das zeigt auch das sogenannte “Recht auf Vergessen“, das in Europa wichtig ist, in den USA ist es wohl eher das Recht auf Wissen. Wir sind der Meinung, wenn etwas einmal in der Öffentlichkeit ist, kann man es nicht einfach wegwischen.

profil: Einige Themen und Akteure sorgen auch bei den Lesern der “New York Times“ für heftigen Streit. Sie schrieben neulich, dass Hillary Clinton so jemand sei.

Sullivan: Ja, sie polarisiert.

profil: Nun will sie Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Warum polarisiert Hillary Clinton so sehr?

Sullivan: Zum Teil, weil sie eine Frau ist. Sie ist noch dazu eine mächtige Frau, und nicht jeder fühlt sich damit wohl. Sie wäre auch die erste Präsidentin der USA. Das führt zu einigem Gender-Ballast. Hinzu kommt, dass ihr Mann schon Präsident war und gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurde. Sie muss also seinen Ballast auch noch mitschleppen.

profil: Eine Gruppe von Hillary-Clinton-Unterstützern hat sogar eine Liste von angeblich sexistischen Wörtern veröffentlicht, die man weglassen soll – Worte wie “polarisierend“, “berechnend“ oder “ehrgeizig“. Geht das nicht zu weit?

Sullivan: Ich bezweifle, dass irgendein echter Journalist eine Liste an Wörtern ernst nimmt, die man nicht verwenden sollte. Es kann aber schon hilfreich sein, über den Effekt solcher Wörter nachzudenken und sie mit Bedacht einzusetzen.

profil: Da dies ein Reizthema in den USA ist, landen Texte über Hillary Clinton oft bei Ihnen. Hilft es denn der Glaubwürdigkeit, wenn Sie dann der Sache nachgehen?

Sullivan: Manche Themen sind derart aufgeladen, dass man auch als Public Editor wenig Einfluss auf die Glaubwürdigkeit hat. Als ich zuletzt über Hillary Clinton schrieb, haben womöglich beide Seiten meine Worte in ihrem Sinne interpretiert. Ist eine Diskussion festgefahren, ist es ganz gleich, was man als Public Editor tut. Ähnlich verhält es sich beim Thema Israel und Gaza. Wenn ich dazu etwas schreibe, wird nachher nie jemand zu mir kommen und sagen: “Danke, Sie haben die Debatte verbessert.“

profil: Manche jüdische Organisationen behaupten, die “New York Times“ sei untergriffig gegenüber Israel.

Sullivan: Direkt vor dem Redaktionsgebäude hing sogar ein großes Plakat, auf dem stand, die “New York Times“ sei Israel gegenüber voreingenommen. Gleichzeitig gibt es Palästinenser, die uns eine zu israelfreundliche Berichterstattung ankreiden. Viele Menschen hätten einfach gern, dass die “New York Times“ genau ihre Sichtweise widerspiegelt, auch wenn diese Sicht parteiisch ist. Sie wollen, dass wir uns auf eine Seite schlagen. Das ist aber nicht die Aufgabe der “New York Times“.

profil: Halten Sie es für ein Problem im Journalismus, dass viele Menschen die Berichterstattung nur dann gutheißen, wenn sie die eigene Meinung widerspiegelt?

Sullivan: Stimmt. Es gibt dabei durchaus einen Platz für Meinungsjournalismus, und zwar auf den Meinungsseiten. Dort kann man für eine Sache plädieren. Es gibt wohl Anliegen, hinter denen auch die “New York Times“ steht, etwa die Rechte von Homosexuellen. Hier weisen auch Meldungen zum Teil eine Haltung auf; bei der Bürgerrechtsdebatte in den 1950er-Jahren war das ähnlich. Aber bei den meisten Themen sollte es anders sein. Ich spreche ungern von Objektivität, weil das schwer zu erfüllen ist. Aber unparteiische Berichterstattung halte ich für ungeheuer wichtig.

profil: Wie erklären Sie sich das große Misstrauen gegenüber den Medien?

Sullivan: Viele Menschen sind unglücklich mit der politischen Situation, etwa im Nahen Osten, und dann suchen sie einen Verantwortlichen. Medien wird oft diese Rolle zugeschrieben. Dahinter steckt der Glaube: “Wenn nur endlich die ‚New York Times‘ das genauso sähe wie ich, dann wäre alles anders.“ In Wahrheit wäre gar nichts anders. Aber weil dieser Wunsch nicht in Erfüllung geht, wächst Unmut.

profil: Sind wir Journalisten auch selbst schuld am mangelnden Vertrauen?

Sullivan: Die Medien können sich sicher helfen, indem sie so transparent wie nur möglich werden und sich dem Leser erklären. Der Job des Public Editors unterstützt das, man kann aber auch in Artikeln vieles gründlicher erklären, oder der Chefredakteur kann Stellung beziehen. Die Leser schätzen das.

profil: Was Ihre Leser hingegen nicht schätzten, war die unausgewogene Berichterstattung vor dem Irakkrieg im Jahr 2003. Die Befürworter einer Invasion erhielten damals in Ihrem Blatt wesentlich mehr Platz als die Skeptiker oder Gegner.

Sullivan: Ja. Von allem, was der “New York Times“ widerfuhr, bleibt das am meisten in Erinnerung. Das sorgte für einen Unmut und ein Misstrauen, mit dem die “Times“ bis heute leben muss.

profil: Wie erholt man sich von so etwas?

Sullivan: Man muss Tag für Tag beweisen, dass man eine großartige Nachrichtenorganisation ist. Die “New York Times“ druckte damals eine ausführliche Erklärung des Chefredakteurs, der einräumte, dass ein Teil der Berichterstattung fehlerhaft gewesen war. Das war schon mal ein guter Anfang. Aber im Grunde muss man wohl warten, bis die Leser verstehen: Man liegt an den meisten Tagen richtig – man ist manchmal aber auch fehlerhaft, wie jede andere Institution, in der Menschen arbeiten.

 

Zur Person: Margaret Sullivan ist seit 2012 Public Editor der “New York Times“. Zuvor war sie Chefredakteurin der “Buffalo News“ und Mitglied im Pulitzer-Preis-Vorstand. Für ihre Arbeit als Leserbeauftragte erhielt sie viel Lob. “Sie geht keinem Kampf aus dem Weg“, beschreibt sie ein Kollege im Onlinemedium Salon.com. Sullivan wurde von profil am International Journalism Forum in Italien befragt, wo sie vorvergangene Woche auftrat. Wer mehr wissen will, kann ihr auf Twitter folgen (Username: @Sulliview) oder ihre Texte unter publiceditor.blogs.nytimes.com lesen. Ihre Periode als Public Editor dauert vier Jahre. Anders als viele europäische Zeitungs-Ombudsleute ist Sullivan unabhängig und somit nicht der Chefredaktion unterstellt. Insgesamt zählt die Redaktion der “New York Times“ mehr als 1000 Mitarbeiter.

 

Dieses Interview erschien in profil (Ausgabe 18/15). Foto: Alessandro Migliardi.

View Comments

  • Was ist mit dem viel grösseren Problem der Hasskommentare und Hassleitartikeln?

  • Danke. Sowoh für das Expertenvotum als auch die schöne verlinkbare Zusammenfassung hier,

  • Ich hatte schon befürchtet, dass es mal zu so einer Software kommen wird.
    Trotzdem gruselig

    (Und wer weiß in einem Jahr nicht alles, warum die Software entscheidet, wie sie entscheidet?)

  • Es gibt außerdem eine Vielzahl von Websites, die Kommentare ermöglichen, Daten und Passwörter der User_innen unverschlüsselt jedoch verarbeiten!! Da würde ich meine SV-Nr jedenfalls nicht eingeben.

  • Es gibt außerdem eine Vielzahl von Websites, die Kommentare ermöglichen, Daten und Passwörter der User_innen jedoch unverschlüsseltverarbeiten!! Da würde ich meine SV-Nr jedenfalls nicht eingeben.

  • Danke, dass du dich in diesem Bereich einsetzt. Es wäre ein irrsinniger Rückschritt für unsere Gesellschaft und erinnert fast an das für 2020 geplante Sozialcreditsystem mit Totalüberwachung in Peking, über das wir hier zu Lande den Kopf schütteln. Selbst beweisen wir uns eben gerade nicht in Systemverbesserungen.

  • Hallo Freunde ... saisonale Grüße an alle. Ich bin Mary Michael, ich komme aus Maryland. Vor ein paar Tagen las ich einen Kommentar zu einem Blog über Beziehungen. Ein Journalist, der wegen der Krankheit seiner Frau zwei Wochen lang die schnelle Heilung von schwachen Erektionen und Ejakulationen erforscht. Ich lese die Geschichte und neben Drigbinovia der Mann, der ihm geholfen hat, alles zu tun, die Seite, die er mit seiner Ex-Frau getrennt hatte acht Jahre nach der Trennung und Drigbinovia helfen ihm, seine Ehe zurückzubringen. Ich hatte großes Glück, die E-Mail-Adresse doctorigbinovia93 @ gmail .com online zu kopieren. Drigbinovia spricht über mögliche Probleme des Ehelebens. Ich brauchte so sorgfältig Hilfe, um zu meinem Mann zurückzukehren. Vor ein paar Monaten habe ich gegen meinen Mann gekämpft, am nächsten Tag sah er direkt in die Augen. Er sagte, es sei vorbei, wir haben geheiratet, er hat unseren Sohn genommen und ist nach Spanien gegangen. Seitdem versuche ich es Anrufen und Senden von Nachrichten über das Telefon, soziale Netzwerke. in der Mitte und per E-Mail, aber die komplett blockierte Leitung war erreicht, so frustriert, und ich musste meinem Sohn Felix beim Lesen helfen, sich zu entschuldigen, auch wenn wir beide wissen, dass ich missbrauche. sieben Monate lang keine Blätter ohne Rede. Diese Situation wird jeden Tag ermordet, ich war deprimiert und wollte dringend helfen, und es war dringend eine Lösung erforderlich, um das Problem zu lösen. Ich kontaktierte die E-Mail-Adresse in Drigbinovia, nur weil ich glaube, dass ich meinem Mann helfen kann, mit seinem Sohn nach Hause zurückzukehren . Ich sprach mit ihm und versicherte ihm, er könnte mir helfen, mit meinem Mann und meinen Kindern nach Hause zu kommen, zuzuhören und Schritt für Schritt. Zwei Tage später sagte Drigbinovia, dass eine Lustrationszeremonie in den Tempel gefallen sei. Alles wird von alleine gemacht und ich habe alles getan, ich habe nur die notwendigen Dinge zur Verfügung gestellt. Am selben Abend rief mich mein Mann Chandler an, um mich dafür zu entschuldigen, dass er sehr ruhig war. Er sprach mit mir, es tat ihm sehr leid, dass er Angst hatte. Chandlers Sohn ist gestern mit seinem Sohn nach Hause zurückgekehrt, und heute bin ich glücklich, meine Familie und meinen Mann wiederhergestellt zu haben, und wir lieben uns mehr als je zuvor. Ich schätze und schätze immer die Hilfe von Drigbin. Ich verspreche, mein gutes Zeugnis über meine Freunde und andere zu teilen. Ich habe die Absicht, dass es für mich funktionieren wird, und mir wurde klar, dass es gut wäre, mit Ihnen zu teilen, weil ich weiß, dass es andere inspirieren wird, wie ich kürzlich getroffen habe, ein lebendiger Zeuge zu sein, für den ich arbeite. Ich, mein Mann, kehrte innerhalb von sieben Tagen nach Hause zurück und ein unglaubliches Wunder. Der Rat sucht verzweifelt nach einer dauerhaften Lösung für die Krise und die Dringlichkeit romantischer Beziehungen, und wenn er verlorene Partner wiederfindet und eine glückliche Familie schafft. Der lebendige Glaube, dass Liebe zu Macht, diese Kräfte erwiesen sich als wirksam und um einige Tage nach der Exaktivierung zu planen, um um Verzeihung zu bitten. Ich wünsche Dir viel Glück

  • Ist es umweltfreundlicher, einen Film auf DVD / BluRay zu gucken statt auf Netflix?

    • Danke für den Link - auf dieses Projekt bezieht sich die Erwähnung im Text!

    1 26 27 28 29 30 37